TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/23 I408 2172359-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.06.2021
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Entscheidungsdatum

23.06.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1 Z2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs1 Z1
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


I408 2172359-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Harald NEUSCHMID als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.09.2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.05.2021 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer stellte am 27.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab im Rahmen der Erstbefragung am darauffolgenden Tag als Fluchtgrund zusammengefasst an, dass er in seinem Geschäft in Bagdad auch Bilder von Jesus und Maria verkauft habe. Da er dies nicht dürfe, sei er von einer Miliz geschlagen und bedroht worden.

2.       Bei seiner Einvernahme am 11.09.2017 führte er dann aus, dass er zusammen mit einer Freundin einen Laden für Antiquitäten in Bagdad gehabt habe, in welchem er auch religiöse Gegenstände verkauft habe. Deshalb sei er von einer Miliz bedroht und bei einem Vorfall am 01.06.2015 verprügelt worden. Daraufhin sei er bis Mitte September bei einem Arzt in Behandlung gewesen und habe am 10.10.2015 den Irak verlassen.

3.       Mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 13.09.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

4.       Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde vom 27.09.2017.

5.       Mit Eingaben vom 27.09.2018, 09.01.2019 und 07.05.2021 brachte der Beschwerdeführer jeweils ein Konvolut von Unterlagen zum Nachweis seiner Integration in Vorlage.

6.       Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 30.03.2021 wurde die Rechtssache dem erkennenden Richter neu zugewiesen.

7.       Am 10.05.2021 erfolgte vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Beschwerdeführers und seiner Rechtsvertretung.

8.       Am 16.06.2021 langte ein Ambulanter Befund vom 31.05.2021 über eine Impressionsfraktur Tuberculum majus li. ein

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der 54-jährige Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger des Irak, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zum moslemischen Glauben, sunnitische Richtung. Seine Identität steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer wurde am 31.05.2021 nach einem Sturz mit dem Fahrrad an der Schulter verletzt, ambulant behandelt und erhielt einen Tawagripverband sowie Schmerzmittel. Ansonsten ist er gesund und arbeitsfähig.

Er verließ den Irak am 10.10.2015 in die Türkei und gelangte schlepperunterstützt über Griechenland nach Österreich, wo er am 27.10.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither aufhält.

Der Beschwerdeführer lebte mit einer Familie in Bagdad und absolvierte dort eine zumindest zwölfjährige Schulbildung. Anschließend studierte er an der Wirtschaftsuniversität Dubai Business Management, schloss das Studium jedoch nicht ab. Im Anschluss ging der Beschwerdeführer von 1998 bis 2006 nach Jordanien und arbeitete dort als Barkeeper. Nach seiner Rückkehr nach Bagdad betrieb er von 2007 bis 2011 eine Tierhandlung und arbeitete seit Mai 2015 ein Geschäft für Antiquitäten. Aufgrund seiner Ausbildung und Arbeitserfahrung sollte er auch künftig am irakischen Arbeitsmarkt unterkommen können.

In Bagdad leben nach wie vor die Mutter und die Schwester des Beschwerdeführers. Seine Mutter bezieht die Pension seines Vaters, lebt bei seiner Schwester und hat das Haus der Familie vermietet.

In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine Verwandten und über keine sonstigen maßgeblichen privaten Beziehungen. Zwar hat er einige Bekanntschaften geschlossen, allerdings bestehen keine vertieften Kontakte oder Abhängigkeiten. Der Beschwerdeführer betätigte sich von 24.10.2018 bis 23.04.2019 freiwillig bei einem Projekt der Caritas im Ausmaß von 30 Wochenstunden, wo er Kleidung sortierte. Seit April 2020 verteilt er zweimal wöchentlich Werbung und bekommt dafür eine Entlohnung, welche unterschiedlich ausfällt. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und lebt von Leistungen der Grundversorgung. Er würde gerne die Sprache weiterlernen und dann bei der ÖBB arbeiten. Der Beschwerdeführer hat einen Deutschkurs auf Niveau A2.1 besucht, jedoch keine Deutschprüfung abgelegt. Er kann sich auf Deutsch nicht verständigen. Strafgerichtlich ist er unbescholten.

1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer war entgegen seinem Vorbringen keiner persönlichen Verfolgung durch Milizen im Irak ausgesetzt. Er ist auch nicht christlichen Glaubens und droht ihm auch aus diesem Grund keine Verfolgung.

Der Beschwerdeführer wird im Falle seiner Rückkehr in den Irak mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein. Weder wird ihm seine Lebensgrundlage gänzlich entzogen, noch besteht für ihn die reale Gefahr einer ernsthaften Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes.

1.3. Zur Lage im Irak:

Die aktuelle Lage im Irak hat sich seit dem militärischen Sieg über den IS zunehmend stabilisiert.

Im gegebenen Zusammenhang sind die folgenden Informationen von Relevanz und werden festgestellt:

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

Dem ISIL gelang es nicht, die Kontrolle über Gebiete in der Provinz Bagdad zu übernehmen, obwohl er seit 2014 häufig VBIED-Angriffe auf Bagdad durchführte. Angriffe mit vielen Opfern durch ISIL gingen nach dem ersten Quartal 2018 deutlich zurück.

