TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/22 W105 2152371-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.06.2021
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Entscheidungsdatum

22.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W105 2152371-2/13E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.04.2020, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 27.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und XXXX , geb. XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 22.06.2023 erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 22.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) vom 27.02.2017, Zl. XXXX , bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF abgewiesen. Dem BF wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt und gemäß § 8 Abs. 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 27.02.2018 erteilt.

Begründend führte die belangte Behörde bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten aus, dass der BF im Falle der Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in dessen Heimatprovinz einer lebensbedrohlichen Situation ausgesetzt sei und dieser bei einer Rückkehr in einen anderen Landesteil Afghanistans in eine existenzielle Notlage geraten würde. Der BF verfüge in anderen Landesteilen Afghanistans über kein tragfähiges familiäres Unterstützungsnetzwerk, er habe nur wenige Monate die Schule besucht und auch keine Berufsausbildung absolviert. Er habe zudem nur kurz als Hilfsarbeiter gearbeitet.

3. Mit Erkenntnis vom 22.03.2018, Zl. XXXX , wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde vom 27.03.2017 hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab. Begründend wurde ausgeführt, dass dem Fluchtvorbringen des BF keine Glaubwürdigkeit zukäme, da beim erkennenden Gericht der Eindruck entstanden sei, dass sich der BF bei dessen Fluchtvorbringen einer konstruierten Geschichte bedient habe.

4. Am 11.01.2018 stellte der BF einen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

5. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) vom 31.01.2018 wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF, bis zum 27.02.2020 erteilt.

6. Am 27.01.2020 stellte der BF fristgerecht einen weiteren Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

7. Am 13.03.2020 wurde der BF bezüglich seines Verlängerungsantrages vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Dabei gab dieser im Wesentlichen und soweit entscheidungserheblich an, in Afghanistan in der Provinz Baghlan geboren worden und im Alter von zwei Jahren mit seiner Familie in den Iran ausgereist zu sein. Nach etwa dreijährigem Aufenthalt im Iran sei der BF mit seiner Familie wieder zurück nach Afghanistan gereist, wo sich dieser und seine Familie bis zum Jahr 2010/2011 aufgehalten habe. Nach dem Tod des Vaters des BF im Jahre 2009/2010 sei dieser mit seiner Familie wieder in den Iran ausgereist wo er sich bis zu seiner Ausreise nach Europa aufgehalten habe. Befragt zu seinen Familienangehörigen in Afghanistan gab der BF an, keine Verwandten in Afghanistan zu haben bzw. zu kennen. Seine Mutter lebe weiterhin im Iran, seine Brüder würden in der Türkei leben. Derzeit absolviere er in Österreich den Pflichtschulabschluss und arbeite geringfügig als Essenszusteller. Im Falle der Rückkehr liefe er Gefahr, als Europäer bezichtigt zu werden. Ihm drohe zudem Verfolgung durch die Mörder seines Vaters. Zudem brachte die allgemeine schlechte Sicherheitslage in Afghanistan vor.

8. In der Folge wurde dem BF mit dem anfechtungsgegenständlichen Bescheid vom 02.04.2020, Zl. XXXX , der mit Bescheid vom 27.02.2017, Zl. XXXX , zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), der Antrag vom 27.01.2020 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde im angefochtenen Bescheid zur Situation des BF im Fall der Rückkehr ausgeführt, dass das Vorbringen, dem BF drohe im Falle der Rückkehr eine Verfolgung durch die Mörder seines Vaters, bereits von BFA und BVwG als nicht glaubhaft festgestellt wurde, auch aus dem allgemein gehaltenen Vorbringen der Tatsache des Aufenthaltes des BF in Europa könne keine konkrete Verfolgung abgeleitet werden. Bezüglich der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 4 AsylG 2005 führte die belangte Behörde aus, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative nach Herat oder Mazar-e Sarif zur Verfügung stehe. Er sei ein junger, gesunder Mann im erwerbsfähigen Alter, verfüge über eine nahezu zweijährige Schulbildung, habe neun Monate als Schuhmacher sowie drei Jahre als Verkäufer gearbeitet. Darüber hinaus habe er auch in Österreich an Lebenserfahrung dazugewonnen. Er könne sich daher im Falle der Rückkehr auch ohne soziales oder familiäres Netz in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif ansiedeln und für seinen Lebensunterhalt sorgen. Auch sei der BF durch dessen Aufenthalt in Österreich anpassungsfähig und könne sich daher in die afghanische Gesellschaft eingliedern, es sei ihm gelungen, in Österreich seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Er könne im Falle der Rückkehr außerdem Unterstützung durch IOM und UNHCR nehmen. Zudem seien die Städte Herat und Mazar-e Sharif sicher und gut erreichbar.

