TE Bvwg Beschluss 2021/7/2 W186 2231798-2

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Veröffentlicht am 02.07.2021
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Entscheidungsdatum

02.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
BFA-VG §17 Abs1
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W180 2231798-2/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX Staatsangehöriger von Somalia , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2021, Zl. 1068655907 – 200277668 beschlossen:

A.)

Der Beschwerde wird gemäß § 17 Abs. 1 BFA - Verfahrensgesetz (BFA-VG) die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.





Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste spätestens am 15.05.2015 illegal nach Österreich ein und stellte am selben Tag seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er sogleich vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.

Der BF gab im Zuge seiner Erstbefragung vom 15.05.2015 an, dass er in Mogadischu geboren worden sei. Er sei ledig und Analphabet. Sein Vater sei bereits verstorben. Er habe noch seine Mutter und zwei Brüder. Er habe nie Dokumente besessen und sei die Reise illegal über mehrere afrikanische Staaten und Italien bis nach Österreich erfolgt. Er habe einen Onkel, der in England aufhältig sei. Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass es in seinem Herkunftsstaat Krieg herrsche. Er habe Angst um sein Leben gehabt und sehe keine Zukunft in seinem Land. Im Fall einer Rückkehr führte der BF aus, dass es in Somalia keine Zukunft gebe und er um sein Leben fürchte.

2. Mit Schriftsatz vom 06.09.2016 brachte der BF, vertreten durch einen bevollmächtigten Vertreter, eine Säumnisbeschwerde ein, welcher mit Erkenntnis des BVwG vom 03.10.2016 stattgegeben wurde.

Mit Schriftsatz des BVwG vom 12.12.2016 wurde das BFA beauftragt, dem BF einzuvernehmen sowie dem BF aktuelle Länderinformationen zu allfälliger Stellungnahme vorzulegen.

3.Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 30.01.2017 führte der BF aus, dass er über Äthiopien, den Sudan, Libyen, wo er sich vier Monate aufgehalten habe, und von Italien nach Österreich eingereist sei. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der BF aus, dass er von der Terrormiliz al Shabaab verfolgt werde. Junge Leute – auch der BF – im Dorf sein von al Shabaab zu einer Sammelstelle gebracht worden, wo sie fotografiert und registriert worden seien. Sie seien aufgefordert worden, im Jihad zu kämpfen. Aus Angst hätten sie – auch der BF – zugestimmt. Der BF habe den Vorfall seiner Mutter erzählt, die ihn und seinen Bruder zum Onkel nach Beledweyne geschickt habe. Sein Bruder habe dort dann im Hotel eine Arbeitsstelle gefunden, sei von al Shabaab gefunden und getötet worden. Seine Mutter sei von al Shabaab bedroht worden, dass auch der Beschwerdeführer umgebracht werden würde. Die Mutter sei dann zum Onkel gegangen und habe um Hilfe gebeten. Auf Nachfrage meinte der BF, dass dies alle Fluchtgründe seien.

4. Am 14.06.2017 fand am BVwG eine mündliche Verhandlung statt.

5. Mit Erkenntnis des BVwG vom 24.07.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 15.05.2015 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt A), I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt (Spruchpunkt A), II.) sowie gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter bis zum 24.07.2018 erteilt (Spruchpunkt A), III.). Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde die Revision als nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B)).

