TE Bvwg Beschluss 2021/7/14 W123 2204579-2

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Veröffentlicht am 14.07.2021
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Entscheidungsdatum

14.07.2021

Norm

AsylG 2005 §12a Abs2
AsylG 2005 §22 Abs10
BFA-VG §22
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W123 2204579-2/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht fasst durch den Richter Dr. Michael ETLINGER in dem von Amts wegen eingeleiteten Verfahren über die durch den mündlich verkündeten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2021, 1192688608/210868230, erfolgte Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes betreffend XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, folgenden Beschluss:

A)

Die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes ist gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 iVm § 22 BFA-VG rechtmäßig.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 9 iVm Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Asylwerber XXXX am 28.05.2018 einen – ersten – Antrag auf internationalen Schutz.

2.       Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018 wurde der Antrag des Asylwerbers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gegen den Asylwerber gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkte IV.-VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Asylwerber mit Schriftsatz vom 23.08.2018 Beschwerde.

3.       Der Asylwerber stellte am 06.12.2018 in Schweden einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde aufgrund eines Aufnahmegesuchs Schwedens am 11.02.2019 nach Österreich überstellt.

4.       Die vom Asylwerber gegen den Bescheid vom 01.08.2018 erhobene Beschwerde vom 23.08.2018 wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 14.09.2020 als unbegründet ab.

5.       Nachdem der Asylwerber am 24.09.2020 in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, war seine Überstellung nach Österreich nicht möglich, weil er flüchtig war.

6.       Infolge eines neuerlichen Antrags auf internationalen Schutz des Asylwerbers am 04.01.2021 in Schweden wurde dieser nach erfolgter Zustimmung Österreichs im Dublin-Verfahren am 11.05.2021 von Schweden nach Österreich überstellt.

7.       Am 11.05.2021 stellte der Asylwerber in Österreich einen Folgeantrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen der Erstbefragung am 11.05.2021 gab der Asylwerber zu Protokoll, die alten Fluchtgründen würden aufrecht bleiben. Es gehe ihm psychisch schlecht wegen der Ereignisse damals in Afghanistan. Er werde bedroht und wisse nicht, was ihm bei seiner Rückkehr in seine Heimat passiere.

8.       Im Rahmen einer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 10.06.2021 erklärte der Asylwerber, auf die Frage warum er neuerlich einen Antrag stellte, nach langem Überlegen zunächst, dass er nach Erhalt des negativen Asylbescheids in Österreich nach Schweden gegangen sei und dort einen Asylantrag gestellt habe. Nachdem er zurück nach Österreich geschickt worden sei, habe er nach einem Interview erneut einen negativen Bescheid erhalten. Dann sei er nach Deutschland gegangen, wo er nach einem weiteren Asylantrag auch einen negativen Bescheid erhalten habe. Daraufhin habe er in Schweden wieder einen Asylantrag gestellt, habe kurz danach einen negativen Bescheid erhalten und sei nach Österreich geschickt worden. Nach mehrmaligen Nachfragen meinte er, es gebe keine neuen Gründe für seinen neuen Antrag. Wobei er auf erneute Frage, ob die Gründe dieselben wie im Erstasylverfahren seien, angab, dass es vielleicht nicht nur diese Gründe gebe. Er sei vor kurzem von seiner Familie informiert worden, dass diese wegen der momentan gefährlichen Lage in Afghanistan das Land verlassen wolle. Als er mit ihnen damals gesprochen habe, sei es ihnen gut gegangen, sie würden aber gerne das Land verlassen und in Sicherheit leben. Seine Eltern, zwei Brüder und eine Schwester würden in Kabul leben. Neuerlich nach neuen Gründen befragt, verwies der Asylwerber zunächst auf die Sicherheitslage in Afghanistan und bestätigte schließlich, dass sich sonst nichts geändert habe.

