TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/9 I410 2163403-2

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Veröffentlicht am 09.07.2021
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Entscheidungsdatum

09.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §56
AVG §13 Abs8
AVG §6
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs3
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §17
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch


I410 2163403-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Eva LECHNER, LL.M. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Nigeria, vertreten durch Prof. Mag. Dr. Vera M. WELD, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Weihburggasse 4/40, und den Verein „LegalFocus“, in 1090 Wien, Lazarettgasse 28/3, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.06.2020, Zl. XXXX ,

A)

I. zur Recht erkannt:

Der angefochtene Bescheid wird behoben.

II. den Beschluss gefasst:

Der am 21.06.2021 geänderte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 56 AsylG 2005 wird gemäß § 6 AVG iVm §17 VwGVG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl weitergeleitet.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das Bundesgebiet ein und stellte am 22.11.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 17.09.2013, Zl. XXXX , hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen wurde. Zugleich wurde der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach. Er stellte am 16.04.2014 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 06.09.2017, Zl. I416 2163403-1/4E, hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Zugleich wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist.

Der Beschwerdeführer kam seiner Ausreiseverpflichtung abermals nicht nach und stellte am 20.03.2019 bei der belangten Behörde den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.

Mit Schriftsatz vom 20.03.2019 („Verbesserungsauftrag“) forderte die belangte Behörde den Beschwerdeführer auf, den verfahrensgegenständlichen Antrag binnen vier Wochen „in deutscher Sprache ausführlich zu begründen“ sowie ein Lichtbild, ein gültiges Reisedokument im Original und in Kopie sowie seine Geburtsurkunde im Original vorzulegen. Überdies wurde er davon in Kenntnis gesetzt, dass im Falle der Nichtvorlage erforderlicher Urkunden oder Nachweise ein begründeter Antrag auf Heilung eingebracht werden könne, jedoch sei in diesem Fall nachzuweisen, dass deren Beschaffung nicht möglich oder zumutbar gewesen sei.

Mit Eingabe vom 12.06.2019 („Ergänzung Antrag gem § 55 Abs 1 AsylG“) brachte der Beschwerdeführer eine ausführliche Antragsbegründung bei der belangten Behörde ein.

Am 22.05.2019 übermittelte der Beschwerdeführer der belangten Behörde ein Bestätigungsschreiben der nigerianischen Botschaft in Wien vom 08.04.2019, wonach bestätigt werde, dass er einen nigerianischen E-Reisepass beantragt habe, welcher jedoch nur durch das „Nigeria Immigration Service (NIS)“ in Abuja ausgestellt werden könne.

Am 09.01.2020 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor der belangten Behörde einvernommen. Hierbei gab er im Wesentlichen an, er sei seiner Ausreiseverpflichtung nach rechtskräftig negativem Abschluss seiner beiden Asylverfahren nicht nachgekommen, da er „Probleme zu Hause in Nigeria“ und überdies nunmehr eine Familie und ein Kind hier in Österreich habe. Er habe sich bemüht, bei der nigerianischen Botschaft in Wien einen Reisepass zu erlangen, jedoch keinen bekommen, die betreffende Bestätigung der Botschaft habe er bereits vorgelegt. Er halte sich nunmehr seit November 2012 in Österreich auf und habe hier eine Tochter, jedoch lebe er nicht mit dieser und der Kindesmutter in einem gemeinsamen Haushalt. Er lebe unentgeltlich in einem Zimmer der Volkshilfe, sei krankenversichert, habe viele Freunde „im Sportverein“ und habe ihm ein Freund überdies versprochen, ihm eine Arbeit zu geben, den Arbeitsvorvertrag habe er bereits vorgelegt. Er sei auch in der Kirche tätig und habe den „Hauptschulabschluss“ in Österreich nachgeholt. In seiner Freizeit treibe er Sport und unterstütze seine Tochter und deren Mutter. Er versuche, eine enge Bindung zu seiner Tochter aufzubauen, spreche mit dieser auf Deutsch, damit sie die Sprache lerne und bringe sie jeden Tag zum Kindergarten. Er strebe einen weiteren Aufenthalt in Österreich an, da er hier seine Familie und seine Tochter habe, in Nigeria hätte er hingegen niemanden der ihn unterstützen würde. Seine Eltern in Nigeria würden „auch ums Überleben“ kämpfen. Ergänzend wurden seitens des Beschwerdeführers noch zwei Unterschriftenlisten, wonach er sich „ausgezeichnet in Österreich und in der Gemeinschaft Österreich integriert“ habe, ein „Sozialbericht“ und eine „Einkommensbestätigung“ der Volkshilfe, eine Bestätigung über eine ehrenamtliche Tätigkeit in einer Hilfseinrichtung, eine Geburtsbestätigung der „nationalen Personenstandskommission“ in Benin City mit beglaubigter Übersetzung, sowie einige Lichtbilder, welche ihn mit seiner Tochter und der Kindesmutter sowie mit anderen Personen bei Freizeitaktivitäten zeigen, vorgelegt.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid vom 09.06.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 20.03.2019 „gemäß § 55 AsylG 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF“ ab (Spruchpunkt I.) und erließ „[g]emäß § 10 Absatz 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF“ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung „gemäß § 52 Absatz 3 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl I Nr. 100/2005 (FPG) idgF“ (Spruchpunkt II.). Weiters stellte sie „[g]emäß § 52 Absatz 9 FPG“ fest, dass seine Abschiebung „gemäß § 46 FPG“ nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde „gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG“ mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Gegen den gegenständlich angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 06.07.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