9. Gegen den anfechtungsgegenständlichen Bescheid erhob der BF am 11.05.2020 binnen offener – durch das Bundesgesetz betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes, BGBl I Nr. 16/2020 unterbrochener und ab 01.05.2020 neu zu laufen beginnender - Frist im Wege seines Rechtsvertreters Beschwerde und brachte im Wesentlichen vor, dass sich die Behörde hinsichtlich der Aberkennung des Schutzstatus auf § 9 Abs. 1 Z 1 1. Fall stütze, jedoch keine Tatsachen feststelle, die bereits im Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes nicht vorgelegen seien. Weil die belangte Behörde im anfechtungsgegenständlichen Bescheid zudem feststelle, dass sich die subjektiven Verhältnisse des BF seit dem Zeitpunkt der Zuerkennung nicht geändert hätten, komme auch eine Aberkennung des Schutzstatus nach § 9 Abs. 1 Z 1 2. Fall nicht in Betracht. Der BF gab ferner an, dass selbst wenn man von einer Unterscheidung der Sachverhalte zum Zeitpunkt der Verlängerung sowie zum Zeitpunkt der Aberkennung ausginge, dem BF wiederum der Schutzstatus zuzusprechen wäre. Die Situation des BF seit der Zuerkennung des Schutzstatus habe sich nicht verbessert, sondern verschlechtert. Außerdem sei der BF seit mehr als vier Jahren in Österreich aufhältig, er sei sehr gut integriert, spreche sehr gut Deutsch und sei erwerbstätig. In seinem Herkunftsland habe der BF keine familiären Anknüpfungspunkte mehr, es bestehe ein schützenswertes Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK.

10. Mit Schriftsatz vom 19.04.2021 wurde der Antragsteller auf neueste bzw. gültige Informationen zur Situation in Afghanistan verwiesen.

11. Mit Schriftsatz vom 23.04.2021 erstattete der Antragsteller eine schriftliche Stellungnahme, in welcher er zentral ins Treffen führte, dass er am 13.03.2020 niederschriftlich im Aberkennungsverfahren einvernommen worden sei und hätten sich keinerlei Änderungen der maßgeblichen Umstände für die Zuerkennung ergeben. Im Weiteren wurde auf die Wichtigkeit der Berücksichtigung von Dokumenten seitens UNHCR und Länderberichten der Europäischen Asylbehörde EASO verwiesen. Es werde nicht verkannt, dass sich aus dem Bericht von EASO Country Guidance Afghanistan December 2020 ergebe, dass der Personengruppe der alleinstehenden und gesunden Männer grundsätzlich eine innerstaatliche Fluchtalternative zugemutet werden könne. Dennoch sei auch hier eine Einzelfallprüfung unerlässlich, abhängig von Alter, Geschlecht, Familienstatus, Gesundheitszustand, beruflicher Hintergrund, Bildungshintergrund, finanzielle Mittel, Ortskenntnis und Unterstützungsnetzwerk. Im Weiteren schließe EASO eine so genannte inländische Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e-Sharif aufgrund der COVID-19 Pandemie nicht generell aus, verweise aber deutlich darauf, dass die Möglichkeiten einer Person mit den durch die Pandemie bedingten Schwierigkeiten umzugehen stark abhängig seien vom gegebenen Zugang zu Unterstützungsnetzwerken oder finanziellen Mitteln. Die Auwirkungen der COVID-19 Pandemie müsse sohin Berücksichtigung finden.

Aufgrund der aktuellen Verschlechterung der sozio-ökonomischen Faktoren sei derzeit im Hinblick auf den BF, der weder über ein Unterstützungsnetzwerk in den vermeintlich sicheren Provinzen verfüge, noch über ausreichend finanzielle Mittel, von keiner zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative auszugehen. Gemäß der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei in der derzeitigen Situation besonders eine genaue Auseinandersetzung mit der Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Hinblick auf die Verschlechterung der Versorgungslage im Rahmen der COVID-19 Pandemie geboten. Dem aktuellen LIB sei zu entnehmen, dass es im gesamten Land zu einer akuten Ernährungsunsicherheit gekommen sei. Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19 Pandemie geschaffen worden seien, hätten auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch langanhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hätten. Im selben Zusammenhang verwies der Antragsteller auf ein seitens des Amtsgutachters erstelltes Gutachten vom 17.08.2020, in welchem der Gutachter ausführe, dass er derzeit nicht empfehle, Afghanen in die Großstädte zu schicken; dies aufgrund der Pandemie und der Tatsache, dass die gesundheitliche Versorgung fast zusammengebrochen sei und sei die Arbeitslosigkeit bei fast 70%.