Bagdad steht im Allgemeinen unter der Kontrolle der irakischen Behörden; in der Praxis teilen sich die Behörden jedoch die Aufgaben im Bereich Verteidigung und Strafverfolgung mit den schiitisch dominierten PMU, was zu einer "unvollständigen" oder sich überschneidenden Kontrolle mit diesen Milizen führt. Die PMU haben kein operatives Hauptquartier in der Provinz Bagdad, in der Praxis gibt es jedoch "beträchtliche Stützpunkte" in den Gürteln von Bagdad. Vom Iran unterstützte Milizen unterhalten zumindest einige Kräfte in überwiegend schiitischen Gebieten, insbesondere in Bagdad. Auch der ISIL ist weiterhin in der Provinz präsent und es wurde berichtet, dass er seine Unterstützungszone im nördlichen und südwestlichen Bagdad-Gürtel aufbaut und erweitert. Mehrere Quellen berichteten über eine verstärkte ISIL-Aktivität in Bagdad in den Jahren 2019-2020. Es wurde auch berichtet, dass die ISF nur begrenzt in der Lage waren, auf Sicherheitsvorfälle, Terroranschläge und kriminelle Aktivitäten zu reagieren. Zusätzlich zu den anderen Akteuren in der Region haben die USA zwei Militärbasen in Bagdad, eine davon innerhalb des internationalen Flughafens von Bagdad.

ACLED meldete zuletzt im Zeitraum 01.2019 bis 31.07.2020 insgesamt 393 Sicherheitsvorfälle, das sind 6 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum. UNAMI verzeichnete in diesem Zeitraum insgesamt 58 zivile Opfer, das entspricht einem zivilen Opfer pro 100 000 Einwohner.

Dazu wird auf den EASO-Bericht Country Guidance zum Irak mit Stand Jänner 2021 (Seiten 134-136) verwiesen.

In Bezug auf die Lage in der Stadt Bagdad vertritt UNHCR die Ansicht, dass die einzigen Personengruppen, hinsichtlich derer keine externe Unterstützung vorauszusetzen ist, arabisch-schiitische und arabisch-sunnitische alleinstehende, körperlich leistungsfähige Männer und kinderlose Ehepaare im arbeitsfähigen Alter ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten sind. Abhängig von den jeweiligen Umständen sind solche Personen möglicherweise in der Lage, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch ihre Familie und/oder ihren Stamm zu bestehen (UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, S 23f sowie S 141).

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wiederhergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).

Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).

Die Preise für Grundnahrungsmittel haben sich im Irak nicht wesentlich verändert; bei bestimmten Gütern kam es jedoch zu standortspezifischen Preisschwankungen. In einer offiziellen Erklärung erklärte das Handelsministerium, dass der Mangel an finanziellen Zuweisungen die Fähigkeit des Ministeriums in Frage stelle, PDS-Güter (Public Distribution System) konsequent zu beschaffen (WFP 2.6.2020)

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).

Das Erdöl stellt immer noch die Haupteinnahmequelle des irakischen Staates dar (GIZ 1.2020c). Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor. Der Irak besitzt kaum eigene Industrie jenseits des Ölsektors. Hauptarbeitgeber ist der Staat (AA 12.1.2019).

Die Arbeitslosenquote, die vor der IS-Krise rückläufig war, ist über das Niveau von 2012 hinaus auf 9,9% im Jahr 2017/18 gestiegen. Unterbeschäftigung ist besonders hoch bei IDPs. Fast 24% der IDPs sind arbeitslos oder unterbeschäftigt (im Vergleich zu 17% im Landesdurchschnitt). Ein Fünftel der wirtschaftlich aktiven Jugendlichen ist arbeitslos, ein weiters Fünftel weder erwerbstätig noch in Ausbildung (WB 12.2019).

Die Armutsrate im Irak ist aufgrund der Aktivitäten des IS und des Rückgangs der Öleinnahmen gestiegen (OHCHR 11.9.2019). Während sie 2012 bei 18,9% lag, stieg sie während der Krise 2014 auf 22,5% an (WB 19.4.2019). Einer Studie von 2018 zufolge ist die Armutsrate im Irak zwar wieder gesunken, aber nach wie vor auf einem höheren Niveau als vor dem Beginn des IS-Konflikt 2014, wobei sich die Werte, abhängig vom Gouvernement, stark unterscheiden. Die südlichen Gouvernements Muthanna (52%), Diwaniya (48%), Maisan (45%) und Dhi Qar (44%) weisen die höchsten Armutsraten auf, gefolgt von Ninewa (37,7%) und Diyala (22,5%). Die niedrigsten Armutsraten weisen die Gouvernements Dohuk (8,5%), Kirkuk (7,6%), Erbil (6,7%) und Sulaymaniyah (4,5%) auf. Diese regionalen Unterschiede bestehen schon lange und sind einerseits auf die Vernachlässigung des Südens und andererseits auf die hohen Investitionen durch die Regionalregierung Kurdistans in ihre Gebiete zurückzuführen (Joel Wing 18.2.2020). Die Regierung strebt bis Ende 2022 eine Senkung der Armutsrate auf 16% an (Rudaw 16.2.2020).

