TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/14 I421 2202663-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 14.06.2021
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Entscheidungsdatum

14.06.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §8
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
AsylG 2005 §8 Abs4
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I421 2202663-1/23E

S C H R I F T L I C H E A U S F E R T I G U N G D E R A M 23.03.2021

M Ü N D L I C H V E R K Ü N D E T E N E N T S C H E I D U N G

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin STEINLECHNER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , vertreten durch die Caritas Österreich, Albrechtskreithgasse 19-21, 1160 Wien, gegen den Bescheid des BFA, RD Wien Außenstelle Wien (BFA-W-ASt-Wien) vom 17.07.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 23.03.2021 zu Recht erkannt:

A)

I.

Die Beschwerde wird, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. des Bescheides richtet, als unbegründet abgewiesen.

II.

Der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des Bescheides wird stattgegeben.

Der Beschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Irak, wird gemäß § 8 Abs 1 AsylG der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.

III.

Gemäß § 8 Abs 4 AsylG wird der Beschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX Staatsangehörigkeit Irak, eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von einem Jahr erteilt.

IV.

Den Beschwerden wird hinsichtlich der Spruchpunkte III., IV., V. und VI. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: BF) stellte am 23.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag begründete sie diesen damit, sie habe ihre Heimat verlassen, da ihr Mann von IS-Kämpfern mit Drohbriefen bedroht worden wäre damit aufzuhören, als Polizist zu arbeiten. Daraufhin habe die Familie das Land verlassen.

2.       Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangten Behörde, BFA) am 03.04.2018 gab die BF an, ihr Mann, welcher ebenfalls einen Asylantrag gestellt habe, habe sie im Irak streng behandelt und geschlagen, auch habe sie das Haus nicht mehr verlassen dürfen. Der Ehemann habe Österreich am 14.02.2018 freiwillig verlassen. Die BF sei jedoch mit ihm nicht freiwillig in den Irak zurückgekehrt, weil er sie auch in Österreich wie ein Tier behandelt und sie zuhause gefangen gehalten habe. Auch habe sie nicht zum Deutschkurs dürfen. Am 17.06.2016 habe er sie so stark geschlagen und getreten, dass sie in die Notaufnahme gekommen sei, wo sie angeben habe müssen, dass sie im Bad umgefallen sei. Sie habe daher in Österreich die Scheidung eingereicht. Befragt nach ihren Fluchtgründen führte sie aus, dass sie Kaka‘i sei und diese Minderheit in ihrem Land verfolgt und nicht anerkannt werde, auch habe sie als Frau immer Probleme mit ihrem Mann gehabt, welcher sie geschlagen und sehr streng zu ihr gewesen sei. Sie habe gehofft, dass sich das in Österreich ändere, weshalb sie für ihre Kinder und sich einen Antrag auf internationalen Schutz stelle. Sie sei nur von ihrem Mann bedroht worden.

3.       Mit 13.04.2018 brachte die BF eine Stellungnahme beim BFA ein, in welcher Bezug auf ein gegen den Ehemann der BF erlassenes Betretungsverbot, in weiterer Folge eine einstweilige Verfügung erlassen wurde, auch wurde Anzeige wegen Körperverletzung, gefährlicher Drohung, beharrlicher Verfolgung und fortgesetzter Gewaltausübung erstattet, wobei das diesbezügliche Strafverfahren anhängig sei. Sowohl im Irak als auch in Österreich sei die BF Opfer von schwerer häuslicher Gewalt geworden. Der Ehemann habe sich gegen die Scheidung ausgesprochen und fürchte die BF bei einer Rückkehr vor den Konsequenzen, die sie aufgrund dieser Ehrverletzung zu erwarten habe. Von ihrer Familie habe sie keinen Schutz zu erwarten, da aufgrund der Einbringung der Scheidungsklage zu erwarten sei, dass der Verstoß aus dem Familienverband erfolge. Zudem drohe ihr bei einer Rückkehr eine Kindesabnahme durch ihren Mann und seine Familie, wobei auch die Kinder von ihm geschlagen worden wären. Des Weiteren gehöre die BF der religiösen Minderheit der Kaka‘i an, auch handle es sich bei der BF um eine sich an den westlichen Werten orientierte junge Frau, wovon unter anderem auch das Einbringen der Scheidungsklage zeuge. Zudem sei das Kindeswohl zu berücksichtigen.

4.       Mit Bescheid vom 17.07.2018, Zl. XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag der BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie der BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen sie eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Ihr wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt (Spruchpunkt VI.).