12. Im Rahmen der abgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 28.05.2021 wurde der Antragsteller niederschriftlich einvernommen.

Das Beschwerderechtsgespräch stellt sich im Wesentlichen wie nachstehend dar:

„…

R: Ich verweise auf Ihr bisheriges Verfahren im ersten Rechtsgang und es wurde in vormaliger Entscheidung des BFA vom 27.02.20217 subsidiärer Schutz zuerkannt. In der damaligen Entscheidung wurde auf die angespannte Situation in Afghanistan und auf zu erwartende Erheblichen Schwierigkeiten bei der Existenzsicherung hingewiesen. Weiters wurde tragend ausgeführt, dass sie über kein tragfähiges familiäres Unterstützungsnetz in Afghanistan verfügen und nur wenige Monate die Schule besucht haben. Mit Bescheid des BFA von 02.04.2020 wurde ihnen dieser Status von Amtswegen Aberkannt. Zentral wurde auf eine Verbesserung Ihrer persönlichen Situation verwiesen.

RV legt vor, eine Bestätigung von Connect Mödling. Da wird bestätigt, dass der BF selbstständig ist und wird zum Akt genommen.

Beginn der Befragung

I. Zum aktuellen Zustand des BF:

R: Wie geht es Ihnen gesundheitlich (sowohl in psychischer als auch in physischer Hinsicht [die Begriffe werden mit dem BF abgeklärt, sodass ihm diese geläufig sind]): Sind Sie insbesondere in ärztlicher Behandlung, befinden Sie sich in Therapie, nehmen Sie Medikamente ein?

BF: Nein, ich bin gesund.

II. Zur persönlichen Situation des BF:

a) in Österreich:

R: Leben Sie in Österreich alleine oder leben Sie mit jemandem zusammen? Wie ist Ihre aktuelle Wohnsituation? Leben Sie in einer Flüchtlingspension?

BF: Ich lebe alleine in Wien. Mit einem Freund. Ich bin ein Mitbewohner. Im 10ten Bezirk lebe ich.

R: Sprechen Sie auch schon ein wenig Deutsch? Welches Sprachniveau haben Sie? Besuchen Sie Sprachkurse oder sonstige Kurse, Schule, Vereine oder Universität?

BF: Wie gesagt, ich spreche gut Deutsch und verstehe weitgehend und ich habe B1. Ich mache einen Kurs neben der Arbeit. Ich will nächstes Jahr eine Ausbildung zum Pflegeassistent machen. Man hat mir gesagt, dass ich einen Pflichtschulabschluss und gute Deutschkenntnisse brauche.

RV: B2 würde er für die Staatsbürgerschaft benötigen.

R: Ich stelle fest, dass Sie meine Fragen auf Deutsch verstehen und antworten sie auch sehr flüssig.

R: Habe Sie in Österreich familiäre Bindungen?

BF (auf Deutsch): Nein. Ich habe aber Freunde hier.

R: Wie sieht Ihr Kontakt zu Ihren Familienangehörigen aus?

BF (auf Deutsch): Meine Familie lebt in Iran. Meine Mutter und mein kleiner Bruder leben im Iran. Mein großer Bruder lebt in der Türkei. Mein kleiner Bruder war auch in der Türkei aber er lebt jetzt wieder in Iran.

R: Wer von Ihrer Familie lebt in Afghanistan?

BF (auf Deutsch): Niemand.

R: Sie haben bisher im Verfahren angaben gemacht, dass Sie einen Verwandten des Vaters noch haben?

BF: Ich habe über die Schwester meines Vaters geredet. Zu ihnen habe ich keinen Kontakt mehr.

R: Hatte Ihr Vater nur Schwestern?

BF: Ja, ich weiß nicht, ob sie am Leben sind oder Tod. Wir haben keinen Kontakt.

