Entscheidungsdatum
19.07.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W286 2162404-3/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a DEUTSCH-PERNSTEINER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2021, Zl. 1102973510/210339865, zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gem. § 68 Abs. 1 AVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekannte sich vormals zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.
1.2. Am 20.01.2016 stellte er einen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 09.05.2017, gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Nachdem in einer schriftlichen Stellungnahme datiert mit 16.01.2018 vorgebracht worden war, dass sich der Beschwerdeführer für den christlichen Glauben interessiere, vor zirka eineinhalb Monaten begonnen habe, an christlichen protestantischen Gottesdiensten teilzunehmen und sohin wegen Konversion zum Christentum und der damit zusammenhängenden Abkehr vom Islam einen Nachfluchtgrund verwirklicht habe, fand am 02.07.2019 eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, wobei der Beschwerdeführer zu seiner Identität und Herkunft sowie zu seinen Fluchtgründen, insbesondere zu der von ihm behaupteten Hinwendung zum Christentum, und auch zu seinem Leben in Österreich befragt wurde.
1.3. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2019, Zl. W114 2162404-1, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 09.05.2017 abgewiesen und begründend dargelegt, dass der Beschwerdeführer nicht in der Lage gewesen sei, eine asylrelevante Verfolgungsgefahr aufgrund seiner Fluchtgeschichte glaubhaft zu machen. Er vermochte zwar darzulegen, dass er mit seinem Stiefvater Schwierigkeiten bekommen könnte, diese würden jedoch keine mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung aufgrund eines Konventionsgrundes darstellen. Es sei nicht davon auszugehen, dass er den christlichen Glauben verinnerlicht habe und das Christentum Teil seiner Persönlichkeit geworden sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass er im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan christliche Glaubensinhalte und Glaubenswerte auch ausleben würde und dass er aufgrund seines Interesses für den christlichen Glauben mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
Der Beschwerdeführer könne sich bei einer Rückkehr jedenfalls in Herat oder in Mazar-e Sharif niederlassen und sich dort eine neue Existenz aufbauen. Er könne, wie bereits auch in der Vergangenheit, mit finanzieller Hilfe durch seine Familie rechnen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung greife nicht in sein Recht auf Familienleben ein und der Eingriff in sein Privatleben sei nicht unverhältnismäßig, zumal vor dem Hintergrund der erst kurzzeitigen Aufenthaltsdauer noch keine nachhaltige Integration in Österreich vorliege.
2.1. In der Folge war der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthaltes und wurde am 02.12.2019 von Deutschland nach Österreich überstellt, wo er am gleichen Tag einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich einbrachte.
2.2. Im Verlauf seiner Erstbefragung am 02.12.2019 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass seine alten Asylgründe noch immer gelten würden. Da er aus dem Islam ausgetreten sei, könne er in Afghanistan nicht mehr sicher leben. Weitere Gründe für eine Asylantragstellung habe er keine. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben. Die Änderungen seiner Fluchtgründe seien ihm seit Mitte 2017 bekannt.
2.3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 09.12.2019 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) brachte der Beschwerdeführer eine Bestätigung über eine stationäre Krankenhausbehandlung vom 05.12.2019 bis zum 07.12.2019 samt vorläufigem Arztbrief sowie einen Terminplaner für psychologische Beratung in Vorlage und gab im Wesentlichen an, er sei wegen einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Episode und einer Überdosis an Tabletten in stationärer Behandlung gewesen. Seit er eine negative Entscheidung von der zweiten Instanz bekommen habe, leide er an psychischen Problemen. Auch in Deutschland sei er in psychologischer Behandlung gewesen, die Unterlagen seien in Deutschland geblieben. Hinsichtlich seiner neuen Fluchtgründe verwies der Beschwerdeführer auf seinen Gesundheitszustand. Es gehe ihm gesundheitlich nicht gut und er könne eine nochmalige negative Entscheidung über seinen Asylantrag nicht verkraften. Es gehe ihm psychisch schlecht und er brauche eine intensive Behandlung. Sonstige Fluchtgründe habe er keine. Am 28.01.2016 sei er erstmals nach Österreich eingereist und habe sich nach negativer Entscheidung in zweiter Instanz nach Deutschland im August 2019 begeben, von wo er wieder nach Österreich rücküberstellt worden sei. Er lebe nicht in einer Lebensgemeinschaft und habe keine in Österreich, der EU, Norwegen, der Schweiz oder Island aufhältige Eltern oder Kinder. In Österreich bestreite er seinen Lebensunterhalt von der Grundversorgung, er besuche Deutschkurse und spreche auch Deutsch.
2.4. Am 19.02.2020 wurde ein „Klinisch-psychologischer Befundbericht“ einer klinischen- und Gesundheitspsychologin sowie Psychotherapeutin vom 29.01.2020 übermittelt, woraus sich ergibt, dass der Beschwerdeführer an einer Posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden schweren depressiven Störung mit suizidalen Gedanken und Handlungen leidet. Es sei davon auszugehen, dass eine ursprüngliche Anpassungsstörung in ein posttraumatisches Belastungssyndrom übergegangen sei.
In der Folge wurde seitens einer Ärztin für Allgemeinmedizin, psychosomatische und psychotherapeutische Medizin, Psychotherapeutin sowie allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen eine gutachterliche Stellungnahme im Zulassungsverfahren am 04.03.2020 verfasst, wonach der Beschwerdeführer an einer Anpassungsstörung F43.21 samt längeren depressiven Reaktion leidet. Es könne derzeit keine PTSD festgestellte werden, zumal weder zeitlich noch inhaltlich ein kausaler Zusammenhang bestehe bzw. die Kriterien fehlen würden. Vielmehr finde sich eine Reaktion auf Belastungen, die sich in Form einer Anpassungsstörung zeige, die auch länger als sechs Monate dauern könne und durch die längere depressive Reaktion codiert werde. Therapeutische oder medizinische Maßnahmen wären nicht anzuraten. Im Falle einer Überstellung sei eine Verschlechterung anzunehmen. Eine akute Suizidalität finde sich bei Befundaufnahme nicht, eine Affekthandlung sei aufgrund der doch etwas gelockerten Impulskontrolle und der langen bestehenden Belastung nicht gänzlich auszuschließen.
