Entscheidungsdatum
06.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G308 2188223-1/13E
G308 2188225-1/15E
G308 2188219-1/11E
G308 2226556-1/10E
G308 2240981-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX , geboren am XXXX , 2.) der XXXX , geboren am XXXX , 3.) des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , 4.) des minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , und 5.) der minderjährigen XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Irak, die minderjährigen Beschwerdeführer gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Julia M. KOLDA, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.01.2018 (hinsichtlich 1. bis 3.), vom 19.11.2019 (hinsichtlich 4.) und vom 25.02.2021 (hinsichtlich 5.), Zahlen: zu 1.) XXXX , zu 2.) XXXX , zu 3.) XXXX , zu 4.) XXXX , und zu 5.) XXXX , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2021, zu Recht:
A)
I. Die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide werden gemäß
§ 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und den Beschwerdeführern gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
IV. Die übrigen Spruchpunkte der angefochtenen Bescheide werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Aus dieser Ehe stammen die minderjährigen Beschwerdeführer, wobei der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin in Österreich nachgeboren wurden.
2. Der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der damals bereits geborene Drittbeschwerdeführer reisten gemeinsam illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie jeweils am 05.08.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 stellten.
3. Am 05.08.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin zu ihren Anträgen auf internationalen Schutz statt.
4. Die niederschriftlichen Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Tirol, fanden jeweils am 20.12.2017 statt.
5. Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes jeweils vom 30.01.2018 wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz des Erst- und Drittbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
6. Gegen diese Bescheide erhoben der Erst- und Drittbeschwerdeführer sowie die Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam mit Schriftsatz ihrer damaligen bevollmächtigten Rechtsvertretung vom 01.03.2018, beim Bundesamt am selben Tag einlangend, fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, den Beschwerden stattgeben und den Beschwerdeführern den Status der Asylberechtigten oder allenfalls der subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu die Rückkehrentscheidung aufheben und feststellen, dass eine Abschiebung „auf Dauer unzulässig ist“; in eventu die angefochtenen Bescheide aufheben und die Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
7. Die gegenständlichen Beschwerden des Erst- und Drittbeschwerdeführers sowie der Zweitbeschwerdeführerin und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 06.03.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
8. Am XXXX wurde in Österreich der minderjährige Viertbeschwerdeführer geboren. Am 29.10.2019 stellte der Erstbeschwerdeführer für diesen ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens. Der Antrag bezog sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.
9. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.11.2019 wurden der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz des minderjährigen Viertbeschwerdeführers sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, dem Viertbeschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
10. Gegen den, den Viertbeschwerdeführer betreffenden, Bescheid des Bundesamtes wurde mit Schriftsatz der damaligen Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 10.12.2019, am selben Tag beim Bundesamt einlangend, ebenfalls fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem Viertbeschwerdeführer den Status des Asylberechtigten oder allenfalls des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu die Rückkehrentscheidung aufheben und feststellen, dass eine Abschiebung „auf Dauer unzulässig ist“; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
Begründend wurde im Wesentlichen auf die Flucht- und Beschwerdegründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen.
11. Die gegenständliche Beschwerde des Viertbeschwerdeführers und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 13.12.2019 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.
12. Mit am 11.09.2020 beim Bundesverwaltungsgericht einlangender Eingabe wurde ein Konvolut an Integrationsunterlagen der Beschwerdeführer vorgelegt.
13. Am XXXX wurde in Österreich die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin geboren. Am 14.12.2020 stellte die Zweitbeschwerdeführerin für diese ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens. Der Antrag bezog sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin.
14. Am 02.02.2021 langte eine Vollmachtsbekanntgabe einer Rechtsvertretung (BBU GmbH) der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.
15. Mit Bescheid des Bundesamtes vom 25.02.2021 wurden der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz der minderjährigen Fünftbeschwerdeführerin sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, der Fünftbeschwerdeführerin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).