5.       Dagegen erhob die BF fristgerecht durch ihre damalige Rechtsvertretung das Rechtsmittel der Beschwerde, beim BFA eingelangt am 01.08.2018. Im Wesentlichen wurde ausgeführt, die BF gehöre der religiösen Minderheit der Kaka’i an, weiters sei sie physischen Übergriffen ihres Ehemannes ausgesetzt gewesen bzw. gröblichst misshandelt worden. Die BF habe bei ihrer Einvernahme beim BFA ausführlich zu ihren Asylgründen Stellung genommen, welche sie aufrecht halte. Zum Zeitpunkt der Erstbefragung sei sie noch unter dem Druck und im Einflussbereich ihres gewalttätigen Ehemannes gewesen, weswegen es ihr nicht möglich gewesen sei, frei über ihre Fluchtgründe zu sprechen. Neben ihrer Zugehörigkeit zu den Kaka’i sei die BF auch aufgrund ihrer Eigenschaft als alleinstehende, geschiedene und verwestliche Frau im Irak der Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt. Konkret befürchte sie, von ihrem bereits zurückgekehrten Ex-Mann verfolgt und getötet zu werden, auch befürchte sie eine asylrelevante Verfolgung seitens der Familie ihres Ex-Mannes sowie auch ihrer eigenen Familie, da der Akt der Scheidung im Irak als Ehrenverletzung bzw. Schande angesehen werde, die geahndet werden müsse. Auch eine innerstaatliche Fluchtalternative stehe der BF mit ihren Kindern nicht zur Verfügung, zudem sei die Sicherheits- und Versorgungslage nach wie vor äußert volatil.

6.       Mit Schriftsatz vom 01.08.2018, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 03.08.2018, wurde der Verfahrensakt dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

7.       Aufgrund der Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die Rechtssache der Gerichtsabteilung L524 abgenommen und der Gerichtsabteilung I421 neu zugewiesen.

8.       Mit Schriftsatz vom 11.10.2018 erfolgte eine Beschwerdeergänzung sowie eine Beweismittelvorlage, wobei im Wesentlichen die Inhalte der Beschwerde wiederholt wurden. Ergänzend wurde angemerkt, der Bescheid der belangten Behörde zeichne sich durch Unterstellungen und Mutmaßungen aus, sodass Willkür vorliege, wobei der BF mehrmals unterstellt worden sei, ihr sei „jedes Mittel recht“, um sich „Schutz zu erschleichen“, sie versuche „zu täuschen“ und es handle sich nur um ein „Gedankenkonstrukt“. Die Länderberichte zu Kirkuk und Bagdad würden in keinster Weise auf die Situation der BF, nämlich eine junge, alleinstehende Frau mit zwei Kindern, eingehen. Auch gebe es in Kirkuk keine Frauenhäuser, nur eine „family protection unit“ in einer Polizeistation, welche jedoch beschränkte Kapazitäten habe und wo es an qualifiziertem Person mangle. Auch habe die Behörde ihrer umfassenden Ermittlungspflicht nach § 37 AVG nicht entsprochen, wobei die tatsächliche Bedrohung der BF im Irak näher zu ermitteln gewesen wäre.

9.       Mit Aktenvermerkt vom 07.11.2018 machte der zuständige Richter seine Unzuständigkeit geltend und begründete dies mit dem Vorliegen eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung der BF [bzw. Annexität zu Beschwerdeverfahren ihrer mj. Kinder], weshalb die Rechtssache der Gerichtsabteilung L526 zugwiesen wurde. Die Leiterin dieser Gerichtsabteilung machte mit Aktenvermerk vom 19.11.2018 ihrerseits geltend, für sämtliche Rechtssachen unzuständig zu sein, was sie damit begründetet, dass die Verfahren ob eines Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung verbleiben hätte müssen. Ob des Umstandes, dass sich das Vorbringen der BF ausschließlich auf körperliche Misshandlungen und Drohungen stützte und deshalb kein Anwendungsfall des § 20 AsylG vorliege, wurde die Rechtssache mit 21.12.2018 endgültig der Gerichtsabteilung I421 zugewiesen.

10.      Mit Schriftsatz vom 06.12.2018 übermittelte die BF den Strafantrag der Staatsanwaltschaft XXXX vom 25.10.2018, weitere Urkunden wurden mit Schriftsatz vom 11.03.2020 dargetan.

11.      Für den 05.02.2021 wurde eine mündliche Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck anberaumt, welche jedoch aufgrund der COVID-19-Erkrankung der BF abberaumt werden musste. Die Verhandlung wurde aufgrund dessen auf den 23.03.2021 verlegt.

12.      Einlangend mit 16.03.2021 wurden eine Stellungnahme, medizinische Unterlagen sowie ergänzende Integrationsnachweise in Vorlage gebracht.

