TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/11 I419 2240225-1

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Veröffentlicht am 11.06.2021
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Entscheidungsdatum

11.06.2021

Norm

AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2
AsylG 2005 §58 Abs13
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
AsylG-DV 2005 §4 Abs1 Z2
AsylG-DV 2005 §8 Abs1 Z1
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §52
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I419 2240225-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde des XXXX auch XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch RAin Mag.a Dr.in Vera M. WELD, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 25.01.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A)       Dem Antrag auf Mängelheilung wird Folge gegeben. Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid wie folgt abgeändert:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist ehemaliger Asylwerber, dessen Folgeantrag abgewiesen wurde, worauf er während des Beschwerdeverfahrens eine Österreicherin heiratete. Seinen nach Abweisung der Beschwerde gestellten Antrag auf einen Aufenthaltstitel als Familienangehöriger wies die BH Leibnitz am 26.05.2020 mangels Antragstellung im Ausland ab, was rechtskräftig wurde.

2. Mit dem nun bekämpften Bescheid wies das BFA den am 17.11.2020 folgenden Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK „Aufenthaltsberechtigung plus“ ab (Spruchpunkt I), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II) und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV).

3. Beschwerdehalber wird dagegen vorgebracht, dass der Beschwerdeführer mit einer Österreicherin verheiratet sei und einen Sohn mit dieser habe. Er lebe mit seiner Kernfamilie und der Stieftochter im gemeinsamen Haushalt und unterstütze diese Familie. Außerdem spreche er schon gut Deutsch und sei um ehrenamtliche Arbeit bemüht. In Nigeria habe er keine familiären Bindungen mehr, in Österreich besuche er regelmäßig die Kirche und habe ein schützenswertes Privat- und Familienleben. Beantragt wurde, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen. Mittels Beschwerdeergänzung vom 28.05.2021 beantragte der Beschwerdeführer ferner die Heilung des Mangels der Nichtvorlage eines Reisepasses.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Nigerias, gelangte im November 2016 mit einem maltesischen Schengenvisum nach Österreich, das bis 29.11.2016 gültig war, und stellte eine Woche vor dessen Ablauf einen Antrag auf internationalen Schutz, zu dem er angab, homosexuell zu sein. Das BFA wies diesen 2017 wegen Zuständigkeit Maltas als unzulässig zurück, ordnete die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers an und stellte die Zulässigkeit von dessen Abschiebung nach Malta fest. Die Beschwerde dagegen wies dieses Gericht als unbegründet ab (10.05.2017, W144 2155346-1/4E).

Der Beschwerdeführer verblieb in Österreich, tauchte mittels einer Scheinanmeldung unter und stellte am 12.11.2018 nach Ablauf der 18-monatigen Überstellungsfrist in einem anderen Bundesland im Besitz von € 13,52 einen Folgeantrag, dessen Abweisung dieses Gericht 2018 betreffend Asyl und subsidiären Schutz bestätigt hat, nach einer Teilbehebung durch den VwGH (21.05.2019, Ra 2018/19/0500-11) auch die Spruchpunkte Rückkehrentscheidung, Zulässigkeit der Abschiebung und Nichtfestsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise (BVwG 07.06./12.07.2019, I415 2213188-1/15E).

Er ist Christ und Mitte 20, spricht Benin als Muttersprache und Edo sowie Englisch, hat im Herkunftsstaat 12 Jahre die Schule besucht und eine Berufsausbildung als Modedesigner absolviert. Als solcher hat er dort bis 2016 gearbeitet und in Benin City gewohnt. Er hat seinen bis 25.08.2021 gültigen nigerianischen Reisepass hat nicht den Behörden vorgelegt. Seinen Angaben nach hat er ihn verloren. Dem BFA hat er eine Geburtsurkunde und eine Bestätigung der Botschaft des Herkunftsstaats vom 15.12.2020 übermittelt, wonach er nach dem Verlust einen neuen Reisepass beantragt hat, dessen Ausstellung sich pandemiebedingt verzögere.