16. Gegen den, die Fünftbeschwerdeführerin betreffenden, Bescheid des Bundesamtes wurde mit Schriftsatz der damaligen Rechtsvertretung der Beschwerdeführer vom 30.03.2021, am selben Tag beim Bundesamt einlangend, ebenfalls fristgerecht das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und dem Viertbeschwerdeführer den Status des Asylberechtigten oder allenfalls des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu die Rückkehrentscheidung aufheben, feststellen, dass eine Abschiebung „auf Dauer unzulässig ist“ und einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 55, 57 AsylG erteilen; in eventu den angefochtenen Bescheid aufheben und das Verfahren an das Bundesamt zurückverweisen.
Begründend wurde im Wesentlichen auf die Flucht- und Beschwerdegründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin verwiesen, aber auch ausgeführt, die Viertbeschwerdeführer habe als Mädchen aus „Afghanistan“ [sic!] schon eigene Fluchtgründe, die durch Einvernahme der Mutter (Zweitbeschwerdeführerin) ermittelt hätten werden müssen. Auch sei der Verweis auf die dem Bescheid der Zweitbeschwerdeführerin zugrundeliegenden Länderinformationen unzulässig. Diese seien bereits veraltet, da der Bescheid der Mutter vom 30.01.2018 stamme.
17. Am 09.04.2021 langte die Vollmachtsanzeige der nunmehrigen bevollmächtigten Rechtsvertretung der Beschwerdeführer beim Bundesverwaltungsgericht ein.
18. Am 29.04.2021 wurde die Vollmacht der ehemaligen Rechtsvertretung (BBU GmbH) zurückgezogen.
19. Gemeinsam mit der Ladung vom 21.04.2021 zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 18.05.2021 wurden den Beschwerdeführern vorab aktuelle Länderberichte zur allgemeinen Lage im Irak, nämlich das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020, sowie einige Berichte zur COVID-19 Lage im Nahen Osten übermittelt und so in das Verfahren eingebracht.
20. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.05.2021 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin, ihre Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde erschien nicht zur mündlichen Verhandlung.
Die gegenständlichen Beschwerdeverfahren wurden vom Bundesverwaltungsgericht zur gemeinsamen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG verbunden.
Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung wurden vom Bundesverwaltungsgericht mit der Ladung vorab übermittelte Länderberichte sowie von der Rechtsvertretung ergänzend eingebrachte Berichte, darunter insbesondere Länderinformationen der BFA-Staatendokumentation zum Stand 14.05.2020 erörtert und von der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung auch eine mündliche Stellungnahme dazu abgegeben.
Seitens der Rechtsvertretung wurde darüber hinaus ein Konvolut an Integrationsunterlagen für die Beschwerdeführer vorgelegt und wurden diese in Kopie zum Akt genommen.
Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.
21. Mit am 14.06.2021 einlangender Urkundenvorlage wurde ein Zeugnis der Zweitbeschwerdeführerin über eine bestandene Integrationsprüfung auf Niveau A2 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum), sind Staatsangehörige des Irak, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Ihre gemeinsame Muttersprache ist Arabisch. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander seit 2012 verheiratet. Aus dieser Ehe stammen der minderjährige Drittbeschwerdeführer und der in Österreich nachgeborene minderjährige Viertbeschwerdeführer sowie die in Österreich nachgeborene minderjährige Fünftbeschwerdeführerin (vgl. etwa Erstbefragungen jeweils vom 05.08.2015, AS 5 ff Erstbeschwerdeführer und AS 1 ff Zweitbeschwerdeführerin; aktenkundige Kopie der im Original vorgelegten irakischen Reisepässe, AS 65 Erstbeschwerdeführer, AS 63 ff Zweitbeschwerdeführerin und AS 63 ff Drittbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der im Original vorgelegten irakischen Personalausweise, AS 161 ff Erstbeschwerdeführer, AS 29 ff Zweitbeschwerdeführerin und AS 17 ff Drittbeschwerdeführer; aktenkundige Kopien der im Original vorgelegten irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise, AS 165 Erstbeschwerdeführer und AS 27 Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt jeweils vom 20.12.2017, AS 231 ff Erstbeschwerdeführer und AS 159 ff Zweitbeschwerdeführerin; aktenkundige Kopie der irakischen Heiratsurkunde, AS 73 ff Zweitbeschwerdeführerin; Kopie österreichische Geburtsurkunde, AS 7 Viertbeschwerdeführer; Kopie österreichische Geburtsurkunde, AS 3 Fünftbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 3 ff).