Grundsätzlich ist der öffentliche Sektor sehr gefragt. Die IS-Krise und die Kürzung des Budgets haben Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt im privaten und öffentlichen Sektor. Arbeitsmöglichkeiten haben im Allgemeinen abgenommen. Die monatlichen Einkommen im Irak liegen in einer Bandbreite zwischen 200 und 2.500 USD (Anm.: ca. 185-2.312 EUR), je nach Position und Ausbildung. Das Ministerium für Arbeit und Soziales bietet Unterstützung bei der Arbeitssuche und stellt Arbeitsagenturen in den meisten Städten. Die Regierung hat auch ein Programm gestartet, um irakische Arbeitslose und Arbeiter, die weniger als 1 USD (Anm.: ca. 0,9 EUR) pro Tag verdienen, zu unterstützen. Aufgrund der Situation im Land wurde die Hilfe jedoch eingestellt. Weiterbildungsmöglichkeiten werden durch Berufsschulen, Trainingszentren und Agenturen angeboten. Aufgrund der derzeitigen Situation im Land sind derzeit keine dieser Weiterbildungsprogramme, die nur durch spezielle Fonds zugänglich sind, aktiv (IOM 1.4.2019).

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Die COVID-19-Pandemie stellte den Irak weiterhin vor gesundheitliche und andere Herausforderungen, obwohl die von der Regierung gemeldete Übertragungsrate stetig zurückgeht. Obwohl die Zahl der vom Gesundheitsministerium gemeldeten Fälle auf 602.938 (einschließlich 12.895 Todesfälle, Stand: 10. Januar) anstieg, erhöhte sich die Heilungsrate auf mehr als 92 Prozent, während die Sterberate bei 2,1 Prozent blieb. Nach Angaben der irakischen Regierung erhöhten die Gesundheitsbehörden die Zahl der COVID-19-Tests auf 30.000 bis 40.000 täglich. Die täglich gemeldete Zahl der Fälle erreichte ihren Höhepunkt und ging dann im Berichtszeitraum zurück, was auf einen Rückgang der Übertragungsrate (0,86) im gesamten Irak hinweist. Im Vergleich zu Anfang November sank die wöchentliche Zahl der Infektionen und COVID-19-bedingten Todesfälle um 70 bzw. 60 Prozent. Die Rate der positiven Tests fiel auf 2,3 Prozent, was darauf hindeutet, dass eine angemessene Menge an Tests durchgeführt wurde. Dennoch stellte COVID-19 weiterhin eine Bedrohung für das fragile Gesundheitssystem des Landes dar.

Die Weltgesundheitsorganisation arbeitete weiterhin mit Regierungsministerien und -institutionen zusammen, um Aufklärungskampagnen über COVID-19 in den Gemeinden durchzuführen, die Millionen von Irakern, einschließlich Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, erreichten. Die Internationale Organisation für Migration unterstützte das Screening und Triaging für COVID-19 in 28 Gesundheitseinrichtungen. 53 Mitarbeiter des Gesundheitswesens wurden in der Infektionsprävention und -kontrolle geschult. Beamte des öffentlichen Gesundheitswesens an der Grenze erhielten Schulungen zu internationalen Gesundheitsvorschriften. Die Internationale Organisation für Migration unterstützte die Hotline des irakischen Hochkommissariats für Menschenrechte in Bagdad, indem sie psychosoziale Unterstützung für die von der Pandemie Betroffenen leistete. Bislang wurden über 500 Menschen erreicht. (UN Bericht, Security Council vom 08.02.2021, S/+2021/120_Seite 12-13).

Die freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten befindet sich im Vergleich zum Umfang der Rückkehr der Binnenflüchtlinge auf einem deutlich niedrigeren, im Vergleich zu anderen Herkunftsstaaten aber auf einem relativ hohen Niveau. Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig – u.a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort. Zu einer begrenzten Anzahl an Abschiebungen in den Zentralirak kommt es jedenfalls aus Deutschland, Großbritannien, Schweden und Australien. Rückführungen aus Deutschland in die Kurdischen Region im Irak (KRI) finden regelmäßig statt. In der KRI gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren. Eine Fortführung dieser Tendenzen wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 12.1.2019).

Studien zufolge ist die größte Herausforderung für Rückkehrer die Suche nach einem Arbeitsplatz bzw. Einkommen. Andere Herausforderungen bestehen in der Suche nach einer bezahlbaren Wohnung, psychischen und psychologischen Problemen, sowie negativen Reaktionen von Freunden und Familie zu Hause im Irak (IOM 2.2018; vgl. REACH 30.6.2017).

Die Höhe einer Miete hängt vom Ort, der Raumgröße und der Ausstattung der Unterkunft ab. Außerhalb des Stadtzentrums sind die Preise für gewöhnlich günstiger (IOM 1.4.2019). Die Miete für 250 m² in Bagdad liegt bei ca. 320 USD (Anm.: ca. 296 EUR) (IOM 13.6.2018). Die Wohnungspreise in der KRI sind 2018 um 20% gestiegen, während die Miete um 15% gestiegen ist, wobei noch höhere Preise prognostiziert werden (Ekurd 8.1.2019). In den Städten der KRI liegt die Miete bei 200-600 USD (Anm.: ca. 185-554 EUR) für eine Zweizimmerwohnung. Der Kaufpreis eines Hauses oder Grundstücks hängt ebenfalls von Ort, Größe und Ausstattung ab. Während die Nachfrage nach Mietobjekten stieg, nahm die Nachfrage nach Kaufobjekten ab. Durchschnittliche Betriebskosten betragen pro Monat 15.000 IQD (Anm.: ca. 12 EUR) für Gas, 10.000-25.000 IQD (Anm.: ca. 8-19 EUR) für Wasser, 30.000-40.000 IQD (Anm.: ca. 23-31 EUR) für Strom (staatlich) und 40.000-60.000 IQD (Anm.: ca. 31-46 EUR) für privaten oder nachbarschaftlichen Generatorenstrom. Die Rückkehr von IDPs in ihre Heimatorte hat eine leichte Senkung der Mietpreise bewirkt. Generell ist es für alleinstehende Männer schwierig Häuser zu mieten, während es in Hinblick auf Wohnungen einfacher ist (IOM 1.4.2019).