Der Beschwerdeführer hat in Nigeria eine Schul- und eine Berufsausbildung zum Modedesigner abgeschlossen und verdiente sich seinen Lebensunterhalt gelegentlich als Tellerwäscher. Dort leben seine Schwester und seine betagte Tante. Er ist gesund und arbeitsfähig. Aufgrund seiner Ausbildung und Arbeitserfahrung hat er die Möglichkeit, am nigerianischen Arbeitsmarkt unterzukommen.

Der Beschwerdeführer lebt seit 21.11.2018 mit einer österreichischen Staatsbürgerin und deren achtjähriger Tochter aus einer früheren Ehe in einem gemeinsamen Haushalt. Mit der Ersteren, die seit 18.05.2019 mit ihm verheiratet ist, hat er seit August 2020 einen Sohn. Beide Kinder sind in Österreich geboren und seither sowohl hier wohnhaft als auch österreichische Staatsbürger. Außer den Genannten lebt niemand im Haushalt. Der Stieftochter, deren Vater in einer anderen Gemeinde desselben Bundeslandes lebt und ebenfalls Österreicher ist, gehört die vom väterlichen Großvater (dem ehemaligen Schwiegervater der Gattin) geerbte Wohnung. Andere Angehörige in Österreich hat der Beschwerdeführer nicht.

Er besucht den Gottesdienst nicht in der Wohngemeinde, sondern in der Landeshauptstadt. Im Juni 2020 bestand der Beschwerdeführer den schriftlichen Teil der Deutschprüfung A1. Am 27.02.2021 hat er die Integrationsprüfung sowohl betreffend das Sprachwissen auf Niveau A2 als auch das Werte- und Orientierungswissen bestanden.

Seit 07.10.2020 ist er freiwillig bei der Sozialversicherungsanstalt der Selbstständigen kranken- und unfallversichert. Er legte eine Einstellungszusage eines Cafés für eine Halbtagsbeschäftigung ab 01.03.2021 vor, bezieht keine Leistungen aus der Grundversorgung, verkauft eine Straßenzeitung, ist nicht selbsterhaltungsfähig und lebt unter anderem von Reinigungstätigkeiten, denen er unangemeldet nachgeht, sowie von Zuwendungen seiner Ehefrau. Seinen Angaben nach ist er auf Letzteres nicht angewiesen, verdient ca. € 1.300,-- monatlich (davon behauptete 900 bis 1.000 legal als Zeitungsverkäufer), kauft Sachen für den Sohn, unterstützt seine Tante im Herkunftsstaat und überweist der Gattin € 100,-- bis € 200,-- pro Monat.

Diese ist Anfang 30 und in Österreich geboren, absolvierte bis Mai 2008 eine Lehre, war danach bis Mitte 2012 zusammen rund ein Jahr vollversichert berufstätig, bezog dann bis Feber 2015 Wochen- und Kinderbetreuungsgeld, war fortan bis Mitte 2020 zusammengerechnet wieder rund ein Jahr berufstätig, 45 Tage davon geringfügig, und bezieht seither wieder Wochen- und Kinderbetreuungsgeld. In einem anderen Staat hat sie nie gearbeitet oder gelebt.

Eine weitere integrative Verfestigung des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht konnte nicht festgestellt werden. Strafgerichtlich ist er unbescholten. Über die alltäglichen Verrichtungen hinaus hat er keine maßgeblichen privaten Kontakte und ist außer in der Kirche auch nicht Mitglied eines Vereines oder einer sonstigen integrationsbegründenden Institution.