Der Erstbeschwerdeführer ist in XXXX (im Folgenden: B.)/Gouvernement Diyala geboren und aufgewachsen. Er hat dort sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre die Mittelschule, drei Jahre ein Gymnasium und dann eine dreijährige Ausbildung an der Kunstakademie Diyala absolviert und 2011 mit einem Bachelor abgeschlossen. Bereits neben der Schule und dem Studium begann der Erstbeschwerdeführer im Alter von fünfzehn Jahren nebenbei und später hauptberuflich bis zur Ausreise aus dem Irak Anfang Juli 2015 in den Geldwechselstuben seines Vaters in B. zu arbeiten. Der Erstbeschwerdeführer erwirtschaftete ein monatliches Einkommen von durchschnittlich USD 2.000,00 und konnte die Zweitbeschwerdeführerin und den damals bereits geborenen Drittbeschwerdeführer gut erhalten. Die Beschwerdeführer lebten im Elternhaus des Erstbeschwerdeführers in B. (vgl. etwa Erstbefragung vom 05.08.2015, AS 5 ff Erstbeschwerdeführer; Kopie des im Original vorgelegten Abschlusszeugnisses als Kunstlehrer, AS 105 ff; Niederschrift Bundesamt vom 04.12.2017, AS 232 ff Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 6 ff).
Der Vater des Erstbeschwerdeführers ist am XXXX .2019 verstorben. Seine Mutter lebt alleine nach wie vor in B., ist aber auf die finanzielle Unterstützung der im Ausland lebenden Brüder des Erstbeschwerdeführers angewiesen. Zwei Brüder des Erstbeschwerdeführers reisten im August 2015 nach Schweden, wo beiden inzwischen ein Daueraufenthaltsrecht zukommt. Der dritte Bruder lebt mit seiner serbischen Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kind in Serbien. Ein weiterer Bruder des Erstbeschwerdeführers starb bereits 2007 im Alter von zehn Jahren durch Schussverletzungen im Zuge der konfessionellen Konflikte im Irak. Drei Onkel des Erstbeschwerdeführers mütterlicherseits leben in Schweden, zwei weitere in Norwegen. Im Irak leben nur noch Halbgeschwister seiner Mutter, zu diesen besteht aber keinerlei Kontakt. In Österreich hat der Erstbeschwerdeführer keine weiteren Angehörigen (vgl. Niederschrift Bundesamt vom 20.12.2017, AS 232 ff Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 6 ff & 9 samt in der Verhandlung vorgelegter und übersetzter Sterbeurkunde des Vaters und des Bruders).
Die Zweitbeschwerdeführerin ist zwar in Bagdad geboren, jedoch stammt ihre Familie aus Diyala, wo die Zweitbeschwerdeführerin auch aufgewachsen ist und dort ebenfalls sechs Jahre die Grundschule, drei Jahre eine Mittelschule und drei Jahre Gymnasium absolvierte. Im Anschluss hat sie vier Jahre das Lehramt Geografie studiert und 2009 mit einem Bachelor abgeschlossen. Ihren Beruf hat sie im Irak aber nicht ausgeübt und war Hausfrau (vgl. etwa Erstbefragung vom 05.08.2015, AS 1 ff Zweitbeschwerdeführerin; Kopie des im Original vorgelegten irakischen Geografie-Lehrer-Diploms, AS 23ff; Niederschrift Bundesamt vom 20.12.2017, AS 160 ff Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 6 & 18).
Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin leben nach wie vor in XXXX /Diyala. Der Vater war früher Angestellter der irakischen Telekommunikation und erhält als solcher eine Pension. Vor seiner Pensionierung war der Vater zudem mit einem eigenen Frisörsalon selbstständig erwerbstätig. Die Zweitbeschwerdeführerin hat weiters drei Brüder, die mit den Eltern der Zweitbeschwerdeführerin nach wie vor im gemeinsamen Haushalt leben. In Europa oder Österreich hat die Zweitbeschwerdeführerin keine weiteren Angehörigen (vgl. etwa Erstbefragung vom 05.08.2015, AS 5 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 20.12.2017, AS 160 ff Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 6, 14 & 18).
Der minderjährige Drittbeschwerdeführer wurde in Diyala geboren und reiste bereits als Kleinkind im Alter von etwa eineinhalb Jahren mit dem Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin aus dem Irak aus.
Es kann daher nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Irak, insbesondere auch in Diyala, über tragfähige familiären Bindungen und familiäre Unterstützung im Fall der Rückkehr verfügen würden.
Die Beschwerdeführer, konkret der Erstbeschwerdeführer, die Zweitbeschwerdeführerin und der minderjährige Drittbeschwerdeführer, verließen den Irak von Erbil aus legal auf dem Luftweg am 02.07.2015 und reisten nach Istanbul/Türkei. Mit dem Bus fuhren sie weiter nach Bodrum und reisten in der Folge schlepperunterstützt mittels Schlauchboot nach Griechenland, wo sie sich etwa zwölf Tage in einem Flüchtlingscamp aufhielten. In weiterer Folge reisten sie neuerlich schlepperunterstützt über Nordmazedonien, Serbien und Ungarn bis nach Österreich, wo sie am 05.08.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz stellten (vgl. etwa Erstbefragungen jeweils vom 05.08.2015, AS 7 ff Erstbeschwerdeführer und AS 3 ff Zweitbeschwerdeführerin; Ein- und Ausreisestempel in den vorgelegten originalen Reisepässen, AS 69 Erstbeschwerdeführer, AS 67 Zweitbeschwerdeführerin und AS 67 Drittbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt jeweils vom 20.12.2017, AS 235 f Erstbeschwerdeführer und AS 163 Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 7 f).
Am XXXX wurde in Österreich der minderjährige Viertbeschwerdeführer geboren. Am 29.10.2019 stellte der Erstbeschwerdeführer für diesen ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens. Der Antrag bezog sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin (vgl. Kopie österreichische Geburtsurkunde, AS 7 Viertbeschwerdeführer; Antrag im Familienverfahren, AS 1 ff Viertbeschwerdeführer).
Am XXXX wurde in Österreich die minderjährige Fünftbeschwerdeführerin geboren. Am 14.12.2020 stellte die Zweitbeschwerdeführerin für diesen ebenfalls einen Antrag auf internationalen Schutz im Rahmen des Familienverfahrens. Der Antrag bezog sich ausschließlich auf die Fluchtgründe des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin (vgl. Kopie österreichische Geburtsurkunde, AS 3 Fünftbeschwerdeführerin; Antrag im Familienverfahren, AS 1 ff Fünftbeschwerdeführerin).
Die Beschwerdeführer sind gesund, der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin arbeitsfähig, der Drittbeschwerdeführer schulfähig. Der Drittbeschwerdeführer wurde in Österreich im März 2016 wegen eines Leistenbruches und eines Hodenproblems erfolgreich operiert. Aktuell bedarf er keiner weiteren Behandlung. Es wird daher festgestellt, dass keiner der Beschwerdeführer an einer lebensbedrohlichen Erkrankung im Endstadium leidet, die im Irak nicht behandelbar wäre (vgl. medizinischer Befund Drittbeschwerdeführer, AS 95 ff Drittbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 4 samt vorgelegtem Konvolut an Integrationsunterlagen, darunter Schulbesuchsbestätigungen des Drittbeschwerdeführers, Einstellungszusagen des Erstbeschwerdeführers und diverse Kursbestätigungen).
