TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/8 W203 1417966-2

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Veröffentlicht am 08.06.2021
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Entscheidungsdatum

08.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §55

Spruch


W203 1417966-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gottfried SCHLÖGLHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Gregor Klammer, Jordangasse 7/4, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.01.2020, Zl. 536421109/2000055762 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wird behoben.

II. XXXX wird eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 08.06.2023 erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930 (B-VG), idgF, nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen stellte am 06.10.2010 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.01.2011 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2012 erteilt.

Begründet wurde die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten damit, dass aufgrund der allgemeinen humanitären Lage in Afghanistan stichhaltige Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 12 zur Konvention ausgesetzt sei. Der festgestellte Sachverhalt ergebe sich aus der Vernehmung des Beschwerdeführers. Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Afghanistan würden sich auf die zitierten Quellen stützen.

3.       Am 12.12.2011 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf „Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gem. § 8/4 AsylG“. Ausgeführt wurde, dass dem Beschwerdeführer eine Rückkehr in seine Heimat weiterhin nicht zugemutet werden könne, da sich die Situation nicht verändert habe und in seinem Fall die Voraussetzungen zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 vorlägen.

4.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.12.2011 wurde dem Antrag des Beschwerdeführers stattgegeben und diesem eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2013 erteilt. Festgehalten wurde, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung weiterhin vorlagen.

5.       Am 11.12.2012 stellte der Beschwerdeführer einen nachfolgenden Antrag auf „Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigte“. Da die Gefährdungslage in seinem Heimatland in Verbindung mit seinem Vorbringen seit der Entscheidung, mit der dem Beschwerdeführer die befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt worden sei, keinerlei Änderung erfahren habe, werde beantragt, das Bundesasylamt möge erneut eine befristete Aufenthaltsbewilligung erteilen.

6.       Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.12.2012 wurde dem Beschwerdeführer die beantragte befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2014 erteilt.

7.       Am 23.12.2013 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf „Verlängerung“.

8.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) vom 30.01.2014 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsgenehmigung bis zum 14.01.2016 erteilt.

9.       Am 03.12.2015 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf „Verlängerung § 8“.

10.     Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.12.2015 wurde die beantragte Verlängerung gewährt und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2018 erteilt.

11.     Am 14.01.2018 stellte der Beschwerdeführer einen nachfolgenden Antrag auf „Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 Abs. 4 AsylG“.

12.      Mit Bescheid der belangten Behörde vom 12.12.2017 wurde dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2020 erteilt, wobei festgehalten wurde, dass die Voraussetzungen für die Gewährung des subsidiären Schutzes weiterhin vorlägen.

13.      Am 09.12.2019 stellte der Beschwerdeführer einen weiteren Antrag auf „Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs 4 AsylG 2005“. Die Lage des Beschwerdeführers habe sich nicht verändert.

14.     Am 16.01.2020 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Zusammengefasst gab dieser dabei wie folgt an:

Er habe den A1 Deutschkurs abgeschlossen. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und könne jederzeit arbeiten. Zum Zeitpunkt der Befragung habe er nicht gearbeitet. Er sei in der Provinz Laghman geboren und aufgewachsen. Er habe dort sechs Jahre lang die Schule besucht und sei nach der Schule in der Landwirtschaft tätig gewesen. Er sei seit eineinhalb Jahren verheiratet, Kinder habe er keine. Seine Frau sei ebenfalls afghanische Staatsbürgerin. Die Familie des Beschwerdeführers lebe in Pakistan, nur dessen Ehefrau und die Schwiegerfamilie lebe in Afghanistan, so wie eine Tante mütterlicherseits, ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits. Sie alle würden in Kabul leben. Er habe Kontakt zu seiner Ehefrau und seiner Mutter, nicht aber zu seinen Onkeln und Tanten. Der Beschwerdeführer verstehe sich mit der Familie des Onkels väterlicherseits nicht. Der Beschwerdeführer sei als Jugendlicher nach Österreich gekommen und lebe seit zehn Jahren hier. Er könne nicht mehr in Afghanistan leben, außerdem habe er Probleme mit der Familie väterlicherseits. Die allgemeine Situation in Afghanistan sei sehr schlecht. Wenn man die Sicherheit einmal gewohnt sei, sei es schwer, dort zurecht zu kommen. Der Beschwerdeführer würde in der dortigen Gesellschaft nicht zurechtkommen, da das Leben in Österreich anders sei als in Afghanistan. Die Leute in Pakistan hätten dem Beschwerdeführer bei einem Familienbesuch sofort vorgeworfen, dass er Alkoholiker und ein Ungläubiger sei. Afghanistan und Pakistan seien von der Gesellschaft her gleich. Er sei insgesamt drei Monate in Pakistan gewesen. In Laghman sei die Sicherheitslage extrem schlecht. Er müsse zu seiner Familie gehen, da er nicht alleine in Afghanistan leben könne. Man brauche die Unterstützung der Familie, staatliche Unterstützung gebe es nicht. Er sei noch nie in Herat gewesen, er lebe seit zehn Jahren in Österreich und wolle nicht weg. Der Beschwerdeführer habe bei der Firma „ XXXX “ in der Produktion gearbeitet, das habe er fast drei Jahre lang gemacht. Er habe auch in er Küche im XXXX gearbeitet, insgesamt habe er fünf bis sechs Jahre gearbeitet. Er habe Freunde in Österreich. Er habe einen Antrag beim AMS gestellt, derzeit lebe er von Erspartem. Er wisse nicht, wieso er den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zugesprochen bekommen habe. Auf Hinweis, dass ihm dieser Schutzstatus aufgrund der humanitären Lage in Afghanistan zuerkannt worden sei, gab der Beschwerdeführer an, dass es „jetzt genauso“ sei. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er die Hoffnung habe, dass er „zumindest die Niederlassung“ bekommen werde. Er sei bei Leihfirmen angestellt gewesen, deswegen würden in den Aufzeichnungen der belangten Behörde seit 2015 keine Arbeitsstellen mehr aufscheinen.

15.      Aus einem Aktenvermerk der belangten Behörde geht hervor, dass sich im Zuge der Prüfung hinsichtlich der Erteilung der Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG Anhaltspunkte ergeben hätten, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vorliegen, da eine taugliche IFA bestehe.

16.      Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 17.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und dessen Antrag vom 09.12.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und es wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Es wurde festgestellt, dass eine Abschiebung zulässig sei (Spruchpunkt V.) und es wurde dem Beschwerdeführer eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt (Spruchpunkt VI.).

Zur Person des Beschwerdeführers, den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und zur Situation des Beschwerdeführers im Fall seiner Rückkehr traf die belangte Behörde folgende Feststellungen:

Der Beschwerdeführer sei arbeitsfähig und leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit. Er überzeuge mit Flexibilität und Aufgeschlossenheit, sei anpassungsfähig sowie anpassungswillig. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten lägen „aktuell“ nicht vor. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan habe der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen können. Die genannten (positiven) persönlichen Eigenschaften des Beschwerdeführers hätten zum Zeitpunkt der Schutzgewährung vorgelegen, seien der Behörde allerdings nicht bekannt gewesen. Es läge im Falle des Beschwerdeführers eine Gefährdungslage in Bezug auf seine unmittelbare Heimatprovinz, aber nicht auf Afghanistan allgemein vor. Der Beschwerdeführer könne eine IFA (innerstaatliche Fluchtalternative) „mit den Städten Mazar-e Sharif und Herat“ in Anspruch nehmen und würde eben dort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.

Begründet wurden diese Feststellungen damit, dass dem Beschwerdeführer mit Bescheid vom 14.01.2011 der Status des subsidiär Schutzberechtigten lediglich deswegen zuerkannt worden sei, da für diesen als Zivilperson im Falle einer Rückkehr eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens nicht ausgeschlossen werde habe können. Dem Beschwerdeführer sei nunmehr eine Neuansiedelung in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zumutbar, deswegen würden die damaligen Voraussetzungen für die Schutzgewährung nicht mehr vorliegen. Auch habe bereits der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngsten Rechtsprechung erkannt, dass selbst fehlende familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte bzw. Unterstützungen in Herat oder Mazar-e Sharif nicht zu einer Unzumutbarkeit einer Neuansiedelung in diesen Städten führen würden.