Mit Eingabe der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers an das Bundesverwaltungsgericht am 21.06.2021 wurde der am 20.03.2019 gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 dahingehend modifiziert, dass nunmehr die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 56 AsylG 2005 begehrt wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Entscheidung über die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid

A) 1. Feststellungen

Der unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird – um Wiederholungen zu vermeiden –als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt.

A) 2. Beweiswürdigung:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurde im Rahmen des Ermittlungsverfahrens durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde sowie in den Beschwerdeschriftsatz und in die am 21.06.2021 beim Bundesverwaltungsgericht eingebrachte Eingabe der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers Beweis erhoben.

A) 3. Rechtliche Beurteilung:

Der verfahrenseinleitende, auf die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 55 AsylG 2005 gerichtete Antrag vom 20.03.2019 wurde im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dahingehend geändert, dass nunmehr die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung nach § 56 AsylG 2005 begehrt wird.

Der Umstieg von einem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach den §§ 55 bis 57 AsylG 2005 auf einen Antrag auf Erteilung eines anderen Aufenthaltstitels nach den genannten Bestimmungen bewirkt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine „Wesensänderung“ iSd § 13 Abs. 8 AVG und ist daher als zulässig anzusehen (VwGH 14.04.2016, Ra 2016/21/0077, mwN).

Die Zulässigkeit einer Antragsänderung nach Maßgabe des § 13 Abs. 8 AVG ist jedoch von der Frage der Überschreitung der „Sache“ des Beschwerdeverfahrens zu unterscheiden (vgl. dazu VwGH 31.01.2019, Ra 2018/22/0086):

„Sache“ des Beschwerdeverfahrens vor dem Verwaltungsgericht ist nur jene Angelegenheit, die den Inhalt des (bescheidmäßigen) Spruchs der vor dem Verwaltungsgericht belangten Verwaltungsbehörde gebildet hat. Der äußerste Rahmen für die Prüfbefugnis des Verwaltungsgerichtes ist die „Sache“ des bekämpften Bescheides. Entscheidet das Verwaltungsgericht in einer Angelegenheit, die überhaupt noch nicht oder in der von der Rechtsmittelentscheidung in Aussicht genommenen rechtlichen Art nicht Gegenstand des erstinstanzlichen Verfahrens gewesen ist, im Ergebnis erstmals in Form eines Erkenntnisses, so fällt eine solche Entscheidung nicht in die funktionelle Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes (vgl. zB VwGH vom 09.09.2015, Ro 2015/03/0032, vom 27.01.2016, Ra 2014/10/0038, vom 31.05.2017, Ra 2016/22/0107, jeweils mwN).

Für den vorliegenden Beschwerdefall bedeutet dies Folgendes: Auch wenn die Antragsänderung vom 21.06.2021 zulässig war und daher rechtswirksam erfolgte, ist es dem Bundesverwaltungsgericht verwehrt, über den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 inhaltlich zu entscheiden, weil es damit über „etwas anderes“ als die belangte Behörde absprechen und folglich die Sache des Beschwerdeverfahrens überschreiten würde (vgl. dazu BVwG 29.12.2020, I409 1421089-2/85E).

Daher war der Spruchpunkt I und auch die übrigen darauf aufbauenden Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides zu beheben und der am 21.06.2021 modifizierte Antrag gemäß § 6 AVG iVm § 17 VwGVG an die belangte Behörde weiterzuleiten.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Antragsänderung Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK Behebung der Entscheidung Bundesasylamt Kassation Rückkehrentscheidung behoben Sache des Verfahrens Unzuständigkeit BVwG Weiterleitung wesentliche Änderung Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:I410.2163403.2.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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