TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/12 G305 2207789-1

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Veröffentlicht am 12.07.2021
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Entscheidungsdatum

12.07.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §54 Abs2
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §53 Abs1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G305 2207789-1/26E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, alias XXXX, alias XXXX, geboren am XXXX , StA.: Irak, vertreten durch Mag. Susanne SINGER, Rechtsanwältin in Wels, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.2018, Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 25.06.2021 zu Recht erkannt:

A)       

I.       Die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. bis III. wird als unbegründet abgewiesen.

II.      Spruchpunkt IV. wird dahingehend abgeändert, dass es in diesem zu lauten hat: „Gemäß § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ iSd § 54 Abs 1 Z 1 AsylG erteilt“.

III.    Die Spruchpunkte V. und VI. werden ersatzlos behoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Am XXXX.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte, irakische Staatsangehörige, XXXX, geboren am XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer oder kurz: BF), vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde einen Antrag auf internationalen Schutz.

1.2. Am XXXX.2015 wurde er von Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich einvernommen.

Anlässlich dieser Einvernahme gab er zu seinen Fluchtgründen befragt, an, dass er Angst habe. Eine terroristische Partei habe bereits versucht, ihn zu töten, da er XXXX sei. Bei einer Rückkehr erwarte ihn der Tod.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage brachte ein Ergebnis zu Griechenland.

1.3. Am XXXX.2018 wurde er ab 11:30 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.

Als Fluchtgrund gab er zusammengefasst an, im April 2015 auf dem Nachhauseweg vor dem Antritt eines siebentägigen Urlaubes in der Nähe von XXXX in seinem Auto samt Fahrer beschossen worden zu sein. Die Autofenster seien kaputtgegangen, er und der Fahrer hätten jedoch keinerlei Verletzungen erlitten. Er habe den Vorfall bei der nächstgelegenen Polizeistation gemeldet und sei ihm mitgeteilt worden, dass Daesh (Anm.: gemeint ist der Islamische Staat-IS) hinter der Tat stehe. Sein Arbeitsplatz sei ein reiner Büroarbeitsplatz gewesen. Nach dem Vorfall habe er um Versetzung gebeten und sei zu einer sog. „SPIKER-Einheit“ abkommandiert worden. Nach Rücksprache mit seinem Vater habe er jedoch den Dienst dort beendet und sei wieder nach XXXX versetzt worden. Dort sei es im Oktober 2015 zu seinem zweiten Vorfall gekommen. Nachdem der BF Mitglieder einer schiitischen Miliz daran gehindert haben will, eine Ortschaft zu plündern, sei ein hochrangiger Milizenführer zum Wachposten gekommen, um den BF zur Rede zu stellen. Im Zuge dessen sei ein unbeteiligter, dem BF ähnlich sehender, Offizier vom Milizenführer erschossen worden, da er mit dem BF verwechselt worden sei. Er selbst habe sich zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Polizeistation, sondern - auf Anraten eines Vorgesetzten - auf dem Nachhauseweg befunden.

1.4. Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde wies das BFA den Antrag der beschwerdeführenden Partei hinsichtlich des Antrages auf Erteilung von internationalem Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Weiter wurde ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Die belangte Behörde begründete die Entscheidung im Kern damit, dass es dem BF nicht gelungen sei, eine asylrelevante Bedrohung glaubhaft zu machen. Zusätzlich stünden die Angaben seines im Asylverfahren stehenden Bruders den Aussagen des BF entgegen. Als männlicher Schiit gehöre er keiner der bekannten Risikogruppen an. Selbst wenn es zum behaupteten Angriff auf die Polizeistation gekommen sein sollte, handle es sich nicht um eine gegen den BF gerichtete Attacke, sondern um eine solche gegen die gesamte Organisation. Zusätzlich habe er unklare Angaben darüber gemacht, ob er bei der XXXX oder dem XXXX gewesen sei. Er verfüge über kein relevantes Privat- oder Familienleben in Österreich und weise keine ausreichende Integration vor, um ihm einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