1.2 Zum Vorbringen:

Um seiner Außerlandesbringung nach Malta zu entgehen, tauchte der Beschwerdeführer bereits während des ersten Beschwerdeverfahrens im Frühjahr 2017 unter und war zunächst 13 Monate zum Schein in einem Kirchengebäude in der Steiermark gemeldet, weshalb der Abschiebeflug scheiterte, sowie von Juni bis November 2018 nirgends. Am 12.11.2018 stellte er in Niederösterreich den Folgeantrag, in dem er angab, seine Eltern seien von Verwandten väterlicherseits ermordet worden, die hinter ihm auch her seien und ihn umbringen wollten. Sonst habe sich an seinen Fluchtgründen und bei ihm seit November 2016 nichts geändert.

Er wurde darauf in einer Unterkunft im Land Salzburg einquartiert, von wo er auf eigene Faust in ein Nachbarbundesland reiste. Am 21.11.2018 meldete er sich dort in der Unterkunft der nunmehrigen Gattin an, wo er seither – anfänglich mit Unterbrechungen – auch wohnt.

Das BFA wies den Folgeantrag im Dezember 2018 verbunden mit einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat und der des Nichtbestehens einer Ausreisefrist ab, wobei es einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannte. Dagegen erhob er, ohne die Ausreisepflicht zu befolgen, am 10.01.2019 Beschwerde, in der er angab, zu seinen Fluchtgründen werde auf das bisher Vorgebrachte verwiesen. Bei der Prüfung, ob ein allfälliger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers, seine persönlichen, sozialen und wirtschaftlichen Beziehungen, zulässig sei, würden „aufgrund der Lebenssituation“ des Beschwerdeführers die privaten Interessen überwiegen. Ein Familienleben oder eine Beziehung mit einer Frau erwähnte die Beschwerde nicht.

Das BVwG bestätigte die Rückkehrentscheidung (2019, s. oben) und stellte das Bestehen eines Familienlebens mit Gattin und Stieftochter fest, in das aber gerechtfertigt eingegriffen werde. Die Kontakte könnten auch mittels moderner Kommunikationsmittel aufrecht erhalten werden. Eine (neuerliche) Revision wies der VwGH zurück. (11.09.2019, Ra 2019/20/0436-4)

Das Familienleben des Beschwerdeführers, seiner Gattin und der beiden Kinder kann bei einer Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat nicht aufrechterhalten werden. Den Kindern ist weder eine Trennung von der Mutter zumutbar noch eine Fortführung des Familienlebens außerhalb der EU.

Der Beschwerdeführer hat angegeben, dass er seine Gattin sei etwa Sommer 2017 kennt. Es liegt kein Hinweis darauf vor, dass der Beschwerdeführer seine Gattin früher bereits gekannt oder mit seiner Einreise oder dem Verbleib nach Ablauf des Visums den Zweck verfolgt hätte, das Familienleben mit ihr aufzunehmen.

2. Beweiswürdigung:

2.1 Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem Inhalt der Akten des BFA und des Gerichts, einschließlich der genannten früheren Erkenntnisse. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt, ferner das Register der Sozialversicherungen abgefragt.

2.2 Zu den Personen:

Die Feststellungen zu den Lebensumständen, der Herkunft des Beschwerdeführers und seiner Integration ergaben sich aus seinen Aussagen, insbesondere am 04.12.2020, den früheren Erkenntnissen und der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung von 2019, ferner aus dem Antrag samt Beilagen, dem bekämpften Bescheid, den Registerabfragen und der Beschwerde.

Das Vorhandensein der Schwester im Herkunftsstaat ergibt sich aus der im vorigen Verfahren am 13.05.2019 vom BFA übermittelten Bestätigung (dieser Schwester) vom 20.03.2019 betreffend Geburt und Abstammung des Beschwerdeführers (auch wenn er diese in der Beschwerdeverhandlung, S. 4, als seine Tante bezeichnete). Die vorhandene Tante hat er beim BFA erwähnt (AS 70).