Sie halten sich seit ihrer Asylantragstellung unterbrochen in Österreich auf und verfügen hier seit 18.08.2015 (Erstbeschwerdeführer, Zweitbeschwerdeführerin und Drittbeschwerdeführer) bzw. seit 28.10.2019 (in Österreich nachgeborener Viertbeschwerdeführer) und seit 23.11.2020 über ununterbrochene Hauptwohnsitzmeldungen (vgl. Auszüge aus dem Zentralen Melderegister jeweils vom 23.06.2021).
Die Beschwerdeführer leben nach wie vor von der Grundversorgung. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind bisher keiner sozialversicherten Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet nachgegangen und strafgerichtlich unbescholten (vgl. aktenkundige Auszüge aus den Grundversorgungs- sowie Sozialversicherungsdaten jeweils vom 23.06.2021 sowie dem Strafregister vom 23.06.2021).
Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin waren keine Mitglieder einer politischen Partei, einer anderen politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung im Irak. Sie wurden bisher nicht festgenommen, verurteilt oder inhaftiert und hatten auch keine sonstigen Probleme mit Gerichten oder Behörden im Irak. Sie hatten auch keine Probleme aufgrund der Volksgruppe oder Religion (vgl. Niederschrift Bundesamt jeweils vom 20.12.2017, AS 241 f Erstbeschwerdeführer und AS 164 f Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 6).
Die Zweitbeschwerdeführerin und die minderjährigen Beschwerdeführer haben keine eigenen Fluchtgründe und beziehen sich ausschließlich auf das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers (vgl. etwa Erstbefragung vom 05.08.2015, AS 9 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 20.12.2017, AS 163 Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 18.05.2021, S 20).
Die Beschwerdeführer haben den Irak kurz nach der Entführung des Erstbeschwerdeführers und der Zahlung von Lösegeld an eine schiitische Miliz und Furcht vor weiterer Bedrohung aus finanziellen Motiven verlassen. Es konnte jedoch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer generellen Verfolgungsgefahr oder Bedrohung durch schiitische Milizen, den IS oder von staatlicher Seite ausgesetzt sind.
Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:
Zur allgemeinen Lage im Irak bezüglich der COVID-19-Pandemie werden die folgenden, dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes entsprechenden, aktuellen Länderberichte auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht trifft zur Lage hinsichtlich der COVID-19 Pandemie im Irak nachfolgende Feststellungen:
Mit Stand 22.06.2021 gab es im Irak 1.292.700 bestätigte COVID-19 Erkrankungen, 16.910 Todesfälle und wurden zum Stand 20.06.2021 805.363 Impfdosen verabreicht (vgl. https://covid19.who.int/region/emro/country/iq, Zugriff am 22.06.2021).
Mit Stand 21.06.2021 ergibt sich aus der Zusammenfassung der WKO (https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-situation-im-irak.html, Zugriff am 22.06.2021), dass im Irak das nationale Impfprogramm gegen das Corona-Virus seit 30.03.2021 läuft, die erste Dosis des COVID-19 Impfstoffes als Voraussetzung für die Ausnahme der nächtlichen Ausgangssperren an Freitagen und Samstagen gilt und der Zentralirak das Ein- und Ausreiseverbot für 21 Länder, die Autonome Region Kurdistan für 22 Länder, unter anderem jeweils Österreich, aufgehoben hat.
