Entscheidungsdatum
07.07.2021Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
I413 2243401-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch: BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Oberösterreich (BFA-O) vom 14.05.2021, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 5 VwGVG aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein und stellte am 19.03.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz, der als unzulässig zurückgewiesen wurde. Zugleich wurde seine Außerlandesbringung nach Italien verfügt. Diese Entscheidung wurde am 09.06.2017 rechtskräftig. Am 21.06.2017 wurde der Beschwerdeführer nach Italien abgeschoben.
2. Nach seiner Wiedereinreise nach Österreich wurde er am 11.12.2017 zum zweiten Mal nach Italien abgeschoben.
3. Am 10.09.2018 wurde der Beschwerdeführer wieder in Österreich aufgegriffen und im Weiteren am 12.08.2018 aus der über ihn verhängten Schubhaft entlassen, da er einen bis zum 21.06.2020 gültigen italienischen Aufenthaltstitel besaß.
4. Am 18.02.2020 verurteilte das Landesgericht für Strafsachen Wien den Beschwerdeführer wegen Vergehen gegen das SMG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wovon 12 Monate bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren nachgesehen wurden. Aus der Strafhaft wurde der Beschwerdeführer am 19.03.2020 entlassen.
5. Mit Bescheid vom 18.03.2020 Zl. XXXX , wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass seine Abschiebung nach Niger zulässig ist (Spruchpunkt III.) und gegen ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot verhängt (Spruchpunkt IV.). Ihm wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt V.) und einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.). Dieser Bescheid erwuchs am 30.05.2020 durch Hinterlegung im Akt in Rechtskraft.
6. Am 19.12.2020 wurde der Beschwerdeführer erneut aufgegriffen und über ihn die Schubhaft verhängt. Im Rahmen einer Dokumentenprüfung stellte sich heraus, dass der Reisepass des Beschwerdeführers von Niger gefälscht war.
7. Am 11.02.2021 stimmte die Delegation der nigerianischen Botschaft der Ausstellung eines Heimreisezertifikats für den Beschwerdeführer zu.
8. Mit Urteil vom 05.05.2021 verurteilte das Landesgericht Linz den Beschwerdeführer wegen Vergehen gegen das SMG, des Vergehens der Bestimmung zur falschen Beweisaussage vor einem Gericht und wegen des Vergehens der Urkundenfälschung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 7 Monaten.
9. Mit angefochtenem Bescheid stellte die belangte Behörde "gemäß § 52 Abs 9 FPG" fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 46 FPG zulässig ist.
10. Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Begründend wurde ausgeführt, dass seitens der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahrens sei mangelhaft, da keine Einvernahme zur Person des Beschwerdeführers stattgefunden habe, keine aktuellen Ermittlungen zu seiner Person durchgeführt worden wären und sich die belangte Behörde offenbar auf die mit Bescheid vom 18.03.2020 erlassene Rückkehrentscheidung gestützt habe, welche über ein Jahr zurückliege. Zudem gehe die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer Staatsangehöriger von Nigeria, nicht Niger, sei. Weiters sei nicht gewürdigt worden, dass er über einen bis 21.06.2021 gültigen italienischen Aufenthaltstitel verfüge, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu prüfen gewesen wäre. Zudem sei in § 52 Abs 6 FPG normiert, dass sich ein unrechtmäßig aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der über einen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates verfüge, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedsstaates zu begeben habe. Zumal sein Aufenthaltstitel bis 21.06.2021 gültig sei und der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Strafhaft wieder nach Italien zurückkehren wolle, hätte die belangte Behörde nach § 52 Abs 6 FPG vorzugehen gehabt. Erneut wolle er drauf hinweisen, nicht die Staatsangehörigkeit von Nigeria zu besitzen und erscheine bereits aus diesem Grund eine Abschiebung nach Nigeria unzulässig. Angeregt werde zudem, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
11. Mit Schriftsatz vom 11.06.2021, eingelangt am 14.06.2021, legte die belangte Behörde dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor, wobei angemerkt wurde, dass sich der Beschwerdeführer in Haft befinde. Des Weiteren wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer von der nigerianischen Botschaft als nigerianischer Staatsangehöriger identifiziert und einer Heimreisezertifikatsausstellung zugestimmt worden sei. Zudem habe sich der nigrische Reisepass des Beschwerdeführers als verfälscht erwiesen. Es sei daher lediglich festzustellen gewesen, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei. Eine neuerliche Rückkehrentscheidung sei nicht notwendig gewesen, über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung habe man bereits im ursprünglichen rechtskräftigen Bescheid abgesprochen. Es werde daher ersucht, die Beschwerde abzuweisen.