Aus der VIS-Abfrage (AS 79) ergeben sich die Daten des Reisepasses, aus dem Schreiben der nigerianischen Botschaft (AS 49), wonach er angab, diesen verloren zu haben, und dem Heilungsantrag folgt die Feststellung, dass er ihn dem BFA nicht vorgelegt hat.

Genauere Feststellungen zum Einkommen des Beschwerdeführers waren nicht möglich, weil dieser die genannten Angaben zum Zeitungsverkauf machte, der Bestätigung der Straßenzeitung zufolge dagegen mit den durchschnittlich vertriebenen Heften pro Monat (ohne Trinkgeld) lediglich einen Nettoerlös von rund € 80,-- erzielen kann. Demnach würden die Einkünfte großteils aus der eingestandenen Schwarzarbeit stammen oder in der genannten Höhe gar nicht anfallen. Auch der Sozialversicherungs-Abfrage war diesbezüglich nichts zu entnehmen, da diese nur die Anmeldung bei der Sozialversicherung der Selbständigen ausweist.

Die Feststellungen zur Fortführung des Familienlebens erfolgten mit Blick auf die Staatsbürgerschaft von Gattin und Kindern, den Aufenthalt und die Staatsbürgerschaft des Vaters der Tochter und die Tatsache, dass die Kinder dem Alter gemäß von der Mutter abhängig sind, was insbesondere nach der Geburt des Sohnes feststeht.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung und Aufenthaltstitel, Zulassung der Heilung:

3.1 Zur Erteilung des Aufenthaltstitels und zur Heilung:

3.1.1 Nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z. 1), und dazu noch in Z. 2 genannte Integrationsmerkmale vorliegen. Wenn nur die Voraussetzung der Z. 1 erfüllt ist, dann gebührt eine „Aufenthaltsberechtigung“ (Abs. 2).

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK, auf den § 9 Abs. 1 BFA-VG verweist, ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs nur statthaft, insoweit er gesetzlich vorgesehen und eine Maßnahme ist, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es ein grundlegender Bestandteil des Familienlebens, dass Eltern und Kinder sich der Gesellschaft des jeweiligen anderen Teiles erfreuen können. Davon ausgehend kann eine unzureichende Berücksichtigung des Kindeswohles zur Fehlerhaftigkeit der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG und somit zu einer Verletzung des Art. 8 EMRK führen, weil eine Aufenthaltsbeendigung nicht verfügt werden darf, wenn dadurch das Recht auf Schutz des Privat- und Familienlebens des Betroffenen verletzt würde. (VfGH 12.10.2016, E1349/2016 mwN)

Die Beurteilung, ob eine Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden. (VwGH 17.11.2020, Ra 2020/19/0139 mwN)

Der VwGH hat unter anderem folgende Umstände - meist in Verbindung mit anderen Aspekten - als Anhaltspunkte dafür anerkannt, dass ein Fremder die in Österreich verbrachte Zeit zumindest in gewissem Ausmaß genützt hat, um sich zu integrieren: Die Erwerbstätigkeit des Fremden, das Vorhandensein einer Beschäftigungsbewilligung, eine Einstellungszusage, das Vorhandensein ausreichender Deutschkenntnisse, familiäre Bindungen zu in Österreich lebenden, aufenthaltsberechtigten Familienangehörigen, ein Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich bzw. die Vorlage von Empfehlungsschreiben, eine aktive Teilnahme an einem Vereinsleben, freiwillige Hilfstätigkeiten, ein Schulabschluss bzw. eine gute schulische Integration in Österreich oder der Erwerb des Führerscheins. (VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005 mwN)

3.1.2 Die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts haben wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass es notwendig ist, sich bei der nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz vorzunehmenden Interessenabwägung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl auseinanderzusetzen. (VwGH 21.08.2020, Ra 2020/14/0368 mwN) Bei einer Rückkehrentscheidung, die Minderjährige betrifft, sind demnach in der Abwägung „die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder“ zu berücksichtigen, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat als auch zum Heimatstaat. (VwGH 21.05.2019, Ra 2019/19/0136 mwN)

Maßgebliche Bedeutung kommt dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land sowie in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt und wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (VwGH 23.03.2020, Ra 2020/14/0096). In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wurde für einen 4-Jährigen (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0077), eine 10-Jährige (VwGH 25.04.2019, Ra 2018/22/0251) und „auch für Kinder im Alter von sieben und elf Jahren noch eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit“ (VwGH 03.05.2018, Ra 2018/18/0195 mwN) angenommen.