R: Sie haben aber doch beim ersten Rechtsgang von einem Bruder Ihres Vaters gesprochen?

BF (auf Deutsch): Ich bin seit 10 Jahren aus Afghanistan weg. Ich weiß nicht, was mit dem Bruder meines Vaters ist. Ich habe keinen Kontakt. Ich weiß, dass es einen Cousin vs im Iran lebt.

R: Wann und wo sind Sie geboren?

BF: Ich bin XXXX geboren, in der Stadt Baglan.

R: Von wann bis wann haben Sie sich in Iran aufgehalten?

BF (auf Deutsch): Das erste Mal war ich 2 Jahre alt, dann sind wir in den Iran gezogen. Wir waren 3 Jahre im Iran und sind wieder dann zurück nach Afghanistan. Weil mein Bruder in Iran gestorben ist. Mein Vater ist dann abgeschoben worden.

R: Wie lange waren Sie dann in Afghanistan?

BF: 2001 – 2009 oder 2010

R: Haben Sie in Afghanistan die Schule besucht?

BF: In der Moschee habe ich das Dari Alphabet gelernt.

R: Wie viele Jahren waren Sie dort?

BF: 1 Jahr.

D: In Afghanistan ist es so, dass die Kinder in die Moschee geschickt werden, dass man ihnen das Alphabet beibringt.

R: Haben Sie zur damaligen Zeit in Afghanistan arbeiten müssen?

BF: Ich war damals ein Kind.

R: Wie lange waren Sie das zweite Mal in Iran aufhältig?

BF: Ca. 3,5 Jahre.

R: Sind Sie dann wieder nach Afghanistan zurück?

BF: Ich bin dann nach Europa gereist. Ich war bis ca. 2015 unterwegs nach Europa. Ich habe nur das Problem mit dem Datum.

R: Haben Sie in Iran eine Schulbildung genossen?

BF: Ich habe in Iran eine Schule besucht, die nicht offiziell war. Dort habe ich ein bisschen Lesen und Schreiben gelernt. Nachgefragt: 6 Monate.

R: Sie haben sich etwa von Jahr 2013 Richtung Europa begeben. Berichten Sie davon.

BF: Es war 2015. Vor der Ausreise haben ich schon geplant aus dem Iran wegzugehen, weil ich im Iran keine Aufenthaltsberechtigung hatte. Ich habe den Iran alleine bzw. mit Freunden die auch ausreisen wollten zunächst Richtung Türkei und dann in weiterfolge dann Europa-

R: Haben Sie in Iran gearbeitet?

BF: 1 Jahr als Verkäufer und Schuhmacher. Nachgefragt: Ich habe dekorative Sachen verkauft.

R: Wie sind Sie zu den Jobs gekommen?

BF: Ich habe mir das organisiert.

R: Können Sie das bisschen erklären?

BF: Wenn man sich bemüht ist alles möglich. Wie konnte ich als ein Mensch der Analphabet ist, hier in Österreich bin ich auf Niveau B1 schaffen, so habe ich es auch dort geschafft. Ich habe auch den Pflichtschulabschluss geschafft hier. Ich habe hier Mathematik und Deutsch gelernt.

RV: Wir haben das Pflichtschulabschlusszeugnis nicht vorgelegt, weil wir dachten, dass das schon bei der ersten Instanz vorgelegt worden ist.

BF legt vor, Pflichtschulabschlusszeugnis und wird zum Akt genommen.

R: War es sehr schwer für Sie gleichsam von Null in unser Schulsystem einzusteigen und den Pflichtschulabschluss zu machen?

BF (auf Deutsch): Ja sehr, es gibt ein OK (phonetisch), das ist ein Verein, und dort habe ich es gelernt.

RV: Grundsätzlich würde der BF bereits eine Aufenthaltsberechtigung nach dem NAK bekommen. Er hat alle Voraussetzungen erfüllt. Es ist nur die Frage nach der Zeitdauer.

R: Sie waren oder sind in Österreich auch schon erwerbstätig. Erzählen Sie darüber.

BF (auf Deutsch): Ich habe seit 2019 mich bei Lieferando angemeldet und habe dort gearbeitet. Am Ende November bis März 2021 habe ich Teilzeit 25STd/Woche gearbeitet. Jetzt bin ich dort Vollzeit gemeldet. Ich verdiene 1.414€ netto.

R: Wieviel bezahlen Sie für das Wohnen?