13.      Am 23.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht, Außenstelle Innsbruck, eine mündliche Beschwerdeverhandlung in Anwesenheit der BF, ihrer Rechtsvertreterin sowie einer Dolmetscherin für arabische Sprache statt, in dessen Zuge eine mündliche Erkenntnisverkündung erfolgte. Die beiden minderjährigen Kinder der BF blieben der Verhandlung entschuldigt fern. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen.

14.      Mit Fax vom 02.04.2021 ersuchte die Rechtsvertreterin der BF um schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses hinsichtlich der BF, nicht aber hinsichtlich ihrer beiden minderjährigen Kinder.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die unter Punkt I. getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:

1.1.    Zur Person der Beschwerdeführerin:

Die im Kopf dieses Erkenntnisses genannten Angaben zum Namen und Geburtsdatum der Beschwerdeführerin, stellen eine Verfahrensidentität dar. Dokumente, die die Identität bestätigen würden, wurden von der Beschwerdeführerin zunächst nicht vorgelegt. Vielmehr gab die Beschwerdeführerin bei ihrer Einvernahme vor der belangten Behörde am 03.04.2018 und auch in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Gericht an, dass sie richtig XXXX heiße, tatsächlich aber zur Religionsgemeinschaft, Volksgruppe und zum Stamm der Kakai gehöre (Verhandlungsprotokoll Seite 4).

Beschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig. Sie ist Mutter zweier minderjähriger Söhne, wobei der Ältere 2013 im Irak geboren wurde, während der jüngere 2016 in Österreich zur Welt kam.

Die Beschwerdeführerin hat den Irak gemeinsam mit ihrem Ehegatten und ihrem älteren Sohn im November 2015 mittels Flugzeug verlassen (Erstbefragung Aktenseite 11). Sie gelangte mit ihrer Familie nach Österreich wo sie am 23.12.2015 Antrag auf internationalen Schutz stellte. Die Erstbefragung erfolgte am 30.12.2015 (Aktenseite 9).

Die Ehe der Beschwerdeführerin ist mittlerweile geschieden und kehrte ihr Ehemann freiwillig in den Irak zurück (vergleiche Verfahren BVwG 2185674-1 L501).

1.2.    Zum Fluchtgrund der Beschwerdeführerin:

Als Fluchtgrund hat die Beschwerdeführerin angegeben, das Heimatland verlassen zu haben, weil ihr Ehemann von IS-Kämpfern mit Drohbriefen bedroht worden sei, es sei gefordert worden, er möge seine Polizeitätigkeit aufgeben (Aktenseite 15).

Anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde am 3.4.2018 erklärte die Beschwerdeführerin zu den Angaben in der Erstbefragung (Aktenseite 59), dass sie tatsächlich aus Kirkuk und nicht aus Diala stamme, sie sei auch nicht Muslimin sondern gehöre zur Glaubensrichtung der Kakai und sei ihr letzter Wohnsitz in XXXX gewesen. Weiters erklärte sie XXXX . XXXX zu heißen, wozu sie einen irakischen Personalausweis vorlegte. Befragt danach, warum sie diesen Namen nicht bei der Erstbefragung angab, erklärte sie, es sei ihnen gesagt worden, den Stammesnamen anzugeben (Aktenseite 60). Weiters legte sie den irakischen Personalausweis hinsichtlich ihres älteren Sohnes vor, ausgestellt auf den Namen XXXX .

Der Mann der Beschwerdeführerin war zu diesem Zeitpunkt bereits freiwillig in den Irak zurückgekehrt und hatte die Beschwerdeführern bereits Scheidungsklage gegen diesen in Österreich eingebracht.

Auf die Frage bei der niederschriftlichen Einvernahme, wann sie den Entschluss gefasst habe den Irak zu verlassen, erklärte die Beschwerdeführerin: „Anfang des zwölften Monats des Ausreisejahres rief mein Mann mich an, er war Taxifahrer und sagte mir, mach dich fertig wir fahren nach Kirkuk, wir werden dort Anträge auf Pressestellen, das war alles die Entscheidung meines Mannes.“

Vom erkennenden Richter zum Fluchtgrund befragt, gab die Beschwerdeführerin an, es stimme was sie bisher gesagt habe, sie habe aber zu ergänzen, ihr Exmann sei vom IS bedroht worden, sie sei im achten Monat schwanger gewesen, er habe ihre Meinung nicht eingeholt und seien sie nach Europa ohne, dass er ihre Meinung eingeholt habe.

Es wird daher festgestellt, dass die Beschwerdeführerin den Irak Ende November Anfang Dezember 2015 nicht wegen einer asylrelevanten Verfolgung verlassen hat, sondern weil sich ihr Exmann für die Ausreise entschieden hat. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der geschiedene Ehegatte der Beschwerdeführerin den Irak deshalb verlassen hätte, weil er vom IS bedroht worden wäre.