17.       Gegen den gegenständlichen Bescheid erhob der Beschwerdeführer am 28.01.2020 Beschwerde. Begründet wurde diese Beschwerde auf das Wesentliche zusammengefasst wie folgt:

Der Beschwerdeführer habe die Zeit in Österreich genutzt, um sich beruflich, sprachlich und sozial zu integrieren. Vorgelegt wurden diesbezügliche Lohnzettel. Er habe in seiner Zeit in Österreich etwa 70 – 80 % der Zeit gearbeitet und stehe „insgesamt“ auf eigenen Beinen. „Derzeit“ sei er leider arbeitslos, da er aufgrund der fehlenden Verlängerung des subsidiären Schutzes nicht mehr eingestellt werde. Er versuche trotzdem Arbeit zu finden, da er ja „eigentlich während des laufenden Verfahrens“ arbeiten dürfe. Zu erwähnen sei allerdings, dass dem Beschwerdeführer aufgrund eines „Übergriffs der Polizei am 12.12.2020“ das linke Handgelenk gebrochen worden sei und er seither schwere Probleme habe, Arbeiten anzunehmen, welche schwere Tragarbeiten umfassen würden. Er könne daher gewisse Arbeiten nicht annehmen. Er sei auch sprachlich gut integriert und könne sich auf Deutsch mündlich gut verständigen. Die nicht bestandene A2-Prüfung im Jahre 2014 „komme dem leider nicht gerecht“, da er nur aufgrund eines Punktes Differenz diese Prüfung nicht geschafft habe. Er habe bereits einen Prüfungstermin am 30.01.2020 zum Ablegen der A2-Prüfung. Die Aberkennung des subsidiären Schutzes mit Bescheid vom 17.01.2020 sei für den Beschwerdeführer überraschend gekommen. Die belangte Behörde habe den Sachverhalt „äußerst mager“ festgestellt, Ermittlungen zum jetzigen Privatleben des Beschwerdeführers hätten nur in geringem Umfang stattgefunden. Es würden im Bescheid jegliche Feststellungen zur wirtschaftlichen Lage in Herat und Mazar-e Sharif fehlen. Es werde weder beschrieben, ob es dort Arbeitsmöglichkeiten gebe, noch, ob der Beschwerdeführer dort seinen Lebensunterhalt bestreiten könne. In der Beweiswürdigung habe sich die belangte Behörde darauf beschränkt, auf die zitierten Quellen zu verweisen, sowie darauf, dass es sich bei den Feststellungen um notorische Tatsachen handele. Zusammengefasst sei dem Beschwerdeführer der subsidiäre Schutz nach der damaligen Behördenpraxis „pauschal“ verliehen worden, ohne dass genaue und ausführliche Feststellungen zur Lage in Afghanistan getroffen worden seien. Der nunmehr angefochtene Bescheid „bemühe sich“ nicht einmal, zu verstecken, dass lediglich „nota repreta“ (gemeint wohl: nova reperta) eingebracht worden seien. Zum ersten Mal seien die Städte Mazar-e Sharif und Herat erwähnt worden. Dies sei eine „gänzlich unzulässige Vorgehensweise“. Ferner lasse sich nicht feststellen, wie die Lage in Herat und Mazar-e Sharif im Jahre 2010 war und ob sich diese Lage tatsächlich nachhaltig und wesentlich verbessert habe. Insgesamt sei daher nicht überprüfbar, ob sich die Lage in Afghanistan im Generellen und in Herat und Mazar-e Sharif im Speziellen derart geändert habe, dass die rechtlichen Voraussetzungen einer Aberkennung erfüllt seien und somit lägen derartige Voraussetzungen nicht vor.

18.      Einlangend am 31.01.2020 wurde die Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde - ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen - samt zugehörigem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht auf Grundlage der Einvernahme des Beschwerdeführers durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und durch ein Organ der belangten Behörde sowie der Einsichtnahme in den Bezug habenden Verwaltungsakt, das Zentrale Melderegister, das Fremdeninformationssystem, das Strafregister sowie das Grundversorgungs-Informationssystem fest. Aus den diesbezüglichen Angaben und Informationen werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, trägt den im Spruch angeführten Namen und ist an dem dort angegebenen Datum geboren. Er gehört der Volksgruppe der Paschtunen an.

