TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/28 W163 1423906-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.2021
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Entscheidungsdatum

28.06.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §66

Spruch


W163 1423906-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Daniel LEITNER als Einzelrichter über die Beschwerde des Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nepal, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.04.2018, Zahl XXXX , nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß §§ 66, 70 Abs. 3 FPG idgF stattgegeben und der angefochtene Bescheid behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt

I.1. Verfahrensgang

1.       Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein nepalesischer Staatsangehöriger, reiste unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 12.08.2011 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Am 13.08.2011 fand die Erstbefragung des BF vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes statt.

3.       Am 21.11.2011 wurde der BF vor dem Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) niederschriftlich einvernommen.

4.       Mit Bescheid des BAA vom 30.12.2011 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.) und der BF gemäß § 10 Abs 1 Z 2 AsylG aus dem Bundesgebiet nach Nepal ausgewiesen (Spruchpunkt III.).

5.       Eine gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom 05.03.2013 gemäß §§ 3 Abs 1, 8 Abs 1 Z 1 und 10 Abs 1 Z 2 AsylG als unbegründet abgewiesen.

6.       Am 17.04.2013 wurde der BF wegen des rechtswidrigen Aufenthaltes gemäß § 120 Abs 1a FPG angezeigt.

7.       Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 10.07.2013 wurde über den BF aufgrund des unrechtmäßigen Aufenthaltes gemäß § 67 iVm § 120 Abs 1a FPG eine Verwaltungsstrafe von 500,-- Euro verhängt. Darüber hinaus wurde er zur Zahlung von 50,-- Euro als Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens verpflichtet.

8.       Mit Schreiben vom 16.12.2013 erging an die nepalesische Botschaft ein Ersuchen um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates den BF betreffend.

9.       Mit Schriftsatz vom 16.06.2015 stellte der BF durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter den Antrag auf die Duldung des BF im Bundesgebiet sowie einen Antrag auf Ausstellung einer Karte für geduldete.

10.      Der BF erhielt aufgrund der am 10.10.2015 geschlossenen Ehe mit einer bulgarischen Staatangehörigen eine Aufenthaltskarte mit der Gültigkeit von 11.12.2015 bis 11.12.2020.

11.      Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 27.02.2018 wurde dem BF gemäß § 46 Abs 2a und 2b FPG iVm § 19 AVG aufgetragen, zur Einholung eines Ersatzreisedokumentes zum angegebenen Termin und Ort als Beteiligter persönlich zu kommen und an den notwendigen Handlungen zur Erlangung eines Ersatzreisedokumentes mitzuwirken. Ebenso wurden die möglichen Sanktionsmittel im Falle der Nichtbefolgung angeführt.

12.      Am 03.01.2018 teilte das Amt der Wieder Landesregierung, Magistratsabteilung 35, dem BFA mit, dass die Ehe des BF mit Beschluss des BG Hernals vom 12.10.2017 geschieden wurde und die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht weggefallen sind.

13.      Am 01.02.2018 übermittelte die Landespolizeidirektion Wien einen Abschluss-Bericht, wegen des Verdachtes einer Scheinehe betreffend den BF.

14.      Mit Bescheid des BFA vom 01.03.2018 wurde der Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs 4 iVm Abs 1 FPG zurückgewiesen.

15.      Mit Verfahrensanordnung vom 01.03.2018 wurde der BF im Zuge der beabsichtigten Ausweisung gemäß § 66 FPG über das Ergebnis der Beweisaufnahme verständigt und ihm eine Frist für die Stellungnahme von zwei Wochen eingeräumt.

16.      Mit Bescheid des BFA vom 20.04.2018 wurde der BF gemäß § 66 Abs 1 iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs 3 FPG wurde dem BF ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

17.      Gegen Spruchpunkt I. dieses am 26.04.2018 durch Hinterlegung rechtswirksam zugestellten Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde, welche am 04.05.2018 beim BFA einlangte.

18.      Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakte wurden dem Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) am 09.05.2018 vom BFA vorgelegt.

19.      Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 02.06.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF persönlich im Beisein seines rechtlichen Vertreters teilnahm. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das BVwG geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , in XXXX .

Der BF ist Staatsangehöriger von Nepal. Die Muttersprache des BF ist Nepali.

Der Beschwerdeführer ist gesund und arbeitsfähig.