Eine asylrelevante staatliche Verfolgung der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in den Irak aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgruppe der Kakai und/oder aufgrund ihrer Scheidung, kann nicht festgestellt werden, die Beschwerdeführerin hat den Irak mit ihrer Familie auch nicht wegen Zugehörigkeit zu dieser Glaubensrichtung verlassen.

1.3.    Zur Situation im Falle der Rückkehr in den Irak:

Die Eltern der Beschwerdeführerin leben im Irak, allerdings in ärmlichen Verhältnissen, zumal drei Geschwister der Beschwerdeführerin geistig behindert sind und nach wie vor bei den Eltern leben und von diesem versorgt werden. Zwei Schwestern der Beschwerdeführerin sind im Irak verheiratet und leben mit ihren Ehemännern zusammen in Kirkuk.

Im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Irak, gemeinsam mit ihren beiden minderjährigen Söhnen, wäre die Beschwerdeführerin nicht in der Lage, die Grundbedürfnisse des täglichen Lebens für sich und ihre Kinder zu decken. Auch wenn ihre Familie grundsätzlich Willens wäre, sie und ihre Kinder zu unterstützen, wäre dies auch aufgrund der beengten wirtschaftlichen Verhältnisse ihrer Eltern nicht möglich. Die Beschwerdeführerin würde daher als alleinstehende geschiedene Frau mit zwei kleinen minderjährigen Kindern in eine existenzbedrohende ausweglose Situation geraten.

1.4.    Zur Situation von geschiedenen Frauen und Kakai:

Dazu werden die Ausführungen aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Gesamtaktualisierung am 17.3.2020 übernommen.

16.1.6 Weibliche Familienoberhäupter, Witwen, Geschiedene, alleinstehende Frauen

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die hohe Anzahl an Todesopfern in den Konfliktjahren, die meisten davon männlich, hat zu einem hohen Anteil an Haushalten mit weiblichen Familienoberhäuptern geführt (IOM 4.2019). Einer Studie zufolge haben etwa 8,9% der Haushalte einen weiblichen Haushaltsvorstand (UNICEF 6.12.2018). Gemäß einer anderen Quelle sind allein 10% der irakischen Frauen Witwen und viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien (AA 12.1.2019).

Weiblich geführte Haushalte haben nicht unbedingt Zugang zu Finanzanlagen, Sozialleistungen oder dem öffentlichen Verteilungssystem (PDS). Viele sind auf Unterstützung durch ihre Familien, Behörden und NGOs angewiesen. Während theoretisch die meisten Frauen im Irak theoretisch Anspruch auf öffentliche oder NGO-Hilfe haben, erhalten in der Praxis nur 20-25% von ihnen diese Hilfe. Darüber hinaus deckt die Hilfe nur einen Teil des jeweiligen Haushaltsbedarfs ab (FIS 22.5.2018). Haushalte mit weiblichen Familienoberhäuptern sind besonders anfällig für Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung (UNHCR 11.2018). Aufgrund vieler Hindernisse beim Zugang zu Beschäftigung müssen Frauen auf andere Mittel zurückgreifen, um ihren Lebensunterhalt zu sichern, wie Geld leihen, Essen rationieren und ihre Kinder zur Arbeit schicken (FIS 22.5.2018; vgl. UNHCR 11.2018).

Im Kontext einer Gesellschaft, in der die Erwerbstätigkeit von Frauen traditionell gering ist, sind solche Haushalte mit erhöhten bürokratischen Hindernissen und sozialer Stigmatisierung, insbesondere auch im Rückkehrprozess konfrontiert (IOM 4.2019).

Ohne männliche Angehörige erhöht sich das Risiko für diese Familien, Opfer von Kinderheirat und sexueller Ausbeutung zu werden (AA 12.1.2019). Alleinstehende Frauen und Witwen haben oft Schwierigkeiten, ihre Kinder registrieren zu lassen, was dazu führt, dass den Kindern staatliche Leistungen, wie Bildung, Lebensmittelbeihilfen und Zugang zum Gesundheitswesen verweigert werden (USDOS 11.3.2020).