2.5. In einer dazu am 18.03.2020 eingelangten Stellungnahme machte der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung geltend, dass die ärztliche Einschätzung aus näher dargelegten Gründen nicht nachvollziehbar sei und auf mangelndes Wissen der Vorgeschichte des Beschwerdeführers, eine unspezifische Anamnese sowie fehlendes Eingehen auf die im psychologischen Befundbericht aufgezählten Symptome (Flashbacks, Angst, Somatisierung, etc.) zurückzuführen sein könnte. Der Gesundheitszustand des Beschwerdeführers sei eindeutig von medikamentöser und psychotherapeutischer Therapie sowie von einer sicheren Lebenssituation abhängig, die in Afghanistan nicht gegeben seien.
2.6. Mit Bescheid vom 20.03.2020 wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl bezüglich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurück. Gleichzeitig wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) idgF gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) idgF erlassen (Spruchpunkt IV.),sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt VI.), gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.) und ihm gemäß § 15b Abs. 1 Asylgesetz 2005 aufgetragen, von 02.12.2019 bis 16.12.2019 in einem näher bezeichneten Quartier Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).
Begründend wurde zu den Spruchpunkten I. und II. ausgeführt, dass weder ein glaubhafter noch ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt habe festgestellt werden können. Da weder in der maßgeblichen Sachlage noch im Begehren und auch nicht in den anzuwendenden Rechtsnormen eine Änderung eingetreten sei, welche eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen ließe, stehe die Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 11.07.2019 dem neuerlichen Antrag entgegen. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter Spruchpunkt IV. sei zulässig, weil der Beschwerdeführer in Österreich kein Familienleben führe, nicht berufstätig sei, sich in Grundversorgung befinde, keine Schule oder Universität besuche und auch nicht Mitglied in einem Verein sei. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan sei zulässig und angesichts der zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG bestehe gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Da der Beschwerdeführer seit seiner ersten Einreise in das österreichische Bundesgebiet ausschließlich von öffentlichen Mitteln lebe und daher den Besitz von Mitteln zur Bestreitung seines Unterhalts nicht nachweisen könne, sei der Tatbestand des § 53 Abs. 2 Z 6 FPG erfüllt. Zudem habe der Beschwerdeführer seine Ausreiseverpflichtung missachtet und sei offensichtlich nicht bereit, die österreichische Rechtsordnung sowie rechtskräftige behördliche bzw. gerichtliche Entscheidungen zu beachten, sodass sein Aufenthalt in Österreich eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstelle. Die Erlassung eines Einreiseverbotes in der angegebenen Dauer unter Spruchpunkt VII. sei daher gerechtfertigt und notwendig, um die von ihm ausgehende Gefährdung zu verhindern. Zur Anordnung der Unterkunftnahme legte das BFA dar, dass gegen den Beschwerdeführer vor Stellung des gegenständlichen Antrags eine Rückkehrentscheidung erlassen worden sei und er der Frist zur freiwilligen Ausreise im Erstverfahren nicht nachgekommen sei, sodass die Anordnung zur Unterkunftnahme gemäß § 15b Abs. 2 Z 3 AsylG geboten sei.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsvertretung fristgerecht Beschwerde, worin geltend gemacht wurde, dass sich der psychische Zustand seit der negativen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes verschlimmert habe. Der Beschwerdeführer habe sich „nun vollends dem christlichen Glauben hingegeben“ und die für den 20.04.2020 geplante Taufe sei aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden. Auch die allgemeine Lage habe sich in Afghanistan aufgrund der Corona-Pandemie grundlegend verändert. Das afghanische Gesundheitssystem werde nicht in der Lage sein, mit der Pandemie umzugehen und werde über kurz oder lang zusammenbrechen. Im Falle einer Rückkehr und einer Ansteckung mit dem Corona-Virus, könnte der Beschwerdeführer keine Behandlung in Anspruch nehmen. Nach Verweis auf Berichte zur Lage von Apostaten, zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan wurde geltend gemacht, dass eine aktuelle Rückkehr nach Afghanistan, insbesondere in die Großstädte Kabul, Herat und Mazar-e Sharif derzeit unter Berücksichtigung der Corona-Situation unzumutbar sei. Wie sich aus einem Beitrag von Friederike Stahlmann vom 27.03.2020 und Berichten aus den letzten Wochen ergeben würde, könnte der Beschwerdeführer lebensnotwendige Bedürfnisse wie Unterkunft, Arbeit, medizinische Versorgung oder Zugang zur Lebensmitteln und Trinkwasser derzeit nicht decken. Da der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr asylrelevanter Verfolgung aufgrund seiner Konversion ausgesetzt wäre, hätte dem Folgeantrag des Beschwerdeführers stattgegeben werden müssen. Durch die Corona-Pandemie stelle sich die Lage in Afghanistan als äußerst prekär dar, weshalb ihm jedoch zumindest der Status eines subsidiär Schutzberechtigten hätte zuerkannt werden müssen. Bei korrekter Würdigung hätte das Verfahren des Beschwerdeführers inhaltlich geprüft werden müssen, sodass sich der Beschwerdeführer in Grundversorgung befinden würde, nicht mittellos wäre und kein Grund vorliegen würde, um ein Einreiseverbot gegen ihn zu verhängen.