9.       Am 30.06.2021 erfolgte eine weitere Einvernahme des Asylwerbers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Der Asylwerber wies auf einige Punkte des ihm ausgefolgten Länderinformationsblattes hin und meinte dazu, dass ihm diese Erklärungen wichtig erschienen, er habe aber nur das Inhaltsverzeichnis mit Hilfe von Google übersetzt. Die allgemeine Sicherheitslage sei in Afghanistan kritisch, die Taliban hätten in letzter Zeit mehrere Distrikte erobert. Er sei der Meinung, dass die Lage nur in den Hauptstädten der Provinzen Balkh und Herat „relativ ok“ sei. Das gesamte Volk sei von seinen aufgezählten Punkten betroffen.

10.      Mit gegenständlichem gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 22 Abs. 10 AsylG 2005 sowie § 62 Abs. 2 AVG mündlich verkündetem Bescheid vom 30.06.2021 hob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl stellte insbesondere fest, der Asylwerber habe in seinem Erstantrag auf internationalen Schutz eine Vergewaltigung im Alter von 14 Jahren, einen Vergewaltigungsversuch im Alter von 18 Jahren sowie Attacken im Jahr 2017 aufgrund der Tätigkeit seines Vaters im Innenministerium als Fluchtgrund angegeben. Die Abweisung der Beschwerde des Asylwerbers gegen den negativen Bescheid im ersten Asylverfahren sei am 16.09.2020 in Rechtskraft erwachsen.

Begründend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass der Asylwerber keinen neuen Sachverhalt vorgebracht habe und sich auf seine schon behandelten Fluchtgründe bezog bzw. jeglicher Glaubwürdigkeit entbehre. Die allgemeine Lage, seine persönlichen Verhältnisse und sein körperlicher Zustand hätten sich seit der letzten Entscheidung nicht entscheidungswesentlich geändert.

11.      Die Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 01.07.2021 bei der zuständigen Gerichtsabteilung W123 des Bundesverwaltungsgerichtes ein, worüber die belangte Behörde gemäß § 22 Abs. 2 BFA-VG mit Mitteilung vom 01.07.2021 in Kenntnis gesetzt wurde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

Der Asylwerber ist Staatsangehöriger Afghanistans.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018 wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.09.2020 als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde dem Rechtsvertreter des Asylwerbers im damaligen Beschwerdeverfahren am 16.09.2020 zugestellt.

Der Asylwerber stellte in weiterer Folge am 11.05.2021 einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen mit den Fluchtgründen des Erstverfahrens. Eine entscheidungswesentliche Änderung der Situation in Afghanistan ist zwischenzeitlich nicht eingetreten.

Der Asylwerber leidet an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Krankheit und gehört keiner Risikogruppe betreffend Covid-19 an. Nach eigenen Angaben besuchte er bereits Integrationskurse, spricht ein wenig Deutsch und arbeitete früher in der Flüchtlingsunterkunft.

Der Asylwerber verfügt über kein schützenswertes Privat- und Familienleben im Bundesgebiet.

2. Beweiswürdigung

Die Feststellungen zur Person des Asylwerbers, zum Gang des ersten Asylverfahrens, des gegenständlichen Verfahrens sowie zur Situation in Afghanistan wurden auf Grundlage des in Rechtskraft erwachsenen oben zitierten Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.09.2020 sowie der vorgelegten Verwaltungsakte des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl getroffen. Dass sich die Situation in Afghanistan nicht wesentlich änderte, ergibt sich aus den aktuellen Länderfeststellungen im gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl. Zudem bestätigte der Asylwerber selbst, dass die Lage in den Provinzhauptstädten von Balkh und Herat „relativ ok“ sei (vgl. AS 269., arg. „LA: Wollen Sie etwas zur Sicherheitslage in Afghanistan sagen? – VP: […] Es steht auch in den Informationen, dass die Sicherheitslage schlecht wäre: Man bezeichnet Balkh und Herat als sicher. Ich bin der Meinung, dass die Lage nur in den beiden Provinzhauptstädten relativ ok ist. In den anderen Dörfern oder Distrikten dieser Provinzen herrscht Unsicherheit.“) und er nicht mehr von der kritischen Sicherheitslage betroffen wäre als die restliche Bevölkerung (vgl. AS 271, arg. „LA: Wären Sie von der kritischen Sicherheitslage stärker betroffen, als die restliche Bevölkerung? – VP: Ich wäre nicht mehr als die anderen betroffen, sondern gleich.“).

