Entscheidungsdatum
15.06.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs2Spruch
I404 2243042-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Nigeria, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.03.2021, Zl. XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 19.05.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) Folge gegeben und die Beschwerdevorentscheidung vom 19.05.2021 ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, trat erstmals am 18.05.2017 im Bundesgebiet in Erscheinung, als er beim Versuch eine nicht unerhebliche Menge Cannabiskraut in Verkehr zu bringen betreten und nach dem Suchtmittelgesetz zur Anzeige gebracht wurde. Die durchgeführten fremdenrechtlichen Erhebungen ergaben, dass der Beschwerdeführer im Besitz eines spanischen Aufenthaltstitels und außerdem seit 03.08.2016 an seiner Meldeadresse in XXXX registriert wäre.
2. Am 09.02.2021 wurde der Beschwerdeführer beim Verkauf einer Straßenzeitung betreten und einer fremdenrechtlichen Kontrolle unterzogen. Bei der anschließenden Befragung gab er zusammengefasst an, dass er sich seit dem letzten Monat in Österreich aufhalte. Am 15.02.2021 würde er weiter nach Frankreich fahren, um die Mutter seines Kindes zu besuchen. Seit dem Jahr 2017 habe er sich zwei Monate in Österreich aufgehalten. Wenn er fertig sei, würde er wieder nach Österreich kommen und Megaphon verkaufen wolle.
3. Am 01.03.2021 wurde der Beschwerdeführer neuerlich beim Verkauf einer Straßenzeitung betreten und wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes zur Anzeige gebracht. Der Beschwerdeführer wurde festgenommen und gab im Zuge der Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag im Wesentlichen an, gestern mit dem Zug aus Frankreich angekommen zu sein. Er würde in XXXX auf der Straße schlafen und in Frankreich drei Kinder mit einer Frau, mit der er nicht zusammen sei, haben. Er verkaufe Zeitungen und bettle, damit er nicht verhungern müsse.
4. Mit Mandatsbescheid vom darauffolgenden Tag, Zl. XXXX , verhängte die belangte Behörde über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung.
5. Mit dem im Spruch genannten Bescheid vom 02.03.2021 erteilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gegen den Beschwerdeführer wurde ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, dass der Aufenthalt des Beschwerdeführers ob seiner unerlaubten Erwerbstätigkeit und seiner Mittellosigkeit eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle und er seiner Ausreiseverpflichtung gemäß § 52 Abs. 6 FPG nachweislich nicht nachgekommen sei.
6. Am 08.03.2021 leitete die belangte Behörde ein Konsultationsverfahren gemäß Art. 25 SDÜ mit Spanien ein und teilten die spanischen Behörden in ihrer Beantwortung mit, dass der Beschwerdeführer seit 2009 im Besitz seines Aufenthaltstitels und keine Aberkennung desselben beabsichtigt sei.
7. Am 11.03.2021 beantragte der Beschwerdeführer die unterstützte freiwillige Rückkehr nach Spanien und reiste er am 19.03.2021 auf dem Luftweg nach Spanien aus.
8. Gegen die Spruchpunkte II. bis VI. des Bescheides vom 02.03.2021 erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 30.03.2021 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte darin im Wesentlichen, dass sein Recht auf Parteiengehör verletzt worden sei und er insbesondere auch vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorrangig dazu aufgefordert werden hätte müssen, sich unverzüglich nach Spanien zurückzubegeben.
9. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 19.05.2021 wies die belangte Behörde die Beschwerde ab und führte dazu aus, dass aufgrund der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers von seinem Untertauchen und mit einer fortwährenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu rechnen gewesen sei. Zudem sei von einer Nichterfüllung seiner Ausreiseverpflichtung auszugehen, weshalb die sofortige Ausreise iSd § 52 Abs. 6 FPG erforderlich gewesen sei.
10. Mit Schriftsatz vom 28.05.2021 beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
11. Am 09.06.2021 langten Beschwerdevorentscheidung und Verwaltungsakt bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der Beschwerdeführer ist nigerianischer Staatsangehöriger, seine Identität steht fest. Er verfügt über einen spanischen Aufenthaltstitel mit Gültigkeit bis 13.01.2025.
1.2. Er verfügte von 03.08.2016 bis 07.11.2019 über eine aufrechte Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet, hielt sich aber nicht durchgehend in Österreich auf.
1.3. Am 18.05.2017 wurde der Beschwerdeführer beim Versuch der Inverkehrbringung von Marihuana betreten und zur Anzeige gebracht.
1.4. Er verließ Österreich in der Folge und trat am 09.02.2021 neuerlich in Erscheinung, als er beim Verkauf einer Straßenzeitung betreten wurde.