1.5. Gegen diesen Bescheid erhob er mit Schreiben vom 11.10.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Diese verband er einerseits mit der Anfechtungserklärung, den Bescheid vollumfänglich anfechten zu wollen, andererseits mit den Anträgen 1.) eine mündliche Verhandlung durchzuführen, 2.) den angefochtenen Bescheid hinsichtlich dessen Spruchpunkt I. abzuändern und ihm den Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen, 3.) in eventu möge ihm gemäß § 8 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat zuerkannt werden, 4.) dem BF einen Aufenthaltstitel gemäß § 57 und 55 AsylG zu erteilen, 5.) allenfalls die erlassene Rückkehrentscheidung aufzuheben und auf Dauer für unzulässig zu erklären und 6.) in eventu den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Erlassung eines Bescheides an das Bundesamt zurückzuverweisen. In der Beschwerde brachte er vor, dass er entgegen den Ausführungen des BFA sehr wohl asylrelevante Gründe genannt hätte. Eine Organisation, wie von der belangten Behörde gemeint, könne nur dann geschwächt werden, wenn die dahinterstehenden Personen bedroht würden. Der BF habe entgegen den Ausführungen des BFA konkrete und detaillierte Angaben zu den Vorfällen gemacht; dass sein Bruder - zu dem er nur eingeschränkt Kontakt gehabt habe - über seine Tätigkeiten nicht genau informiert gewesen sei, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Zudem habe der BF zum Zeitpunkt der Beschwerde bereits seit elf Monaten eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin; Heirat und Familiengründung seinen bereits ein Thema weshalb ein schützenswertes Privat- und Familienleben bestehe.

1.6. In der Folge brachte die belangte Behörde die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt dem BVwG zur Vorlage und verband ihren Vorlagebericht mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen.

1.7. Mit Eingabe vom 30.10.2019 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Heiratsurkunde des BF ein, am 15.09.2020 die Geburtsurkunde des Sohnes des BF.

1.8. Am 25.06.2021 wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des BF, seiner Ehefrau und eines Dolmetschers eine mündliche Verhandlung durchgeführt, anlässlich der er als Partei einvernommen wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Identitätsfeststellungen

Der BF führt die im Spruch angegebene Identität XXXX, geboren am XXXX und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der Araber an und ist nach eigenen Angaben Moslem schiitischer Glaubensausrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch, er verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B2.

Seit dem XXXX ist er mit der österreichischen Staatsbürgerin XXXX, geboren am XXXX, verheiratet. Der Ehe entstammt der am XXXX geborene Sohn XXXX, für den der BF sorgepflichtig ist.

Seit dem XXXX.2015 hat er den Hauptwohnsitz im Bundesgebiet (seit dem XXXX.2019 an der Anschrift XXXX). Der BF, seine Ehefrau und der gemeinsame Sohn leben in einem gemeinsamen Haushalt.

In Österreich leben neben dem Bruder des BF noch ein Onkel und ein Cousin mütterlicherseits, eine gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit besteht nicht.

1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:

Der BF wurde in XXXX geboren und lebte bis zu seiner Ausreise aus dem Irak in XXXX im Stadtteil XXXX.

Am XXXX.2015 verließ er XXXX mit dem Flugzeug in Richtung Türkei, mit dem Boot gelangte er nach Griechenland und dann teilweise zu Fuß oder mit dem Bus über die Balkanroute nach Österreich. In Mazedonien wurde er ob seines Militärausweises für 2 Stunden angehalten. Er verbrachte insgesamt drei Tage in der Türkei und zwei in Griechenland. Die gesamte Reisedauer betrug 17 Tage. Für die teilweise selbst und mittels Schleppern organisierte Reise musste der BF knapp USD 2.000 bezahlen.

Eine von den öffentlichen Sicherheitsbehörden durchgeführte EURODAC-Abfrage brachte einen Treffer zu Griechenland.

1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:

Der BF wurde in XXXX geboren und wuchs in XXXX auf wo er sechs Jahre die Grundschule und vier Jahre die Mittelschule besuchte. Er erlernte den Beruf des XXXX und wurde später XXXX in der irakischen XXXX.

In Kerbala lebte er in einem von zwei Häusern, die im Eigentum seines 2017 verstorbenen Vaters standen, welcher als Landwirt tätig war.

Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich zuletzt als XXXX und bezog dementsprechend sein Gehalt vom irakischen Staat.