An dieser Stelle ist demnach zu berücksichtigen, dass sämtliche Familienmitglieder außer dem Beschwerdeführer in Österreich geboren sind und nie anderswo gelebt haben. Wenngleich die Kinder in einem „anpassungsfähigen Alter“ sind, kann nicht übersehen werden, dass die Stieftochter nur in Österreich in die Schule gegangen ist und ihren Vater hier hat. Wie festgestellt, ist den Kindern weder eine Trennung von der Mutter zumutbar, auf die sie angewiesen sind, noch eine Fortführung des Familienlebens außerhalb der EU.

3.1.3 Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt betont, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt. (VwGH 30.08.2017, Ra 2017/18/0070 mwN) Er hat auch mehrfach darauf hingewiesen, dass es im Sinne des § 9 Abs. 2 Z. 8 BFA-VG maßgeblich relativierend ist, wenn integrationsbegründende Schritte in einem Zeitpunkt gesetzt wurden, in dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste (VwGH 03.03.2021, Ra 2021/19/0023 mwN).

Die Entscheidung des Beschwerdeführers, just nach der Ladung zur Beschwerdeverhandlung im vorigen Verfahren zu heiraten, fiel – wie es auch das Gericht im danach ergangenen Erkenntnis festhielt – unter diesem Aspekt „allein in [die] Verantwortung des Beschwerdeführers“ (S. 38), der sich nicht darauf verlassen konnte, sein Privat- und Familienleben hier fortzuführen, wodurch das Gewicht dieses Anknüpfungspunktes erheblich gemindert wurde.

3.1.4 Dem Gewicht der Bindungen zu einem österreichischen Staatsbürger kann aber nicht allein mit dem Vorhalt eines unsicheren Aufenthaltsstatus begegnet werden. Eine Trennung von einem österreichischen Ehepartner ist nur gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme der aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“. (VwGH 31.03.2021, Ra 2020/22/0030 mwN)

Dies hat der VwGH z. B. bei einem Fremden angenommen, der nach Ablauf des Visums hier unrechtmäßig verblieb, um das Familienleben mit seiner späteren Gattin österreichischer Staatsbürgerschaft aufzunehmen, die er während eines früheren Besuches kennengelernt hatte. (VwGH 20.12.2012, 2011/23/0512 mwN) In einer solchen Konstellation führt die aufrechte Ehe des Beschwerdeführers nicht dazu, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK von einer Ausweisung Abstand genommen und akzeptiert werden muss, dass der Fremde mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen. Vielmehr ist es dem Fremden in diesen Fällen zumutbar, für die Dauer eines ordnungsgemäß geführten Niederlassungsverfahrens auszureisen. (VwGH 18.10.2012, 2011/23/0503 mwN)

Es ist unverkennbar, dass der Beschwerdeführer „vollendete Tatsachen“ zu schaffen versuchte, indem er kurz vor der Beschwerdeverhandlung noch heiratete, hingegen trifft beim vorliegenden Sachverhalt nicht zu, dass eine von Anfang an beabsichtigte Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den „Familiennachzug“ vorläge. Der Beschwerdeführer hat als Fluchtgrund Homosexualität angegeben und wohnte ein halbes Jahr anschließend an die Antragstellung erst in Kärnten, dann in Tirol, nicht aber im selben Bundesland wie die spätere Gattin. Das behauptete Kennenlernen im Sommer 2017 ist somit der früheste Hinweis auf eine Beziehung, die demnach erst lange nach der (ersten) Antragstellung zustande kam (wenn nicht erst im vorigen Beschwerdeverfahren), sodass die Umgehungsabsicht den Feststellungen nach zu verneinen ist.