Die Zustellung des Erkenntnisses ergibt sich aus der Übernahmebestätigung am Zustellnachweis. Dies wird weiters belegt durch den Hinweis des Asylwerbers in der Einvernahme am 10.06.2021, dass er, nachdem er von Schweden nach Österreich geschickt worden sei, erneut einen „negativen Bescheid“ erhalten habe (vgl. AS 137, arg. „[…] Am 07.12.2018 stellte ich in Schweden einen Asylantrag. Sie haben mich gemäß Dublinvertrag wieder nach Ö geschickt. Am 11.02.2019 kam ich wieder nach Ö. Ich hatte ein Interview 20.08.2019 [Anmerkung seitens des Bundesverwaltungsgerichts: Damit ist vermutlich die mündliche Verhandlung im Beschwerdeverfahren am 20.08.2020 gemeint.]. Danach erhielt ich erneut einen negativen Bescheid. […]“).

Die Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Asylwerbers im zweiten Verfahren auf Gewährung von internationalem Schutz gründen sich auf die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 11.05.2021 sowie auf die Einvernahmen durch ein Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl am 10. und 30.06.2021.

Der Asylwerber stützte sich im Zuge der mit ihm durchgeführten Befragungen im Verfahren über seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz ausdrücklich auf jene Fluchtgründe, die er bereits in seinem ersten Asylverfahren geltend gemacht hatte.

Die Feststellung, dass der Asylwerber an keiner schweren oder lebensbedrohlichen Erkrankung leidet, gründet sich auf seine Angabe, nicht in ärztlicher Behandlung zu stehen, keine Medikamente zu nehmen und derzeit keine Probleme zu haben (vgl. AS 135, arg. „LA: Leiden Sie an irgendwelchen schwerwiegenden Krankheiten? Benötigen Sie Medikamente? – VP: Ich bin nicht in Behandlung und nehme keine Medikamente. In der Zukunft könnte es sein, dass ich zum Arzt gehe. – LA: Aus welchem Grund könnte es sein, dass Sie zu einem Arzt gehen? – VP: Ich habe gesundheitliche Probleme. – LA: Welche Probleme? – VP: Derzeit habe ich keine Probleme. Im Fall, dass es mir in Zukunft nicht gut gehen würde, dann würde ich einen Arzt aufsuchen.“).

3. Rechtliche Beurteilung

3.1.    Das Verfahren der Verwaltungsgerichte (mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes) ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg cit). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl Nr. 51/1991 idF BGBl I Nr. 161/2013, mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (vgl. insbesondere § 1 BFA-VG).

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Nach § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.


Zu A)

3.2.    Der mit „Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen“ betitelte § 12a Abs. 2 AsylG 2005 lautet:

„(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn

1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG besteht,

2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.“

Gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 ergehen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 leg cit mündlich in Bescheidform. Die Beurkundung gemäß § 62 Abs. 2 AVG gilt auch als schriftliche Ausfertigung gemäß § 62 Abs. 3 AVG. Die Verwaltungsakte sind dem Bundesverwaltungsgericht unverzüglich zur Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG zu übermitteln. Diese Übermittlung gilt als Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht; dies ist in der Rechtsmittelbelehrung anzugeben. Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen der Überprüfung gemäß § 22 BFA-VG mit Beschluss zu entscheiden.

Der mit „Überprüfung der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes“ überschriftete § 22
BFA-VG lautet:

„(1) Eine Entscheidung des Bundesamtes, mit der der faktische Abschiebeschutz eines Fremden aufgehoben wurde (§ 12a Abs. 2 AsylG 2005), ist vom Bundesverwaltungsgericht unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen. Das Verfahren ist ohne Abhaltung einer mündlichen Verhandlung zu entscheiden. § 20 gilt sinngemäß. § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG ist nicht anzuwenden.