BF (auf Deutsch): 330€ Miete. Mal mehr als weniger.

R: Wovon leben Ihre Verwandten in der Türkei oder in Iran?

BF (auf Deutsch): Mein Bruder und seine Familie lebt in Ankara. Er hat 5 Kinder, 2 Töchter und 3 Söhne.

R: Welche Beschäftigung geht er, in Ankara, nach?

BF (auf Deutsch): Auf einer Baustelle. Seinen Erwerbslohn verwendet er zu 100% für seine Familie.

R: Gehen wir zu den Verwandten in Iran.

BF (auf Deutsch): Meine Mutter und mein Bruder, er ist 23 Jahre alt, leben im Iran. Mein Bruder arbeitet als Verkäufer, in einem Geschäft. Nachgefragt: Er verdient 3 Million iranischer Währung.

R: Könnten Sie Ihr Bruder bei einer hypothetischen Rückkehr unterstützen?

BF: Nein.

R: Arbeitet Ihre Mutter?

BF: Nein, der Bruder unterstützt die Mutter.

R: Haben Sie in Österreich schon einmal Probleme mit der Polizei oder Staatsanwaltschaft gehabt?

BF: Nein.

R: Sind Sie in Österreich bisher strafrechtlich verurteilt worden?

BF: Nein.

R: Können Sie mir über Ihre beruflichen Pläne erzählen?

BF (auf Deutsch): Plan 1 ist, dass ich eine Pflegeausbildung mache. Es dauert 1 Jahr. Ich habe eine Rechtsberaterin bei der VHS. Sie würde mir da weiterhelfe.

R: Haben Sie schon mal hinein geschnuppert?

BF: Noch nicht. Sie hat mir Infos geben über den Beruf als Pflegeassistent, z.B. welche Aufgaben, wieviel man verdient. Mein Freund hat mir erzählt, dass man Blut ansehen muss und auch körperlich Stark sein muss. Er arbeitet auch in der Pflege. Ich will anderen helfen, deshalb will ich die Ausbildung machen. Ich kann mir vorstellen, dass ich den Pflegeberuf in einem Spital machen. Plan 2 ist, dass ich Geld spare und ein Geschäft eröffne, eine Bäckerei. Ich backe zu Hause Brot und Kuchen. Ich kann nicht nur Brot backen.

R: Sie sind also der festen Überzeugung in kürzester Zeit eine Ausbildung zu machen.

BF nickt.

R: Das Gericht kann sich auf Grund Ihrer Angaben nunmehr ein Bild über ihre privaten sowie familiären Bindungen in Österreich machen und erscheinen hierzu seitens des Gerichts keine weiteren Fragen offen. Wollen Sie sich noch weitergehend zu Ihren privaten und familiären Bindungen in Österreich bzw. ihrer Integration äußern?

BF: Ich bin in einem Wohltätigkeitsverein Jugend in Österreich. Der Verein heißt Marefat. Ich setzte mich auch für andere Leute für die Integration ein. Ich habe Mathe gelernt. Sie haben mir so viel geholfen.

R: Für einen theoretischen Fall, dass Sie nach Afghanistan zurückkehren müssen, was würde Sie dort erwarten?

BF (auf Deutsch): Ich kann nicht zurückkehren. Ich habe dort keinen Arbeitsplatz. Ich kann dort nicht arbeiten. Ich habe dort keinen Job, wo kann man einen Job finden? Dort ist auch Krieg. Sie bedrohen jeden Menschen. Man braucht nur in den Zeitungen schauen.

R: Zu welcher Volksgruppe gehören Sie?

BF: Ich bin Tadschike.

R gibt RV die Gelegenheit, Fragen zu stellen.

RV: Keine weiteren Fragen.

R: Die Dolmetscherin wird Ihnen jetzt die gesamte Verhandlungsschrift rückübersetzen. Bitte passen Sie gut auf, ob alle Ihre Angaben korrekt protokolliert wurden. Sollten Sie einen Fehler bemerken oder sonst einen Einwand haben, sagen Sie das bitte.

BF: Ich bitte um eine Rückübersetzung.

Die vorläufige Fassung der bisherigen Niederschrift wird durch die D dem BF rückübersetzt.

Keine Einwendungen.

Ende der Befragung.“

Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung legte der Antragsteller unter anderem ein Zeugnis über die erfolgreiche Ablegung des Pflichtschulabschlusses vom 26.11.2020 vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Festgestellt wird zunächst der oben dargelegte Verfahrensgang.