Der BF befindet sich seit August 2011 abgesehen von einem rund vierwöchigen Besuch in Nepal aus Anlass des schweren Erdbebens im Bundesgebiet.

Der BF hat keine Verwandten oder Familienangehörige im Bundesgebiet.

Am 10.10.2015 ehelichte der BF die in Österreich wohnhafte bulgarische Staatsangehörige XXXX , geboren am XXXX . Aufgrund dieser geschlossenen Ehe erhielt der BF eine Aufenthaltskarte mit der Gültigkeit von 11.12.2015 bis 11.12.2020 mit dem Aufenthaltszweck „Angehörige eines EWR-Bürgers oder eines Schweizer Bürgers“. Mit Beschluss des BG Hernals vom 12.10.2017, XXXX , wurde die Ehe des BF geschieden.

Der BF lebt seit rund drei Jahren in einer Lebensgemeinschaft mit einer nepalesischen Staatsangehörigen, welcher der subsidiäre Schutzstatus zukommt. Der BF und seine Lebensgefährtin leben seit rund zwei Jahren in einem gemeinsamen Haushalt.

Der BF ist Hauptmieter einer Wohnung in Wien und zahlt eine monatliche Miete von 340,-- Euro zuzüglich der Stromkosten.

Während seines bisherigen Aufenthaltes im Bundesgebiet war der BF von 07.06.5046 bis 31.03.2013 als gewerblich selbständiger Erwerbstätiger, am 07.05.2014 als Arbeiter, von 02.01.2016 bis 09.04.2016 als Arbeiter, von 10.10.2018 bis 23.03.2020 als geringfügig beschäftigter Arbeiter, von 10.10.2018 bis 31.12.2018 als Vollversicherter und geringfügig beschäftigter Arbeiter sowie seit 11.04.2016 als Arbeiter und zusätzlich seit 18.05.2020 als geringfügig beschäftigter Arbeiter erwerbstätig und versichert. Bei der aktuellen Anstellung als Arbeiter verdient er rund 1250,-- Euro monatlich, bei der aktuellen Anstellung als geringfügig beschäftigter Arbeiter rund 180,-- Euro monatlich.

Der BF hat ein Deutschzertifikat über das Sprachniveau A2 sowie ein Zeugnis zur Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau A2 (Sprachkompetenz und Werte- und Orientierungswissen) erworben. Der BF versteht Fragen des Alltags in deutscher Sprache und kann diese sinnzusammenhängend beantworten.

Der BF hat soziale Kontakte geknüpft und mehrere Empfehlungsschreiben von Privatpersonen vorgelegt, die ihm Wohlverhalten bescheinigen und sich für seinen Verbleib im Bundesgebiet aussprechen. Der BF ist aktives Mitglied im Verein „ XXXX “ und ist dabei auch ehrenamtliche tätig.

Der BF wurde einmal wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes angezeigt. Das Verfahren endete mit einem Straferkenntnis, womit über den BF eine Verwaltungsstrafe von 500,-- Euro verhängt wurde.

Der BF ist zum Zeitpunkt dieser Entscheidung strafrechtlich unbescholten.

II. Beweiswürdigung

Der Beweiswürdigung liegen folgende Erwägungen zugrunde:

II.1. Zum Verfahrensgang

Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unbedenklichen und unzweifelhaften Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des BFA und des Gerichtsaktes des BVwG.

II.2. Zur Person und zum Vorbringen der beschwerdeführenden Partei

Zur Person des Beschwerdeführers

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des BF getroffen wurden, beruhen diese auf den Angaben des BF im Verfahren vor der belangten Behörde und vor dem BVwG sowie der im Akt aufliegenden Kopie des nepalesischen Reisepasses.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zum Geburtsort und zur Muttersprache stützen sich ebenfalls auf die im Akt einliegende Kopie des nepalesischen Reisepasses und auf die Angaben des BF im Verfahren (vgl. zuletzt Protokoll der mV S. 3).

Die Feststellung zum Gesundheitszustand stützen sich auf die Angaben des BF im Verfahren (vgl. zuletzt Protokoll der mV S.3).