Die lange Zeit sehr angespannte Lage auf dem Wohnungsmarkt wird zusehends besser, jedoch gibt es sehr viel mehr Kauf- als Mietangebote. In der Zeit nach Saddam Hussen sind die Besitzverhältnisse von Immobilien zuweilen noch ungeklärt. Nicht jeder Vermieter besitzt auch eine ausreichende Legitimation zur Vermietung (GIZ 12.2019).

Im Zuge seines Rückzugs aus der nordwestlichen Region des Irak, 2016 und 2017, hat der Islamische Staat (IS) die landwirtschaftlichen Ressourcen vieler ländlicher Gemeinden ausgelöscht, indem er Brunnen, Obstgärten und Infrastruktur zerstörte. Für viele Bauerngemeinschaften gibt es kaum noch eine Lebensgrundlage (USCIRF 4.2019). Im Rahmen eines Projekts der UN-Agentur UN-Habitat und des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (UNDP) wurden im Distrikt Sinjar, Gouvernement Ninewa, binnen zweier Jahre 1.064 Häuser saniert, die während der IS-Besatzung stark beschädigt worden waren. 1.501 Wohnzertifikate wurden an jesidische Heimkehrer vergeben (UNDP 28.4.2019).

Es besteht keine öffentliche Unterstützung bei der Wohnungssuche für Rückkehrer. Private Immobilienfirmen können jedoch helfen (IOM 1.4.2019).

2. Beweiswürdigung:

Der festgestellte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich zunächst aus dem Inhalt des Behörden- und Gerichtsaktes, insbesondere aus den Angaben des Beschwerdeführers bei seinen Einvernahmen im Zuge des Verwaltungsverfahrens und in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Hinzu kommen die von ihm vorgelegten Unterlagen sowie Abfragen aus ZMR, AJ-WEB, IZR und Strafregister.

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seinem Gesundheitszustand, seiner Arbeitsfähigkeit, seiner Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Staatsangehörigkeit gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde sowie in der in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht. Auch zum Fluchtzeitpunkt und der Fluchtroute konnte dem Beschwerdeführer gefolgt werden. Seine Identität steht mangels Vorlage von Originaldokumenten nicht zweifelsfrei fest und ergibt sich nur aus vorgelegten Ablichten seines irakischen Personalausweises und Staatsbürgerschaftsnachweises.

Zu seiner Glaubenszugehörigkeit machte der Beschwerdeführer im Laufe des Verfahren widersprüchliche Angaben. So gab er in der Erstbefragung am 28.10.2015 zunächst die sunnitische Richtung des Islam an. In der niederschriftlichen Einvernahme am 11.09.2017 führte er nach seinem Religionsbekenntnis befragt aus: „auf Papier Moslem, aber ich neige eher zur christlichen Religion“ (Niederschrift, S. 4) und gab er weiter an, dass er im Irak heimlich in die Kirche gegangen sei. In Österreich sei er schon christlich, würde es aber nicht so richtig praktizieren und nicht in die Kirche gehen. In der mündlichen Verhandlung am 10.05.2021 gab der Beschwerdeführer wiederrum an, „Sunnit und Atheist“ zu sein (Verhandlungsprotokoll, S. 5). In einer Zusammenschau dieser widersprüchlichen Angaben ist festzuhalten, dass sich der Beschwerdeführer bei zahlreichen Gelegenheiten im gesamten Verfahren nie klar zur christlichen Glaubensgemeinschaft bekannt hat, weshalb davon auszugehen ist, dass er entsprechend seinen Angaben in der Erstbefragung und der mündlichen Verhandlung dem Islam, sunnitische Richtung, angehört.

Dass der Beschwerdeführer eine zumindest zwölfjährige Schulbildung absolvierte, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung, wonach er insgesamt „12 oder 14 Jahre in die Schule gegangen“ sei. Auch die übrigen Feststellungen zu Bildungs- und Berufswerdegang folgen seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung. Selbiges gilt für die Feststellungen zur Familie des Beschwerdeführers.

Verwandtschaftliche Verhältnisse in Österreich wurden nicht behauptet. Aus den vorgelegten Unterstützungsschreiben ist zwar das Bestehen von Bekanntschaften abzuleiten, auf vertiefte Beziehungen ist aus den allgemein gehaltenen Schreiben nicht zu schließen. Insbesondere lebt der Beschwerdeführer alleine und hat damit keine Merkmale, welche für besonders intensive Beziehungen sprechen würden, vorgebracht.