Der Beschwerdeführer stammt aus der Provinz Laghman, wo er auch bis zu seiner Ausreise lebte.

Der Beschwerdeführer besuchte von seinem 7. Lebensjahr bis zu seinem 13. Lebensjahr eine Schule in der Nähe seines Heimatdorfes. Nach der Schule war er in der Landwirtschaft tätig.

Der Beschwerdeführer ist mit einer afghanischen Frau verheiratet. Die Hochzeit fand 2018 in Pakistan statt. Die Frau des Beschwerdeführers lebt mit ihrer Familie in Afghanistan in Laghman, der Heimatprovinz des Beschwerdeführers.

Die Familie des Beschwerdeführers befindet sich in Pakistan. Es besteht Kontakt zur Mutter.

Eine Tante mütterlicherseits, ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits leben in Kabul. Zu diesen besteht kein Kontakt.

Der Beschwerdeführer ging in Österreich bereits für mehrere Jahre beruflichen Tätigkeiten nach.

In Österreich hat der Beschwerdeführer Freunde, Verwandte leben hier nicht.

Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.

1.2. Zur Aberkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten:

Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.01.2011 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2012 erteilt. Begründet wurde die Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten damit, dass der Beschwerdeführer zum damaligen Zeitpunkt bereits als volljährig anzusprechen gewesen sei. Er habe an keinen schwerwiegenden Erkrankungen gelitten. Aufgrund der allgemeinen humanitären Lage in Afghanistan hätten stichhaltige Gründe dafür bestanden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung in seinen Herkunftsstaat einer realen Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention ausgesetzt sei.

Am 12.12.2011 stellte der Beschwerdeführer einen ersten Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter. Diesem Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 14.12.2011 stattgegeben und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2013 erteilt.

Dem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter vom 11.12.2012 wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12.12.2012 stattgegeben und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2014 erteilt.

Am 23.12.2013 wurde ein weiterer „Antrag auf Verlängerung“ gestellt, welchem – nunmehr mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.01.2014 – stattgegeben wurde. Dem Beschwerdeführer wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2016 erteilt.

Dem mit 03.12.2015 gestellten „Antrag auf Verlängerung § 8“ wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.12.2015 stattgegeben und dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2018 erteilt.

Am 05.12.2017 stellte der Beschwerdeführer erneut einen „Antrag auf Verlängerung des subsidiären Schutzes gemäß § 8 abs. 4 AsylG“. Diesem Antrag wurde mit Bescheid der belangten Behörde vom 12.12.2017 stattgegeben und dem Beschwerdeführer wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 14.01.2020 erteilt. Begründet wurde dies damit, dass aufgrund der Ermittlungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers in Verbindung mit dessen Vorbringen bzw. dessen Antrag das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung als glaubwürdig gewertet werden habe können.

Am 09.12.2019 stellt der Beschwerdeführer einen – vorläufig letzten – Antrag auf „Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gem. § 8 Abs. 4 AsylG 2005“.

Am 16.01.2020 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen.