3.1.5 Dazu kommt, dass den Kindern, die nicht nur in Österreich geboren wurden, sondern auch schon immer die österreichische Staatsbürgerschaft aufwiesen, zur Aufrechterhaltung des Familienlebens eine Wohnsitzverlegung der gesamten Familie bevorstünde (die den Vater der Stieftochter zurückließe), verbunden mit der Aufgabe der Eigentumswohnung der Stieftochter sowie dem Verlust der sozialen Anknüpfungspunkte, der Neugründung eines Haushalts in Nigeria sowie für die Stieftochter dem Beginn eines Schulbesuchs dort, was trotz des anpassungsfähigen Alters nicht zumutbar wäre, selbst wenn die Genannte in der Volksschule bereits etwas Englisch gelernt hätte. (Vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0128)

Die Aufrechterhaltung des Kontaktes mittels moderner Kommunikationsmittel wäre indes dem Sohn des Beschwerdeführers, einem Kleinkind, im Fall von dessen Rückkehr kaum möglich, und dem Vater eines Kindes kommt (wie umgekehrt auch dem Kind) grundsätzlich das Recht auf persönlichen Kontakt zu. (VwGH 06.10.2020, Ra 2019/19/0332 mwN) Dies gilt aber natürlich ebenso für die Beziehung zur Mutter, nicht nur, aber ganz besonders im Alter des Sohnes, auch wenn er nicht mehr gestillt würde (vgl. VwGH 26.02.2020, Ra 2019/18/0456).

3.1.6 Demgegenüber sprechen für eine Rückkehr des Beschwerdeführers seine beharrliche Missachtung der Ausreisepflicht, die Tatsache, dass sein Aufenthalt seit dem Ablaufen des Visums entweder auf unbegründeten Asylanträgen beruhte oder unrechtmäßig war, sein Aufwachsen und überwiegendes Leben im Herkunftsstaat sowie seine Vertrautheit mit Sprache und Kultur dort, schließlich aber zudem das öffentliche Interesse daran, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel anwesend sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden.

3.1.7 Nach Abwägung der in 1.1 und 1.2 angeführten und in 3.1.2 bis 3.1.6 zusammengefassten Lebensumstände und Integrationsmerkmale des unbescholtenen Beschwerdeführers überwiegt indes – selbst mit Blick auf den noch nicht 5-jährigen Aufenthalt – sein Interesse an der Fortführung des Privat- und Familienlebens und damit am Aufenthalt im Inland die öffentlichen Interessen an seiner Rückkehr, zumal nicht zu erwarten ist, dass sein legalisierter Aufenthalt sich auf die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes und die anderen genannten Kriterien nachteilig auswirken wird.

Damit ergibt diese Abwägung, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch eine Außerlandesbringung nicht als verhältnismäßig im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK anzusehen wäre. Die familiäre Bindung zwischen dem Beschwerdeführer und der Gattin sowie zwischen diesen beiden und den Kindern ist naturgemäß nicht nur vorübergehend.

Demnach ist es zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK erforderlich, dem Beschwerdeführer einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

3.1.8 Nach § 58 Abs. 11 Z. 2 AsylG 2005 ist der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückzuweisen, wenn der Drittstaatsangehörige seiner allgemeinen Mitwirkungspflicht im erforderlichen Ausmaß, insbesondere im Hinblick auf die Ermittlung und Überprüfung erkennungsdienstlicher Daten, nicht nachkommt. Darunter fällt auch die Vorlage des Reisepasses, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG-DV 2005 zu kommen hat. (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0103)

Den Reisepass (ein „gültiges Reisedokument“) hat der Fremde nach § 8 Abs. 1 Z. 1 AsylG-DV 2005 seinem Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels anzuschließen. Nach § 4 Abs. 1 AsylG-DV 2005 kann (d. h. muss) die Behörde auf begründeten Antrag von Drittstaatsangehörigen die Heilung eines Mangels nach § 8 (soweit hier relevant) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (Z. 2) zulassen, ferner auch im Fall der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise, wenn deren Beschaffung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war (Z. 3).