12. Am 05.07.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung via Videokonferenz in Anwesenheit des Beschwerdeführers, seiner Rechtsvertretung, einer Dolmetscherin für die englische Sprache und in Abwesenheit einer Vertreterin / eines Vertreters der belangten Behörde durch.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer heißt XXXX , ist am XXXX geboren, volljährig, und nigerianischer Staatsangehöriger. Seine Identität feststeht. Er bekennt sich zum christlich-katholischen Glauben, leidet an keinen lebensbedrohlichen Erkrankungen, ist kräftig und arbeitsfähig.
Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten oder Freunde in Österreich. Seine Sozialkontakte in Österreich beschränken sich überwiegend auf Kontakte, die er im Rahmen der Verbüßung von Freiheitsstrafen in Justizanstalten sowie im Rahmen der Schubhaft hatte. Der Beschwerdeführer verfügt auch in Italien über keine maßgeblichen sozialen Kontakte. Es kann nicht festgestellt werden, dass er in Italien über eine schwangere Lebensgefährtin verfügt. Dagegen hat der Beschwerdeführer in Nigeria Familienmitglieder. Es lebt in Nigeria seine Mutter, zu der der Beschwerdeführer nach wie vor Kontakt hat.
Der Beschwerdeführer verfügt im Bundesgebiet über keinen Wohnsitz und war bis dato ausschließlich in Polizeianhaltezentren sowie Justizanstalten melderechtlich erfasst, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung ging er zu keinem Zeitpunkt nach. Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Bis zum 21.06.2021 verfügte er über einen italienischen Aufenthaltstitel. Dieser Aufenthaltstitel wurde nicht mehr erneuert oder verlängert, sodass kein Aufenthaltstitel in Italien besteht.
Der Beschwerdeführer spricht kein Deutsch, besuchte keine Deutschkurse und absolvierte auch keine Deutschprüfung. Er ging in Österreich nie einer legalen Arbeit nach und verdingte seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Drogen. Es bestehen keine wie immer gearteten Ansätze einer Integration in die österreichische Gesellschaft in sozialer, sprachlicher oder beruflicher Hinsicht.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich vorbestraft.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien zu XXXX Hv XXXX vom 18.02.2020, rechtskräftig seit dem selbigen Tag, erfuhr der Beschwerdeführer im Bundesgebiet seine erste strafgerichtliche Verurteilung. Dabei wurde er für schuldig befunden, in Linz vorschriftswidrig Suchtgift anderen teils auf einer öffentlichen Verkehrsfläche bzw. an einem allgemein zugänglichen Ort im Zeitraum zwischen Ende Mai und Mitte Dezember 2019 öffentlich gegen Entgelt gewerbsmäßig überlassen zu haben, weiters ausschließlich zum persönlichen Gebrauch ab zumindest Mitte 2019 eine insgesamt unbekannte Menge Cannabiskraut erworben und bis zum Eigenkonsum besessen zu haben sowie kurz vor dem 19.12.2019 von einer bislang unbekannten Person Cannabiskraut erworben und bis zur Sicherstellung durch Beamte des SPK Linz am 15.05.2019 besessen zu haben. Er hat hierdurch die Vergehen des teils versuchten, teils vollendeten unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach den §§ 27 Abs 1 Z 1 achter Fall, Abs 2a zweiter Fall, Abs 3 SMG; 15 Abs 1 StGB sowie die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG und des Weiteren das Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG begangen, weswegen er zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten verurteilt wurde, wovon 12 Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden. Mildernd wurde dabei das reumütige Geständnis sowie der Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, berücksichtigt, erschwerend hingegen die mehrfachen Tatangriffe innerhalb der Gewerbsmäßigkeit, die Tatbegehung während eines anhängigen Hauptverfahrens, die Tatbegehung während eines anhängigen Ermittlungsverfahrens, das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen sowie die hohe Menge im Rahmen des § 27 Abs 3 SMG gewertet.