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.01.2020 wurde dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen aberkannt und der Antrag vom 09.12.2019 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung abgewiesen. Begründet wurde diese Aberkennung damit, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aktuell nicht vorlägen. Die im Bescheid genannten positiven Eigenschaften des Beschwerdeführers seien zum Zeitpunkt der Schutzgewährung vorgelegen, seien der Behörde aber nicht bekannt gewesen. Es läge im Falle des Beschwerdeführers eine Gefährdungslage in Bezug auf dessen unmittelbare Heimatprovinz, aber nicht Afghanistan allgemein, vor. Der Beschwerdeführer könne eine IFA „mit den Städten Mazar-e Sharif und Herat“ in Anspruch nehmen. Die genannten Städte würden als „zumutbar sicher“ gelten und seien gefahrlos zu erreichen. Begründet wurde dies damit, dass der Beschwerdeführer sich im erwerbsfähigen Alter befinde und arbeitsfähig sei. Auch ein fehlender sozialer oder familiärer Background in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat führe nicht zu einer Unzumutbarkeit einer Neuansiedelung. Dies habe auch der Verwaltungsgerichtshof in seiner „jüngsten Rechtsprechung“ festgehalten. Es sei dem Beschwerdeführer auch zumutbar, aufgrund seiner „(neu gewonnenen) Lebenserfahrung“ in Afghanistan leben zu können. Auch sei das „BFA“ (gemeint wohl: das Bundesasylamt) zum Zeitpunkt der Schutzgewährung davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr vor eine ausweglose Situation gestellt gewesen wäre. Nunmehr habe sich jedoch insbesondere aufgrund der „Schilderung“ des Lebenslaufes des Beschwerdeführers die damalige Ausgangslage „zu den Merkmalen ihrer Person gänzlich konträr“ dargestellt. Der Beschwerdeführer habe durch seinen Aufenthalt in Österreich gezeigt, dass er sich sogar in einem fremden Land anpassen und zurechtfinden könne. Dies werde ihm bei einer Eingliederung in die afghanische Gesellschaft nützlich sein und eine ausweglose Situation im Falle der Rückreise müsse aus diesen Gründen ausgeschlossen werden. Rechtlich wurde ausgeführt, dass die konkrete Einzelsituation des Beschwerdeführers berücksichtigt worden sei, wobei das Ermittlungsverfahren spezifische Kenntnisse und Fähigkeiten zu Tage gebracht habe, die im Zeitpunkt der Zuerkennung des Schutzstatus keine Berücksichtigung gefunden hätten und es sei dem Beschwerdeführer deswegen gemäß § 9 Abs. 1 Z 1, erster Fall AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen.

Die belangte Behörde unterlag zum Zeitpunkt der Zuerkennung bzw. der mehrmalig erfolgten Verlängerung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten bzw. der damit verbundenen Aufenthaltsberechtigung keinem Tatsachenirrtum.

1.3. An der subjektiven Situation des Beschwerdeführers hat sich seit der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten bzw. den mehrmalig erfolgten diesbezüglichen Verlängerungen der Aufenthaltsberechtigung nichts Maßgebliches auf Dauer geändert.

1.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers:

1.4.1. COVID-19

Letzte Änderung: 31.03.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).

Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern". Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre

begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).

1.4.2. Sicherheitslage

Letzte Änderung: 25.03.2021

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).

Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).

In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).

Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).

Zivile Opfer

Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).

Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021).

Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021).

Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021).

Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die "Woche der Gewaltreduzierung" vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Chorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Chost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019). Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort (BAMF 18.1.2021).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an

Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020; vgl. BBC 25.3.2020, USDOD 1.7.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020, USDOD 1.7.2020). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).

Opiumproduktion und die Sicherheitslage

Afghanistan ist das Land, in dem weltweit das meiste Opium produziert wird. In den letzten fünf Jahren entfielen etwa 84 % der globalen Opiumproduktion auf Afghanistan. Im Jahr 2019 ging die Anbaufläche für Schlafmohn zurück, während der Ernteertrag in etwa dem des Jahres 2018 entsprach (UNODC 6.2020; vgl. ONDCP 7.2.2020). Der größte Teil des Schlafmohns in Afghanistan wird im Großraum Kandahar (d.h. Kandahar und Helmand) im Südwesten des Landes angebaut (AAN 25.6.2020). Opium ist eine Einnahmequelle für Aufständische sowie eine Quelle der Korruption innerhalb der afghanischen Regierung (WP 9.12.2019); der Opiumanbau gedeiht unter Bedingungen der Staatenlosigkeit und Gesetzlosigkeit wie in Afghanistan (Bradford 2019; vgl. ONDCP 7.2.2020).

Laghman

Letzte Änderung: 11.03.2021

Laghman liegt im Osten Afghanistans und grenzt im Norden an die Provinzen Panjshir und Nuristan, im Osten an Kunar, im Süden an Nangarhar und im Westen an Kabul und Kapisa (NPS Laghman o.D.). Die Provinzhauptstadt ist Mehtarlam (UNOCHA Laghman 4.2014; vgl. NPS Laghman o.D., OPr Laghman 1.2.2017). Die Provinz ist in folgende Distrikte unterteilt: Alingar, Alishing, Dawlat Shah, Mehtarlam, Qarghayi, und Bad Pash (auch Bad Pakh) (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Laghman 2019, UNOCHA Laghman 4.2014, NPS Laghman o.D., OPr Laghman 1.2.2017). Bad Pash ist ein temporärer Distrikt (NSIA 1.6.2020).

Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Laghman im Zeitraum 2020/21 auf 493.488 Personen (NSIA 1.6.2020). Die Bevölkerungsmehrheit in der Provinz stellen die Paschtunen (BMC 6.3.2020; vgl. PAJ Laghman o.D., NPS Laghman o.D.), weitere Bewohner gehören tadschikischen und paschaiischen Stämmen an (PAJ Laghman o.D.; vgl. NPS Laghman o.D.). Die Provinz verfügt über ausreichend Wasser und ein großer Teil der Bewohner lebt von der Landwirtschaft (PAJ 14.7.2020).

Die Fernstraße Kabul-Jalalabad (ein Abschnitt der Asiatischen Fernstraße AH-1) führt durch den Distrikt Qarghayi, (MoPW 16.10.2015; vgl. UNOCHA Laghman 4.2014, PAJ 30.12.2019). Im Jahr 2019 wurden auf dieser Straße in der Provinz Laghman bei Verkehrsunfällen mindestens 45 Personen getötet und ca. 100 Personen verletzt (PAJ 30.12.2019). Es gibt Berichte, dass entlang der Fernstraße Kabul-Jalalabad Aufständische Konvois der Sicherheitskräfte attackieren (TN 7.7.2020). Im Distrikt Qarghayi zweigt eine Asphaltstraße in die Provinzhauptstadt Mehtarlam ab (UNOCHA Laghman 4.2014; vgl. YT 10.8.2019, YT 30.4.2019). Von Mehtarlam führt eine Straße weiter nach Nurgeram in Nuristan (UNOCHA Laghman 4.2014).

Hintergrundinformationen zu Konflikt und Akteuren

Die Taliban sind in Laghman aktiv (NYT 23.11.2020; vgl. Express 5.10.2020). Laghman galt, gemeinsam mit anderen Provinzen, als eine der Hochburgen des ISKP (AJ 10.6.2019; vgl. UNSC 1.2.2019). Der ISKP wurde nach Kämpfen mit den Taliban aus dem Osten der Provinz vertrieben (LI 22.1.2020) und er wurde nach den Militärschlägen im Winter 2019/Frühling 2020 für offiziell besiegt erklärt (taz 3.8.2020). Im März 2020 hat sich der ISKP in der Provinz Laghman ergeben, nachdem er von Regierungstruppen und den Taliban eingekesselt wurde (ST 23.3.2020). Dennoch gibt es weiterhin Berichte über eine Präsenz des ISKP in Laghman (Belliard 21.11.2020). Auch die pakistanische Terrorgruppe Lashkar-e Taiba (LeT) hat eine kleine Präsenz in Laghman (EFSAS 10.4.2020).

Auf Regierungsseite befindet sich Laghman im Verantwortungsbereich des 201. Afghan National Army (ANA) Corps, das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).

Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung

Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 267 zivile Opfer (62 Tote und 205 Verletzte) in der Provinz Laghman. Dies entspricht einem Rückgang von 5% gegenüber 2019. Die Hauptursachen für Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordattentate) und Selbstmordangriffen (UNAMA 2.2021). Laghman hat einen hohen Wert bezüglich ziviler Opfer im Verhältnis zur Bevölkerung (LIFOS 7.4.2020).