2.7. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.06.2020, Zl. W144 2162404-2, wurde die Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 09.05.2017 abgewiesen und begründend dargelegt, dass das BFA zu Recht davon ausging, dass sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten entschiedene Sache vorliegt und führte dazu näher aus:
„Der BF berief sich zur Begründung des gegenständlichen Folgeantrages vor dem BFA einerseits auf eine Abkehr vom Islam bzw. auf eine Konversion zum christlichen Glauben und andererseits auf seine psychischen Probleme. Wie bereits festgestellt und beweiswürdigend dargelegt wurde, stützte sich der BF hinsichtlich des behaupteten Abfalls vom Islam bzw. einer Konversion zum christlichen Glauben vor dem BFA jedoch auf Umstände, die bereits im ersten Asylverfahren vorgebracht und im rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2019 thematisiert wurden. Insofern erstmals im Beschwerdeschriftsatz behauptet wird, die für den 20.04.2020 geplante Taufe habe aufgrund der Corona-Pandemie verschoben werden müssen, ist zunächst auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen hat (vgl. VwGH 24.06.2014, Ra 2014/19/0018). Doch selbst wenn man die nunmehr vorgebrachte, geplante Taufe als Ergänzung des Vorbringens vor dem BFA sehen würde, wäre daraus für den BF nichts zu gewinnen, weil dieses Vorbringen keinen glaubhaften Kern aufweist, wie bereits beweiswürdigend dargelegt wurde. Damit behauptet der BF im Ergebnis bloß ein „Fortbestehen und Weiterwirken“ (vgl. VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) des schon im ersten Asylverfahren erstatteten Vorbringens und beabsichtigte im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung seines mit Erkenntnis vom 11.07.2019 bereits rechtskräftig entschiedenen Antrags auf internationalen Schutz (vgl. VwGH 07.06.2000, 99/01/0321).
Auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist keine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung gegenüber der rechtskräftigen Vorentscheidung eingetreten. Beim BF wurde zwar nunmehr eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert, es wurden keine therapeutischen oder medizinischen Maßnahmen angeraten und es bestehen keine Hinweise für eine daraus resultierende eingeschränkte Arbeits- und Selbsterhaltungsfähigkeit, sodass von keiner entscheidungsrelevanten Sachverhaltsänderung im Hinblick auf eine Refoulement-Prüfung auszugehen ist.
Schließlich ist auch unter Berücksichtigung der Entwicklungen in Afghanistan aufgrund der COVID-19-Pandemie – als allgemein bekannte Tatsachen – nicht von einer relevanten Sachverhaltsänderung im Falle des BF auszugehen. Der BF fällt unter keine Risikogruppe im Zusammenhang mit COVID-19, sodass für ihn nur ein minimales Risiko eines schweren Krankheitsverlaufs im Falle einer Infektion mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 besteht und ein noch geringeres Risiko eines tödlichen Verlaufs, sodass – selbst für den Fall eines faktischen Fehlens intensivmedizinischer Betreuung in Afghanistan, wie in der Beschwerde behauptet wurde – ein reales Risiko einer Verletzung des Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit einer allfälligen Ansteckung mit dem Corona-Virus SARS-CoV-2 nicht erkennbar ist. Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegt wurde, ist auch im Hinblick auf die im rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts angenommene Möglichkeit einer Neuansiedlung in den Städten Herat oder Mazar-e Sharif von keiner relevanten Änderung im Falle des BF auszugehen, mag sich die Versorgungslage auch aufgrund der derzeitigen COVID-19-Pandemie angespannt haben.
Das BFA hat im vorliegenden Fall daher zu Recht den neuerlichen Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen.“
3.1. In der Folge war der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthaltes und begab sich am 18.08.2020 nach Deutschland, wo er am 16.09.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Nach erfolgter Zustimmung zum Wiederaufnahmeersuchen Deutschlands wurde der Beschwerdeführer am 11.03.2021 nach Österreich überstellt (AS 37, 45). Der in Deutschland gestellte Antrag auf internationalen Schutz gilt, da Österreich gem. der Dublin III-VO zuständig wurde, als solcher in Österreich (VwGH 03.07.2018, Ra 2018/21/0025), eingebracht wurde er mit 11.03.2021.
3.2. In der Erstbefragung am 11.03.2021 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, seine alten Fluchtgründe bleiben aufrecht. Er sei jetzt ungläubig und glaube nicht mehr an den Islam und an Gott. Aus diesem Grund könne er nicht mehr zurück. Als Rückkehrbefürchtung äußerte er, in Afghanistan getötet zu werden, weil er nicht mehr an den Islam glaube. Auf die Frage, seit wann ihm die Änderung der Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt sei, gab er an, dass er vor ca. zwei Jahren beschlossen habe, sich vom Islam abzuwenden.