Mit Urteil des Landesgerichtes Linz zu XXXX Hv XXXX vom 05.05.2021, rechtskräftig seit dem selbigen Tag, erfuhr der Beschwerdeführer neuerlich eine Verurteilung. Er wurde dabei für schuldig befunden, in Linz und andernorts seit zumindest Anfang April 2020 bis 29.12.2020 vorschriftswidrig Suchtgift erworben, besessen und anderen durch gewinnbringenden Verkauf überlassen zu haben; am 02.01.2021 T.M. durch eine Sprachnachricht via „WhatsApp“ zu einer falschen Aussage bestimmt zu haben, wobei es beim Versuch blieb, da T.M. wahrheitsgemäße Angaben in ihrer Zeugeneinvernahme machte und der Polizei die Sprachnachricht zur Verfügung stellte sowie zurückliegend bis zum 29.12.2020 eine falsche Urkunde, nämlich einen total gefälschten nigrischen Reisepass mit der Seriennummer 08PC48991, ausgestellt am 23.05.2018 in der Republik Niger, im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht zu haben, indem er diesen wiederholt gegenüber Beamten zum Nachweis seiner Identität vorwies. Hierdurch hat er die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster, zweiter und achter Fall SMG, die Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs 2 SMG; das Vergehen der Bestimmung zur falschen Beweisaussagen nach §§ 15 Abs 1, 12 zweiter Fall, 288 Abs 4 StGB sowie das Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 2 StGB begangen, wofür er nach § 288 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt wurde. Dabei wurde mildernd gewertet, dass der Beschwerdeführer großteils geständig gewesen war sowie, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist. Erschwerend waren hingegen die einschlägige Vorstrafe, das Zusammentreffen mehrerer Vergehen sowie der äußerst rasche Rückfall zu berücksichtigen. Vom Widerruf seiner bedingten Strafnachsicht bzw. seiner bedingten Entlassung wurde mittels Beschluss abgesehen, jedoch die Probezeit auf jeweils fünf Jahre verlängert.
Der Beschwerdeführer wurde mehrfach nach Italien ausgewiesen, kehrte jedoch regelmäßig wieder nach Österreich zurück, um unter anderem die vorbeschriebenen Delikte zu begehen.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt, in die dort einliegende Beschwerde sowie den angefochtenen Bescheid, durch Einsicht in das aktuelle Länderinformationsblatt für Nigeria, durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des Urteils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 18.02.2020 zu XXXX Hv XXXX , des Urteiles des Landesgerichtes Linz vom 05.05.2021 zu XXXX Hv XXXX , des Bescheides vom 18.03.2020 zu Zl. XXXX durch Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister sowie durch Einholung eines Sozialversicherungsdatenauszugs zur Person des Beschwerdeführers wurden, sowie durch Befragung des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung.
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers ergeben sich zweifelsfrei aus dem Verwaltungsakt und aus seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021.
