TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/15 W192 2241822-1

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Veröffentlicht am 15.06.2021
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Entscheidungsdatum

15.06.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66
FPG §70 Abs3

Spruch


W192 2241822-1/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 16.03.2021, Zahl: 279765300-151303025, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß §§ 66, 70 Abs. 3 FPG i.d.g.F. stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben der zuständigen Niederlassungsbehörde vom 08.02.2021 wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) darüber unterrichtet, dass dem Beschwerdeführer, einem Staatangehörigen von Bosnien und Herzegowina, ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht bereits seit 2017 nicht mehr zukommen würde, da seine Ehefrau, eine ungarische Staatsbürgerin, bereits seit zumindest September 2017 keinen Wohnsitz mehr im Bundesgebiet hätte und sich laut Angaben des Beschwerdeführers in Ungarn aufhalten würde. Der Beschwerdeführer sei mit der genannten ungarischen Staatsbürgerin seit 29.06.2015 verheiratet, ein gemeinsamer ehelicher Wohnsitz habe laut Zentralem Melderegister jedoch nur bis 21.08.2017 bestanden. Die Ehegattin sei seit 14.09.2017 nicht mehr in Österreich gemeldet und ginge hier keiner gemeldeten Erwerbstätigkeit nach. Der Beschwerdeführer habe den Wegzug seiner Ehegattin bislang nicht gemeldet. Der Beschwerdeführer ginge aktuell keiner Erwerbstätigkeit nach und beziehe Arbeitslosenunterstützung. Die Niederlassungsbehörde habe daher die Aufenthaltskarte des Beschwerdeführers eingezogen und ersuche gemäß § 55 NAG um Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.

Mit Schreiben vom 26.02.2021 verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Beschwerdeführer vom Ergebnis einer stattgefundenen Beweisaufnahme, im Rahmen derer ihm mitgeteilt wurde, dass die Voraussetzungen für sein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht weggefallen seien und ihm Gelegenheit eingeräumt wurde, zu näher aufgelisteten Fragen zu seinen persönlichen Umständen in Österreich und im Herkunftsstaat binnen Frist eine Stellungnahme einzubringen.

In einer am 04.03.2021 mit Unterstützung seines ehemaligen Arbeitgebers eingebrachten Stellungnahme führte der Beschwerdeführer aus, einen volljährigen Sohn in Wien sowie eine Tochter und einen Bruder in Bosnien und Herzegowina zu haben. Der Beschwerdeführer sei in den Winter- und Sommersaisonen (17.12.2018 bis 29.03.2019; 17.05.2019 bis 30.09.2019 sowie 16.12.2019 bis 25.09.2020) als Hausmeister in einem Hotel im Bundesgebiet beschäftigt gewesen und habe zwischendurch immer wieder Arbeitslosengeld bezogen. Er bewohne eine von seinem (ehemaligen) Dienstgeber bezahlte Mietwohnung und sei unfallversichert. Seine Ehe sei formell noch aufrecht, der letzte Kontakt zu seiner Ehefrau habe im Jänner 2018 stattgefunden, seine Frau habe einen neuen Lebenspartner. Ein gemeinsames Eheleben sei bis September 2017 geführt worden; aufgrund von persönlichen Problemen zwischen dem Paar und gesundheitlicher Beschwerden seiner Frau (bevorstehende Operation in Ungarn) hätten sich die Wege getrennt. Der Beschwerdeführer werde im Heimatland nicht strafrechtlich oder politisch verfolgt. Einen weiteren Aufenthalt in Österreich strebe er an, da er seiner Arbeit in dem erwähnten Hotel weiter nachkommen möchte und zwei Kredite in Höhe von EUR 14.750,- zurückzahlen müsse. Er arbeite seit 2018 immer beim gleichen Hotelbetrieb als Hausmeister und erledige seine Aufgaben zur vollsten Zufriedenheit seines Arbeitgebers. Er spreche mittlerweile sehr gut Deutsch und habe seinen Lebensmittelpunkt in Österreich.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihm wurde gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).

Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei mit einer ungarischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen, welche ihr unionsrechtliches Freizügigkeitsrecht genutzt hätte und es sei ihm aus diesem Grund eine Aufenthaltskarte ausgestellt worden. Die Ausweisung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass durch den Wegzug seiner Ehegattin nach Ungarn und Beendigung des Ehelebens im September 2017 die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht weggefallen seien und der seitherige Aufenthalt des Beschwerdeführers als illegal zu qualifizieren sei. Dieser habe auch kein unionsrechtliches Daueraufenthaltsrecht erworben. Mit Ausnahme seines erwachsenen Sohnes habe der Beschwerdeführer, welcher in Österreich aktuell keiner Erwerbstätigkeit nachginge, keine Bindungen im Bundesgebiet. Dieser habe beinahe sein gesamtes Leben in Bosnien und Herzegowina verbracht und es sei ihm eine Rückkehr zumutbar. Gesamtbetrachtend seien die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen höher zu bewerten als die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet.

3. Dagegen richtet sich die durch die nunmehr bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers am 13.04.2021 eingebrachte Beschwerde, in welcher begründend ausgeführt wurde, der Beschwerdeführer hätte zur Beurteilung der Intensität der privaten und familiären Bindungen und zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks jedenfalls einvernommen werden müssen. Der Beschwerdeführer verfüge über eine Einstellungszusage und werde in der Folge auf keine staatliche Unterstützung angewiesen sein. Zudem sei er seit annähernd sechs Jahren bis auf kürzere Besuche in seiner Heimat durchgängig in Österreich aufhältig und unbescholten. Durch seinen hier lebenden Sohn habe er eine familiäre Bindung im Bundesgebiet. Aufgrund seines schützenswerten Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK wäre der Beschwerdeführer bei einer Ausweisung in einem verfassungsgesetzlich geschützten Recht verletzt und es sei die Ausweisung sohin rechtswidrig. Beantragt wurden die Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie die Behebung des bekämpften Bescheides.

4. Mit E-Mail vom 15.06.2021 wurde durch den (ehemaligen) Arbeitgeber des Beschwerdeführers in Beantwortung einer Anfrage des Bundesverwaltungsgerichts mitgeteilt, dass die Beschäftigungszusage für den Beschwerdeführer weiterhin aufrecht sei.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist ein volljähriger Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, welcher die im Spruch ersichtlichen Personalien führt.

Der Beschwerdeführer war von 01.07.2015 bis 23.07.2018 durchgehend mit einem Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Von 02.08.2018 bis 14.02.2019 war er mit einem Nebenwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet. Seit 14.02.2019 besteht durchgehend eine Hauptwohnsitzmeldung.

Am 29.06.2015 schloss der Beschwerdeführer vor einem österreichischen Standesamt die Ehe mit einer damals in Österreich niedergelassen gewesenen ungarischen Staatsbürgerin. Am 24.02.2016 wurde ihm von der zuständigen Niederlassungsbehörde eine Aufenthaltskarte als Angehöriger einer EWR-Bürgerin mit Gültigkeit von bis 23.02.2021 ausgestellt.

Im September 2017 verzog die Ehegattin des Beschwerdeführers infolge Beendigung des gemeinsamen Ehelebens nach Ungarn und verfügt seit 14.09.2017 über keine Wohnsitzmeldung mehr im Bundesgebiet. Diese hat zwischenzeitlich einen neuen Lebensgefährten. Der Beschwerdeführer informierte die zuständige Niederlassungsbehörde über den Wegzug seiner Ehefrau nicht. Die Ehe blieb kinderlos.

Der Beschwerdeführer war in den Zeiträumen 03.06.2016 bis 02.02.2017, 15.03.2017 bis 31.07.2018, 01.08.2018 bis 05.10.2018, 17.12.2018 bis 29.03.2019, 17.05.2019 bis 30.09.2019 sowie 16.12.2019 bis 25.09.2020 als Arbeiter im Bundesgebiet beschäftigt. Von 14.10.2018 bis 16.12.2018, von 06.04.2019 bis 14.05.2019, von 05.10.2019 bis 15.12.2019 sowie von 07.10.2020 bis 23.02.2021 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld.