Alle Landgrenzen sind bis auf weiteres geschlossen. Die internationalen Flughäfen Bagdad, Najaf und Basra sind für kommerzielle Linienflüge geöffnet. Reisen in den Iran sind aus dem Irak und der Autonomen Region Kurdistan wieder gestattet. Bei einer Einreise in den Zentralirak gibt es Erleichterungen für Geimpfte und Getestete, nicht jedoch für Genesene; Passagiere, die in den Irak einreisen wollen, müssen maximal 72 Stunden vor Abflug über einen negativen COVID-19 Test verfügen. Solche Passagiere müssen am Flughafen keinen Test mehr machen. Alle Passagiere, die ohne PCR-Test ankommen, müssen sich dem Test des medizinischen Teams des Flughafens unterziehen und die Kosten dafür (USD 50,00) tragen. Flüge zwischen Irak und Indien sind bis auf Weiteres eingestellt worden. Dabei sind Diplomaten, offizielle Regierungsdelegationen, internationale Organisationen und Experten, die an Serviceprojekten arbeiten, vom Einreiseverbot bei negativem PCR-Test ausgenommen.
Es gilt im Zentralirak eine nächtliche Ausgangssperre an Freitagen und Samstagen von 21:00 – 05:00. Geimpfte Personen (erste Dosis) dürfen sich an Wochenenden während der nächtlichen Ausgangssperre frei bewegen. Parks, Fitnesscenter, Kinos, Schwimmbäder, Veranstaltungsräume, Einkaufszentren. Restaurants, Cafés und Bars sind unter Auflage des Gesundheitskomitees geöffnet. Kindergärten, Schulen und Universitäten sind wieder geöffnet. Ab 15.02. sind Veranstaltungen und Feierlichkeiten jeglicher Art und Trauerversammlungen bis auf weiteres verboten. Das Versammlungsverbot bleibt aufrecht. Die irakische Regierung beschränkt das Reisen zwischen Provinzen nicht, aber die Einreise in den Irak zu touristischen und religiösen Zwecken ist verboten. Ministerien arbeiten wieder mit voller Kapazität. Ab dem 20.04. wird nur geimpften Personen oder Personen mit einem negativen PCR Test in Ministerien und Regierungsbehörden der Zutritt erlaubt. Moscheen sind geöffnet. Taxis, dürfen nicht mehr als 3 Personen (inklusive Fahrer) transportieren.
Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) widmet USD 22 Mio. des Stabilitätsfonds für Infrastruktur Maßnahmen gegen COVID-19. Geschäftsmänner aus Najaf spendeten der Regierung IQD 350 Mio. zur Anschaffung von Gütern des medizinischen Bedarfs.
Zur allgemeinen Lage im Irak werden darüber hinaus die vom Bundesverwaltungsgericht gemeinsam mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich ein Konvolut aus fallbezogen relevanten aktueller Länderberichte samt den angeführten Quellen (mit Stand 17.03.2020) sowie das von den Beschwerdeführern im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 14.05.2020 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand des Erkenntnisses erhoben.
Daraus ergibt sich auszugsweise:
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 14.05.2020 ergibt sich auszugsweise [generiert am 22.06.2021]:
„Politische Lage
Letzte Änderung: 14.05.2020
Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).
An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).
Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).
Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).
Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).
Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).
Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).
Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).
Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).
Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020
- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020
- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020
- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020
- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020
- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020
- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020
- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020
- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020
- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020
- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020
- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
Parteienlandschaft
Letzte Änderung: 14.05.2020
Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).
Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).
Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).
Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).
Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).
Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).
(LSE 7.2018)
Quellen:
- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020
- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020
- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020
- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020
- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 14.05.2020
Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).
Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).
In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).
Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).
Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020
- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020
- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020
- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020
- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020
- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020
- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020
- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
Islamischer Staat (IS)
Letzte Änderung: 14.05.2020
Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).
Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).
Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).
Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).
Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).
Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).
Quellen:
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- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020
- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020
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- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020
- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020
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- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019– Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020
- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen
Letzte Änderung: 14.05.2020
Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben wer