1.5. Der Beschwerdeführer verließ Österreich und wurde am 01.03.2021 erneut beim Verkauf einer Straßenzeitung betreten, woraufhin er festgenommen und über ihn die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt wurde.
1.6. Der Beschwerdeführer wurde seitens der belangten Behörde nicht dazu aufgefordert, sich in das Hoheitsgebiet von Spanien zu begeben. Der Beschwerdeführer beantragte aus eigenem die freiwillige Rückkehr nach Spanien und reiste am 19.03.2021 auf dem Luftweg nach Spanien aus.
1.7. Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers stehen aufgrund der im Verwaltungsakt einliegenden Kopie seines nigerianischen Reisepasses (AS 9) zweifelsfrei fest. Aus der ebenfalls im Verwaltungsakt einliegenden Kopie seiner spanischen Aufenthaltsberechtigungskarte (AS 10) ist sein spanischer Aufenthaltstitel ersichtlich und wird dies auch durch die Antwort Spaniens im Konsultationsverfahren gemäß Art. 25 SDÜ (AS 147) bestätigt.
2.2. Die Wohnsitzmeldung des Beschwerdeführers ist aus dem eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister ersichtlich. Dass er Österreich regelmäßig verlassen hat, folgt den Angaben des Beschwerdeführers in seiner polizeilichen Befragung am 09.02.2021, wonach er sich seit 2017 für rund zwei Monate in Österreich aufgehalten hat.
2.3. Die Betretung am 18.05.2017 ist durch die dem Bundesverwaltungsgericht am 08.06.2021 nachträglich übermittelte Meldung der Landespolizeidirektion XXXX belegt.
2.4. Dass der Beschwerdeführer Österreich in der Folge verließ, ergibt sich aus seinen Angaben in der polizeilichen Einvernahme am 01.03.2021, wonach er am Vortag nach Österreich zurückgekehrt ist. Die Betretung am 09.02.2021 ist durch den entsprechenden Bericht der Landespolizeidirektion XXXX (AS 5) belegt. Eine entsprechende Meldung liegt auch für die Betretung am 01.03.2021 ein (AS 49 ff).
2.5. Die Negativfeststellung einer Aufforderung des Beschwerdeführers, nach Spanien zurückzukehren, beruht auf dem Umstand, dass eine diesbezügliche Aufforderung weder aktenkundig noch von der belangten Behörde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung oder des ursprünglichen Bescheides thematisiert wurde. Dass der Beschwerdeführer die freiwillige Rückkehr nach Spanien aus eigenem beantragte und am 19.03.2021 auf dem Luftweg nach Spanien ausgereist ist, ergibt sich aus den dementsprechenden Ausführungen der belangten Behörde in der Beschwerdevorentscheidung (S. 10).
2.6. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer in Österreich strafgerichtlich unbescholten ist, ergibt sich aus dem eingeholten Auszug aus dem Strafregister.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Rechtslage:
Gemäß § 31 Abs. 1 Z 3 FPG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie Inhaber eines von einem Vertragsstaat ausgestellten Aufenthaltstitels sind bis zu drei Monaten (Artikel 21 SDÜ gilt), sofern sie während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet keiner unerlaubten Erwerbstätigkeit nachgehen.
Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
Gemäß § 52 Abs. 6 FPG hat sich ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.
Gemäß § 52 Abs. 8 zweiter Satz FPG ist im Falle einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung § 28 Abs. 2 Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 auch dann anzuwenden, wenn er sich zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung nicht mehr im Bundesgebiet aufhält.
Gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ können sich Drittausländer, die Inhaber eines gültigen, von einer der Vertragsparteien ausgestellten Aufenthaltstitels sind, auf Grund dieses Dokuments und eines gültigen Reisedokuments höchstens bis zu drei Monaten frei im Hoheitsgebiet der anderen Vertragsparteien bewegen, soweit sie die in Artikel 5 Absatz 1 Buchstaben a, c und e aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllen und nicht auf der nationalen Ausschreibungsliste der betroffenen Vertragsparteien stehen.
Gemäß Art. 5 Abs. 1 SDÜ kann einem Drittausländer für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien gestattet werden, wenn er die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt: Er muss im Besitz eines oder mehrere gültiger Grenzübertrittspapiere sein, die vom Exekutivausschuss bestimmt werden (lit. a); (…) er muss gegebenenfalls die Dokumente vorzeigen, die seinen Aufenthaltszweck und die Umstände seines Aufenthalts belegen, und über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des Aufenthalts als auch für die Rückreise in den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel auf legale Weise zu erwerben (lit. c); (…) er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die nationale Sicherheit oder die internationalen Beziehungen einer der Vertragsparteien darstellen (lit. e).