(2) Die Aufhebung des Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 und eine aufrechte Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG oder eine Ausweisung gemäß § 66 FPG sind mit der Erlassung der Entscheidung gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 durchsetzbar. Mit der Durchführung der die Rückkehrentscheidung oder Ausweisung umsetzenden Abschiebung gemäß § 46 FPG ist bis zum Ablauf des dritten Arbeitstages ab Einlangen der gemäß § 22 Abs. 10 AsylG 2005 zu übermittelnden Verwaltungsakten bei der zuständigen Gerichtsabteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuzuwarten. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Bundesamt unverzüglich vom Einlangen der Verwaltungsakte bei der zuständigen Gerichtsabteilung und von der im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 getroffenen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes zu verständigen.

(3) Über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes im Rahmen der Überprüfung gemäß Abs. 1 hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.“

3.3.    Zu den Voraussetzungen des § 12a AsylG 2005, auf den gegenständlichen Fall bezogen, im Detail:

3.3.1.  Aufrechte Rückkehrentscheidung:

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2018 wurde gegen den Asylwerber eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.09.2020 abgewiesen. Dieses Erkenntnis wurde dem Rechtsvertreter des Asylwerbers im damaligen Beschwerdeverfahren am 16.09.2020 zugestellt.

Hinweise, dass die Zustellung des Erkenntnisses vom 14.09.2020 nicht rechtmäßig erfolgt wäre, sind im gegenständlichen Verfahren nicht hervorgekommen, zumal der Asylwerber diesbezüglich auch kein Vorbringen in den Einvernahmen des zweiten Asylverfahrens erstattete.

3.3.2.  Res iudicata:

Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern" aufweisen, dem Relevanz zukommt (vgl. VwGH 09.03.2015, Ra 2015/19/0048; 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 31.07.2014, 2013/08/0163; vgl. dazu ausführlich die – zu einer früheren Rechtslage des AsylG 2005 getätigten, aber auch auf die nunmehrige Rechtslage übertragbaren – Erwägungen in VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344).

Im Folgeantragsverfahren können – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – nur neu entstandene Tatsachen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen, zu einer neuen Sachentscheidung führen, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden (vgl. VwGH 08.09.2015, Ra/2014/18/0089).

Der Asylwerber verwies anlässlich seiner Erstbefragung am 11.05.2021 ausdrücklich auf seine alten Fluchtgründe und erklärte im gegenständlichen zweiten Asylverfahren anlässlich seiner niederschriftlichen Befragung ausdrücklich, aus denselben Gründen wie schon im ersten Asylverfahren einen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen (vgl. AS 137, arg. „LA: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie den gegenständlichen Antrag gestellt haben? – VP: Es gibt keine neuen Gründe.“, sowie AS 139, arg. „LA: Das heißt, der Grund für den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sind dieselben Gründe, welche Sieb bereits in Ihrem Ersten Asylverfahren angegeben haben. Neu ist die derzeit unsichere Lage in Afghanistan. Ist das so richtig? – VP: Ich habe keine neuen Gründe. Ich wurde gefragt, wie die Lage in Afghanistan ist und ich habe Ihnen geantwortet.“). Es wurde vom Asylwerber daher kein geändertes Fluchtvorbringen ins Treffen geführt.

Soweit der Asylwerber in seiner Einvernahme am 10.06.2021 vorbrachte, er habe den Dolmetscher nur „50/50“ verstanden, ist ihm entgegenzuhalten, dass er zuvor und danach nach jeweils erfolgter Rückübersetzung die richtige und vollständige Protokollierung der Einvernahme bestätigte (vgl. AS 143 und AS 147, arg. „LA: Wurde Ihre Einvernahme richtig und vollständig protokolliert? – VP: Ja“).

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrags nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

Auch die für den Asylwerber maßgebliche Ländersituation ist seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14.09.2020 zur Frage der Zuerkennung von Asyl bzw. subsidiärem Schutz in Hinblick auf Afghanistan im Wesentlichen gleich geblieben.