Im Oktober 2018 und im Jänner 2019 wurde die Provinz Laghman als eine relativ ruhige Provinz beschrieben (KP 22.1.2019; vgl. KP 1.10.2018). Im August 2020 wird von vermehrten Beschwerden über Unsicherheit aus der Bevölkerung berichtet. Der Provinzgouverneur veröffentlichte auch eine Warnung vor illegalen Bewaffneten in der Hauptstadt Mehtarlam. Zur Verbesserung der Sicherheitslage sollten zwei Militärbataillone wieder nach Laghman zurückkehren (PAJ 16.8.2020)

In der Provinz werden Sicherheitsoperationen (KN 21.10.2020, GW 5.10.2020, CGVSRA 12.3.2020) und Luftschläge durch afghanische Sicherheitskräfte durchgeführt (PAJ 7.9.2020, XI 24.12.2019). Angriffe durch Aufständische auf Sicherheitskräfte oder Behördenvertreter finden statt (DjW 28.9.2020, TN 11.5.2020, GW 2.5.2020). Im Oktober 2020 kamen bei einem Sprengstoffanschlag auf den Provinzgouverneur acht Menschen ums Leben, der Gouverneur blieb unverletzt (Express 5.10.2020; vgl. GW 5.10.2020).

1.4.3. Folter und unmenschliche Behandlung

Letzte Änderung: 01.04.2021

Laut der afghanischen Verfassung (Artikel 29) sowie dem Strafgesetzbuch (Penal Code) und dem afghanischen Strafverfahrensrecht (Criminal Procedure Code) ist Folter verboten (UNAMA 2.2021b; vgl. AA 16.7.2020, CoA 26.1.2004, EASO 7.2020). Auch ist Afghanistan Vertragsstaat der vier Genfer Abkommen von 1949, des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) sowie des römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) (UNAMA 4.2019). Die Regierung erzielt Fortschritte bei der Verringerung der Folter in einigen Haftanstalten, versäumt es jedoch, Mitglieder der Sicherheitskräfte und prominente politische Persönlichkeiten für Misshandlungen, einschließlich sexueller Übergriffe, zur Rechenschaft zu ziehen (HRW 4.2.2021; vgl. HRW 14.1.2020).

Die Verfassung und das Gesetz verbieten solche Praktiken, dennoch gibt es zahlreiche Berichte über Misshandlung durch Regierungsbeamte, Sicherheitskräfte, Mitarbeiter von Haftanstalten und Polizisten. Berichten von NGOs zufolge wenden die Sicherheitskräfte auch weiterhin übermäßige Gewalt an; dazu zählen unter anderem auch Folter und Misshandlung von Zivilisten (USDOS 11.3.2020). Obwohl es Fortschritte gab, ist Folter in afghanischen Haftanstalten weiterhin verbreitet (UNAMA 2.2021b; vgl. AA 16.7.2020, UNAMA 4.2019). Etwas weniger als ein Drittel der Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt in Afghanistan festgenommen wurden, sind gemäß UNAMA von Folter betroffen [Anm.: 2019-2020] (UNAMA 2.2021b), was einem leichten Rückgang zum letzten Berichtszeitraum entspricht [Anm.: 2017-2018] (UNAMA 2.2021b; vgl. UNAMA 4.2019). Es gibt dagegen keine Berichte über Folter in Haftanstalten, die der Kontrolle des General Directorate for Prison and Detention Centres des afghanischen Innenministeriums unterliegen. Trotz gesetzlicher Regelung erhalten Inhaftierte nur selten rechtlichen Beistand durch einen Strafverteidiger (AA 16.7.2020).

Der Anteil der Personen, die über Folter berichteten, ist in den vergangenen Jahren leicht gesunken (UNAMA 2.2021b; vgl. USDOS 11.3.2020, HRW 14.1.2020). Auch existieren große Unterschiede abhängig von der geografischen Lage der Haftanstalt: Während bei einer Befragung durch UNAMA afghanistanweit im Zeitraum 2019-2020 durchschnittlich rund 27,5% der Befragten in ANP (Afghan National Police)-Anstalten von Folter oder schlechter Behandlung berichteten (wenngleich dies ein Rückgang zum Berichtszeitraum davor ist [2017-2018], der 31% betrug), so gaben 58% der Befragten aus einer ANP-Anstalt in Kandahar an, gefoltert und schlecht behandelt zu werden (UNAMA 2.2021b).

Die afghanische Regierung hat Kontrollmechanismen eingeführt, um Fälle von Folter verfolgen und verhindern zu können. Allerdings sind diese weder beim NDS (National Directorate of Security) noch bei der afghanischen Polizei durchsetzungsfähig. Daher erfolgt eine Sanktionierung grob

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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