TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/20 G313 2229658-1

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Veröffentlicht am 20.07.2021
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Entscheidungsdatum

20.07.2021

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs4

Spruch


G313 2229658-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Birgit WALDNER-BEDITS als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA.: Bosnien und Herzegowina, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.02.2020, Zl.: XXXX , zu Recht:

A)       

Der Beschwerde wird stattgegeben und die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 Abs. 3 Satz 1 BFA-VG für auf Dauer unzulässig erklärt. Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG wird dem Beschwerdeführer eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt.

B)       

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem in der Sprucheinleitung angeführten Bescheid vom 05.02.2020 sprach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) aus, dass gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG erlassen werde (Spruchpunkt I.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werden, dass seine Abschiebung nach Bosnien-Herzegowina gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.), und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt III.)

Dieser Bescheid wurde dem BF durch persönliche Übergabe am 13.02.2020 zugestellt.

2. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, wobei beantragt wurde, 1. den angefochtenen Bescheid zur Gänze ersatzlos zu beheben, 2. die Abschiebung gem. § 46 FPG iVm § 50 Abs. 1 FPG für unzulässig zu erklären.

3. Am 17.03.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG) mit Beschwerdevorlage-Schreiben vom 16.03.2020 die gegenständliche Beschwerde samt dazugehörigem Verwaltungsakt ein.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum) und ist Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina.

1.2. Er hielt sich ab Juni 2012 jeweils innerhalb der sichtvermerkfrei erlaubten Aufenthaltszeit bzw. mit nicht mehr als sechs Monaten Abwesenheit im Jahr im österreichischen Bundesgebiet auf, und war in Österreich vom 05.06.2012 bis 31.08.2012 mit Hauptwohnsitz, vom 07.01.2013 bis 08.04.2013 und vom 19.07.2013 bis 21.10.2013 jeweils mit Nebenwohnsitz, vom 29.12.2014 bis 19.03.2015, vom 01.04.2015 bis 01.06.2015, vom 19.06.2015 bis 07.12.2015, vom 11.03.2016 bis 09.06.2016, vom 30.06.2016 bis 04.09.2017, vom 04.09.2017 bis 19.10.2017, vom 19.10.2017 bis 20.02.2018, vom 20.02.2018 bis 24.05.2018, vom 24.05.2018 bis 03.12.2018, vom 03.12.2018 bis 28.10.2019, vom 20.11.2019 bis 10.06.2020, vom 10.06.2020 bis 16.11.2020 und ab 16.11.2020 an verschiedenen Adressen mit Hauptwohnsitz gemeldet.

1.3. Nach diesbezüglicher Antragstellung wurde dem BF ein vom 16.06.2016 bis 17.06.2017 gültiger Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus erteilt, und dieser nach Verlängerungsantrag bis 16.06.2018 verlängert. Am 05.06.2018 stellte der BF erneut einen Verlängerungsantrag. Sein diesbezügliches NAG-Verfahren ist noch offen.

1.4. Der BF war in Österreich bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt, und zwar rund ein Monat von Juli bis August 2016, mehr als ein halbes Jahr von September 2016 bis März 2017, darauf im Juli 2017 und August 2017 jeweils ein paar Tage lang, dann rund zweieinhalb Monate lang von August 2017 bis November 2017, mehr als fünf Monate von Jänner bis Juni 2018, mehr als ein Monat im Oktober, November 2019, etwas mehr als ein Monat im Jänner, Februar 2020, daraufhin ein paar Tage im März 2020, zwei Tage im Juni2020, rund viereinhalb Monate von Juni bis November 2020, etwas weniger als zwei Monate von Februar bis April 2021, ein Monat im Mai, Juni 2021, und steht nunmehr seit 07.06.2021 in einem laufenden Beschäftigungsverhältnis.

Der BF kann seinen Lebensunterhalt bestreiten.

1.5. Der BF konnte in Österreich über seine Erwerbstätigkeit zudem Sozialkontakte schließen und sich Deutschkenntnisse aneignen.