3.3.3.  Prüfung der Verletzung von Rechten nach der EMRK:

Im nunmehr zweiten Asylverfahren bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Abschiebung des Asylwerbers nach Afghanistan eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Länderberichte kann nicht erkannt werden, dass in Afghanistan aktuell eine solche extreme Gefährdungslage bestünde, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, einer Gefährdung ausgesetzt wäre (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095 mwN); in Afghanistan ist eine Zivilperson aktuell nicht alleine aufgrund ihrer Anwesenheit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts ausgesetzt.

Es sind keine erheblichen in der Person des Asylwerbers liegenden neuen Sachverhaltselemente bekannt geworden, wie etwa eine schwere Erkrankung, die eine umfassende Refoulementprüfung für notwendig erscheinen lassen würden. Auch seitens des Asylwerbers wurde kein entsprechendes Vorbringen hiezu erstattet.

Es liegt weiters auch keine Gefahr einer Verletzung von Art 8 EMRK vor: Hinsichtlich der durchzuführenden Interessenabwägung ist anzuführen, dass eine solche nur dann positiv ausfallen kann, wenn ein besonders intensives Familienleben zu Personen in Österreich und/oder ein besonders intensives Privatleben vorliegen und der Asylwerber bereits herausragend integriert ist.

Der Asylwerber hat keine Familienangehörigen im Bundesgebiet.

In Bezug auf das Privatleben des Asylwerbers ist festzuhalten, dass er vor etwas mehr als drei Jahren erstmals nach Österreich einreiste, wobei er seitdem zweimal aus dem Bundesgebiet ausreiste und im Rahmen von Dublin-Verfahren nach Österreich überstellt werden musste.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren keine maßgebende Bedeutung für die Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK zu (vgl. etwa VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055). Weiters ist hervorzuheben, dass der Großteil des Aufenthalts lediglich auf einen unberechtigten Asylantrag zurückzuführen ist. Das Gewicht einer allenfalls erfolgten Integration im Bundesgebiet ist dadurch somit gemindert (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN). Der Asylwerber spricht nach seinen eigenen Angaben ein wenig Deutsch, besuchte Integrationskurse und arbeitete früher in der Flüchtlingsunterkunft. Auch dem Akteninhalt ist keine besondere Integrationsverfestigung des Asylwerbers, etwa in Form von tiefgreifenden Freundschaften und besonderem ehrenamtlichen Engagement, zu entnehmen. Es kann somit von einem fest verankerten Privatleben in Österreich und einer herausragenden Integration keine Rede sein.

Eine Verletzung eines schutzwürdigen Privat- und Familienlebens des Asylwerbers im Sinne des Art 8 EMRK liegt demgemäß im gegenständlichen Verfahren nicht vor, womit auch die Voraussetzung des § 12a Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 erfüllt ist.

Der am 11.05.2021 gestellte Folgeantrag wird daher zurückzuweisen sein.

3.3.4.  Rechtmäßigkeit des Verfahrens:

Im Verfahren zur Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 ist durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Ermittlungsverfahren durchzuführen (vgl. § 18 AsylG 2005), wobei auch der Grundsatz der Einräumung von rechtlichem Gehör (§ 37 und § 45 Abs. 3 AVG) zu beachten ist.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl führte ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durch. Der Asylwerber erhielt Parteiengehör, wurde am 10.06.2021 sowie am 30.06.2021 im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Dari einvernommen und gab am 30.06.2021 eine mündliche Stellungnahme zu den maßgeblichen Länderfeststellungen zu Afghanistan ab.

Im Lichte des § 22 BFA-VG hatte keine mündliche Verhandlung stattzufinden.

Da insgesamt die Voraussetzungen des § 12a Abs. 2 AsylG 2005 für die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes vorlagen, erfolgte der dazu mündlich verkündete Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2021 rechtmäßig, weshalb spruchgemäß zu entscheiden ist.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 9 iVm Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

aufrechte Rückkehrentscheidung faktischer Abschiebeschutz - Aufhebung rechtmäßig Folgeantrag non-refoulement Prüfung Pandemie res iudicata Risikogruppe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W123.2204579.2.00

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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