3.3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme am 12.05.2021 vor dem BFA brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass er Medikamente wegen „Stress“ nehme, und zwar derzeit eine Tablette Mirtazipan täglich. Der Beschwerdeführer gab an, dass er im Momente keine Religion habe und ihm keine gefalle. Er sei in Afghanistan als Moslem geboren, aber seit er in Österreich angekommen sei und sich mit der Religion auseinandergesetzt habe, habe er gemerkt, dass er keine Religion notwendig habe und seitdem habe er kein Bekenntnis. Zu seinen Geschwistern gab er an, dass er nur zu einem in der Türkei lebenden Bruder Kontakt habe, zu den anderen habe er seit 1,5 bis 2 Jahren keinen Kontakt das es in deren Heimatregion keine telefonische Verbindung gebe und es unter der Herrschaft der Taliban sei. Der Beschwerdeführer brachte weiters vor, dass er zu 100% zur Überzeugung gelangt sei, dass er keine Religion und keinen Gauben habe. Er sei streng religiös erzogen und vom Vater zum Lernen des Koran und zum Beten gedrillt worden und er habe eine automatische Ablehnung gegen den Islam bekommen. Als er hierher gekommen sei, habe er allmählich gelernt, dass diese Religion für ihn ein Hindernis sei, er wolle selbst über sein Leben bestimmen und entscheiden. Im Islam werde alles vorgegeben, wie man sich verhalten solle und das wolle er nicht mehr. Auf Vorhalt der beiden vorangegangenen Anträge auf internationalen Schutz und zur Frage zum Motiv der dritten Antragstellung gab der Beschwerdeführer an, dass er in früheren Interviews von den Schwierigkeiten und seinen Fluchtgründen erzählt habe. Dann habe er im zweiten Asylverfahren angegeben, dass er kein religiöses Bekenntnis mehr habe und hätte diese Gründe angeführt. Gefragt, welche Fluchtgründe er bei der Antragstellung auf internationalen Schutz angegeben habe, gab er an, die gleichen Gründe, wie er sie hier erzählt habe. Gefragt, ob es sonst noch Neues gebe, meinte er, die heute erzählten Dinge seien neu. Zudem gab er an, dass er mit seiner Mutter einmal vor zwei Jahren telefoniert habe und dass er zu seinem in der Türkei lebenden Bruder keinen direkten Kontakt habe, sondern von dessen dortigem Aufenthalt von einem Bekannten wüsste. Im Weiteren wurde der Beschwerdeführer zu den Suren des Koran und dazu befragt, wie oft er in Afghanistan die Moschee besuchte. Gefragt, ob es seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens am 12.07.2019 irgendwelche Änderungen an seinen Fluchtgründe gebe, brachte der Beschwerdeführer vor, es seien die gleichen Gründe wie damals aber seit er nach Österreich gekommen sei, habe er die neuen Gründe, die er erläutert habe, nämlich, dass er überhaupt nicht mehr an die Religion glaube, kein Bekenntnis habe. Auf Vorhalt der beabsichtigten Zurückweisung seines Antrages wegen entschiedener Sache gab der Beschwerdeführer an, dass er als 17- oder 18-jähriger auf Facebook Fotos von Kirchen und vom Kreuz reingegeben habe, er deshalb bedroht worden sei und diese löschen habe müssen.
3.4. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurück. Dazu stellte das BFA in Wesentlichen fest, dass der Beschwerdeführer an keiner lebensbedrohlichen Krankheit leide und ein Medikament einnehme. Ein neuer entscheidungsrelevanter Sachverhalt könne nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer habe im neuerlichen Asylverfahren keine weiteren asylrelevanten Gründe vorgebracht bzw. habe sich kein neuer objektiver Sachverhalt ergeben. Die allgemeine maßgebliche Lage im Herkunftsstaat habe sich nicht geändert.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Der volljährige, ledige und kinderlose Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an und bekannte sich bis zu seiner Ausreise aus Afghanistan zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam.
Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Ghazni geboren und wuchs dort auf. Er besuchte sechs Jahre lang eine Schule in Afghanistan, ging vor seiner Ausreise aus Afghanistan keiner Beschäftigung nach und absolvierte keine Berufsausbildung. Auf seiner Flucht war er im Iran mehrere Monate als Schneider tätig. Seine Muttersprache ist Dari.
In Afghanistan und im Iran verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte. Seine Familie verfügt in Afghanistan mindestens über ein Haus und über mehrere landwirtschaftlich nutzbare Grundstücke, die für die Familie des Beschwerdeführers von anderen Personen bewirtschaftet wurden. Im Iran lebt ein Onkel, der dem Beschwerdeführer für seine Ausreise aus Afghanistan 8.000 US-Dollar zur Verfügung gestellt hat. Ein Bruder des Beschwerdeführers lebt mittlerweile in der Türkei. Der Vater des Beschwerdeführers ist verstorben. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, kann der Beschwerdeführer nach wie vor mit finanzieller Hilfe von seiner Familie rechnen.
1.2. Der Beschwerdeführer machte bis zum Abschluss des ersten Asylverfahrens in Österreich keine Krankheiten oder gesundheitlichen Probleme geltend. Seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens bekam er eigenen Angaben zufolge psychische Probleme. Er befand sich vom 05.12.2019 bis zum 07.12.2019 sowie vom 20.12.2019 bis zum 23.12.2019 in stationärer Behandlung in einer Abteilung für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin. Bei Entlassung konnte er sich deutlich von suizidalen Ideen distanzieren und es wurden die Medikamente Mirtazapin und Xanor (nur bei starker Unruhe) verordnet. In der gutachterlichen Stellungnahme vom 04.03.2020 wurde beim Beschwerdeführer eine Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion diagnostiziert. Therapeutische und medizinische Maßnahmen wurden nicht angeraten.
Am 27.05.2021 konsumierte der Beschwerdeführer in seiner Asylwerberunterkunft Alkohol und verhielt sich aggressiv gegenüber dem Personal, einschreitender Polizei und der Einrichtung seines Zimmers, wo er Waschbecken und Toilette beschädigte. Angeblich wollte er vom Balkon springen und schließlich versuchte er, sich mit Rasierklingen am Hals zu schneiden. Der Beschwerdeführer war daraufhin bis 28.05.2021 in stationärer Behandlung in einem Klinikum auf der Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie. Dort wurde eine Alkoholisierung von 1,3 Promille festgestellt und beim Beschwerdeführer eine nicht näher bezeichnete „Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol“ (F 10.9), eine Psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol“: akute Intoxikation [akuter Rausch] (F 10.0) und eine sonstige depressive Episode (F 32.8) diagnostiziert. Der Beschwerdeführer war (nach Abklingen der Intoxikation) bei der Entlassung am 28.05.2021 durchgehend klar und glaubhaft von Suizid distanziert und zeigte auch keine selbstschädigenden Tendenzen mehr. Dem Beschwerdeführer wurden die Einnahme von Mirtazipan einmal täglich sowie – als Bedarfsmedikation – zwei weitere Medikamente verordnet. Empfohlen wurde haus- und fachärztliche Kontrolle, die Vorstellung bei einem psychiatrischen Facharzt und eine Psychotherapie.
Es bestehen keine Hinweise für eine Einschränkung der Arbeits- und Selbsterhaltungsfähigkeit im Falle einer Rückkehr.