Die Feststellung zur Aufenthaltsdauer des BF ergibt sich unstrittig aus dem Zeitpunkt seiner Antragstellung. Dass er sich für rund vier Wochen im Herkunftsstaat aufgehalten hat, ergibt sich aus seinen glaubhaften Angaben in der Beschwerdeverhandlung. Sein Vorbringen, dass er infolge des schweren Erdbebens in Nepal in seinen Herkunftsstaat reiste, war überzeugend.

Dass der Beschwerdeführer weder über Verwandte noch über sonstige Familienangehörige im Bundesgebiet verfügt, ergibt sich aus seinen Angaben in der Beschwerdeverhandlung.

Die Feststellungen zur Verehelichung respektive Scheidung des BF gründen auf dessen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme sowie der Mitteilung des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35. Aus dieser Mitteilung ergibt sich auch die dem BF erteilte Aufenthaltskare mit einer Gültigkeit ab 11.12.2015.

Die Feststellungen rund um die Lebensgemeinschaft, welche der BF führt, beruhen auf dessen Angaben in der Beschwerdeverhandlung.

Dass der BF Hauptmieter einer Wohnung in Wien ist, ergibt sich aus seinen Angaben sowie der in Vorlage gebrachten Vereinbarung einer Mietverlängerung (Anlage ./A der Verhandlungsschrift vom 02.06.2021).

Die Feststellungen zu den Zeiten der Erwerbstätigkeit seit seinem Aufenthalt im Bundesgebiet ergeben sich aus einem vom BF vorgelegten Versicherungsdatenauszug, dem vorgelegten Arbeitsvertrag sowie der Bestätigung über das seit 11.04.2016 bestehende Dienstverhältnis des Restaurants „ XXXX “.

Die Feststellungen zu den Deutschkenntnissen und zu den erworbenen Zeugnissen beruhen auf den in der Beschwerdeverhandlung präsentierten Deutschkenntnissen sowie den vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellungen zu den geknüpften sozialen Kontakten und zur Mitgliedschaft in einem Verein, bei welchem er auch ehrenamtlich tätig ist, ergeben sich aus den vorgelegten Empfehlungsschreiben und der vorgelegten Bestätigung des Vereins.

Die Feststellung zur über den BF verhängten Verwaltungsstrafe ergibt sich aus dem im Akt einliegenden Straferkenntnis.

Die Feststellung, dass der BF zum Zeitpunkt der Entscheidung strafrechtlich unbescholten ist, stützt sich auf die Einsichtnahme in das Strafregister.

III. Rechtliche Beurteilung:

III.1. Zu Spruchteil A)

Gemäß § 2 Abs. 4 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt (Z 1 leg. cit.) und als Drittstaatsangehöriger ein Fremder der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist (Z 10 leg. cit).

Der Beschwerdeführer ist als Staatsangehöriger von Nepal grundsätzlich Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 10 FPG. Durch seine Ehe mit einer EWR-Bürgerin, die ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen hat, erlangte er den Status eines begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG.

Gemäß § 54 Abs. 1 NAG sind Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 NAG genannten Voraussetzungen erfüllen, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft gemäß § 54 Abs. 5 NAG erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 NAG erfüllen und die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 1); die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet (Z 2); ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird (Z 3); es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann (Z 4) oder ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang – solange er für nötig erachtet wird – ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf ( Z 5).

Die entsprechende Bestimmung im NAG lautet:

„§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs 3 und 54 Abs 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.

(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs 2 oder § 54 Abs 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.

(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.

(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.“

Bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts, welches eine Aufenthaltskarte dokumentieren soll, ist nicht automatisch auch der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet beendet. Ein Fremder, für den eine Dokumentation eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts ausgestellt wurde, bleibt selbst bei Wegfall des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts bis zum Abschluss des nach § 55 NAG vorgesehenen Verfahrens gemäß § 31 Abs. 1 Z 2 FPG rechtmäßig aufhältig. Es soll ihm möglich sein, trotz des Wegfalls der Voraussetzungen für ein aus dem Unionsrecht abgeleitetes Aufenthaltsrecht während seines Aufenthalts im Inland auf einen für seinen künftigen Aufenthaltszweck passenden Aufenthaltstitel "umzusteigen", ohne dass dies zur Folge hätte, dass während dieses Verfahrens sein Aufenthalt unrechtmäßig wäre (VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005; siehe auch Abermann et al, Kommentar NAG 2016, § 55 Rz 7 ff).