In Anbetracht des Umstandes, dass der vom Beschwerdeführer vorgelegte und als Kopie im Verwaltungsakt befindliche Reisepass der Republik Niger mit der Dokumentennummer 08PC48991, ausgestellt am 23.05.2018 (AS 33 und AS 199) sowohl aufgrund einer Dokumentenprüfung der Wels PI Fremdenpolizei als auch einer urkundentechnischen Untersuchung des Bundeskriminalamtes als verfälschte Urkunde eingestuft wurde (AS 183 ff) - worauf unter anderem auch die Verurteilung durch das Landesgericht Linz vom 05.05.2021 zu XXXX Hv XXXX fußt - steht fest, dass der Beschwerdeführer nicht Staatsangehöriger von Niger ist. Aufgrund seiner Identifizierung durch die nigerianische Delegation und der Ausstellung eines Heimreisezertifikats durch diese (AS 168 ff) steht seine Identität fest. Zwar leugnet der Beschwerdeführer weiterhin Staatsangehöriger von Nigeria zu sein, jedoch verwickelte er sich hierbei in Widersprüche. So gibt er im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 an, in Nigeria geboren zu sein und weiters, dass seine Mutter Staatsangehörige von Nigeria ist (Verhandlungsprotokoll S 10). Aufgrund dieses Umstandes ist der Beschwerdeführer jedenfalls auch Staatsangehöriger von Nigeria, zumal sich seine Staatsbürgerschaft von jener der Mutter herleitet (USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Nigeria, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026341.html, Zugriff 05.07.2021). Zumal dem unstrittigen Akteninhalt nichts Gegenteiliges zu entnehmen war und auch die Haftfähigkeit des Beschwerdeführers gegeben ist, war die Feststellung zu treffen, dass er an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung leidet. Zudem führte er auch im Zuge der mündlichen Verhandlung aus, gesund zu sein (Verhandlungsprotokoll S 3). Auch der persönliche Eindruck, den der erkennende Richter im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 vom Beschwerdeführer, einem jungen, kräftigen Mann, gewonnen hatte, bestätigt diesen Befund. Wegen seines Gesundheitszustandes und seiner stattlichen Erscheinung war in der Folge auch auf die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers zu schließen.
Die Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich ergeben sich aus dem Inhalt des Verwaltungsaktes sowie den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 (Verhandlungsprotokoll S 8 f). Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer sich wiederholt und nur kurz in Österreich aufgehalten hatte und seine längeren Aufenthalte in Österreich der Verbüßung von Freiheitsstrafen zuzuschreiben waren, ergibt sich kein Hinweis auf maßgebliche soziale Kontakte – familiäre Kontakte werden vom Beschwerdeführer selbst in Abrede gestellt (Verhandlungsprotokoll vom 05.07.2021 S 8) – und damit auch kein Hinweis auf ein maßgebliches Privat- und Familienleben in Österreich. Auch seine Angaben zu einem etwaigen Privat- und Familienleben in Italien bleiben vage. So gibt er an, sich um einen Mann gekümmert zu haben (Verhandlungsprotokoll S 6 und S 8) und einen Mann, der wie ein Vater für ihn sei (Verhandlungsprotokoll S 6). Außerdem erwähnt er eine Freundin, die angeblich von ihm schwanger sei. Auch wenn der Beschwerdeführer einen Namen dieser Freundin nennt, sind seine Angaben vage und derart unkonkret, dass nicht festgestellt werden kann, ob diese Freundin tatsächlich existiert oder ein Hirngespinst des Beschwerdeführers ist. Nach eigenen Angaben erhält der Beschwerdeführer keinen Besuch in der Justizanstalt, auch nicht von seiner Freundin (Verhandlungsprotokoll S 7), was selbst vor dem Hintergrund, dass diese tatsächlich schwanger ist, eigenartig erscheint. Von einer Lebensgefährtin, mit der der Beschwerdeführer in aufrechter Lebensgemeinschaft lebt, wäre zu erwarten, dass diese ihn zumindest einmal in der Zeit der Verbüßung seiner Freiheitsstrafe besucht hätte. Eine Schwangerschaft vermag nicht glaubhaft die Unterlassung eines solchen Besuchs zu rechtfertigen, zumal Reisen mit der Eisenbahn von Italien nach Österreich keineswegs belastend sind. Insgesamt gelang es daher dem Beschwerdeführer nicht glaubhaft zu machen, dass er in Italien tatsächlich eine schwangere Lebensgefährtin hat. Dass der Beschwerdeführer in Nigeria über Familie in Gestalt seiner Mutter, zu der er auch Kontakt hat, verfügt, ergibt sich aus seinen diesbezüglichen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 (Verhandlungsprotokoll S 8 und insbesondere S 10).