Dass sich der Beschwerdeführer von 24.10.2018 bis 23.04.2019 freiwillig bei einer Kleidersammlung betätigte, ergibt sich aus den vorgelegten Bestätigungen, wobei die jüngste Bestätigung vom 23.04.2019 datiert. Auch für das Verteilen von Werbematerial wurde eine Bestätigung vorgelegt und gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung an, dass seine Entlohnung dafür unterschiedlich ausfällt. Da jedoch der Sozialversicherungsdatenauszug keine Erwerbstätigkeit ausweist und der Beschwerdeführer auch nach wie vor Leistungen der Grundversorgung bezieht, war die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit festzustellen. Der Besuch eines Deutschkurses auf Niveau A2.1 ergibt sich durch die vorgelegte Bestätigung. Ein Deutschzertifikat hat der Beschwerdeführer nicht in Vorlage gebracht. Aufgrund des gewonnenen persönlichen Eindrucks in der mündlichen Verhandlung war festzustellen, dass sich der Beschwerdeführer nicht auf Deutsch verständigen kann. Die vorhandene Sprachbarriere ist auch dem Befund vom 31.05.2021 zu entnehmen.

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und Arbeitsfähigkeit entsprechen seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung. Die Sturzverletzung vom 31.05.2021 führt zu keiner nachhaltigen Änderung.

Seine strafgerichtliche Unbescholtenheit ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.

2.2. Zu den Fluchtgründen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:

Im Rahmen des Asylverfahrens trifft den Asylwerber eine Mitwirkungspflicht. Er muss eine ihm drohende Behandlung oder Verfolgung im Herkunftsstaat glaubhaft machen.

Das Vorbringen des Asylwerbers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, genügt zur Dartuung von selbst Erlebtem grundsätzlich nicht. Das Vorbringen des Asylwerbers ist auch nicht hinreichend substantiiert, wenn Sachverhalte nur sehr vage geschildert werden und der Asylwerber nicht in der Lage ist, detaillierte Angaben über seine Erlebnisse zu machen. Der Beschwerdeführer hatte insgesamt dreimal die Gelegenheit seine Fluchtgründe zu schildern. Dabei war er nicht in der Lage, die erlittene Verfolgung konsistent und plausibel darzulegen.

Der Beschwerdeführer gab sowohl im Rahmen seiner Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 28.10.2015 als auch bei seiner niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 11.09.2017 und vor dem Bundesverwaltungsgericht am 10.05.2021 an, aufgrund einer Bedrohung durch die Miliz Asa'ib Ahl al-Haqq aus dem Irak geflüchtet zu sein. Das Bundesverwaltungsgericht erachtet das gesamte Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers allerdings als äußerst unglaubwürdig, wie im Folgenden näher erläutert wird:

In der niederschriftlichen Einvernahme gab der Beschwerdeführer an, dass ihm vier Tage nach der Eröffnung seines Geschäftes zwei Männer mitgeteilt hätten, dass er wegen des Verkaufs religiöser Gegenstände das Geschäft zu schließen habe. Am 26.05.2015 seien dann drei Personen ins Geschäft gekommen und haben erneut auf die Aufforderung zur Schließung verwiesen. Der Beschwerdeführer habe sie hinausgeschmissen. Schließlich seien am 01.06.2015 fünf Personen gekommen, hätten den Beschwerdeführer verprügelt und ihm die Zähne herausgeschlagen. Dabei hätten sie auch seine Kette mit einem Kreuz und seine Tätowierung eines Kreuzes gesehen und hätten gesagt, als Moslem dürfe er so etwas nicht tragen.

Der belangten Behörde ist allerdings dahingehend beizutreten, dass dieses Vorbringen in wesentlichen Punkten höchst unplausibel ist. So ist etwa nicht nachvollziehbar, wie der Beschwerdeführer am 26.05.2015 drei Männer einer gefährlichen Miliz einfach aus seinem Geschäft hinauswerfen konnte, zumal er auch selbst zunächst angab, dass diese bewaffnet waren. Auf den Vorhalt, wie er diese Männer einfach so hinauswerfen konnte gab der Beschwerdeführer - sich selbst unmittelbar widersprechend an - dass sie nicht bewaffnet waren (Niederschrift, S. 10).

Auch gab der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde als Grund für die angebliche Bedrohung noch an, dass er in seinem Geschäft religiöse Gegenstände wie Kreuze, Bilder von Jesus und Maria oder Kerzen verkauft habe, wohingehend er in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass er aufgrund des allgemeinen Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten nicht in dem Stadtviertel hätte anwesend sein sollen. Auch dass sein Geschäft zerstört worden sei (Verhandlungsprotokoll, S. 5), erwähnte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zum ersten Mal.

Auch der Umstand, dass der Beschwerdeführer sich - laut seinen eigenen Angaben in der niederschriftlichen Einvernahme - nach dem Vorfall am 01.06.2015 angeblich bis Mitte September in seiner Wohnung (dem entgegenstehend in der mündlichen Verhandlung: Haus der Schwester) aufhalten und behandeln lassen konnte, spricht nicht für eine tatsächliche Verfolgung durch eine gefährliche Miliz, zumal die Wohnung angeblich nur rund 500 Meter entfernt war. Selbiges gilt für den Umstand, dass der Beschwerdeführer nach Ende der Behandlung noch bis zum 10.10. zuwarten konnte und erst dann - über vier Monate nach dem angeblichen Angriff - auf legalem Weg den Irak verließ.