Zehn Geschwister des BF, zu welchen er keinen Kontakt hat, leben in der Türkei. In seiner Heimat leben eine seiner Schwestern samt deren Familie und seine Mutter, die an Diabetes leidet. Zu beiden hat er monatlich Kontakt über Viber. Der Schwager des BF war beim Verlassen des Irak XXXX, seine Schwester Hausfrau. Die im Irak lebenden Familienmitglieder leben gemeinsam in einer Mietwohnung in XXXX.

1.4. Zu den Fluchtgründen der beschwerdeführenden Partei:

Der BF gehörte in seiner Heimat keiner politischen Bewegung an und hatte er weder mit der Polizei, noch mit den Verwaltungsbehörden, noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seines Religionsbekenntnisses oder aus politischen Gründen (etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates) verfolgt.

Er konnte nicht glaubhaft machen, dass er von einer schiitischen Miliz, Al-Kaida, Daesh bzw. dem IS oder öffentlichen Stellen bedroht wurde. Anhaltspunkte, dass von einer dieser Gruppen eine Bedrohung gegen den BF ausgegangen wäre bzw. eine solche gegenwärtig von diesen Gruppierungen ausgehen würde, bestehen nicht.

Dass der BF im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre bzw. nach einer Rückkehr in diesen Herkunftsstaat einer solchen ausgesetzt sein könnte, vermochte er nicht darzutun.

1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten des BF im Bundesgebiet:

Der BF hat nachweislich ein Sprachzertifikat der Stufe B2 erworben. Im Sommer 2017 ging er als Saisonarbeiter einer landwirtschaftlichen Tätigkeit nach. Im Jahr 2018 war er für zwei Monate Mitglied eines Fußballvereins. Seit Mai 2021 ist er bis dato freiwilliger Mitarbeiter eines XXXX in XXXX und im Juni 2021 unterstützte er bei Triagetätigkeiten in einem XXXX. Für ihn liegen eine Einstellzusage sowie mehrere Unterstützungsschreiben von privaten Personen und auch öffentlichen Stellen vor.

Er ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Auf weitere integrationsverfestigende Merkmale konnte er nicht verweisen.

Er ist gesund, nicht erwerbstätig und bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er ist über seine Ehefrau, die derzeit alleine für die laufenden Kosten der Familie aufkommt, krankenversichert und kommt sie auch für seinen Lebensunterhalt auf.

1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:

1.6.1. Sicherheitslage:

Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte parallel zu diesen Geschehnissen durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.

Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI.

Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird. Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Suleimaniya. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018. Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad. Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert, sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien.

Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.

Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.

Der gesamte südliche Teil des Irak, einschließlich des Gouvernements Babil, steht nominell unter der Kontrolle der irakischen Regierung. Vielerorts scheinen die Regierungsbehörden gegenüber lokalen Stämmen und Milizen noch immer in einer schwächeren Position zu sein. Die irakische Regierung war gezwungen, dem Kampf gegen den IS im Zentral- und Nordirak in den letzten Jahren Vorrang einzuräumen, bedeutende militärische und polizeiliche Ressourcen aus dem Süden abzuziehen und in diese Gegenden zu entsenden. Vor diesem Hintergrund sind Stammeskonflikte, eskalierende Gesetzlosigkeit und Kriminalität ein Problem der lokalen Sicherheitslage. Die Bemühungen der Regierung, die Kontrolle wieder zu übernehmen, scheinen noch nicht zum entscheidenden Erfolg geführt zu haben. Regierungsnahe Milizen sind in unterschiedlichem Maße präsent, aber der Großteil ihrer Kräfte wird im Norden eingesetzt. Terrorismus und Terrorismusbekämpfung spielen im Süden nach wie vor eine Rolle, insbesondere in Babil, aber im Allgemeinen in geringerem Maße als weiter im Norden. Noch immer gibt es vereinzelte Terroranschläge.

Das Gouvernement Babil ist ein einfaches Ziel für die Aufständischen des IS, in das sie von Anbar aus leichten Zugang haben. Insbesondere der Distrikt Jurf al-Sakhr, in dem es keine Zivilisten gibt und der als PMF-Basis dient, ist ein beliebtes Ziel des IS. Im November 2019 gab es im Gouvernement Babil zwei sicherheitsrelevante Vorfälle mit einem Toten.