In einer Zusammenschau des unstrittigen Akteninhaltes samt entsprechenden Eintragungen im Fremden- und Melderegisterauszug ergibt sich die Schubhaft des Beschwerdeführers im Zeitraum vom 31.12.2020 bis 11.01.2021. Aus dem Melderegisterauszug war zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer bis dato ausschließlich melderechtlich in Polizeianhaltezentren sowie Justizanstalten erfasst war. Die Feststellung, wonach der Beschwerdeführer bis dato noch keiner sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgegangen ist, liegt darin begründet, dass der Sozialversicherungsdatenauszug zur Person des Beschwerdeführers keine Eintragungen aufweist.
Der Umstand, wonach der Beschwerdeführer bis zum 21.06.2021 über einen italienischen Aufenthaltstitel verfügte, fußt auf der seinerseits in Vorlage gebrachten Kopie seiner „Permesso Di Soggiorno“ mit der Dokumentennummer XXXX und dem darauf ausgewiesenen Gültigkeitsdatum 21.06.2021 (AS 215). Darauf angesprochen, teilte der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung mit, dass er den italienischen Aufenthaltstitel nicht erneuert habe und dass dieser abgelaufen ist (Verhandlungsprotokoll vom 05.07.2021, S 6). Damit steht fest, dass der italienische Aufenthaltstitel erloschen ist und aktuell kein solcher mehr besteht. Dass der Beschwerdeführer – wie er in der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 angibt (Verhandlungsprotokoll S 6) – wieder einen Aufenthaltstitel in Italien erhalten könnte, ist hierbei unbeachtlich. Maßgeblich ist, dass zum Entscheidungszeitpunkt kein solcher Titel rechtsgültig besteht.
Davon, dass der Beschwerdeführer nicht Deutsch spricht, konnte sich der erkennende Richter in der mündlichen Verhandlung am 05.07.2021 selbst überzeugen. Nach eigenen Angaben besuchte er auch keine Kurse, ist nicht Mitglied in einem Verein oder einer Organisation. Dass er in Österreich nie einer legalen Arbeit nachging und seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Drogen verdingte, ergibt sich aus diesen Strafurteilen. Er habe keine Beziehung mehr in Österreich (Verhandlungsprotokoll S 9). Hieraus ist zu schließen, dass keine Integration in sprachlicher, sozialer oder beruflicher Hinsicht in Österreich besteht.
Die Feststellungen zu seinen strafrechtlichen Verurteilungen ergeben sich aus den im Verwaltungsakt einliegenden bzw vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafurteilen sowie aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Aufhebung des angefochtenen Bescheides
Gemäß § 59 Abs 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzuhalten, ob eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere andere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
Aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung „gleichzeitig“ mit der Rückkehrentscheidung zu ergehen hat. Der Ausspruch nach § 52 Abs 9 FPG setzt somit zunächst die Erlassung einer Rückkehrentscheidung voraus, sodass die Rückkehrentscheidung die Grundlage (Vorstufe) der Feststellung nach dieser Bestimmung und die Feststellung im Fall der Anfechtung der Rückkehrentscheidung von dieser nicht trennbar ist (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006 mwH auf die Judikatur des VwGH).