1.3. In Österreich stellte der Beschwerdeführer bereits am 20.01.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2019 abgewiesen und mit einer Rückkehrentscheidung verbunden wurde.
In diesem (ersten) Verfahren wurde das vom Beschwerdeführer (auch zur Begründung des zweiten Antrags, gestellt am 02.12.2019) geltend gemachte Vorbringen, er könne in Afghanistan nicht mehr sicher leben, weil er aus dem Islam ausgetreten sei, bereits thematisiert. In der mit 16.01.2018 datierten schriftlichen Stellungnahme brachte der Beschwerdeführer im ersten Asylverfahren erstmals vor, wegen der Konversion zum Christentum und der damit zusammenhängenden Abkehr vom Islam einer Verfolgungsgefahr in Afghanistan ausgesetzt zu sein.
Diesbezüglich führte das Bundesverwaltungsgericht im (materiellen) Erkenntnis vom 11.07.2019 insbesondere begründend aus: „Der Beschwerdeführer vermochte insbesondere in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 02.07.2019 nicht darlegen, dass er bei einer Rückkehr nach Afghanistan wegen eines allenfalls tatsächlich erfolgten Glaubenswechsels gefährdet wäre, wegen dieses Glaubenswechsels bzw. wegen seiner von ihm angegebenen Religionszugehörigkeit bzw. wegen eines Glaubensabfalls mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus religiösen Gründen bei einer Rückkehr nach Afghanistan verfolgt zu werden.“
Im (zurückweisenden) Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.06.2020 im Verfahren über seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz wurde entsprechend festgehalten, dass der Beschwerdeführer sich hinsichtlich des behaupteten Abfalls vom Islam bzw. einer (Anm.: in nunmehr dritten Verfahren nicht mehr vorgebrachten Konversion vom christlichen Glauben) auf Umstände stützte, die bereits im rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11.07.2019 erwogen wurden.
Im gegenständlichen (dritten) Verfahren legte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung und vor dem BFA keine Sachverhaltsänderung hinsichtlich eines Abfalls vom Islam dar. Der Beschwerdeführer brachte in der Erstbefragung am 11.03.2021 im Wesentlichen vor, seine alten Fluchtgründe bleiben aufrecht. Er sei jetzt ungläubig und glaube nicht mehr an den Islam und an Gott. Als Rückkehrbefürchtung äußerte er, in Afghanistan getötet zu werden, weil er nicht mehr an den Islam glaube. Auf die Frage, seit wann ihm die Änderung der Situation bzw. seiner Fluchtgründe bekannt sei, gab er an, dass er vor ca. zwei Jahren beschlossen habe, sich vom Islam abzuwenden (AS 37, 38, Hervorhebung durch W286) – damit bezog er sich auf einen Zeitpunkt [ca. März 2019], in dem das materielle Beschwerdeverfahren über seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz noch anhängig war (Anm.: das Erkenntnis des BVwG wurde mir 11.07.2020 erlassen). Der Beschwerdeführer brachte in der Einvernahme vor dem BFA am 12.05.2021 vor, seitdem er in Österreich angekommen sei, gemerkt zu haben, dass er keine Religion notwendig habe und er seitdem kein Bekenntnis habe (Hervorhebung durch W286). Er gab an, dass er zu 100% zur Überzeugung gelangt sei, dass er keine Religion und keinen Glauben habe. Er sei streng religiös erzogen und vom Vater zum Lernen des Koran und zum Beten gedrillt worden und er habe eine automatische Ablehnung gegen den Islam bekommen. Schließlich gab er an, dass er als 17- oder 18-jähriger auf Facebook Fotos von Kirchen und vom Kreuz reingegeben habe, er deshalb bedroht worden sei und diese löschen habe müssen (Hervorhebung durch W286).
Der Beschwerdeführer erstattete kein neues Vorbringen, sondern bekräftigte schon in den vorangegangenen Verfahren, insbesondere im ersten Verfahren, Vorgebrachtes. Der Beschwerdeführer bezog sich zudem auf Umstände, die bereits im Zeitraum der Anhängigkeit des ersten Verfahrens verwirklicht gewesen wären. Sein Vorbringen weist keinen glaubhaften Kern auf.
1.4. Zur allgemeinen politischen und menschenrechtlichen Situation in Afghanistan werden Länderfeststellungen, die das BFA im angefochtenen Bescheid traf, festgestellt:
Zur Lage in Ihrem Herkunftsstaat:
Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Ihrem Herkunftsstaat Afghanistan wurden bisher 117.158 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 4.794 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden und 835.694 verabreichte Impfdosen (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 30.06.2021).
Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind ( https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen_alt.html, abgerufen am 30.06.2021).
Die relevanten Punkte und von Amtswegen berücksichtigte Ländersituation beruht auf folgenden Quellen und lauten wie folgt:
Länderspezifische Anmerkungen
Letzte Änderung: 10.06.2021
Quellenangabe und -verwendung
Administrative Einheiten (Distrikte und Provinzen von Afghanistan):
NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf
Angaben zur Anzahl der Distrikte, den Distriktgrenzen und der administrativen Zugehörigkeit der Distrikte variieren mitunter. 2020 veröffentlichte die afghanische National Statistics and Information Authority (NSIA) eine Publikation mit der Anzahl der Distrikte (insg. 388). Da es sich hierbei mit Stand Juni 2020 um die aktuellste und umfassendste Publikation zur Anzahl und Einordnung der Distrikte in ganz Afghanistan handelt, stützt sich die Darstellung der Sicherheitslage in den Provinzen auf diese Einteilung. Sogenannte "temporäre" Distrikte werden eigens ausgewiesen, ebenso wie kürzlich erfolgte Änderungen der Distrikt- oder Provinzgrenzen (NSIA 1.6.2020).