Seit 2015 finden in allen Städten des Südirak regelmäßig Demonstrationen statt, um gegen die Korruption der Regierung und die Arbeitslosigkeit zu protestieren und eine bessere Infrastruktur zu fordern. Gewöhnlich finden diese Demonstrationen in Ruhe statt, sie haben jedoch auch schon zu Zusammenstößen mit der Polizei geführt, mit Verletzten und Toten.

Seit 1.10.2019 kommt es in mehreren Gouvernements des Zentral- aber auch Südiraks (Bagdad, Basra, Maysan, Qadisiyah, Dhi Qar,Wasit, Muthanna, Babil, Kerbala, Najaf, Diyala, Kirkuk und Salah ad-Din) zu teils gewalttätigen Demonstrationen.

Betrachtet man die Indikatoren, so kann man den Schluss ziehen, dass im Gouvernement Kerbala willkürliche Gewalt auf so niedrigem Niveau stattfindet, dass im Allgemeinen keine reale Gefahr besteht, dass ein Zivilist aufgrund willkürlicher Gewalt persönlich betroffen ist.

Der BF war im Herkunftsstaat keiner asylrelevanten Verfolgung oder Bedrohung ausgesetzt. Er hatte weder mit der Polizei, noch mit den Gerichten noch mit den Verwaltungsbehörden des Herkunftsstaates Probleme. Er war auch nie Adressat einer gegen ihnen gerichteten strafgerichtlichen Verfolgung. Auch liegt keine strafgerichtliche Verurteilung gegen ihn vor. Er war nie Mitglied einer im Herkunftsstaat tätigen bewaffneten Gruppierung (Al-Kaida, IS bzw. Milizen) bzw. wurde er von einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates zu keinem Zeitpunkt angeworben, insbesondere für Kampfhandlungen. Insgesamt kam anlassbezogen nicht hervor, dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung ausgesetzt gewesen wäre.

Quellen (Zugriff am 06.07.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Aktuelle Sicherheitslage in den Provinzen Bagdad und Kerbala [a-11553-1] vom 23.04.2021

-        BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc

-        CEDOCA - Centre de documentation et de recherches du Commissariat général aux réfugiés et aux

apatrides (28.2.2018): IRAK: Situation sécuritaire dans le sud de l‘Irak, https://www.cgra.be/sites/

default/files/rapporten/coi_focus_irak_situation_securitaire_dans_le_sud_de_lirak_20180228.pdf ,

-        EASO – Security situation Iraq (Oktober 2020): https://www.ecoi.net/de/dokument/2043991.html

-        EASO – Coutry Guidance Iraq (Jänner 2021): https://www.ecoi.net/de/dokument/2045437.html

-        Frankfurter Allgemeine, 12.01.2020, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/irak-raketenangriff-auf-us-stuetzpunkt-nahe-bagdad-16578012.html

-        France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite,

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/

-        ISW - Institute for the Study of War (22.10.2019): Iraq’s Sustained Protests and Political Crisis,

https://iswresearch.blogspot.com/2019/10/iraqs-sustained-protests-and-political.html

-        KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459,

-        Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf

-        UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf

-        UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf

1.6.2. Berufsgruppen:

Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien.

Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen, Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal seien ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen.

Die BF war nach eigenen Angaben zuerst XXXX im Innendienst und im Anschluss daran XXXX bei einem der eingerichteten Checkpoints. Grundsätzlich ist er zwar einer jener Gruppen zuzuordnen, die besonders gefährdet sind, ob seiner in Summe unglaubhaften Angaben ist jedoch davon auszugehen, dass eine Rückkehr in den Irak ungefährdet möglich ist.

Quellen (Zugriff am 06.07.2021):

-        - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html

1.6.3. Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben maximal eine Stunde vom nächstgelegenen Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen. Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen.

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt. Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung. In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, doch haben viele aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend. Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem BFA sowie vor dem BVwG bezeichnete sich der BF als gesund. Aus dem Umstand, dass er in Österreich bereits erwerbstätig war kann grundsätzlich Arbeitsfähigkeit vorausgesetzt werden. Sämtliche Aspekte führen dazu, dass davon ausgegangen werden kann, dass keine gesundheitlichen Einschränkungen vorliegen, die einer etwaigen Rückführung entgegenstehen.