In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass die persönliche Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers auch dadurch wesentlich belastet wird, dass er im Laufe des Verfahrens zu mehreren Nebenumständen widersprüchliche Angaben machte. So gab er in der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde ausdrücklich an, sein Wirtschaftsstudium abgeschlossen zu haben (Niederschrift, S. 4), während er vor dem Bundesverwaltungsgericht zu Protokoll gab, dass er das Studium nicht abgeschlossen habe, da er das letzte Jahr nicht geschafft habe (Verhandlungsprotokoll, S. 3). Zu seiner Flucht gab er in der Erstbefragung noch an, von Bagdad mit dem Flugzeug nach Erbil gereist zu sein (Protokoll, S. 5), während er in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich angab, mit dem Auto von Bagdad nach Erbil gefahren zu sein (Verhandlungsprotokoll, S. 4). Auch wenn in diesem Zusammenhang die Erstbefragung nicht überzubewerten ist, kann doch von einem Asylwerber erwartet werden, dass er das Verkehrsmittel mit welchem er nur wenige Wochen zuvor die Ausreise bewältigt hat, zutreffend wiedergeben kann.

Das Bundesverwaltungsgericht gelangte daher aufgrund dieser unplausiblen und widersprüchlichen Angaben des Beschwerdeführers und des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks wie schon die belangte Behörde zu der Überzeugung, dass keine Gründe gegeben sind, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers im Irak von staatlichen und/oder privaten Gruppen aus politischen, rassischen, religiösen Gründen oder aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe glaubhaft erscheinen ließen, sondern dass es sich beim Vorbringen des Beschwerdeführers vielmehr um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt.

Sofern er im Verfahren auf konfessionelle Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten hingewiesen hat, ist ausdrücklich zu betonen, dass eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft, welche mit einem Anteil von ca. 35% bis 40% der Gesamtbevölkerung die größte Gruppe der Minderheiten des Irak darstellen und in allen Gesellschaftsbereichen als auch in der Politik vertreten sind, im Irak nicht existiert (vgl. dazu VwGH 25.04.2017, Ra 2017/18/0014, in welchem einer behaupteten Gruppenverfolgung von Sunniten in einer Revisionssache nicht nähergetreten wurde, oder VwGH 29.06.2018, Ra 2018/18/0138, wo eine Gruppenverfolgung von Sunniten in Bagdad ausdrücklich verneint wurde). Es stünde dem Beschwerdeführer sohin offen, sich etwa in einem mehrheitlich sunnitisch geprägten Stadtteil von Bagdad niederzulassen, zumal laut seinen eigenen Angaben seine Mutter und Schwester in Bagdad leben.

Die belangte Behörde hat den verfahrensgegenständlichen Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen, unter Hinweis darauf, dass für den Beschwerdeführer keine besondere Gefährdungssituation bestehe und im Hinblick auf seine Person auch keine besonderen Vulnerabilitäten gegeben seien. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich auch den tragenden Erwägungen der belangten Behörde hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten an, wonach der Beschwerdeführer als gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung durchaus in der Lage sein wird können, sich im Irak eine Lebensgrundlage zu schaffen, zumal er bereits bis zu seiner Ausreise selbsterhaltungsfähig war und auch auf ein familiäres Netzwerk zurückgreifen wird können.

Selbst wenn er im Irak keine familiäre Unterstützung erfahren sollte, ist diesbezüglich auf die in den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus dem Irak fliehen, vertretene Ansicht hinzuweisen, wonach ein alleinstehender, körperlich leistungsfähiger arabisch-sunnitischer Mann im arbeitsfähigen Alter und ohne identifizierte besondere Vulnerabilitäten - wie der Beschwerdeführer - abhängig von den jeweiligen Umständen möglicherweise sogar in der Lage sein wird können, in der Stadt Bagdad ohne Unterstützung durch seine Familie und/oder seinen Stamm zu bestehen. Diesbezüglich ist jedoch anzumerken, dass seine Schwester mit deren Familie und seiner Mutter in Bagdad leben. Zudem war er in der Vergangenheit in der Lage, sich ein selbständiges Leben in Dubai und Jordanien zu gestalten.

Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19 Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse in Bezug auf den gesunden Beschwerdeführer, der in der mündlichen Verhandlung angab: „Ich bin Sportler und habe keine medizinischen Probleme. Ich gehe jeden Tag auf den Schloßberg in Graz. Zudem fahre ich jeden Tag ca. 35 km mit dem Fahrrad“ (Verhandlungsprotokoll, S. 6).

2.3. Zum Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen und iVm den aktuelleren Berichten von EASO.

Angesichts der Seriosität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie dem Umstand, dass diese Berichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängigen Quellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche darbieten, besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

Die allgemeine Lage im Herkunftsstaat und die dem Bundesverwaltungsgericht dazu vorliegenden Berichte wurden im Zuge der Verhandlung mit dem Beschwerdeführer erörtert (Verhandlungsprotokoll, S 8 f). Der Beschwerdeführer gab an, dass vor zwei Tagen ein Aktivist getötet worden sei und auch viele andere Menschen getötet werden, aber die Medien würden nicht darüber berichten. Es gäbe keinen Strom und die Abflüsse würden auch nicht funktionieren.