Kommt die Niederlassungsbehörde – wie hier – bei der Prüfung des Fortbestands der Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zu dem Ergebnis, dass die Voraussetzungen dafür nicht mehr vorliegen, hat sie die in § 55 Abs. 3 NAG vorgesehenen Verfahrensschritte (Befassung des BFA und Information des Betroffenen) zu setzen.

Die Frage des Bestehens des gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechts und der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung hat dann das BFA zu beurteilen (vgl VwGH 17.11.2011, 2009/21/0378). Diese Frage ist anhand des § 66 FPG zu prüfen, ohne dass es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG ankommt. Die Erteilung des vom Beschwerdeführer angestrebten Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ setzt voraus, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Verfahren vor dem BFA unterbleibt.

Der BF ist Staatsangehöriger von Nepal und hat am 10.10.2015 eine in Österreich lebende bulgarische Staatsangehörige im Bundesgebiet geheiratet. Die Ehe wurde am 12.10.2017 geschieden.

Demzufolge erwarb der BF mit seiner seinerzeitigen Verehelichung mit einer Unionsbürgerin den Status des begünstigten Drittstaatsangehörigen iSd. § 2 Abs. 4 Zif. 10 iVm. Zif. 11 FPG und damit ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht, welches mit der Ausfolgung einer Aufenthaltskarte von der zuständigen NAG Behörde dokumentiert wurde. (vgl. VwGH 18.06.2013, 2012/18/0005: wonach der Aufenthalt des Unionsbürgers in Österreich für die Inanspruchnahme des "Rechtes auf Freizügigkeit" genügt.)

Die belangte Behörde hat ihre Entscheidung sohin dem Grunde nach zu Recht auf § 66 FPG gestützt (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/20/0274).

Im vorliegendem Fall wurde die zwischen dem BF und seiner (Ex-)Ehegattin, einer freizügigkeitsbeanspruchenden EWR-Bürgerin, bestehende Ehe nach 2 Jahren und 2 Tagen geschieden. Die Voraussetzungen für den weiteren Bestand eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechtes gemäß § 54 Abs. 5 NAG sind – in Ermangelung einer mindestens drei jährigen Dauer der Ehe – nicht erfüllt. Weder wurde seitens des BF das Vorliegen eines Härtefalles vorgebracht, noch ist das Vorliegen eines solchen durch die einvernehmliche Scheidung der Ehe naheliegend.

Es ist der belangten Behörde sohin im Ergebnis beizupflichten, dass dem BF kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt.

Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Wenn sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben, ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Gemäß § 66 Abs. 2 FPG sind bei einer Ausweisung insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter des Betroffenen, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist gemäß § 66 Abs. 3 FPG zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.

Gemäß § 9 BFA-VG ist ua eine Ausweisung gemäß § 66 FPG, die in das Privat- und Familienleben eines Fremden eingreift, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß

§ 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

Bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden ist regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen (vgl. VwGH 15.01.2020, Ra 2017/22/0047). Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 MRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (vgl. VwGH 26.02.2015, Ra 2015/22/0025; 19.11.2014, 2013/22/0270). Auch in Fällen, in denen die Aufenthaltsdauer knapp unter zehn Jahren lag, hat der VwGH eine entsprechende Berücksichtigung dieser langen Aufenthaltsdauer gefordert (vgl. VwGH 16.12.2014, 2012/22/0169; 09.09.2014, 2013/22/0247; 30.07.2014, 2013/22/0226). Im Fall, dass ein insgesamt mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt für einige Monate unterbrochen war, legte der VwGH seine Judikatur zum regelmäßigen Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt des Fremden zugrunde (vgl. 26.03.2015, Ra 2014/22/0078 bis 0082).

Die Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt ergibt Folgendes:

Der BF hält sich seit 12.08.2011 – sohin bereits seit knapp zehn Jahren – abgesehen von einem rund vierwöchigen Besuch im Herkunftsstaat – durchgehend im Bundesgebiet auf, war und ist erlaubt erwerbstätig sowie sozialversichert und hat sich soziale Kontakte aufgebaut. Bis auf die Nichtmeldung seiner Scheidung von seiner freizügigkeitsberechtigten Ehefrau und der Anzeige und Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen unrechtmäßigen Aufenthalts im Jahr 2013 sind keine verwaltungsrechtlichen Verstöße bekannt.