Quellen (Zugriff am 06.07.2021):

-        AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf

-        GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/

-        IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2

-        UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf

-        WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html

1.6.4. Wehrdienst, Polizeidienst und Fernbleiben vom Polizeidienst:

Im Irak besteht keine Wehrpflicht. Männer zwischen 18 und 40 Jahren können sich freiwillig zum Militärdienst melden. Nach dem Sturz Saddam Husseins wurde die allgemeine Wehrpflicht abgeschafft und ein Freiwilligen-Berufsheer eingeführt. Finanzielle Anreize machen die Arbeit beim Militär zu einer attraktiven Karriere.

Im Zuge des Zusammenbruchs der irakischen Streitkräfte im Jahr 2014 und des dreijährigen Kampfes gegen den IS schlossen sich viele Freiwillige den paramilitärischen Volksmobilisierungseinheiten (PMF) an, was zu einem Rekrutierungswettkampf zwischen dem irakischen Verteidigungsministerium und den Volksmobilisierungseinheiten führte.

Laut Kapitel 5 des irakischen Militärstrafgesetzes von 2007 ist Desertion in Gefechtssituationen mit bis zu sieben Jahren Haft strafbar. Das Überlaufen zum Feind ist mit dem Tode strafbar. Die Armee hat kaum die Kapazitäten, um gegen Desertion von niederen Rängen vorzugehen. Es sind keine konkreten Fälle bekannt, in denen es zur Verfolgung von Deserteuren gekommen wäre. Im Jahr 2014 entließ das Verteidigungsministerium Tausende Soldaten, die während der IS-Invasion im Nordirak ihre Posten verlassen haben und geflohen sind. Im November 2019 wurden, mit der behördlichen Anordnungen alle entlassenen Soldaten wieder zu verpflichten, über 45.000 wieder in Dienst gestellt.

In der EASO Country Guidance mit Stand Jänner 2021, welche nach wie vor auf „EASO - Targeting of individuals“ mit Stand März 2019 verweist, wird festgestellt, dass im Fall von Polizisten nicht von Desertion wie bei Armeeangehörigen zu sprechen ist, sondern von einem „crime of absence“, also der Abwesenheit vom Dienst. Abhängig von der Stellung des den Dienst verweigernden Polizisten reicht die Bestrafung von Reduzierung oder Streichung des Lohnes bis hin zu mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe für Personen, die während Zeiten von groben Störungen oder Ausnahmezuständen mehr als zehn Tage abwesend waren.

In einem Bericht aus dem Jahr 2014 wird festgestellt, dass eine allgemeine Amnestie für Angehörige der internen Sicherheitskräfte ausgestellt wurde, die abwesend waren oder ohne Erlaubnis den Dienst quittierten. Im Mai 2015 wurde durch das Büro des irakischen Premierministers bekanntgegeben, dass „der Premierminister beschlossen hat, jegliche rechtlichen Schritte gegen Angehörige der Streitkräfte und der inneren Sicherheitskräfte endgültig einzustellen, einschließlich der folgenden Straftaten: Flucht, Fehlzeiten, Fehlverhalten und Selbstverletzung, um den Dienst loszuwerden, sowie Verbrechen gegen die Militärregime und die Angelegenheiten des Dienstes“ (EASO- Iraq – Targeting of individuals, Seite 71).

Quellen (Zugriff am 14.09.2021):

-        - ACCORD: https://www.ecoi.net/de/dokument/2023187.html

1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahin entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur arabischen Volksgruppe oder aus politischen Gründen Probleme gehabt hätte. Den Länderberichten lässt sich zwar entnehmen, dass Angehörige der Wach- und Sicherheitskörper einer erhöhten Gefahr ausgesetzt sind, es gibt jedoch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass der Beschwerdeführer oder die Angehörigen seiner Kernfamilie einer solchen je ausgesetzt waren und darüber hinaus politisch exponiert aktiv gewesen wären oder als Mitglied einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates angehört hätten.

Mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung oder mit den Angehörigen einer anderen, im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung hatte er keine Probleme.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.