Der am XXXX geborene und strafgerichtlich unbescholtene BF ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Tadschiken an und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Seine Muttersprache ist Dari. Er ist zudem ledig und kinderlos. Der BF stammt aus der Provinz Baghlan, verzog jedoch im Alter von zwei Jahren gemeinsam mit seiner Familie in den Iran wo diese sich drei Jahre aufhielt. Anschließend reiste der BF mit seiner Familie wieder zurück nach Afghanistan wo sich dieser bis zum Jahr 2009/2010 aufhielt. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2009/2010 verließ der BF endgültig sein Herkunftsland Afghanistan und verzog abermals in den Iran, wo er bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte.

Die Mutter des BF lebt im Iran, ein Bruder lebt in der Türkei, ein anderer Bruder lebt ebenfalls im Iran. Der BF verfügt – wie auch bereits im Zuerkennungsbescheid von der belangten Behörde zutreffend festgestellt – in Afghanistan über kein soziales Netzwerk und über keine ihm bekannten Verwandten oder Familienangehörigen. Der BF steht jedoch im Kontakt mit seiner im Iran lebenden Mutter.

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er verfügt über eine einjährige Schulbildung in Afghanistan und eine sechsmonatige Schulbildung im Iran. Er hat zudem im Iran als Verkäufer und Schuhmacher gearbeitet. In Österreich hat der BF mittlerweile den Pflichtschulabschluss nachgeholt, er besuchte zudem Integrations –und Deutschkurse und arbeitete von November 2019 bis März 2021 als Essenszusteller (Teilzeit), seit März 2021 ist er vollzeitbeschäftigt. Er hat in Österreich keine Berufsausbildung absolviert, er ist nicht Mitglied in einem Verein.

Der BF verfügt in Österreich über keine schützenswerten privaten oder familiären Bindungen.

Dem BF droht in seinem Herkunftsland Afghanistan weder eine asylrelevante Verfolgung durch die von ihm behaupteten Mörder seines Vaters, noch lässt sich eine solche aus dem Aufenthalt des BF in Europa bzw. der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan ableiten.

Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in seiner Herkunftsprovinz Baghlan sowie in den Städten Herat und Mazar-e Sharif, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung des subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.02.2017 Zl. XXXX bzw. seit der letzten Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom 31.01.2018 wesentlich und nachhaltig verändert haben. Auch in Bezug auf die subjektive Situation des BF ist keine wesentliche und nachhaltige Veränderung zum Zeitpunkt des Zuerkennungsbescheids und Verlängerungsbescheids eingetreten. Der BF verfügt nach wie vor über keine formelle bzw. qualifizierte Berufsausbildung.

Es liegen auch keine Anhaltspunkte bzw. Gründe dahingehend vor, dass der BF die Voraussetzungen der Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 8 Abs. 4 AslyG 2005 bereits im Zeitpunkt des Zuerkennungsbescheides nicht erfüllt hätte.

Zur allgemeinen Situation sowie zur Sicherheitslage im Herkunftsland des BF wird – wie bereits im angefochtenen Bescheid – (auszugsweise) Folgendes festgestellt:

Covid 19

Letzte Änderung 11.06.2021

Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan

Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).

Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).

Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).

Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).

Maßnahmen der Regierung und der Taliban

Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).

Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).

Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).

Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).

Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).

Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).

Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).

Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).

Gesundheitssystem und medizinische Versorgung

COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).

Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).

Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).

In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).

Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).

Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt

COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drittel der Bevölkerung - in einem Krisen- oder Notfall-Niveau der Ernährungsunsicherheit befinden (UNOCHA 3.6.2021; vgl. IPC 22.4.2021). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).

Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).

Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).

Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).

Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).

Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2021 um mehr als 5% geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).

Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).

Nach Erkenntnissen der WHO steht Afghanistan [Anm.: mit März 2021] vor einer schleppenden wirtschaftlichen Erholung inmitten anhaltender politischer Unsicherheiten und einem möglichen Rückgang der internationalen Hilfe. Das solide Wachstum in der Landwirtschaft hat die afghanische Wirtschaft teilweise gestützt, die im Jahr 2020 um etwa zwei Prozent schrumpfte, deutlich weniger als ursprünglich geschätzt. Schwer getroffen wurden aber der Dienstleistungs- und Industriesektor, wodurch sich die Arbeitslosigkeit in den Städten erhöhte. Aufgrund des schnellen Bevölkerungswachstums ist nicht zu erwarten, dass sich das Pro-Kopf-Einkommen bis 2025 wieder auf das Niveau von vor der COVID-19-Pandemie erholt (BAMF 12.4.2021).