Die Transkription afghanischer Eigennamen erfolgt im Allgemeinen nicht nach universell angewandten Regeln. Im Folgenden wurde im Sinne einer Einheitlichkeit weitgehend die Schreibweise der NSIA übernommen. Es wird allerdings darauf hingewiesen, dass Variationen möglich und üblich sind.
Sicherheitsrelevante Vorfälle:
ACLED – Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data http://www.acleddata.com/data/, Zugriff 26.2.2021
ACLED erfasst sicherheitsrelevante Vorfälle und Todesopfer mittels Medienbeobachtung, d.h. es werden online verfügbare Nachrichtenberichte über sicherheitsrelevante Vorfälle gesammelt und die relevanten Ereignisse anhand eines vorgegebenen Codierschemas in den Vorfallsdatensatz aufgenommen (ACLED 3.2020). Nicht alle Gebiete in Afghanistan können jedoch gleichermaßen von Journalisten besucht werden (HE 5.5.2019). ACLED berücksichtigt bei der Datensammlung unter anderem auch Berichte von Voice of Jihad, der Website der Taliban (ACLED 3.2020). Angaben der Taliban zu den Opferzahlen sind oftmals übertrieben (FAZ 19.10.2017). ACLED verwendet bei der Zählung der Todesopfer die kleinste in den Quellen zu findende Anzahl an Todesopfern. Sind die Angaben zu den Todesopfern in den Quellen ungenau (z.B. „zahlreiche Tote“) oder unbekannt, so codiert ACLED automatisch zehn Todesopfer - oder drei Todesopfer, sofern bekannt ist, dass es sich um weniger als zehn Todesopfer handelt (ACLED 3.2020). Die Angaben zu den Todesopfern sind somit Schätzungen von ACLED.
ACLED erfasst die folgenden gewaltsamen Vorfälle: Kampfhandlungen ohne Gebietsveränderungen, Kampfhandlungen, bei denen ein nichtstaatlicher Akteur ein Gebiet einnimmt, Kampfhandlungen, in denen eine Regierung Gebiete zurückgewinnt, Gewalt gegen Zivilisten, so genannte „remote violence“ - Gewalt ohne die physische Anwesenheit des Gewaltausübenden (z.B. Bombenanschläge, IEDs, Raketenangriffe etc.), wie auch Demonstrationen und Aufstände. Die folgenden gewaltlosen Ereignisse werden erfasst: gewaltfreie Gebietsübernahmen, Aufbau von Hauptquartieren oder Stützpunkten sowie strategische Entwicklungen (ACLED 3.2020).
ACLED empfiehlt mit Stand Februar 2021, die Daten zur Gewalt bzw. zu den Todesopfern in Afghanistan in den Jahren 2019 und 2020 nicht miteinander zu vergleichen, da ein Wandel in der Berichtspraxis der Taliban (bzw. von Voice of Jihad) und der afghanischen Regierung (bzw. dem afghanischen Verteidigungsministerium) zum Anschein einer Gewaltreduktion beigetragen haben könnte. ACLED überprüft derzeit Veränderungen in der Berichterstattung und ergänzt die Daten durch weitere Quellen (ACLED o.D.).
Anmerkung: Detaillierte Informationen zu diesem Thema finden Sie im Kapitel "Sicherheitslage".
Weitergehende Informationen zur Vorgehensweise von ACLED können der aktuellen Methodologie von ACLED entnommen werden: https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-in-Afghanistan_Mar2020_update.pdf.
Im Folgenden wird bei der Beschreibung der Sicherheitslage in den Provinzen auf Daten von ACLED zurückgegriffen, da sie eine Betrachtung von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf Distriktebene zulassen. Die Staatendokumentation stellt Tabellen über Vorfälle zur Verfügung, die ACLED als sicherheitsrelevant einschätzt und bei denen ACLED mindestens ein Todesopfer zählte.
GIM - Globalincidentmap: Globalincidentmap displaying Terrorist Acts, Suspicious Activity, and General Terrorism News, www.globalincidentmap.com, Zugriff 26.2.2021
Globalincidentmap nutzt internetbasierte globale Nachrichtenmedien, um weltweit sicherheitsrelevante Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus zu sammeln und georeferenzierte Darstellungen solcher Vorfälle unter Kategorien auf einer Online-Karte darzubieten. Jeder sicherheitsrelevante Vorfall wird immer mit einem Verweis auf die Quelle angezeigt. Die Klassifizierung von GIM nach Vorfalltyp wird von der Staatendokumentation beibehalten, mit Ausnahme der beiden Kategorien „Sonstige verdächtige Aktivitäten“ und „Allgemeine Terrorismus-Nachrichten“, welche die Staatendokumentation der breiteren Kategorie „Sonstige, undefiniert“ zuordnet, da sie sich keiner spezifischen Gruppierung zurechnen lassen. Es werden nur Vorfälle registriert und dargestellt, die Globalincidentmap Aufständischen zuschreibt bzw. mit deren Handlungen verbindet, einschließlich Bombenanschläge (erfolgreiche oder versuchte), gezielte Tötungen oder Mordversuche, Entführungen, Brandanschläge, Feuerüberfälle und Schießereien. Kriminelle Vorfälle, die nicht mit terroristischen Handlungen verbunden sind, werden nicht erfasst. Aktivitäten staatlicher Akteure werden unter der Kategorie „Verhaftungen, Tötungen“ eingeordnet.
Im Folgenden wird bei der Beschreibung der Sicherheitslage in den Provinzen auf Daten von Globalincidentmap zurückgegriffen, da der Datensatz eine Betrachtung von sicherheitsrelevanten Vorfällen auf Distriktebene zulässt. Die Staatendokumentation stellt Tabellen über Vorfälle zur Verfügung, die Globalincidentmap als sicherheitsrelevant einschätzt. Dabei wurden Doppeleinträge händisch herausgefiltert.