2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:

Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, den vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigten Angaben sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten Dokumente und Urkunden.

Die Identität des BF wird zudem durch die im Akt in Kopie beiliegenden Dokumente bestätigt. Die zuletzt erfolge Namensänderung auf XXXX ergibt sich aus diversen Abfragen im Zentralen Melderegister, IZR und dem GVS-Speicherauszug.

Die Ehe mit XXXX und die Geburt des gemeinsamen Sohnes konnten anhand der übermittelten Heirats- und Geburtsurkunde festgestellt werden.

Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.

2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:

Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.

Die zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat getroffenen Feststellungen beruhen einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben und auf seinen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht.

Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der Beschwerdeführer angegeben, dass er Angst habe. Eine terroristische Partei habe bereits versucht ihn zu töten, da er XXXX sei. Bei einer Rückkehr erwarte ihn der Tod.

Anlässlich seiner Einvernahme vor dem BFA gab der BF zusammengefasst als Fluchtgrund an, im April 2015 auf dem Nachhauseweg vor dem Antritt eines siebentägigen Urlaubes in der Nähe von XXXX in seinem Auto samt Fahrer beschossen worden zu sein. Die Autofenster seien kaputtgegangen, er und der Fahrer hätten jedoch keinerlei Verletzungen erlitten. Er habe den Vorfall bei der nächstgelegenen Polizeistation gemeldet und sei ihm mitgeteilt worden, dass Daesh (Anm.: gemeint ist der Islamische Staat-IS) hinter der Tat stehe. Sein Arbeitsplatz sei ein reiner Büroarbeitsplatz gewesen. Nach dem Vorfall habe er um Versetzung gebeten und sei zu einer sog. „SPIKER-Einheit“ abkommandiert worden. Nach Rücksprache mit seinem Vater habe er jedoch den Dienst dort beendet und sei wieder nach XXXX versetzt worden. Dort sei es im Oktober 2015 zu seinem zweiten Vorfall gekommen. Nachdem Der BF Mitglieder einer schiitischen Miliz daran gehindert haben will, eine Ortschaft zu plündern sei ein hochrangiger Milizenführer zu der Polizeistation gekommen um den BF zur Rede zu stellen. Im Zuge dessen sei ein unbeteiligter, dem BF ähnlich sehender, Offizier vom Milizenführer erschossen worden, da er mit dem BF verwechselt worden sei. Er selbst habe sich zu dem Zeitpunkt nicht mehr in der Polizeistation, sondern auf dem Nachhauseweg befunden.

Während die Fluchtroute und deren Verlauf im Wesentlichen glaubhaft geschildert wurden, gelang es dem BF nicht, seine Fluchtgründe glaubhaft zu machen und diese als asylrelevant darzustellen.

Die Ausführungen des BF zu den einzelnen Gefahrensituationen, in welchen er sich befunden haben will sind in sich inkonsistent, widersprüchlich und vage.

Vor dem BFA gab er an, dass der im April 2015 stattgefundene Angriff auf dem Nachhauseweg erfolgt sei und der BF habe daraufhin aus eigenem heraus um seine Versetzung gebeten. Hier sei er zu einer „SPIKER-Einheit“ beordert worden, die der Bekämpfung des IS gedient haben soll. Ein dementsprechendes Versetzungsschreiben, datiert mit XXXX 2015 liegt dem Akt bei (AS 135 und AS 181). In Widerspruch zu diesem Vorbringen gab er im selben Atemzug ebenso vor dem BFA an, dass er seine Versetzung nach dem zweiten Vorfall (der versehentlichen Ermordung eines Kollegen an seiner statt) im XXXX 2015 beantragt haben will, jedoch nicht mehr zur Arbeit gegangen sei. Dass damit das dem Akt beiliegend Schreiben gemeint sein muss ergibt sich aus dem Wortlaut „Danach habe ich mich mit meinem Vorgesetzten in Verbindung gesetzt und habe von ihm dieses Versetzungsschreiben bekommen“. Die Wendung dieses deutet darauf hin, dass das vorliegende Schreiben gemeint sein muss. Es erscheint daher bereits ab der zeitlichen Abläufe unplausibel, dass es zumindest den zweiten Vorfall in der vom BF vorgetragenen Ausprägung gegeben haben kann.