Durch die Ablegung der Integrationsprüfung, bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf Niveau A2 und zu Werte- und Orientierungswissen, wird der Wille des BF, sich in Österreich dauerhaft aufhalten zu wollen, dokumentiert.

Die seit April 2016 durchgehende und bereits davor bestehende Erwerbstätigkeit des BF in Österreich zeigt, dass der BF willens und in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt durch Arbeit selbst zu finanzieren. Insbesondere seine durchgehende Arbeitstätigkeit bei einem Unternehmen und der zugleich ausgeübten geringfügigen Beschäftigungen lassen darauf schließen, dass der BF auch weiterhin selbsterhaltungsfähig sein wird.

Wenn der BF auch kein Familienleben im Bundesgebiet aufweist, so verfügt dieser jedoch über ein, wie die belangte Behörde im bekämpften Bescheid selbst einräumt, nicht unerhebliches Privatleben. Der BF lebt seit drei Jahren in einer Lebensgemeinschaft und lebt mit seiner Lebensgefährtin seit zwei Jahren in einem gemeinsamen Haushalt. Einige Privatpersonen bescheinigen dem BF Wohlverhalten und sprechen sich für seinen Verbleib im Bundesgebiet aus. Auch ist der BF aktives Mitglied in einem Verein und ist dort ehrenamtlich tätig.

Die bestehenden Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, die sich formal auf einen vierwöchigen Besuch in Nepal aus Anlass des schweren Erdbebens reduzieren, sind vor dem Hintergrund, dass die Eltern und zwei Geschwister des BF in Nepal leben, zu sehen und erreichen kein Ausmaß, das sich bei der Gegenüberstellung der widerstreitenden privaten und öffentlichen Interessen relativierend auswirken würde.

Entsprechend der oben dargestellten ständigen Judikatur des VwGH ist bei einer derart langen Aufenthaltsdauer regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen.

Vor dem Hintergrund, dass dem BF sein ihm nach den Bestimmungen des NAG zustehendes Aufenthaltsrecht bei Fortbestand der Ehe um den Zeitraum von einem weiteren Jahr erhalten geblieben wäre, dem Bestehen eines nicht unerheblichen und schützenswerten Privatlebens, der wirtschaftlichen und finanziellen Verfestigung im Bundesgebiet, der erworbenen Sprachkenntnisse, seines - abgesehen von der unterbliebenen Meldung der erfolgten Ehescheidung und der verhängten Verwaltungsstrafe wegen unrechtmäßigen Aufenthaltes im Jahr 2013 – Wohlverhaltens und des knapp zehnjährigen Aufenthaltes in Österreich, erweist sich eine Ausweisung des BF aus dem Bundesgebiet nach einer Interessensabwägung iSd § 9 BFA-VG daher als unverhältnismäßig, zumal die privaten und familiären Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet jene an seiner Ausweisung überwiegen. Das BVwG hält im gegebenen Zusammenhang klarstellend fest, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 nur dann von Amts wegen zu prüfen ist, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird (§ 58 Abs. 2 AsylG 2005). Ein solcher Fall liegt im gegebenen Zusammenhang nicht vor, sodass das Bundesverwaltungsgericht keinen über die Behebung der angefochtenen Entscheidung hinausgehenden Ausspruch zu tätigen hat. Da Spruchpunkt II unangefochten blieb, hat ein diesbezüglicher Ausspruch zu entfallen.

III.2. Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. dazu die zu Spruchpunkt A zitierte Rechtsprechung), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die in Bezug auf einen Antrag auf internationalen Schutz vom Bundesverwaltungsgericht im Einzelfall vorzunehmende Beweiswürdigung ist – soweit diese nicht unvertretbar ist – nicht revisibel (z.B. VwGH 19.04.2016, Ra 2015/01/0002, mwN). Auch bei Gefahrenprognosen im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 und bei Interessenabwägungen nach Art. 8 EMRK handelt es sich letztlich um einzelfallbezogene Beurteilungen, die im Allgemeinen nicht revisibel sind (z.B. 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 12.10.2016, Ra 2016/18/0039).

Schlagworte

Aufenthaltsdauer Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Behebung der Entscheidung Interessenabwägung private Interessen Privatleben Scheidung Selbsterhaltungsfähigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W163.1423906.2.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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