Mit einem Aufenthaltstitel eines anderen Vertragsstaates ist zwar ein Kurzaufenthalt von 90 Tagen im Halbjahr möglich, jedoch keine - selbständige oder unselbständige, vorübergehende oder dauernde - Erwerbstätigkeit. Das gemäß Art. 21 SDÜ gegebene Aufenthalts- und Bewegungsrecht innerhalb der Vertragsstaaten soll auf private oder touristische Zwecke eingeschränkt sein. Mit von vornherein beabsichtigter oder später aufgenommener Erwerbstätigkeit liegt ein unrechtmäßiger Aufenthalt vor (Szymanski in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 31 FPG 2005).
Nach der Judikatur des VwGH ist § 52 Abs. 6 FPG vor dem Hintergrund der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG zu lesen. Schon aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zu dieser Bestimmung ergibt sich unzweifelhaft, dass der Gesetzgeber damit die Umsetzung des Art. 6 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie beabsichtigte (vgl. 1078 BlgNR XXIV. GP, S 29). In der Bestimmung wird angeordnet, dass ein nicht rechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger mit einem Aufenthaltstitel oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates zunächst zu verpflichten ist, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Nur wenn dieser Ausreiseverpflichtung nicht entsprochen wird oder eine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit erforderlich ist, hat eine Rückkehrentscheidung zu erfolgen. Demnach bedarf es also vor Erlassung einer Rückkehrentscheidung einer „Verpflichtung“ des Drittstaatsangehörigen, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaates zu begeben. Die Frage der „Unverzüglichkeit“ stellt sich in Bezug auf die Zeitspanne, die seit Ausspruch der „Verpflichtung“ ergangen ist. Wird ihr „unverzüglich“ entsprochen, hat eine Rückkehrentscheidung zu unterbleiben (vgl. VwGH 21.12.2017, Ra 2017/21/0234). Nur dann, wenn er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt oder wenn seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FrPolG zu erlassen (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0146 mit Verweis auf VwGH 28.05.2020, Ra 2020/21/0128).
Im Kontext des § 52 Abs. 6 FPG kommt es dabei nicht schlichtweg auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit an, sondern darauf, ob angesichts einer solchen Gefährdung die SOFORTIGE AUSREISE des Drittstaatsangehörigen aus dem Bundesgebiet erforderlich ist (VwGH 03.07.2018, Ro 2018/21/0007). Es genügt nicht, dafür auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren. Es ist das Vorliegen besonderer Umstände erforderlich. Es ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (VwGH 27.08.2020, Ro 2020/21/0172).
So wurde bsp. die nur auf den unrechtmäßigen Aufenthalt in Österreich und auf den - vor Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung - bestehenden bloßen Verdachts der Begehung eines (geringfügigen) Suchtgiftdeliktes gegründete Annahme einer Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht schlüssig begründet, das gelte umso mehr für das Vorliegen einer so großen Gefährdung, dass sie die sofortige Ausreise/Abschiebung des Mitbeteiligten gerechtfertigt hätte (vgl. VwGH 28.05.2020, Ra 2020/21/0128).
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den Beschwerdefall:
3.2.1. Im gegenständlichen Fall ist zunächst die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes des Beschwerdeführers zu prüfen, da im Falle der Rechtmäßigkeit von vornherein eine Rückkehrentscheidung nicht zu erlassen gewesen wäre.
Der Beschwerdeführer hielt sich mit einem spanischen Aufenthaltstitel für weniger als drei Monate in Österreich auf. Unbestritten blieb jedoch die Feststellung der belangten Behörde, dass der Beschwerdeführer wiederholt beim Verkauf einer Straßenzeitung betreten wurde. Da es dem Beschwerdeführer im Rahmen des ihm gemäß Art. 21 SDÜ gewährten Aufenthalts- und Bewegungsrechtes nicht erlaubt ist, einer - selbstständigen oder unselbstständigen - Erwerbstätigkeit in Österreich nachzugehen, ist von einem gemäß § 31 Abs. 1 Z 3 FPG unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers auszugehen.
3.2.2. In weiterer Folge hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 6 FPG jedoch auffordern müssen, sich unverzüglich nach Spanien zu begeben. Durch die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers im Anschluss an den bekämpften Bescheid ist auch davon auszugehen, dass dieser durchaus ausreisewillig gewesen wäre. Insoweit dem Beschwerdeführer im angefochtenen Bescheid vorgehalten wird, nicht freiwillig ausgereist zu sein, so übersieht die belangte Behörde dabei, dass dem Beschwerdeführer dies infolge der Anhaltung in Schubhaft nicht möglich gewesen ist.