Männer können sich einseitig von ihren Ehefrauen scheiden lassen, während Frauen nur aus bestimmten Gründen Scheidungsverfahren einleiten können, wie z.B. die Inhaftierung des Mannes für mehr als drei Jahre, Impotenz oder Unfruchtbarkeit des Mannes (OECD 12.2018; vgl. HRW 25.2.2018), die Abwesenheit des Mannes für mehr als zwei Jahre, oder wenn der Ehemann für vier oder mehr Jahre als vermisst gilt (HRW 25.2.2018). Darüber hinaus haben sowohl Männer als auch Frauen das Recht, aus Gründen wie Untreue, Glücksspiel im Ehehaus oder Gewalt in einer Weise, die das Eheleben unmöglich macht, die Trennung zu verlangen. Frauen können zusätzlich eine „Khula“-Scheidung beantragen, bei der sie ihre Brautgabe zurückgeben und jede zukünftige finanzielle Unterstützung verlieren (OECD 12.2018). 2018 wurde ein Anstieg von Scheidungsanträgen, insbesondere durch Frauen verzeichnet. Obwohl nicht verfolgt wurde, ob es sich dabei um IS-bezogene Scheidungen handelte, wurde insbesondere in sunnitischen Regionen unter vormaliger IS-Herrschaft, wie Anbar und Ninewa, ein Anstieg verzeichnet (NBC 5.7.2018). Das gesellschaftliche Klima gegenüber Geschiedenen ist nicht offen repressiv. Üblicherweise werden geschiedene Frauen in die eigene Familie reintegriert. Sie müssen jedoch damit rechnen, schlechter bezahlte Arbeitsstellen annehmen zu müssen oder als Zweit- oder Drittfrau in Mehrehen erneut verheiratet zu werden. Im Rahmen einer Ehescheidung wird das Sorgerecht für Kinder ganz überwiegend den Vätern (und ihren Familien) zugesprochen (AA 12.1.2019). Nach anderen Angaben bleibt eine Scheidung im Irak weiterhin mit starkem sozialen Stigma verbunden (MRG 11.2015; vgl. FIS 22.5.2018).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (22.5.2018): Overview of the status of women living without a safety net in Iraq, https://coi.easo.europa.eu/administration/finland/Plib/Report_Women_Iraq_Migri_CIS.pdf, Zugriff 13.3.2020

- HRW - Human Rights Watch (28.8.2019): Iraq: School Doors Barred to Many Children, https://www.ecoi.net/de/dokument/2015675.html, Zugriff 13.3.2020

- HRW - Human Rights Watch (25.2.2018): Iraq: Families of Alleged ISIS Members Denied IDs, https://www.ecoi.net/de/dokument/1425202.html, Zugriff 13.3.2020

- IOM - International Organization for Migration (4.2019): reasons to remain: an in-depth analysis of the main districts of displacement, http://iraqdtm.iom.int/LastDTMRound/IDP_Districts_of_Displacement_Factsheets.pdf, Zugriff 13.3.2020

- MRG - Minority Rights Group (11.2015): The Lost Women of Iraq: Family-based violence during armed conflict, https://minorityrights.org/wp-content/uploads/2015/11/MRG-report-A4_OCTOBER-2015_WEB.pdf, Zugriff 13.3.2020

- NBC News (5.7.2018): Divorce on the rise in Iraq as wives cut ties to ISIS militants, https://www.nbcnews.com/news/world/divorce-rise-iraq-wives-cut-ties-isis-militants-n888541, Zugriff 13.3.2020

- OECD - Organisation for Economic Co-operation and Development (12.2018): SIGI - Social Institutions & Gender Index 2019 - Iraq, https://www.genderindex.org/wp-content/uploads/files/datasheets/2019/IQ.pdf, Zugriff 13.3.2020

- UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (11.2018): Humanitarian Needs Overview 2019, https://data2.unhcr.org/en/documents/download/67416; Zugriff 13.3.2020

- UNICEF - United Nations International Children's Emergency Fund (6.12.2018): 2018 Muliple Indicator Cluster Survey (MICS6) Briefing, https://www.unicef.org/iraq/media/481/file/MICS6.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

Kaka‘i (Yarsani bzw. Ahl-e Haqq)

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die Kaka‘i, auch bekannt als Ahl-e Haqq oder Yarsani/Yaresan, sind eine religiöse Minderheit, die im Irak hauptsächlich südöstlich von Kirkuk und in der Ninewa-Ebene bei Daquq und Hamdaniya angesiedelt ist. Einige Kakai leben auch in Diyala, Erbil und Sulaymaniyah (USDOS 21.6.2019; vgl. MRG 11.2017e). Der Begriff Kaka‘i wird darüber hinaus auch für Mitglieder einer Stammesföderation in der Kurdischen Region im Irak (KRI) verwendet (EI 19.4.2012).