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021
Im Folgenden wird auf Informationen zur Anzahl an zivilen Opfern zurückgegriffen, die UNAMA in ihren Berichten zum Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt bereitstellt. UNAMA verifiziert Vorfälle durch Mehrfachprüfung und führt unter anderem vor-Ort-Recherchen durch. Zur Verifizierung von zivilen Opfern verwendet UNAMA mindestens drei verschiedene unabhängige Quellen. Unverifizierte Vorfälle werden nicht in die Berichte aufgenommen. UNAMA weißt darauf hin, dass eine lückenhafte Erfassung von zivilen Opfern aufgrund von Einschränkungen, welche mit dem Rechercheumfeld einhergehen, möglich ist (UNAMA 2.2021a).
Bevölkerungsdaten:
NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf
Im Folgenden wird auf Informationen zur Bevölkerungsanzahl in Afghanistan zurückgegriffen, welche die National Statistics and Information Authority bereitstellt. Aufgrund von mehr als drei Jahrzehnten Krieg und Konflikt im Land war es seit 1979 nicht möglich, eine Volkszählung durchzuführen. Die Bevölkerungszahlen von 2020-21 wurden daher auf der Grundlage der Daten aus den Haushaltslisten von 2003-05 geschätzt (NSIA 1.6.2020).
Covid-19
Das genaue Ausmaß der COVID-19-Krise in Afghanistan ist unbekannt. In der vorliegenden Länderinformation erfolgt lediglich ein Überblick und keine erschöpfende Berücksichtigung der aktuellen COVID-19-PANDEMIE, weil die zur Bekämpfung der Krankheit eingeleiteten oder noch einzuleitenden Maßnahmen ständigen Änderungen unterworfen sind. Besonders betroffen von kurzfristigen Änderungen sind Lockdown-Maßnahmen, welche die Bewegungsfreiheit einschränken und damit Auswirkungen auf die Möglichkeiten zur Ein- bzw. Ausreise aus / in bestimmten Ländern und auch Einfluss auf die Reisemöglichkeiten innerhalb eines Landes haben kann.
Insbesondere können zum gegenwärtigen Zeitpunkt seriöse Informationen zu den Auswirkungen der Pandemie auf das Gesundheitswesen, auf die Versorgungslage sowie generell zu den politischen, wirtschaftlichen, sozialen und anderen Folgen nur eingeschränkt zur Verfügung gestellt werden.
Die hier gesammelten Informationen sollen daher die Lage zu COVID-19 in Afghanistan zum Zeitpunkt der Berichtserstellung (3.2021) wiedergeben. Es sei zu beachten, dass sich bestimmte Sachverhalte (zum Beispiel Flugverbindungen bzw. die Öffnung und Schließung von Flughäfen oder etwaige Lockdown-Maßnahmen) kurzfristig ändern können.
Diese Informationen werden in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Zusätzliche Informationen zu den einzelnen Themengebieten sind den jeweiligen Kapiteln zu entnehmen.
Weitere Produkte der Staatendokumentation zu Afghanistan
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Rasuly-Paleczek Gabriele - Österreich] (10.2020): Die aktuelle sozioökonomische Lage in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038971/AFGH_THEM_Die+aktuelle+sozio%C3%B6konomische+Lage+in+Afghanistan+%28Rasuly-Paleczek%29_2020-09.pdf
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Heugl, Katharina- Österreich] (21.7.2020): Informationen zu sozioökonomischen und sicherheitsrelevanten Faktoren in der Provinz Balkh auf Basis von Interviews im Rahmen der FFM Mazar-e Sharif 2019, https://www.ecoi.net/en/document/2034796.html
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Tschabuschnig, Florian- Österreich] (14.7.2020): Afghanistan: IOM-Reintegrationsprojekt Restart III, https://www.ecoi.net/en/document/2033512.html
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Latek, Dina- Österreich] (25.6.2020): Gesellschaftliche Einstellung zu Frauen in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/document/2032976.html
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Durante, Xenia- Österreich] (13.6.2019): Analyse der Staatendokumentation: Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat auf Basis von Interviews im Zeitraum November 2018 bis Jänner 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010507/AFGH_ANALYSE_Herat_2019_06_13.pdf
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (4.2018) : Fact Finding Mission Report Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1430912/5818_1524829439_03-onlineversion.pdf
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (7.2016): AfPak - Grundlagen der Stammes- & Clanstruktur, https://www.ecoi.net/en/file/local/1236701/90_1470057716_afgh-stammes-und-clanstruktur-onlineversion-2016-07.pdf
STDOK - Staatendokumentation des BFA [Österreich] (3.7.2014): Frauen in Afghanistan, https://www.ecoi.net/en/file/local/1216171/4236_1415347452_analy-afgh-frauen-in-afghanistan-2014-02-07-as.doc
Quellen:
ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (3.2020): ACLED Methodology and Coding Decisions around the Conflict in Afghanistan, https://acleddata.com/acleddatanew/wp-content/uploads/dlm_uploads/2019/01/ACLED_Methodology-and-Coding-Decisions-Around-the-Conflict-in-Afghanistan_Mar2020_update.pdf Zugriff 29.10.2020
ACLED - Armed Conflict Location and Event Data (o.D.): ACLED Data https://acleddata.com/data-export-tool/, Zugriff 26.2.2021
FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung (19.10.2017): Talibanangriff in Kandahar fordert zahlreiche Tote, http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kandahar-taliban-angriff-auf-militaerbasis-fordert-zahlreiche-tote-15253597.html,
HE - Heise (5.5.2019): Afghanistan: Brutale CIA-Schattenmilizen, https://www.heise.de/tp/features/Afghanistan-Brutale-CIA-Schattenmilizen-4413419.html, Zugriff 22.8.2020
NSIA - National Statistics and Information Authority [Afghanistan] (1.6.2020): Estimated Population of Afghanistan 2020-21, https://www.nsia.gov.af:8080/wp-content/uploads/2020/06/??????-????-????-????-????-???.pdf,
UNAMA - United Nations Assistance Mission in Afghanistan (2.2021a): Afghanistan Annual Report On Protection Of Civilians In Armed Conflict: 2020, https://unama.unmissions.org/sites/default/files/afghanistan_protection_of_civilians_report_2020.pdf, Zugriff 24.2.2021
Primär- und Sekundärquellen, die in Berichten von nach europäischen Standards arbeitenden COI (Country of Origin Information)-Einheiten anderer EU-Staaten zitiert werden, werden nicht separat ausgewiesen.