Frauen, Kinder und Binnenvertriebene

Auch auf den Bereich Bildung hatte die COVID-19 Pandemie Auswirkungen. Die Regierung ordnete im März 2020 an, alle Schulen zu schließen (IOM 23.9.2020; vgl. ACCORD 25.5.2021), wobei diese ab August 2020 wieder stufenweise geöffnet wurden (ACCORD 25.5.2021). Angesichts einer zweiten COVID-19-Welle verkündete die Regierung jedoch Ende November die abermalige Schließung der Schulen (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021) wobei diese im Laufe des ersten Quartals 2021 wieder geöffnet wurden (SIGAR 30.4.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021, UNICEF 4.5.2021). Im Oktober 2020 berichtete ein Beamter, dass 56 Schüler und Lehrer in der Provinz Herat positiv getestet wurden (von 386 Getesteten). 35 bis 60 Schüler lernen in einem einzigen Raum, weil es an Einrichtungen fehlt und die Richtlinien zur sozialen Distanzierung nicht beachtet werden (IOM 18.3.2021). Ende Mai 2021 wurde berichtet, dass in 16 Provinzen aufgrund steigender Fallzahlen für 14 Tage die Schulen geschlossen würden (BAMF 31.5.2021).

Kinder (vor allem Jungen), die von den Auswirkungen der Schulschließungen im Rahmen von COVID-19 betroffen waren, waren nun auch anfälliger für Rekrutierung durch die Konfliktparteien (IPS 12.11.2020; vgl. UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). In den ersten Monaten des Jahres 2021 wurde im Durchschnitt eines von drei Kindern in Afghanistan außer Haus geschickt, um zu arbeiten. Besonders außerhalb der Städte wurde ein hoher Anstieg der Kinderarbeit berichtet (IOM 18.3.2021; vgl. ACCORD 25.5.2021). Die Krise verschärft auch die bestehende Vulnerabilität von Mädchen betreffend Kinderheirat und Schwangerschaften von Minderjährigen (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IPS 12.11.2020, UNAMA 10.8.2020, ACCORD 25.5.2021). Die Pandemie hat auch spezifische Folgen für Frauen, insbesondere während eines Lockdowns, einschließlich eines erhöhten Maßes an häuslicher Gewalt (ACCORD 25.5.2021; vgl. AI 3.2021, HRW 13.1.2021, UNOCHA 19.12.2020). Frauen und Mädchen sind durch den generell geringeren Zugang zu Gesundheitseinrichtungen zusätzlich betroffen (AI 3.2021; vgl. HRW 13.1.2021, Martins/Parto 11.2020, AAN 1.10.2020).

Binnenvertriebene sind besonders gefährdet, sich mit COVID-19 anzustecken, da sie bereits vorher anfällig waren, es keine Gesundheitseinrichtungen gibt, die Siedlungen überfüllt sind und sie nur begrenzten Zugang zu Wasser und sanitären Anlagen haben. Aufgrund ihrer schlechten Lebensbedingungen sind die vertriebenen Gemeinschaften nicht in der Lage, Präventivmaßnahmen wie soziale Distanzierung und Quarantäne zu praktizieren und sind daher anfälliger für die Ansteckung und Verbreitung des Virus (AI 3.2021).

Bewegungsfreiheit

Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei später alle Grenzübergänge geöffnet wurden (IOM 18.3.2021). Seit dem 29.4.2021 hat die iranische Regierung eine unbefristete Abriegelung mit Grenzschließungen verhängt (UNOCHA 3.6.2021; vgl. AnA 29.4.2021). Die Grenze bleibt nur für den kommerziellen Verkehr und die Bewegung von dokumentierten Staatsangehörigen, die nach Afghanistan zurückkehren, offen. Die Grenze zu Pakistan wurde am 20.5.2021 nach einer zweiwöchigen Abriegelung durch Pakistan wieder geöffnet (UNOCHA 3.6.2021).

Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).

IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021). Mit Stand 25.5.2021 ist das Projekt Restart III weiter aktiv und Teilnehmer melden sich (IOM AUT 25.5.2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 11.06.2021

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 1.10.2020). Auf einer Fläche von 652.860 Quadratkilometern leben ca. 32,9 Millionen (NSIA 1.6.2020) bis 39 Millionen Menschen (WoM 6.10.2020).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen, die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (CoA 26.2.2004; vgl. STDOK 7.2016, Casolino 2011).

Die Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (CoA 26.2.2004; vgl. Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

Im direkt gewählten Unterhaus der Nationalversammlung, der Wolesi Jirga (Haus des Volkes) mit 249 Sitzen, kandidieren die Abgeordneten für eine fünfjährige Amtszeit. In der Meshrano Jirga, dem Oberhaus mit 102 Sitzen, wählen die Provinzräte zwei Drittel der Mitglieder für eine Amtszeit von drei oder vier Jahren, und der Präsident ernennt das verbleibende Drittel für eine Amtszeit von fünf Jahren. Die Verfassung sieht die Wahl von Distrikträten vor, die ebenfalls Mitglieder in die Meshrano Jirga entsenden würden, aber diese sind noch nicht eingerichtet worden. Zehn Sitze der Wolesi Jirga sind für die nomadische Gemeinschaft der Kutschi reserviert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021) und mindestens zwei Frauen sollen aus jeder Provinz gewählt werden (insgesamt 68) (USDOS 30.3.2021).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Zwar beweisen die Abgeordneten mit gelegentlichen kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzesentwürfen die grundsätzliche Funktionsfähigkeit des Parlaments. Gleichzeitig werden aber die verfassungsmäßigen Rechte genutzt, um die Arbeit der Regierung gezielt zu behindern, Personalvorschläge der Regierung zum Teil über lange Zeiträume zu blockieren, und einzelne Abgeordnete lassen sich ihre Zustimmung mit Zugeständnissen - wohl auch finanzieller Art - belohnen. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaftspflicht der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 16.7.2020).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 09.06.2021

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020; vgl. USDOS 30.3.2021). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).

Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch Tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2021

Mit April bzw. Mai 2021 nahmen die Kampfhandlungen zwischen Taliban und Regierungstruppen stark zu (RFE/RL 12.5.2021a; cf. SIGAR 30.4.2021, BAMF 31.5.2021). Im Mai 2021 übernahmen die Taliban die Kontrolle über den Distrikt Dawlat Shah in der ostafghanischen Provinz Laghman (LWJ 20.5.2021) und den Distrikt Nerkh in der Provinz (Maidan) Wardak, einen strategischen Distrikt etwa 40 Kilometer von Kabul entfernt. Spezialkräfte wurden in dem Gebiet eingesetzt, um den Distrikt Nerkh zurückzuerobern, nachdem Truppen einen "taktischen Rückzug" angetreten hatten (RFE/RL 12.5.2021b; vgl. TN 12.5.2021, AJ 12.5.2021). Aufgrund der sich intensivierenden Kämpfe zwischen den Taliban und der Regierung an unterschiedlichsten Fronten in mindestens fünf Provinzen (Baghlan, Kunduz, Helmand, Kandahar und Laghman) sind im Mai 2021 bis zu 8.000 Familien vertrieben worden. Berichten zufolge haben die Vertriebenen keinen Zugang zu Unterkunft, Verpflegung, Schulen oder medizinischer Versorgung (BAMF 31.5.2021; vgl. UNOCHA 2.6.2021).

Ende Mai/Anfang Juni übernahmen die Taliban die Kontrolle über mehrere Distrikte (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021). Die Taliban haben den Druck in allen Regionen des Landes verstärkt, auch in Laghman, Logar und Wardak, drei wichtigen Provinzen, die an Kabul grenzen (LWJ 6.6.2021; vgl. RFE/RL 1.6.2021). Damit haben die Taliban seit Beginn des Truppenabzugs am 1.5.2021 bis Anfang Juni mindestens zwölf Distrikte erobert (LWJ 6.6.2021; vgl. DW 6.6.2021, MENAFN 7.6.2021, LWJ 20.5.2021, VOA 7.6.2021).

Die Sicherheitslage im Jahr 2020

Die Sicherheitslage verschlechterte sich im Jahr 2020, in dem die Vereinten Nationen 25.180 sicherheitsrelevante Vorfälle registrierten, ein Anstieg von 10% gegenüber den 22.832 Vorfällen im Jahr 2019 (UNASC 12.3.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, sodass es sich fast ausschließlich um e

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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