Die Anzahl der Kaka‘i im Irak wird von Kaka‘i selbst auf 110.000 bis 200.000 geschätzt (MRG 11.2017e), andere Schätzungen sprechen von 120.000 bis 150.000 (USDOS 21.6.2019). Die Kaka‘i gelten in ihrer ethnischen Zugehörigkeit allgemein als Kurden (MRG 11.2017e; vgl. Kurdistan24 5.3.2019). Sie sprechen einen Dialekt, „Macho“, der dem Gorani/Hawrani-Zweig der nordwest-iranischen Sprachen zuzurechnen ist (MRG 11.2017e; vgl. Rudaw 31.5.2019). Es gibt jedoch auch einige arabischsprachige Kaka‘i-Gemeinden. Kaka‘i sind Anhänger einer synkretistischen Religion, die auf das 14. Jahrhundert im westlichen Iran zurückgeht, Elemente des Zoroastrismus und schiitischen Islams aufweist (MRG 11.2017e) und durch auffallende Ähnlichkeiten mit dem Jesidentum und Alevitentum gekennzeichnet ist (van Bruinessen 2017).

hre besondere religiöse Identität machte die Kaka‘i zu einem Ziel des Islamischen Staates (IS), der dutzende Kaka‘i-Dörfer zerstört hat. Berichten zufolge flüchteten alle vormals in Mossul und der Ninewa-Ebene ansässigen Kaka‘i in die KRI (OHCHR 9.1.2017). Der IS ist systematisch gegen die Kaka‘i vorgegangen. Auch nach der territorialen Niederlage des IS werden Angehörige der Kaka‘i durch den IS bedroht, besonders im Gouvernement Kirkuk. Es wird von regelmäßigen Sprengfallen am Straßenrand (Kurdistan24 5.3.2019), Entführungen, Morden und Erpressungen, sowie in Brandsetzung von Anbauflächen berichtet. Die Sicherheitskräfte, al-Hashd al-Sha‘bi und die Bundespolizei führen keine Nachforschungen zu diesen Vorfällen durch (Rudaw 31.5.2019).

Kaka‘i werden aufgrund ihrer schlecht verstandenen religiösen Identität weiterhin diskriminiert, sowie zum Opfer von Drohungen, Entführungen, Attentaten und Boykotten ihrer Unternehmen. Kaka‘i-Männer sind durch ihren charakteristischen Schnurrbart leicht zu erkennen, wodurch sie eher Belästigung und Diskriminierung ausgeliefert sind (MRG 11.2017e). Gemeindevertretern zufolge gibt es auch Druck auf Kaka‘i sich zu „schiitisieren“ (OHCHR 9.1.2017).

Kaka‘i kämpften auf der Seite der kurdischen Peshmerga gegen den IS (Kurdistan24 5.3.2019) und unterstützten zu einem großen Teil das kurdische Unabhängigkeitsreferendum vom September 2017 (Rudaw 31.5.2019). Nach der Einnahme des Gouvernements Kirkuk durch Truppen der Zentralregierung in Folge des Unabhängigkeitsreferendums verloren die Kaka‘i ihre Selbstverteidigungsfähigkeit (Kurdistan24 5.3.2019). Die Häuser einiger Unterstützer des Referendums wurden niedergebrannt (Rudaw 31.5.2019).

In der KRI werden die Kaka‘i durch das Gesetz Nr. 5 von 2015 zum Schutz der Rechte von Minderheiten als religiöse Minderheit anerkannt (OHCHR 9.1.2017; vgl. Rudaw 31.5.2019). Im Irak gibt es kein vergleichbares Gesetz (Rudaw 31.5.2019).

Quellen:

- EI - Encyclopaedia Iranica (19.4.2012): K?k?’i, http://www.iranicaonline.org/articles/kakai, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (5.3.2019): Specter of ISIS in Iraq lingers for Kirkuk's Kakai minority, https://www.kurdistan24.net/en/news/4b1a1f89-b836-44ee-8bf6-c38385c951d9, Zugriff 13.3.2020

- MRG - Minority Rights Group International (11.2017e): Iraq – Kaka’i, https://minorityrights.org/minorities/kakai/, Zugriff 13.3.2020

- OHCHR - Office of the High Commissioner of Human Rights of the United Nations (9.1.2017): Report of the Special Rapporteur on minority issues on her mission to Iraq, https://documents-dds-ny.un.org/doc/UNDOC/GEN/G17/002/44/PDF/G1700244.pdf?OpenElement, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (31.5.2019): Iraqi Security Forces ignore ISIS attacks on Kakai farmlands, https://www.rudaw.net/english/middleeast/iraq/31052019, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff 13.3.2020

- van Bruinessen, Martin (2017): Between Dersim and Dâlahû: Reflections on Kurdish Alevism and the Ahl-i Haqq religion. In Raei, Shahrokh (Hg.): Islamic Alternatives: Non-Mainstream Religion in Persianate Societies. Wiesbaden: Harrassowitz, S. 65-93

2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben der Beschwerdeführerin vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz sowie in das aktuelle „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zum Irak und in das Asylverfahren des geschiedenen Ehemannes der Beschwerdeführerin. Insbesondere wurde eine mündliche Verhandlung über die Beschwerde durchgeführt, die Beschwerdeführerin zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz, ihren Lebensumständen in Österreich und in ihrem Herkunftsstaat, sowie zum geltend gemachten Fluchtgrund einvernommen. Der erkennende Richter konnte sich so einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von der Beschwerdeführerin verschaffen. Die Feststellungen wurden auf der Grundlage der freien Beweiswürdigung getroffen und liegen diesen folgende Erwägungen zugrunde.