Der Judikatur des VwGH gemäß ist es unzulässig, den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der Voraussetzung nach Abs. 1 Z. 1 dieser Bestimmung - die Erteilung des Aufenthaltstitels ist gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten - wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen. (VwGH 26.06.2019, Ra 2019/21/0092 mwN) Bei einem Antrag nach § 55 AsylG 2005 kommt - in Bezug auf die Nichtvorlage von Personaldokumenten - vorrangig eine Heilung nach § 4 Abs. 1 Z. 2 AsylG-DV 2005 in Betracht. Der Prüfung des Heilungstatbestandes nach § 4 Abs. 1 Z. 2 AsylG-DV 2005 ist die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG zu Grunde zu legen. (VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0103 mwN) Im Fall von Aufenthaltstiteln nach § 55 AsylG 2005 fallen nämlich die Voraussetzungen für die verfahrensrechtliche Heilung nach § 4 Abs. 1 Z. 2 AsylG-DV 2005 mit den materiellen Voraussetzungen für die Titelerteilung zusammen. (VwGH 31.08.2017, Ro 2016/21/0019 mwN)

Die Bedingung des § 4 Abs. 1 Z. 2 AsylG-DV 2005, wonach die Erteilung des Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich sein muss, ist demnach in jenen Konstellationen voraussetzungsgemäß erfüllt, in denen von Amts wegen ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist. Daraus folgt aber, dass es auch unzulässig ist, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 trotz Vorliegens der hierfür erforderlichen Voraussetzungen wegen Nichtvorlage von Identitätsdokumenten zurückzuweisen. (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0168)

Es musste daher nicht festgestellt werden, ob der Beschwerdeführer seinen Reisepass wie behauptet verloren hat oder diesen, wie das BFA (in seiner Beweiswürdigung) vermutet, nicht vorlegte, um der Abschiebung zu entgehen.

Demgemäß war sowohl die beantragte Heilung zuzulassen als auch dem Antrag auf einen Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Folge zu geben, sodass der Beschwerde stattzugeben war. In Abänderung des bekämpften Bescheids war dabei einer der Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 aus den oben genannten Gründen zu erteilen.

Nach den Feststellungen hat der Beschwerdeführer während des Beschwerdeverfahrens die Integrationsprüfung zur Erfüllung des Moduls 1 auf dem Sprachniveau A2 erfolgreich absolviert, indem er das nötige Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen hat.

Daher steht dem Beschwerdeführer die beantragte „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu (s. 3.1.1), sodass im neuen Spruch dem Antrag Folge gebend diese erteilt wird. Nach § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, somit auch die in § 54 Abs. 1 Z. 1 angeführte „Aufenthaltsberechtigung plus“, auf zwölf Monate auszustellen, die mit dem Ausstellungsdatum beginnen. Dies war sohin zusätzlich auszusprechen, um damit die Basis für die Ausfolgung durch das BFA nach § 58 Abs. 7 AsylG 2005 zu schaffen.

3.1.9 Das BFA hat ferner eine Rückkehrentscheidung wider den Beschwerdeführer erlassen. Nach § 52 Abs. 3 FPG hat das BFA unter einem mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, wenn dessen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55, 56 oder 57 AsylG 2005 zurück- oder abgewiesen wird. Eine solche ist nach § 9 Abs. 1 BFA-VG, wenn in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur dann zulässig, wenn sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Wie dargelegt (3.1.7), wäre vorliegend der Eingriff nicht verhältnismäßig im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK. Damit erweist sich die Rückkehrentscheidung als unzulässig.