3.2.3. Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung im angefochtenen Bescheid und der Beschwerdevorentscheidung auf die Alternativvoraussetzung des § 52 Abs. 6 dritter Satz FPG, wonach eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, wenn die sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Nach der zu dieser Bestimmung ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes genügt es nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern darüber hinaus muss dargetan werden, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat (vgl. VwGH 28.05.2020, 2020/21/0128).
Zunächst wird seitens des Bundesverwaltungsgerichtes durchaus nicht verkannt, dass durch die unerlaubte Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung in Bezug auf einen geordneten Arbeitsmarkt vorliegen mag (vgl. VwGH 19.03.2014, 2013/21/0208), die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid allerdings in keiner Weise dargelegt, weshalb die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat.
3.2.4. Beim Gefährdungsmaßstab des § 52 Abs. 6 FPG kommt es auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit im Sinne des Art. 7 Abs. 4 bzw. Art. 6 Abs. 2 Rückführungs-RL (Richtlinie 2008/115/EG) an, also darauf, ob das persönliche Verhalten des betreffenden Drittstaatsangehörigen eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (vgl. dazu EuGH 11.6.2015, Zh. und O., C-554/13, Rn. 50 ff, insbesondere auch Rn. 60, und darauf Bezug nehmend EuGH 16.1.2018, E, C-240/17, Rn. 48 ff). Zur inhaltsgleichen Gefährdungsprognose nach § 67 Abs. 1 FPG judiziert der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass dabei das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen ist und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen ist, ob und im Hinblick auf welche Umstände die (jeweils) anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei sei nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. VwGH 27.08.2020, Ra 2020/21/0172).
Auch wenn sich die belangte Behörde in der Beschwerdevorentscheidung zusätzlich auf den Aspekt der Mittellosigkeit des Beschwerdeführers stützt, hat dies iSd zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und in Zusammenschau mit der unerlaubten Beschäftigung als Verkäufer einer Straßenzeitung und dem daraus resultierenden unrechtmäßigen Aufenthalt nicht schon eine derartig hohe Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit zur Folge, dass die sofortige, unverzügliche Ausreise des unbescholtenen Beschwerdeführers erforderlich wäre, zumal eine solche Notwendigkeit selbst bei strafgerichtlichen Verurteilungen nicht schon per se vorliegt.
Dies gilt gegenständlich umso mehr, da der Beschwerdeführer - wie bereits ausgeführt - bei erster Gelegenheit freiwillig ausgereist ist. Der Beschwerdeführer hat somit keine Handlung gesetzt und liegen keine besonderen Umstände vor, die die sofortige Ausreise erfordert hätten. Vielmehr hätte die belangte Behörde den Beschwerdeführer nach § 52 Abs. 6 FPG zur Ausreise nach Spanien zu verpflichten und erst bei etwaiger Nichtbefolgung dieser Aufforderung ein Verfahren zur Prüfung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 FPG zu führen gehabt.
3.2.5. Aus diesen Gründen war in Stattgabe der Beschwerde die mit Spruchpunkt II. des gegenständlich angefochtenen Bescheides verhängte Rückkehrentscheidung ebenso wie die darauf aufbauenden Spruchpunkte I. und III. bis VI. zu beheben, zumal beim Gegenstandloswerden einer Rückkehrentscheidung auch die damit in Zusammenhang stehenden Aussprüche erfasst sind (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0151). Da die Beschwerdevorentscheidung vom 19.05.2021 den bekämpften Bescheid vom 02.03.2021 ersetzt, war die Beschwerdevorentscheidung zu beheben.
Im Übrigen ist die Beschwerde am 09.06.2021 (vollständig) bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes eingelangt. Da die Entscheidung in der Sache selbst innerhalb der in § 18 Abs. 5 BFA-VG genannten Frist von einer Woche ab Vorlage der Beschwerde erging, erübrigte sich eine amtswegige Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
3.2.6. Nach § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Da bereits anhand des Akteninhaltes feststand, dass der Bescheid der belangten Behörde zu beheben war, konnte die Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung sohin unterbleiben.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung Beschwerdevorentscheidung Einreiseverbot aufgehoben ersatzlose Behebung freiwillige Ausreise Gefährdung der Sicherheit Gefährdungsprognose illegale Beschäftigung illegaler Aufenthalt Kassation Mittellosigkeit öffentliche Ordnung öffentliche Sicherheit Rückkehrentscheidung behoben Schwarzarbeit unverzügliche Ausreiseverpflichtung VorlageantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I404.2243042.1.00Im RIS seit
14.09.2021Zuletzt aktualisiert am
14.09.2021