In diesem Zusammenhang entspricht auch die behauptete willkürliche Erschießung seines Kollegen nicht der Wahrheit. Unter der Prämisse, dass sich dieser zweite Vorfall, der aus einer vereitelten Plünderung von Vieh, Kühlgeräten und Häusern resultierte, binnen wenigen Stunden abspielte, scheint es unklar, weshalb einer der Gegenspieler des BF diesen nicht hätte erkennen sollen und lediglich die äußere Ähnlichkeit zu dem fatalen Fehler der Erschießung eines Unbeteiligten hätte führen sollen. Zudem sei der mutmaßliche Milizenführer mit knapp 250 Mann zum Polizeiposten des BF gekommen und habe dort lediglich drei Soldaten vorgefunden die explizit gesagt hätten, dass der BF nicht anwesend sei. Warum dann bei einer solchen Übermacht sofort das Feuer eröffnet werden sollte ist nicht nachvollziehbar. Ebenso ist es realitätsfremd, dass eine Einzelperson mit einem auf einem Pickup angebrachten Maschinengewehr erschossen wird und es keinerlei weitere Verletzte geben sollte.

Insgesamt ist auch unklar, welcher Einrichtung der BF angehört haben will. Während er vor dem Bundesverwaltungsgericht angab, von November 2014 bis Oktober 2014 beim XXXX und bis Oktober 2015 XXXX gewesen zu sein (Seite 7 der Verhandlungsniederschrift) so beendete er seine Aussage hinsichtlich der Fluchtgründe vor dem BFA damit, dass er Leutnant beim XXXX gewesen sei. Auch spricht er durchgehend von XXXX und nicht XXXX, die von dem Vorfall betroffen waren (AS 188). Da der BF die Niederschrift nach deren Überprüfung unterfertigte ist davon auszugehen, dass tatsächlich XXXX gemeint waren und nicht XXXX. Die vom BF vorgelegte Versetzungsurkunde wurde zudem vom Generalkommando der Nationalen Verteidigungskräfte ausgestellt und nicht vom Innenministerium, welchem die XXXX unterstellt ist. Wäre der BF – seinen eigenen Ausführungen folgend – im April und Oktober 2015 XXXX gewesen hätte eine solche Versetzung nicht vom Verteidigungsministerium ausgesprochen werden dürfen.

Ein weiterer Widerspruch betrifft die Versetzung zu der bereits erwähnten „SPIKER-Einheit“. Vor dem BFA gab der BF noch an, dass er freiwillig um seine Versetzung angesucht habe, nachdem er vom IS angegriffen worden sei (AS 186 ff). Vor dem Bundesverwaltungsgericht klang dies jedoch nicht nach einer freiwilligen Versetzung, sondern vielmehr nach einer zwangsweisen Versetzung, wenn der BF davon sprach, dass es sich um ein „Muss“ gehandelt habe“ (Seite 9 der Verhandlungsniederschrift). Lediglich die einzelnen Dienstorte konnte der BF im gesamten Verfahren widerspruchsfrei benennen.

Auch die mangelnden Kenntnisse des BF hinsichtlich seiner Waffe lässt sein Vorbringen in ein schlechtes Licht rücken. Am Beginn seiner Befragung gab er an, zwei Monate an einer „Glock“ ausgebildet worden zu sein und dass diese eine Reichweite von 400 bis 500 Metern habe. Für eine Faustfeuerwaffe scheint diese Reichweite mehr der Fantasie zu entspringen als der Realität. In einen Widerspruch verstrickte er sich zudem wenig später durch seine Aussage, die zweimonatige Ausbildung mit einer Kalaschnikow bestritten zu haben.

Zuletzt steigerte der BF seinen Versuch asylrelevante Tatsachen vorzubringen mit einer ihm drohenden Bestrafung wegen Desertion. Gegen diese Gefährdung sprechen die festgestellten Amnestien, die Mitgliedern der Sicherheitskräfte gewährt wurden ebenso wie das Faktum, dass er BF zu keinem Zeitpunkt Beweise für eine ihm drohende Haft vorlegen konnte.