COVID-19
Letzte Änderung: 10.06.2021
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins-Universität: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die WHO äußerte ihre Besorgnis über die Gefahr der Verbreitung mutierter Viren in Afghanistan. In Pakistan ist bereits ein deutlicher Anstieg der Infektionen mit einer neuen Variante, die potenziell ansteckender ist und die jüngere Bevölkerung trifft, festgestellt worden. Das afghanische Gesundheitsministerium bereite sich auf eine potenzielle dritte Welle vor. Die Überwachung an der Grenze soll ausgeweitet und Tests verbessert werden. Angesichts weiterer Berichte über unzureichende Testkapazitäten im Land bleibt die Wirkung der geplanten Maßnahmen abzuwarten (BAMF 29.3.2021).
Laut Meldungen von Ende Mai 2021 haben afghanische Ärzte Befürchtungen geäußert, dass sich die erstmals in Indien entdeckte COVID-19-Variante nun auch in Afghanistan verbreiten könnte. Viele der schwerkranken Fälle im zentralen Krankenhaus für COVID-Fälle in Kabul, wo alle 100 Betten belegt seien, seien erst kürzlich aus Indien zurückgekehrte Personen (BAMF 31.5.2021; vgl. TG 25.5.2021, DW 21.5.2021, UNOCHA 3.6.2021). Seit Ende des Ramadans und einige Woche nach den Festlichkeiten zu Eid al-Fitr konnte wieder ein Anstieg der COVID-19 Fälle verzeichnet werden. Es wird vom Beginn einer dritten Welle gesprochen (UNOCHA 3,6,2021; vgl. TG 25.5.2021). Waren die [Anm.: offiziellen] Zahlen zwischen Februar und März relativ niedrig, so stieg die Anzahl zunächst mit April und dann mit Ende Mai deutlich an (WHO 4.6.2021; vgl. TN 3.6.2021, UNOCHA 3.6.2021). Es gibt in Afghanistan keine landeseigenen Einrichtungen, um auf die aus Indien stammende Variante zu testen (UNOCHA 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Mit Stand 3.6.2021 wurden der WHO offiziell 75.119 Fälle von COVID-19 gemeldet (WHO 3.6.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021). Auch wenn der Lockdown offiziell nie beendet wurde, endete dieser faktisch mit Juli bzw. August 2020 und wurden in weiterer Folge keine weiteren Ausgangsperren erlassen (ACCORD 25.5.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern" (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021), wenn der Impfstoff in Abstimmung mit ihrer Gesundheitskommission und in Übereinstimmung mit deren Grundsätzen eingesetzt wird (NH 7.4.2021). Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Das Gesundheitsministerium plant 2.200 Einrichtungen im ganzen Land, um Impfstoffe zu verabreichen, und die Zusammenarbeit mit Hilfsorganisationen, die in Taliban-Gebieten arbeiten (NH 7.4.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a). Um dies zu erreichen, müssen sich die Gesundheitsbehörden sowohl auf lokale als auch internationale humanitäre Gruppen verlassen, die dorthin gehen, wo die Regierung nicht hinkommt (NH 7.4.2021).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021). Wochen nach Beginn der ersten Phase der Einführung des Impfstoffs gegen COVID-19 zeigen sich in einige Distrikten die immensen Schwierigkeiten, die das Gesundheitspersonal, die Regierung und die Hilfsorganisationen überwinden müssen, um das gesamte Land zu erreichen, sobald die Impfstoffe in größerem Umfang verfügbar sind. Hilfsorganisationen sagen, dass 120 von Afghanistans rund 400 Distrikten - mehr als ein Viertel - als "schwer erreichbar" gelten, weil sie abgelegen sind, ein aktiver Konflikt herrscht oder mehrere bewaffnete Gruppen um die Kontrolle kämpfen. Ob eine Impfkampagne erfolgreich ist oder scheitert, hängt oft von den Beziehungen zu den lokalen Befehlshabern ab, die von Distrikt zu Distrikt sehr unterschiedlich sein können (NH 7.4.2021).
Mit Stand 2.6.2021 wurden insgesamt 626.290 Impfdosen verabreicht (WHO 4.6.2021; vgl UNOCHA 3.6.2021). Etwa 11% der Geimpften haben beide Dosen des COVID-19-Impfstoffs erhalten. Insgesamt gibt es nach wie vor große Bedenken hinsichtlich des gerechten Zugangs zu Impfstoffen für Afghanen, insbesondere für gefährdete Gruppen wie Binnenvertriebene, Rückkehrer und nomadische Bevölkerungsgruppen sowie Menschen, die in schwer zugänglichen Gebieten leben (UNOCHA 3.6.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021). Mit Mai 2021 wird vor allem von einem starken Mangel an Sauerstoff berichtet (TN 3.6.2021; vgl. TG 25.5.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021). Seit Mai 2021 sind 28 Labore in Afghanistan in Betrieb - mit Plänen zur Ausweitung auf mindestens ein Labor pro Provinz. Die nationalen Labore testen 7.500 Proben pro Tag. Die WHO berichtet, dass die Labore die Kapazität haben, bis zu 8.500 Proben zu testen, aber die geringe Nachfrage bedeutet, dass die Techniker derzeit reduzierte Arbeitszeiten haben (UNOCHA 3.6.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 3.6.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die kürzlich veröffentlichte IPC-Analyse schätzt, dass sich im April 2021 12,2 Millionen Menschen - mehr als ein Drit