Entscheidungsdatum
09.07.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G314 2195044-1/9E
GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 23.06.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom vom XXXX .2018, Zl. XXXX , zu Recht:
A) Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt IV. (die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheids bleiben unverändert) zu lauten hat: „Gemäß § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ iSd § 54 Abs 1 Z 1 AsylG erteilt“ und die Spruchpunkte V. und VI. ersatzlos behoben werden.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers (BF) im Irak wurde nicht glaubhaft gemacht, sodass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden ist. Dem Vorbringen des BF zu einer Bedrohung durch eine schiitische Miliz im Irak kann nicht gefolgt werden, zumal seine Herkunftsfamilie weitgehend unbehelligt in XXXX lebt und auch von UNHCR und EASO eine Rückkehr von alleinstehenden sunnitischen Arabern ohne besondere Vulnerabilitäten nach XXXX für zumutbar erachtet wird. Auch aus den Länderberichten ergibt sich, dass eine Verfolgung des BF in seiner Herkunftsregion XXXX nur aufgrund der Tatsache, dass er Sunnit ist, nicht konkret zu befürchten ist.
Dem BF droht als gesundem alleinstehendem jungen Mann ohne besondere Vulnerabilität bei der Rückkehr in den Irak auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention, ebensowenig würde diese für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Die Sicherheits- und Versorgungslage in seiner Herkunftsregion XXXX ist nicht so schlecht, dass die Rückkehr für den BF aus diesem Grund unzumutbar ist, zumal er dort nahe Angehörige hat, gesund und sprachkundig ist und eine mehrjährige Schulbildung sowie Berufserfahrung hat. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher ebenfalls rechtskonform.
Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG bestehen nicht, sodass auch Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden ist.
Gemäß Art 8 Abs 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art 8 Abs 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Gemäß § 9 Abs 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, durch die in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen. Gemäß § 9 Abs 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.
Gemäß § 58 Abs 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ (die gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt) zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und die Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird (Z 2).
Da der BF Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat, ist ihm aufgrund der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.
Der BF hält sich seit XXXX kontinuierlich als Asylwerber im Bundesgebiet auf. Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.
Der BF hat außergewöhnliche Integrationsbemühungen unternommen, weil er sehr gut Deutsch spricht, seit mehreren Jahren selbständig erwerbstätig und selbsterhaltungsfähig ist, eine berufsbegleitende HTL-Ausbildung macht und eine Vollzeitbeschäftigung in Aussicht hat. Er hat die in Österreich verbrachte Zeit somit zu seiner sozialen und beruflichen Integration genützt. Er ist strafgerichtlich unbescholten und hat sich keine wesentlichen Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zuschulden kommen lassen. Auch wenn man berücksichtigt, dass sein Privatleben im Inland zu einem Zeitpunkt entstand, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, überwiegen in der vorzunehmenden Abwägung seine persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Angesichts der Schwierigkeiten, mit denen Asylwerber bei der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit konfrontiert sind, ist insbesondere der Umstand, dass er berufstätig war und einen Arbeitsplatz in Aussicht hat, zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Der BF hat somit große Anstrengungen unternommen, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Der Umstand, dass ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus stets bewusst sein musste, relativiert zwar das Gewicht des Privatlebens im Inland, hat aber vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere bei Bedachtnahme auf die Integrationsbemühungen nicht zur Konsequenz, dass diesem überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes persönliches Interesse nicht zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann.
In teilweiser Stattgebung der Beschwerde ist im Ergebnis eine Rückkehrentscheidung gegen den BF auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären und ihm gemäß § 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 55 Abs 1 AsylG zu erteilen. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern, die Spruchpunkte V. und VI. haben als Folge dieser Entscheidung ersatzlos zu entfallen.
Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil es sich bei der Beweiswürdigung und bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK um typische Einzelfallbeurteilungen handelt, bei der sich das BVwG (vor allem angesichts der Selbsterhaltungsfähigkeit und der Integrationsbemühungen des BF) im Rahmen der Rechtsprechung des VwGH bewegte, und keine erheblichen, über den Einzelfall hinausreichenden Rechtsfragen zu lösen hatte.
Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 23.06.2021 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs 5 VwGVG, weil innerhalb der zweiwöchigen Frist kein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG gestellt wurde.
Schlagworte
Aufenthaltsberechtigung plus Behebung der Entscheidung gekürzte Ausfertigung Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Verfahrenseinstellung VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2195044.1.00Im RIS seit
13.09.2021Zuletzt aktualisiert am
13.09.2021