Begründend führte das BVwG aus, dass aufgrund des persönlichen Auftritts des BF in der Beschwerdeverhandlung, den Ungereimtheiten sowie den vielen Widersprüchen während seiner Einvernahme vor dem BFA das Vorbringen des BF nicht glaubwürdig gewesen sei und sohin dem Verfahren nicht zugrundegelegt worden sei. Der BF habe wiederholt angeführt, dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Familie in Somalia pflege. Er wisse nicht, wo sich seine Familie aufhalten würde. Insbesondere habe der BF nicht versucht, mit aktuellen schlechten Nachrichten aus dem Herkunftsstaat eine spezielle Gefährdungssituation im Fall einer Rückkehr von ihm dorthin zu konstruieren, weshalb dem BF geglaubt worden sei, dass er über den Aufenthalt seiner Familie im Herkunftsstaat nicht Bescheid wisse. Der tatsächliche Aufenthalt der Familie des BF sei daher nicht feststellbar gewesen. Zum Entscheidungszeitpunkt sei aufgrund der Berichtslage im Zusammenhang mit der Dürre in Somalia vor allem für Süd- und Zentralsomalia von einer allgemein schlechten Grundversorgungslage ausgegangen und der BF, als Angehöriger einer Nomadenfamilie, die von der Landwirtschaft bzw. Viehhaltung gelebt habe, besonders hart von der zum Entscheidungszeitpunkt herrschenden allgemein schlechten Grundversorgungslage in Somalia betroffen sei, war in Zusammenschau aller Faktoren im gegenständlichen Fall davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer realen Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung entgegen Art. 3 EMRK ausgesetzt gewesen wäre. Es gebe keine innerstaatliche Fluchtalternative.

6. Mit Schriftsatz des BFA vom 16.08.2018 wurde der BF informiert, dass gegen ihn ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich des ihm gewährten Status des subsidiär Schutzberechtigten mit 16.08.2018 eingeleitet worden sei, zu welchem der BF am 07.09.2018 niederschriftlich einvernommen wurde.

7. Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA gab der BF an, dass er wegen der al Shabaab geflüchtet sei. Der BF gab dieselben Fluchtgründe wie in seinem bereits rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vor dem BVwG an. Auf Vorhalt, dass seinem Fluchtvorbringen im letzten Verfahren rechtskräftig nicht geglaubt worden sei und dem BF subsidiärer Schutz nur wegen der durch die damals herrschende Dürre und der damit verbundenen aussichtslosen Lage für den BF gewährt wordensei und es im Interesse des BF liegen würde, wenn er wahrheitsgemäß antwortet, gab der BF an, dass er nicht wegen der Dürre geflüchtet sei, sondern wegen der al Shabaab, die ihn töten wollen würde. Der BF sei sich der Lage im Herkunftsstaat bewusst. Die Dürre sei jedenfalls nicht der Grund für die Flucht gewesen. Er habe auch nie Probleme mit der Dürre gehabt.

Zu seinem Privat- und Familienleben führte der BF aus, dass er seit Mai 2015 in Österreich aufhältig sei. Der BF habe keine Unterkunft. Er lebe am Bahnhof in Innsbruck. Er sei nach Vorarlberg gezogen, habe aber dort nicht mehr leben wollen, weil er EUR 200,00 selbst für die Miete hätte zahlen müssen. Dann wären ihm EUR 250,00 zur Verfügung gestanden. Daher habe er zurück nach Innsbruck wollen, wo er eine Mindestsicherung in der Höhe von EUR 647,00 bekommen hätte. Er sei nicht Mitglied in irgendwelchen Vereinen oder Organisationen. Der BF habe keine Deutschkenntnisse. Der BF habe keine Unterlagen zum Nachweis von Deutschkenntnissen vorlegen können. Nachgefragt, ob der BF seine Woche auf Deutsch schildern könne, habe der BF keinen konkreten Satz auf Deutsch sagen können. Der BF sei nicht verheiratet und habe keine Kinder. Der BF habe keine Freunde in Österreich. Der BF wolle eine Arbeit suchen, nachdem er Deutsch gelernt habe. Auf Vorhalt, dass der BF seit Mai 2015 in Österreich aufhältig sei und daher genug Zeit gehabt habe, Deutsch zu lernen, führte der BF aus, dass es in seinem Heim keine Deutschkurse gegeben habe. Der BF gab selbst an, dass er überhaupt nicht integriert sei in Österreich.