Diesbezüglich wird vom Bundesverwaltungsgericht durchaus nicht verkannt, dass es im Irak nach wie vor zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt und auch die infrastrukturelle Versorgung nicht mit jener in Österreich vergleichbar ist, diese Umstände werden allerdings in den umseits zitierten Länderberichten berücksichtigt und sind nicht geeignet, eine Änderung der Gesamteinschätzung zu tragen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde

3.1.    Zur Nichtgewährung von Asyl (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Im Sinne des Art. 1 Absch. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furch nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich in Folge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Selbst in einem Staat herrschende allgemein schlechte Verhältnisse oder bürgerkriegsähnliche Zustände begründen für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Um eine Verfolgung im Sinne des AsylG erfolgreich geltend zu machen, bedarf es einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Herkunftsstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Der Beschwerdeführer konnte – wie in der Beweiswürdigung dargelegt – keine Gründe glaubhaft machen, die auf eine persönliche Verfolgung iSd § 3 Abs. 1 AsylG schließen ließen. Das gesamte Fluchtvorbringen ist nicht glaubhaft. Insbesondere machte der Beschwerdeführer keine konkrete asylrelevante Bedrohung geltend. Allein aus der allgemeinen Sicherheitslage im Irak zum Ausreisezeitpunkt im Zusammenhang mit schiitischen Milizen lässt sich keine persönliche Verfolgung ableiten.

3.2.    Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Im Rahmen der Prüfung des Einzelfalls ist die Frage zu beantworten, ob einem Fremden im Falle der Abschiebung in seinen Herkunftsstaat ein - über eine bloße Möglichkeit hinausgehendes - „real risk“ einer gegen Art 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372). Die dabei aufgrund konkreter vom Fremden aufgezeigter oder von Amts wegen bekannter Anhaltspunkte anzustellende Gefahrenprognose erfordert eine ganzheitliche Bewertung der Gefahren und hat sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen (vgl. VwGH 29.08.2019, Ra 2019/19/0143).

Die Abschiebung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also bezogen auf den Einzelfall die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Zu berücksichtigen ist auch, dass nur bei Vorliegen exzeptioneller Umstände, die dazu führen, dass der Betroffene im Zielstaat keine Lebensgrundlage vorfindet, die Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK angenommen werden kann Das Vorliegen solch exzeptioneller Umstände erfordert detaillierte und konkrete Darlegungen (vgl. VwGH 17.10.2019, Ra 2019/18/0372).

Dem Beschwerdeführer droht im Irak wie oben bereits dargelegt wurde - keine asylrelevante Verfolgung.

Auch dafür, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in den Irak die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre, gibt es im vorliegenden Beschwerdefall keinen Anhaltspunkt. Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund und arbeitsfähig. Zwar ergibt sich aus den Feststellungen, dass das Land sich immer noch von den Folgen des IS-Terrors erholt und die Arbeitslosigkeit hoch ist, andererseits trifft die irakische Regierung Maßnahmen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau der Wirtschaft, welche intensiv vom United Nations Development Programm (UNDP) unterstützt werden. Aufgrund seiner Ausbildung und Arbeitserfahrung im Irak sollte der Beschwerdeführer aller Wahrscheinlichkeit nach in der Lage sein, eine Anstellung zu finden, welche ihm eine zumindest einfache Lebensführung ermöglicht. Auch wenn er - wider Erwarten - keine Unterstützung seiner in Bagdad lebenden Mutter und Schwester erfahren sollte, ändert das nichts an dieser Einschätzung, zumal nach der Ansicht von UNHCR ein arabisch-sunnitisch alleinstehender, körperlich leistungsfähiger Mann wie der Beschwerdeführer in seiner Heimatstadt Bagdad auch ohne Unterstützung durch seine Familie bestehen wird können.

Der Vollständigkeit halber ist aufgrund der aktuellen Situation festzuhalten, dass auch die Ausbreitung der Covid-19 Infektion einer Rückkehr nicht entgegensteht. So ist der Beschwerdeführer 54 Jahre alt, leidet an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und nach eigenen Angaben sehr sportlich. Er fällt damit unter keine Covid-Risikogruppe.

Damit ist der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak nicht in seinem Recht gemäß Art. 3 EMRK verletzt, weil die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz im konkreten Fall gedeckt werden können. Dass der Beschwerdeführer allenfalls in Österreich wirtschaftlich gegenüber seiner Situation im Irak bessergestellt ist, genügt nicht für die Annahme, er würde dort keine Lebensgrundlage vorfinden und somit seine Existenz nicht decken können. Es fehlen im vorliegenden Fall alle Hinweise auf derart exzeptionelle Umstände.

Ganz allgemein besteht im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung im Sinne des Art. 2 und 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPEMRK) ausgesetzt wäre.

3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, erster Satz):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, zweiter Satz)

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.

Gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Zu prüfen ist, ob die von der belangten Behörde verfügte Rückkehrentscheidung mit Art. 8 EMRK vereinbar ist, weil sie nur dann zulässig wäre und nur im verneinenden Fall ein Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG überhaupt in Betracht käme. Die Vereinbarkeit mit Art. 8 EMRK ist aus den folgenden Gründen gegeben:

Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner schlepperunterstützen Einreise im Oktober 2015 rund fünf Jahre und acht Monate in Österreich auf. Die Aufenthaltsdauer für sich stellt lediglich eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar und das persönliche Interesse des Fremden an einem Verbleib in Österreich nimmt grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Daneben ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422).

Der seit Oktober 2015 andauernde Aufenthalt des Beschwerdeführers beruht auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Zudem musste sich der Beschwerdeführer bereits mit der Abweisung seines Asylantrages mit Bescheid vom 13.09.2017 - sohin weniger als zwei Jahre nach seiner Einreise - seines unsicheren Aufenthaltes bewusst sein und verliert ein allfälliges Privat- und Familienleben, welches erst nach der Abweisung seines Asylantrages entstanden ist, dadurch deutlich an Gewicht. Unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK muss zudem nicht akzeptiert werden, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 06.05.2020, Ra 2020/20/0093; 27.02.2020, Ra 2019/01/0471; 28.02.2019, Ro 2019/01/0003).

Familiäre Anbindungen des ledigen und kinderlosen Beschwerdeführers bestehen in Österreich nicht. Hinsichtlich seines Privatlebens ist auszuführen, dass die bisherige Aufenthaltsdauer über fünfeinhalb Jahre beträgt, woraus sich per se das Vorhandensein eines Privatlebens ergibt. Es ist auch unbestritten, dass sich in dieser Zeit persönliche Kontakte und Beziehungen entwickelt haben. Allerdings haben sich keine Hinweise auf eine außergewöhnliche Intensität der privaten Bindungen oder Merkmale einer wechselseitigen Abhängigkeit ergeben und kann auf solche auch aus dem zeitlichen Ablauf nicht geschlossen werden.

Des Weiteren ist die Integration des Beschwerdeführers zu beurteilen, wobei miteinzufließen hat, ob und inwieweit der Beschwerdeführer die in Österreich verbrachte Zeit genutzt hat um sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/20/0422). Es wird durchaus nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer gewisse Integrationsbemühungen erkennen hat lassen. So ist er wiederholt ehrenamtlichen Tätigkeiten nachgegangen und kann in diesem Zusammenhang durchwegs positive Rückmeldungen seiner Kollegen und Bekannten vorweisen. Allerdings ist ebenso zu berücksichtigen, dass er in über fünfeinhalb Jahren des Aufenthaltes nicht nur kein Deutschzertifikat erlangt hat, sondern sich auch nicht auf Deutsch verständigen kann. Er ist zudem seit Beginn seines Aufenthaltes auf staatliche Leistungen angewiesen und haben sich auch sonst keine Hinweise auf eine maßgebliche Integration in beruflicher, kultureller oder sozialer Hinsicht ergeben.

Demgegenüber hat der 54-jährige Beschwerdeführer im Irak den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht, hat sprachliche, familiäre und kulturelle Verbindungen und besteht kein Anhaltspunkt für eine völlige Entfremdung. Er ist gesund, arbeitsfähig und verfügt über umfassende Schulbildung und Berufserfahrung. Es ist somit davon auszugehen, dass er in der Lage sein wird, einen zumindest bescheidenen Lebensunterhalt zu verdienen selbst wenn er keine Unterstützung seiner nach wie vor in Bagdad lebenden Kernfamilie erfahren sollte. Raum für die Annahme einer völligen Entwurzelung im Hinblick auf seinen Herkunftsstaat besteht sohin nicht.

Dem allenfalls bestehenden Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich steht das öffentliche Interesse daran gegenüber, dass das geltende Migrationsrecht auch vollzogen wird, indem Personen, die ohne Aufenthaltstitel aufhältig sind - gegebenenfalls nach Abschluss eines allfälligen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz - auch zur tatsächlichen Ausreise verhalten werden. Auch wenn der Beschwerdeführer durchaus gewisse Integrationsbemühungen erkennen hat lassen, wiegt bei einer Gesamtbetrachtung unter diesen Umständen das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der Durchsetzung der geltenden Bedingungen des Einwanderungsrechts und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt (vgl. VwGH 02.09.2019, Ra 2019/20/0407), schwerer als die schwach ausgebildeten privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich.

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers vermag seine persönlichen Interessen nicht entscheidend zu stärken (vgl. VwGH 25.02.2010, 2010/18/0029).

Die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessenabwägung schlägt somit im Rahmen einer Gesamtschau zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes ergibt eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann und war die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung daher nicht zu beanstanden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG nicht in Betracht kommt.

3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides, dritter Satz):

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist.

Ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ist ausgeschlossen. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/19/0399).

Da dem Beschwerdeführer auch keine Flüchtlingseigenschaft zukommt und der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht, erfolgte die getroffene Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak zu Recht.

3.6. Zum Ausspruch über die Frist zur freiwilligen Ausreise (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):

Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen. Derartige Umstände sind nicht hervorgekommen.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Abschiebung Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz Aufenthaltstitel begründete Furcht vor Verfolgung berücksichtigungswürdige Gründe Fluchtgründe freiwillige Ausreise Frist Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit Interessenabwägung mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung subsidiärer Schutz Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I408.2172359.1.00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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