Der Beschwerdeführer war ab Dezember 2018 saisonweise als Hausmeister in einem Hotelbetrieb beschäftigt, wobei eine Tätigkeit auch für die Wintersaison 2020/2021 in Aussicht genommen war, welche sodann wegen der durch die Covid-19-Pandemie bedingten Schließungen von Beherbergungsbetrieben nicht aufgenommen werden konnte. Seites des Hotelbetriebes wurde dem Beschwerdeführer eine weitere Beschäftigung als Hausmeister zugesagt.

Der Beschwerdeführer hat sich Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet, ist gesund und bewohnt eine von seinem (ehemaligen) Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Dienstwohnung.

Im Bundesgebiet lebt ein volljähriger Sohn des Beschwerdeführers, welcher Inhaber einer Aufenthaltskarte (Angehöriger eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers) mit Gültigkeit bis zum 01.08.2021 ist.

Eine Tochter und ein Bruder des Beschwerdeführers leben in Bosnien und Herzegowina.

2. Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem Inhalt der Akten des Verwaltungsverfahrens, insbesondere aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunden, und der Gerichtsakten. Es liegen keine entscheidungswesentlichen Widersprüche vor.

Die Feststellungen zu Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers beruhen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, denen die Beschwerde nicht entgegentritt. Die Ausstellung einer Aufenthaltskarte ist im Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) dokumentiert.

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich ergibt sich aus seinen Wohnsitzmeldungen laut dem Zentralen Melderegister (ZMR).

Die Feststellungen über die Ehe des Beschwerdeführers mit einer ungarischen Staatsbürgerin sowie die Auflösung des Ehelebens und den Wegzug der Ehefrau nach Ungarn ergeben sich aus dem Schreiben der nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zuständigen Behörde vom 08.02.2021, der Stellungnahme des Beschwerdeführers vom 26.02.2021 sowie den unbestritten gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid. Unterlagen über eine formelle Auflösung der Ehe wurden nicht vorgelegt.

Die Zeiten der Erwerbstätigkeit und des Bezugs von Arbeitslosengeld ergeben sich aus einem aktuellen Versicherungsdatenauszug. Die dem Beschwerdeführer in Aussicht stehende neuerliche Beschäftigung bei seinem bisherigen Arbeitgeber ergibt sich aus den im Verwaltungsakt einliegenden Schreiben seines ehemaligen Arbeitgebers, deren Aktualität mit E-Mail vom 15.06.2021 bestätigt wurde. Seine Deutschkenntnisse und seine Wohnverhältnisse sind aufgrund der Ausführungen seines Arbeitgebers in den übermittelten Schreiben glaubhaft. Seine familiären Verhältnisse ergebenen sich aus seiner Stellungnahme vom 26.02.2021

Die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem Strafregister.

Anhaltspunkte für Erkrankungen oder gesundheitliche Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sind nicht zutage getreten. Da er seit 2016 (mit zeitweiligen Unterbrechungen) in Beschäftigungsverhältnissen stand und ihm eine neuerliche Beschäftigung konkret in Aussicht steht, ist ersichtlich, dass er arbeitsfähig ist und eine künftige Selbsterhaltungsfähigkeit anzunehmen ist.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Stattgebung der Beschwerde:

3.1. Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina grundsätzlich Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Durch seine Ehe mit einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, erlangte er den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG.

3.1.1. Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gemäß § 54 Abs. 5 NAG erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 1); die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 2); ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird (Z 3); es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann (Z 4) oder ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang – solange er für nötig erachtet wird – ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf ( Z 5).

§ 55 NAG lautet:

„(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, welches eine Aufenthaltskarte dokumentieren soll, ist nicht automatisch auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Es soll ihm möglich sein, trotz des Wegfalls der Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht während seines Aufenthalts im Inland auf einen für seinen künftigen Aufenthaltszweck passenden Aufenthaltstitel "umzusteigen", ohne dass dies zur Folge hätte, dass während dieses Verfahrens sein Aufenthalt unrechtmäßig wäre (VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch Abermann et al, Kommentar NAG 2016, § 55 Rz 7 ff).

Kommt die Niederlassungsbehörde – wie hier – bei der Prüfung des Fortbestands der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, hat sie die in § 55 Abs. 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte (Befassung des BFA und Information des Betroffenen) zu setzen.
Die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung hat dann das BFA zu beurteilen (vgl VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Diese Frage ist anhand des § 66 FPG zu prüfen, ohne dass es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger
iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ankommt. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ setzt voraus, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Verfahren vor dem BFA unterbleibt.