Der BF habe weiterhin keinen Kontakt zu seiner Familie. Seine Mutter kenne sich mit dem Internet nicht aus, weshalb er keinen Kontakt aufbauen könne. Telefonnummern seiner Familie habe er nicht. Der BF habe auch seinen Onkel nicht finden können im Internet. Jedenfalls hätten noch seine Mutter und zwei Brüder in Ceel Gaal, sein Onkel in Beledweyne gewohnt, als er Somalia verlassen habe. Auf die Bitte, ob die Leitung der Amtshandlung einen Blick auf das Handy des BF werfen dürfte, habe der BF sich einverstanden erklärt und das Handy zur freien Durchsicht vorgelegt. Dabei seien Kontakte wie „Hooyo“ (Mutter auf Deutsch) und „Habo Xamilo“ (Tante auf Deutsch) gespeichert gewesen, von denen „Hooyo“ zuletzt am 30.08.2018 angerufen worden sei. Auf diesen Vorhalt gab der BF an, dass das Handy nicht ihm gehöre.

8. Mit Bescheid des BFA vom 16.10.2018 wurde der dem BF zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.), gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 die dem BF erteilte befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter entzogen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach § 52 As. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), die Abschiebung nach Somalia für zulässig erklärt (Spruchpunkt V.), eine Frist in der Dauer von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.) sowie der Antrag des BF auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 03.04.2018 gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA aus, dass im Zeitraum Juni bis September 2018 jüngster Länderberichte zufolge infolge mittlerer bis starker Regenfälle in fast allen Landesteilen eine Entspannung bei der Nahrungsmittelversorgung festgehalten worden sei. Es sei mit einer überdurchschnittlichen Ernte zu rechnen und in der Landwirtschaft gebe es wieder Arbeitsmöglichkeiten auf Normalniveau. Von besonderer Bedeutung sei die bereits eingetretene Normalisierung der Lebensmittepreise, welche selbst armen Haushalten wieder ermöglicht worden sei, mit einem einzelnen Tageseinkommen eine Menge Getreide zu erwerben, welche die Versorgung für einen maßgeblichen Zeitraum sicherstellen könne. Der BF gehöre keine vulnerablen Personengruppe und weise keine sonstige in seiner Person gelegenen Merkmale auf, welche eine Gefährdungslage begründen würden. Eine innerstaatliche Fluchtalternative gebe es nicht.

9. Am 11.03.2020 stellte der BF erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am selben Tag erstbefragt und am 13.05.2020 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen wurde.

Im Zuge der Erstbefragung gab der BF an, er habe sich von Oktober 2018 bis Dezember 2019 in Frankreich, danach vom 20.01.2020 bis 06.03.2020 in Deutschland aufgehalten. Am 06.03.2020 sei er zurück nach Österreich gekommen und stellte seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz. In Frankreich habe der BF ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er sei aber aufgrund eines Treffers im System EURODAC nach Österreich verwiesen worden, weil Österreich zuständig für den Folgeantrag zuständig sei. Der BF würde gerne den Status des subsidiär Schutzberechtigen erteilt bekomme.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF dieselben Gründe wie bei seinem Erstantrag an. Die al Shabaab habe seinen Bruder getötet und nun habe er Angst um sein Leben.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme gab der BF an, er sei nach Frankreich geflüchtet, da sein Status als subsidiär Schutzberechtigter rechtkräftig mit Bescheid aberkannt worden sei. Er habe Angst gehabt davor, dass Österreich ihn nach Somalia abschieben könnte. In Somalia habe sich viel geändert, insbesondere sei es zu Überflutungen gekommen, wodurch Menschen gestorben seien. Es gebe weiterhin eine Dürre. Auf Vorhalt, dass der BF im Aberkennungsverfahren angab, nicht wegen der Dürre geflüchtet zu sein, meinte er, dass Österreich ihm den Schutz wegen der Dürre gewährte.

Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass er seine Fluchtgründe vom Erstverfahren aufrechthalte. Sein Neffe sei im Jänner 2020 – als der BF in Frankreich gewesen sei –von al Shabaab getötet worden. Der BF habe dies von seiner Mutter erfahren, die den BF angerufen habe. Sie wohne in einem Dorf und komme gelegentlich in eine Stadt, von wo sie den BF anrufen würde. Bei einer Rückkehr würde der BF sicherlich auch getötet werden.

Der BF habe Freund ein Innsbruck. In Großbritannien lebe ein Onkel des BF, mit dem er seit drei Jahren keinen Kontakt mehr habe. Der BF habe in den Asylunterkünften und beim Magistrat in Imst gearbeitet, wo er EUR 3,00 pro Stunde bekommen habe. Deutschkurse habe er im Jahre 2017 besucht, als er subsidiären Schutz bekommen habe. Bei einem Fahrradunfall im Jahr 2016 habe der BF seinen rechten Ellbogen gebrochen, seitdem habe er eine leichte Behinderung.

10. Mit Bescheid des BFA vom 27.05.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I., II.), kein Aufenthaltstitel nach § 57 AsylG 2005 erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), Die Abschiebung nach Somalia für zulässig erklärt (Spruchpunkt V.), keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.), ein befristetes Einreiseverbot in der Dauer von 2 Jahren erlassen (Spruchpunkt (VII.) sowie dem BF aufgetragen, Unterkunft in einem bestimmten Quartier ab dem 11.03.2020 aufzunehmen (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA aus, dass, sofern der BF das Vorbringen vom Erstverfahren aufrechthalte, dieses bereits wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei. Dem neuen Vorbringen, der Neffe des BF sei durch die al Shabaab getötet worden, wohne kein glaubhafter Kern inne. Dieses Vorbringen baue auf das Vorbringen im bereits rechtskräftig abgeschlossenem Verfahren auf, weshalb es nach den Denkgesetzen der Logik als unglaubwürdig zu werten sei.

11. Gegen den Bescheid vom 27.05.2020 erhob der BF fristgerecht Beschwerde, die das BVwG mit Erkenntnis vom 23.04.2021 in allen Punkten abwies, mit der Ausnahme des Spruchpunktes VII. hinsichtlich des Einreiseverbotes, das von einer Dauer von zwei Jahren auf ein Jahr herabgesetzt wurde.

2. Gegenständliches Verfahren

Der BF stellte am 04.05.2021 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am selben Tag erstbefragt und am 28.05.2021 vor dem BFA niederschriftlich einvernommen wurde.

Im Zuge der Erstbefragung gab der BF hinsichtlich seiner Reiseroute an, dass er vom 15.05.2015 bis Oktober 2018 in Österreich, danach von Oktober 2018 bis Jänner 2020 in Frankreich, danach von Jänner 2020 bis März 2020 in Deutschland, dann von März 2020 bis Juli 2020 wieder in Österreich, danach von Juli 2020 bis 04.05.2021 in Deutschland und seit dem 04.05.2021 wieder in Österreich aufhältig sei.

Zu seinen Fluchtgründen führte der BF aus, dass er seine Fluchtgründe von den ersten beiden Verfahren aufrechthalte. Weiters brachte er vor, dass sein jüngerer Bruder Mitte 2019 in Baladweyne von al Shabaab getötet worden sei. Somalia sei daher für ihn gefährlich. Den Asylantrag stelle der BF deshalb, weil die Deutschen ihn nach Österreich gebracht hätten. Der BF selbst habe nicht nach Österreich kommen wollen. Bei einer Rückkehr habe der BF Angst davor, getötet zu werden, und zwar durch die Hand der al Shabaab.