Fallgegenständlich spricht die belangte Behörde nur über die Zulässigkeit der Abschiebung nach § 46 FPG „gemäß § 52 Abs 9 FPG“ ab. Die Rückkehrentscheidung sei bereits mit dem Bescheid vom 18.03.2020 erlassen worden. In diesem Bescheid wird die Zulässigkeit der Abschiebung nach Niger gemäß § 52 Abs 9 FPG festgestellt. Die belangte Behörde versucht somit mit dem bekämpften Bescheid dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich aus Nigeria und nicht aus Niger stammt und stellt nun – gleichsam in Sanierung des Bescheides vom 18.04.2020 hinsichtlich der Feststellung der Abschiebung in den Herkunftsstaat – die Zulässigkeit der Feststellung der Abschiebung in den wahren Herkunftsstaat, Nigeria, fest.
Diese Vorgehensweise mag pragmatisch richtig und im Ergebnis auch zutreffend sein, jedoch wird bei dieser Vorgangsweise übersehen, dass es im gegenständlichen Fall an der von § 52 Abs 9 FPG geforderten „Gleichzeitigkeit“ der Erlassung einer Rückkehrentscheidung und der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Nigeria fehlt. Der Ausspruch nach § 52 Abs 9 FPG setzt die Erlassung einer Rückkehrentscheidung voraus, wobei die Erlassung einer Rückkehrentscheidung in einem früheren Bescheid diesem Erfordernis nicht entspricht, da Rückkehrentscheidung und Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nicht voneinander trennbar sind. In VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006, führte der Verwaltungsgericht aus, dass es nicht möglich sei, die Rückkehrentscheidung anzufechten und gleichzeitig den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat unangefochten zu belassen, da diese Feststellung eine von der übrigen Entscheidung nicht trennbare Nebenbestimmung darstelle.
Nichts Anderes muss mutatis mutandis für den Fall gelten, dass über eine von der übrigen Entscheidung nicht trennbare Nebenbestimmung für sich allein in einem eigenen Bescheid entschieden wird. Es wäre daher aufgrund des Wortlautes des § 52 Abs 9 FPG („gleichzeitig“) nicht nur die Zulässigkeit der Abschiebung festzustellen, sondern auch eine Rückkehrentscheidung zu treffen gewesen.
Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 5 VwGVG zu beheben. Der belangten Behörde obliegt es im fortgesetzten Verfahren, den hier aufgegriffenen Mangel zu beheben und gleichzeitig mit der Rückkehrentscheidung über die Zulässigkeit/Unzulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria abzusprechen.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt, ob es im Sinne des § 59 Abs 9 FPG ausreichend ist, eine Rückkehrentscheidung in einem gesonderten, zeitlich früheren Bescheid und eine (weitere) Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat in Anknüpfung an diese Rückkehrentscheidung in einem gesonderten Bescheid zu treffen, ohne gleichzeitig eine weitere Rückkehrentscheidung zu treffen. Dem Gesetzeswortlaut scheint eine solche Möglichkeit aufgrund der Anordnung in § 52 Abs 9 FPG, wonach mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen ist, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere Staaten zulässig ist, nicht zu entsprechen, es sei denn, mit „gleichzeitig“ wäre gemeint, dass nur eine Rückkehrentscheidung in Vorstufe der Feststellung der Abschiebung in einen Staat erlassen sein muss, ohne dass diese Rückkehrentscheidung zeitgleich mit der Feststellung der Abschiebung in einen Staat zu erfolgen hätte. Soweit ersichtlich, hat der Verwaltungsgerichtshof diese Frage noch nicht behandelt. Die in Punkt A) zitierte Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes betrifft die Unmöglichkeit, die Rückkehrentscheidung anzufechten, ohne zugleich auch die Feststellung der Zulässigkeit oder Unzulässigkeit der Abschiebung in einen Staat einzuschließen.
Schlagworte
Abschiebung Behebung der Entscheidung ersatzlose Behebung Gleichzeitigkeit Herkunftsstaat Kassation mündliche Verhandlung Rückkehrentscheidung Sanierungsmaßnahme Trennbarkeit der Spruchteile Untrennbarkeit der Spruchpunkte VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:I413.2243401.1.00Im RIS seit
14.09.2021Zuletzt aktualisiert am
14.09.2021