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Wenn sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG sind bei einer Ausweisung insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist gemäß § 66 Abs. 3 FPG zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

3.1.2. Dem Beschwerdeführer wurde zuletzt auf Grund seiner im Juni 2015 geschlossenen Ehe mit einer freizügigkeitsberechtigten ungarischen Staatsangehörigen gemäß § 54 Abs. 1 NAG eine Aufenthaltskarte ausgestellt. Da die Ehefrau des Beschwerdeführers im September 2017 unter gleichzeitiger Auflösung des Ehelebens aus Österreich weggezogen ist (und sich nunmehr wieder im Herkunftsstaat Ungarn aufhält) sind die Voraussetzungen für ein abgeleitetes unionsrechtliches Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers weggefallen. Auf die Sonderkonstellation des § 54 Abs. 5 NAG, Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft betreffend, konnte sich der Beschwerdeführer, dessen Ehe aufrecht ist, nicht berufen (vgl. VwGH 26.09.2019, Ra 2019/21/0080, Rz 12 mit Hinweis auf EuGH 16.07.2015, K. Singh u.a., C-218/14, Rn. 50 ff).

Der Beschwerdeführer hält sich daher nicht mehr rechtmäßig im Bundesgebiet auf und ist er auch nicht seiner Pflicht nachgekommen, der Behörde den Wegzug seiner Ehegattin unverzüglich entsprechend § 54 Abs. 6 NAG bekanntzugeben.

Gemäß § 9 BFA-VG ist ua eine Ausweisung gemäß § 66 FPG, die in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im
Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß
§ 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der Beschwerdeführer, ein gesunder Erwachsener im erwerbsfähigen Alter, hält sich seit Juli 2015 (annähernd) durchgehend in Österreich auf und ist unbescholten. Der Beschwerdeführer hat einen volljährigen Sohn in Österreich, mit welchem er nicht im gemeinsamen Haushalt wohnt. Im Rahmen des Privatlebens und des Integrationsgrads des Beschwerdeführers ist neben seinen Deutschkenntnissen insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, dass er aufgrund seiner Erwerbstätigkeit seit Juni 2016 überwiegend selbsterhaltungsfähig und sozialversichert gewesen ist. Seit 26.09.2020 lag zwar keine Erwerbstätigkeit mehr vor, doch ist zu berücksichtigen, dass ihm eine solche für die Wintersaison 2020/2021 grundsätzlich in dem Hotelbetrieb, in welchem er bereits zuvor als Hausmeister beschäftigt war, in Aussicht gestanden hätte, jedoch aufgrund der durch die Covid-19-Pandemie bedingte Schließungen von Beherbergungsbetrieben bis 19.05.2021 nicht möglich gewesen ist. Für den Fall der neuerlichen Erteilung einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis steht ihm jedoch eine Beschäftigung durch den gleichen Arbeitgeber neuerlich in Aussicht. Der Beschwerdeführer bewohnt eine Dienstwohnung, sohin eine ortsübliche Unterkunft.

Es ist nicht zu erkennen, dass ein weiterer Aufenthalt des unbescholtenen Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde.

Der Beschwerdeführer hat die Zeit seines mehr als fünfjährigen Aufenthaltes in Österreich zur sozialen und beruflichen Integration genutzt. Nach einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG überwiegen die privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet jene an seiner Ausweisung. Deren Ausspruch bedeutete daher eine Verletzung der Rechte des Beschwerdeführers nach Art. 8 EMRK.

Die Ausweisung erfolgte daher nicht zu Recht. Dies bedingt auch die Gegenstandslosigkeit des dem Beschwerdeführer gewährten Durchsetzungsaufschubs. In Stattgebung der Beschwerde war der angefochtene Bescheid daher ersatzlos aufzuheben.

3.2. Entfall einer mündlichen Verhandlung

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, und sich zudem aus der Aktenlage ergibt, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG sowie 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

3.2. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung Integration Interessenabwägung Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2241822.1.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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