Der BF führt weiters aus, dass ihm in Österreich bereits im Jahre 2017 subsidiären Schutz gewährt worden sei, dieser aber 2018 aberkannt worden sei, weil sich die Lage in Somalia gebessert habe. Daher sei der BF nach Frankreich gegangen, wo er einen Asylantrag gestellt habe. Frankreich habe den BF sodann wieder nach Österreich gebracht. Der BF wolle von Österreich wieder subsidiären Schutz. Sofern der BF in Österreich nicht bleiben könne, würde er wieder nach Deutschland gehen. Österreich solle den BF nur in Ruhe lassen und ihn nicht ständig nach Österreich zurückholen. Der BF wolle gar nicht nach Österreich. Österreich solle den BF endlich in Ruhe lassen, weil Österreich schon alles gefragt habe.

Aus dem Aktenvermerk vom 05.05.2021 des BFA geht hervor, dass der BF am 18m08.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz in Deutschland gestellt habe. Nach erfolgter Dublin-Zustimmung Österreichs wurde der BF am 04.05.2021 von Deutschland nach Österreich überstellt. Der Antrag sei daher nach der Judikatur des VwGH am 18.08.2020 in Österreich gestellt worden. Mit 04.05.2021 (Anordnung des BFA gemäß § 43 Abs. 1 BFA-VG) sei der Antrag auf internationalen Schutz vom 18.08.2020 beim BFA eingebracht worden.

Im Zuge seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 28.05.2021 gab der BF zu seinen persönlichen Verhältnissen an, er sei gesund und leide an keinen schwerwiegenden Krankheiten. Befragt, warum der BF einen dritten Antrag stellt, führt dieser aus, dass sein zweiter Antrag zurückgewiesen worden sei. Die dagegen erhobene Beschwerde sei abgewiesen worden. Der BF sei dann nach Deutschland gegangen, wo ihm gesagt worden sei, dass Österreich für ihn zuständig sei. Der BF habe gedacht, dass er in Österreich wieder subsidiären Schutz bekommen habe. Deshalb sei er nach Österreich zurückgekehrt.

Die Amtsleitung erläutert dem BF die Dublin-III-VO. Der BF gab weiters an, dass er Österreich sehr gerne möge. Als er seinen ersten Antrag gestellt habe, habe er für ein Jahr subsidiären Schutz bekommen. Er habe sich sehr gefreut und sein Leben habe sich geändert. Er sei sehr froh gewesen und habe sich an die Gesetze in Österreich gehalten. Der BF sei nicht mal schwarzgefahren. Plötzlich sei ihm der subsidiäre Schutz wieder aberkannt worden und er wisse nicht warum. Seit drei Jahren habe er ein wirklich schweres Leben. Er sei dann nach Frankreich gegangen und habe Asyl beantragt. Dort sei dem BF gesagt worden, dass Österreich zuständig sei. Der BF habe sich sehr gefreut, weil er gedacht habe, jetzt werde es besser. Er habe sich gefreut und es sei wie ein „Nachhausekommen“ gewesen. Er habe aber wieder einen Asylantrag stellen müssen, der zurückgewiesen worden sei. Der BF sei dann nach Deutschland gegangen, wo ihm gesagt worden sei, dass er Österreich müsse. Er habe sich wieder gefreut und nun sitze er wieder hier. Er habe die Bitte an das BFA, dass man ihm wieder subsidiären Schutz gewähre. Schon langsam sei der BF psychisch am Ende, er wisse schon nicht mehr, was er tun solle.

Auf Nachfrage führte der BF aus, dass sich die Situation in Somalia verschlechtert habe. Vor seiner Ausreise sei sein älterer Bruder getötet worden, vier Jahre später im Jahr 2019 – der BF sei schon in Österreich gewesen – sei sein jüngerer Bruder getötet worden. Beide Brüder seien von al Shabaab getötet worden.

Der BF sei von Juli 2020 bis 04.05.2021 in Deutschland gewesen.

Der BF habe die Länderinformationen zu seinem Herkunftsstaat nicht gelesen und daher auf eine Stellungnahme verzichtet.

Der BF ersucht die Amtsleitung, seine Daten aus dem österreichischen Informationsregister zu löschen, damit er eine Chance in anderen Staaten habe. Ansonsten solle man ihm einen Aufenthaltstitel gewähren.