Nach § 9 Abs. 3 BFA-VG ist die Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig, wenn die sonst drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind, insbesondere dann, wenn die Rückkehrentscheidung schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen unzulässig wäre, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen.

Die angeführten Gründe für das Interesse des Beschwerdeführers am Verbleib sind ihrer Natur nach dauernde und beziehen sich auf sein Familienleben mit Personen österreichischer Staatsbürgerschaft, sodass die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist. Wenn die privaten Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich, gegen den wie hier eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung aus einem früheren Verfahren besteht, nunmehr die entgegenstehenden öffentlichen Interessen an seiner Außerlandesbringung überwiegen, sodass also ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 zu erteilen ist, wird aber die Rückkehrentscheidung damit gemäß § 60 Abs. 3 FPG bereits gegenstandslos. (Vgl. VwGH 25.03.2021, Ra 2020/21/0285)

Demnach war es nicht erforderlich, nach Erteilung der beantragten „Aufenthaltsberechtigung plus“ eigens über die Rückkehrentscheidung oder über deren Unzulässigkeit abzusprechen.

Weil die im bekämpften Bescheid in den Spruchpunkten III und IV enthaltenen Nebenaussprüche betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung und die Frist für die freiwillige Ausreise auf der abweisenden Entscheidung betreffend den Aufenthaltstitel und auf der in deren Folge ergangenen Rückkehrentscheidung basierten, hatten auch diese Spruchpunkte zu entfallen.

3.2 Zur beantragten aufschiebenden Wirkung:

Nach § 58 Abs. 13 AsylG 2005 begründen Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 bis 57 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Anträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §§ 55 und 57 stehen der Erlassung und Durchführung aufenthaltsbeendender Maßnahmen nicht entgegen. Demgemäß sieht das Gesetz auch keine aufschiebende Wirkung im Sinne einer vorläufigen Einräumung der begehrten Rechtsposition vor.

Wenn in der Beschwerde dazu vorgebracht wird, die bekämpfte Entscheidung beinhalte eine Rückkehrentscheidung, die durch zwangsweise Abschiebung des Beschwerdeführers vollstreckt werden könnte, liegt darin insoweit ein Verkennen der Rechtslage, als die (gegen alle Punkte gerichtete) rechtzeitige Beschwerde die materielle Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung aufschiebt. Rechtskräftig wurde dagegen die frühere, im Erkenntnis dieses Gerichts von 2019 bestätigte Rückkehrentscheidung, sodass der nun ergangene Bescheid des BFA keine Verschlechterung der Rechtsposition des Beschwerdeführers in diesem Punkt bewirkte.

Der Antrag ist schon unzulässig, weil nicht vorgesehen, weshalb er ungeachtet des Umstands zurückzuweisen wäre, dass er mangels Beschwer auch unbegründet ist. Mit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts in der Hauptsache wird allerdings ein dort gestellter Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ohnehin gegenstandslos. (VwGH 07.06.2017, Ra 2017/17/0129 mwN) Eine Entscheidung über den Antrag erübrigte sich daher.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Relevanz des Privat- und Familienlebens und der Berücksichtigung von Integrationsmerkmalen bei Rückkehrentscheidungen.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist durch die belangte Behörde vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass seit der Beschwerde erst rund 3,5 Monate vergangen und die den Registern zu entnehmenden Daten noch jünger sind, - die gebotene Aktualität auf.

Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 mwH).

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK aufschiebende Wirkung befristete Aufenthaltsberechtigung Gegenstandslosigkeit Heilung Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Mängelbehebung mangelhafter Antrag Mangelhaftigkeit öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Reisedokument Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I419.2240225.1.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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