Sämtliche vom BF vorgebrachten Fluchtgründe stellen in einer Gesamtschau eine Steigerung seines in sich inkonsistenten und vagen Vorbringens dar, die zudem nicht geeignet ist, eine asylrelevante Verfolgung klar zu belegen. Es wird nicht verkannt, dass die Erstbefragung im Rahmen eines Antrags auf internationalen Schutz nicht der Klärung des Fluchtgrundes per se gilt, sondern der Aufnahme persönlicher Daten des Beschwerdeführers. Die von ihm im Zuge des Verfahrens genannten Fluchtgründe stellen jedoch eine Steigerung dar, die deren Glaubwürdigkeit insgesamt in Zweifel ziehen. In keinem der vom BF genannten Bedrohungsszenarien (Daesh und die Bedrohung durch einen Milizionär) konnte er öffentliche Stellen namhaft machen, von denen diese Angriffe ausgegangen sein sollen. Speziell die Bedrohung durch den Islamischen Staat ist ob dessen Machtverlust als nicht asylrelevant einzustufen; der Angriff durch den Milizionär konnte nicht glaubhaft vorgebracht werden.

Insgesamt erscheint sein Fluchtvorbringen unglaubwürdig und in sich nicht konsistent. Die getroffenen Feststellungen waren daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.

2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat des BF in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.

Zudem konnten diese anhand rezenter Informationen der Staatendokumentation und der EASO – Country Guidance: Iraq mit Stand Jänner 2021 welche auch auf den EASO Sicherheitsbericht mit Stand Oktober 2020 zurückgreift getroffen werden. Die darin aufgelisteten Ergebnisse resultieren aus Research-Verfahren öffentlicher Einrichtungen, die ob ihres Wirkens hohen Standards unterliegen und zur Objektivität verpflichtet sind.

2.5. Zur Integration des BF in Österreich:

Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten (Deutschkursbesuch, ehrenamtliche Mitarbeit, Saisonarbeit) ergeben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Die Echtheit der vorgelegten Unterstützungsschreiben wird nicht angezweifelt weshalb deren Inhalt zu Feststellungen erhoben werden konnte. Dass er keine Leistungen der Grundversorgung erhält ergibt sich aus einem GVS-Auszug, seine strafrechtliche Unbescholtenheit aus einem von Amts wegen eingeholten Strafregisterauszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig und legte die belangte Behörde die Beschwerdesachen dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids:

3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).

Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).

Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).

Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).

3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Eine gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr aus solchen Gründen wurde vom Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht.

Soweit er geltend gemacht hat, dass er einerseits durch den IS, andererseits durch einen Milizenführer bedroht worden sei und deshalb den Irak verlassen habe, ist ihm, wie bereits ausgeführt, eine glaubhafte Schilderung eines Bedrohungsszenarios ebenso wenig gelungen wie die Glaubhaftmachung einer vermeintlichen Verfolgung wegen Desertion. Selbst bei Wahrunterstellung seiner Behauptungen handelt es sich im ersten Fall um eine Bedrohung bzw. Verfolgung durch den seit 2017 als besiegt geltenden IS und in zweiterem Fall um die Bedrohung durch eine Person, die keiner staatlichen Stelle zuordenbar ist. Der BF vermochte keine staatliche Verfolgung seiner Person bzw. von Angehörigen seiner Kernfamilie glaubhaft zu machen. Die unsubstantiiert und in Summe unglaubhaft vorgebrachten Bedrohungen sind nicht geeignet, eine asylrelevante Verfolgung durch eine (nicht-)staatliche Instanz zu belegen. Eine asylrelevante Verfolgung bzw. Bedrohung liegt nicht vor.

In Anbetracht der vom BF vorgebrachten Sachverhalte und den hierzu getätigten Ausführungen lassen sich diese nicht unter die Fluchtgründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK subsumieren, da eine etwaige Bedrohung einer bestimmten Gruppe oder öffentlichen Person nicht zugewiesen werden konnte.

Aus den angeführten Gründen erübrigt sich die Prüfung einer Fluchtalternative, zumal die bfP eine asylrelevante Verfolgung oder Bedrohung nicht glaubhaft gemacht haben.

3.2.3. Aus den angeführten Gründen war daher der gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gerichtete Teil der Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids:

3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuer

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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