Mit Bescheid des BFA vom 09.06.2021 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache nach § 68 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkte I. und II.).

Begründend führte das BFA aus, dass hinsichtlich des aufrechtgehaltenen Vorbringens bereits eine rechtskräftige Erledigung vorliegen würde. Sofern sich das Vorbringen auf den Mord des jüngeren Bruders durch den al Shabaab beziehe, sei festgehalten worden, dass dies auf einem unglaubwürdigen Kern aufbaue, über den bereits rechtskräftig entschieden worden sei, sodass diesem Vorbringen kein glaubhafter Kern innewohne. Eine neuerliche Rückkehrentscheidung war nicht zu erlassen, da eine aufrechte Rückkehrentscheidung noch bestünde.

Mit Schriftsatz vom 23.06.2021 erhob der BF, vertreten durch die BBU GmbH fristgerecht wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltlicher Rechtswidrigkeit Beschwerde. Die belangte Behörde habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt. Die Situation im Herkunftsstaat habe sich eindeutig verschlechtert. Es habe durchschnittlich 285 sicherheitsrelevante Vorfälle pro Monat gegeben. Die meisten Vorfälle waren dem al Shabaab geschuldet, sogar unter Einsatz von Sprengstoffen. Die Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat sei so prekär, dass eine unmenschliche oder erniedrigende Lage des BF iSd Art 3 EMRK mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nicht auszuschließen sei. Es wird daher beantragt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen (1.), in der Sache selbst zu entscheiden und dem Antrag des BF auf internationalen Schutz Folge zu geben und ihm den Status des Asylberechtigten zuzuerkennen (2.1), in eventu dem BF subsidiären Schutz zu gewähren, und zwar in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Somalia (2.2), in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Entscheidung der belangten Behörde zurückzuverweisen (3.).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

Der unter Punkt I. geschilderte Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt

Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

Aus der dem BVwG zum derzeitigen Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Aktenlagen, insbesondere aufgrund der aktuell im Herkunftsstaat bedingt durch die Covid-19-Pandemie, der Heuschreckenplage sowie der Überschwemmungen bestehenden Hungersnot, ist im Hinblick auf die Person des BF, der aus einer Nomadenfamilie kommt, die ihren Lebensunterhalt durch Viehzucht und Landwirtschaft bestritt, nach Durchführung einer Grobprüfung eine Verletzung einzelner durch die EMRK garantierter Rechte bei einer Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat Somalia angesichts der kurzen Entscheidungsfrist nicht mit der in diesem Zusammenhang erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden.

2. Beweiswürdigung

Der angeführte entscheidungswesentliche Sachverhalt gründet sich auf den Inhalt der Akten der belangten Behörde und des BVwG. Weiters gründen sich die dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen auf Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes und schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung

Zu Spruchteil A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013, sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 17 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idF BGBl. I Nr. 145/2017, hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben des BF als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

Aus der dem BVwG zum derzeitigen Entscheidungszeitpunkt zur Verfügung stehenden Aktenlagen, insbesondere aufgrund der aktuell im Herkunftsstaat bedingt durch die Covid-19-Pandemie, der Heuschreckenplage sowie der Überschwemmungen bestehenden Hungersnot, ist im Hinblick auf die Person des BF, der aus einer Nomadenfamilie kommt, die ihren Lebensunterhalt durch Viehzucht und Landwirtschaft bestritt, nach Durchführung einer Grobprüfung eine Verletzung einzelner durch die EMRK garantierter Rechte bei einer Rückführung des BF in seinen Herkunftsstaat Somalia angesichts der kurzen Entscheidungsfrist nicht mit der in diesem Zusammenhang erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden.

Daher war der Beschwerde gemäß § 17 Abs. 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG entfallen.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben. Ob ein Fluchtvorbringen als glaubhaft zu qualifizieren ist, ist zudem im Rahmen der Beweiswürdigung zu beurteilen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W186.2231798.2.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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