2.1. Zu den personenbezogenen Feststellungen

Die Feststellungen zur Person der Beschwerdeführerin ergeben sich widerspruchsfrei aus dem vorliegenden Verwaltungsakt, der Abfrage des zentralen Melderegisters und finden auch Deckung in den Angaben der Beschwerdeführerin.

Die Glaubwürdigkeit der Beschwerdeführerin ist gemindert, weil sie unwahre Angaben zu ihrer Identität gemacht hat. So gab sie bei der Erstbefragung an mit Familienname XXXX zu heißen und das ihr Pass gestohlen worden sei (AS 7 und 11) und bestätigte das bei der niederschriftlichen Einvernahme (AS 59). Sodann legte sie aber ihren irakischen Personalausweis vor, der sie als XXXX ausweist (AS 60). Diesen Widerspruch wollte sie damit erklären, dass bei der Erstbefragung gesagt worden sei, man solle den Namen des Stammes und nicht den Familiennamen angeben.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen

Die getroffenen Feststellungen zum Fluchtvorbringen ergeben sich widerspruchsfrei aus den Angaben der Beschwerdeführerin bei der Erstbefragung, ihrer niederschriftlichen Einvernahme und ihren Angaben vor dem erkennenden Richter. Für den erkennenden Richter steht fest, dass die Beschwerdeführerin den Irak nicht wegen persönlicher Verfolgung verlassen hat, sondern weil diese so seinerzeit ihr nunmehriger geschiedener Ehemann so entschieden hat. Der behauptete Fluchtgrund ist nicht glaubhaft, sondern wurde nach Überzeugung des Richters konstruiert. Der Exmann der Beschwerdeführerin wurde nicht von Mitgliedern des IS wegen seiner Tätigkeit als Polizist bedroht. Dieses Vorbringen blieb völlig unsubstantiiert und ist nicht glaubhaft, weil ja der Exmann der Beschwerdeführerin freiwillig in den Irak zurückkehrte, woraus sich schlüssig ergibt, dass dieser dort weder vom IS verfolgt wird, noch einer Verfolgung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgruppe der Kakai ausgesetzt ist.

Dass die Familie der Beschwerdeführerin im Irak in prekären Verhältnissen lebt, kann aufgrund der dahingehend glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin festgestellt werden. Die Beschwerdeführerin hat aber nicht ausgesagt, dass ihre Familie im Irak wegen deren Glaubensrichtung verfolgt würde.

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Die oben getroffenen Feststellungen zur Lage von geschiedenen alleinstehenden Frauen und der Glaubensgruppe der Kakai im Herkunftsstaat ergeben sich aus den zitierten herkunftsstaatsbezogenen Erkenntnisquellen. Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die Beschwerdeführerin ist den in das Verfahren eingeführten Erkenntnisquellen zur Lage im Herkunftsstaat nicht substantiiert entgegengetreten und ergibt sich aus ihren Angaben zu ihrer Familie im Irak, dass für diese das Leben im Irak wirtschaftlich sehr beengt ist, diese als Kakai aber keiner Verfolgung ausgesetzt sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Zum Status des Asylberichtigten:

Gemäß § 3 AsylG 2005, ist ein Flüchtling eine Person, die sich aus wohl begründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen. Im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ist unter Verfolgung nur ein Eingriff von erheblicher Intensität in zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Gemäß Art. 9 der Status-Richtlinie kann in diesem Sinne eine Handlung nur dann als Verfolgung gelten, wenn sie aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der EMRK keine Abweichung zulässig ist. Im konkreten konnte die Beschwerdeführerin im Verfahren keine Bedrohungen und keine Verfolgung, die sich gegen sie gerichtet hätte, im Sinne dieser Bestimmung glaubhaft machten, weder ihrer Art nach, noch in einer derart erheblichen Intensität, die es der Beschwerdeführerin unzumutbar machen würde, den Schutz des Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hat ihr Herkunftsland vielmehr deshalb verlassen, weil sich ihr damaliger Ehegatte dazu entschlossen hat. Dieser behauptete vom IS bedroht worden zu sein. Tatsächlich ist der geschiedene Ehegatte der BF1 freiwillig wieder in den Irak zurückgekehrt. Daher würdigt der Richter das seinerzeitige Fluchtvorbringen als nicht glaubhaft. Es wurde daher von der belangten Behörde ausgehend vom gegebenen Sachverhalt und auf der Grundlage der gesetzlichen Bestimmungen der Beschwerdeführerin zu Recht der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt.

Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten:

Da der Antrag der Beschwerdeführerin, ihr den Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen abgewiesen wurde, ist zu prüfen, ob ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen ist. Der Status der subsidiär Schutzberechtigten ist dann zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in ihren Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde (§ 8 AsylG 2005). Art. 2 EMRK schützt das Recht auf Leben, Art. 3 EMRK sieht vor, dass niemand der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Das sechste und das 13. Zusatzprotokolls zur EMRK regeln die Abschaffung der Todesstrafe. Die Status-Richtlinie sieht vor, dass einer Person subsidiärer Schutz dann zuzuerkennen ist, wenn stichhaltige Gründe vorliegen, dass diese Person bei einer Rückkehr in ihr Herkunftsland tatsächlich der Gefahr ausgesetzt wäre einen ernsthaften Schaden im Sinne Art. 15 der Status-Richtlinie zu erleiden. Art. 15 der Status-Richtlinie qualifiziert als ernsthaften Schaden die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder Folter und unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit der betroffenen Person als Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes. Aufgrund des gegebenen Sachverhaltes ist eine derartige Bedrohung der Beschwerdeführerin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht ausgeschlossen.

Im Falle der Rückkehr der Beschwerdeführerin in den Irak, wird diese auf keine grundlegende familiäre Unterstützung zurückgreifen können, zumal die Kernfamilie nicht in der Lage ist, die BF1 und ihre beiden Kinder (BF2 und BF3) zu unterstützen. Die Beschwerdeführerin verfügt auch nicht über weitergehende Sozialkontakte. Wie sich aus den Länderfeststellungen entnehmen ist, ist die Lage für Frauen im Irak generell problematisch, umso mehr für alleinstehende bzw. geschiedene Frauen.

Die Beschwerdeführerin wird im Fall der Rückkehr nicht in der Lage sein, die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, wie Wohnung, Kleidung und Nahrung, für sich und ihre beiden Kindern, zu decken. Die Beschwerdeführerin wird nämlich vor dem Hintergrund der schlechten Wirtschaftslage und des angespannten Arbeitsmarktes im Irak unter Berücksichtigung ihres Alters und der Tatsache, über keine männlichen Verwandten im Irak zu verfügen, keine entsprechende Arbeit finden, um aus deren Einkommen die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz abzudecken. Aufgrund der Tatsache, dass es sich bei der Beschwerdeführerin um eine alleinstehende Frau mit zwei Kindern, die einer religiösen Minderheit angehören, steht ihnen auch keine adäquate innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung, zumal wie ausgeführt, die Beschwerdeführerin nicht in der Lage sein wird ihre Grundbedürfnisse in Kirkuk abzudecken, was ihr in anderen Landesteilen des Iraks noch weniger möglich wäre. Folglich kann daher im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der die Beschwerdeführerin betreffenden individuellen Umstände nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sie im Fall der Rückkehr in den Irak einer realen Gefahr iSd Art. 3 EMRK ausgesetzt wäre, welche unter Berücksichtigung der oben dargelegten persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin und ihren Kindern und der derzeit im Irak vorherrschenden Versorgungsbedingungen mit hoher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen würde. Aufgrund der kumulativ konkret gegeben Lebensumstände der Beschwerdeführerinder und ihre Kinder sind die Voraussetzungen gegebenen, der Beschwerdeführerin und ihren Kindern den Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen (vgl. Ra 2019/20/0347).

Da somit im Irak für die Beschwerdeführerin die reale Gefahr einer existenzbedrohenden Situation besteht, war der Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattzugeben und der Beschwerdeführerin und ihren Kindern gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 ist einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wird, von der belangten Behörde oder vom Bundesverwaltungsgericht gleichzeitig eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter zu erteilen.

Folglich war den Beschwerdeführern die im Spruch angeführte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer eines Jahres zu erteilen.

Dies hat wiederum zwingend zur Folge, dass die weiteren Spruchpunkte der bekämpften Bescheide (III bis VI) ersatzlos zu beheben waren.

Da die Beschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin ihrer minderjährigen Söhne keinen Antrag auf schriftliche Ausfertigung des mündliche verkündeten Erkenntnisses beantragt hat, konnte hinsichtlich dieser eine gekürzte Ausfertigung der Entscheidung ergehen.

Auch die belangte Behörde hat die schriftliche Ausfertigung des mündliche verkündeten Erkenntnisses, mit dem subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, nicht beantragt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung begründete Furcht vor Verfolgung ersatzlose Teilbehebung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Kassation mündliche Verhandlung mündliche Verkündung real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung behoben schriftliche Ausfertigung Spruchpunktbehebung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I421.2202663.1.00

Im RIS seit

15.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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