1.6. Er hat in seinem Herkunftsstaat Bosnien und Herzegowina noch Familienangehörige (Eltern und Schwester).

Der BF ist in Österreich seit April 2015 mit einer bosnischen Staatsangehörigen verheiratet und lebte mit ihr und deren Sohn bzw. seinen Stiefsohn eine Zeit lang im Bundesgebiet in gemeinsamem Haushalt zusammen, bis er sich im Oktober 2019 nach sechs Jahren Beziehung von seiner Ehefrau getrennt hat und im November 2019 zu einer Freundin gezogen ist. Nunmehr hat er sich mit seiner Ehefrau wieder versöhnt und hat mit ihr regelmäßig Kontakt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des BVwG.

2.2. Die festgestellte Identität und bosnische Staatsangehörigkeit des BF ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Dass sich der BF seit Juni 2012 im österreichischen Bundesgebiet aufhält, ergab sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Die festgestellten behördlichen Meldungen des BF im Bundesgebiet ergaben sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zum Aufenthaltsstatus des BF in Österreich beruht auf einem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister.

Dass der BF in Österreich strafrechtlich unbescholten geblieben ist, konnte nach Einsicht in das Strafregister der Republik Österreich festgestellt werden.

Die Feststellungen zu den bei verschiedenen Dienstgebern in Österreich nachgegangenen Beschäftigungen und dem derzeitigen Beschäftigungsverhältnis des BF konnten nach Einsicht in das AJ WEB- Auskunftsverfahren getroffen werden.

Dass der BF imstande ist, selbst für seinen Lebensunterhalt aufzukommen, ergab sich daraus, dass er in der Einvernahme vor dem BFA auf sein neues Beschäftigungsverhältnis mit einem monatlichen Nettoverdienst in Höhe von „ca. EUR 1.600,00“ verwiesen hat und einem AJ-WEB Auskunftsverfahrensauszug folgend fortwährend dieser Beschäftigung nachgeht und nie um bedarfsorientierte Mindestsicherung angesucht hat.

Der BF verwies in der Einvernahme vor dem BFA am 03.02.2020 zudem glaubhaft darauf, bei einer guten Freundin zu wohnen und nichts für seine Unterkunft zu bezahlen. (AS 129)

Die Feststellungen zu den familiären Verhältnissen des BF ergaben sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Akteninhalt.

Dass der BF verheiratet ist, konnte aufgrund des diesbezüglich glaubhaften Akteninhaltes festgestellt werden. Den BF und seine Ehegattin betreffenden Eintragungen im Zentralen Melderegister folgend heirateten sie im April 2015 in Österreich.

Die Einvernahme des BF vor dem BFA am 03.02.2020 gestaltete sich wie folgt:

„(…)

V: Lt. Meldeerhebung leben Sie nicht mit Ihrer Frau (…) zusammen. Sie sind seit 3 Monaten nicht mehr zusammen gemeldet. Was sagen Sie dazu…

A: Das stimmt, wir leben seit 2-3 Monaten nicht mehr zusammen, wir leben getrennt, sind aber noch verheiratet.

F: Warum die Trennung.

A: Die Ehe funktioniert nicht mehr. Seit 6 Jahren sind wir zusammen, aber in letzter Zeit funktioniert es nicht mehr.

F: Wurde die Scheidung eingereicht?

A: Noch nicht, da ich finanzielle Schwierigkeiten habe. Ich habe das Geld für die Scheidungskosten nicht.

F: Haben Sie Kontakt mit Ihrer Frau?

A: Nein. Ich wollte Sie anrufen, damit ich frage, was mit der Scheidung ist, aber sie ist nicht ans Telefon gegangen und rief auch nicht zurück. Sie schrieb eine SMS meine Eltern betreffend, zur Scheidung äußerte sie sich nicht. Meine Noch-Frau sagte immer, ich müsse den Antrag auf Scheidung stellen, sie würde das nicht machen.

(…).“ (AS 127)

In der Beschwerde brachte der BF vor:

„(…) bin seit November 2019 bei einer Freundin namens (…) gemeldet, nachdem ich mich von meiner Ehefrau im Oktober 2019 nach 6 Jahren getrennt habe. Ich habe zu meiner Gattin nun aber seit ca. 2 Wochen wieder regelmäßig Kontakt und habe mich mit ihr versöhnt. (…).“ (AS 381)

Aus diesem Beschwerdevorbringen geht glaubhaft hervor, dass sich der BF im Oktober 2019 nach sechs Jahren Beziehung von seiner Ehegattin getrennt hat und im November 2019 zu einer Freundin gezogen ist, und sich nunmehr mit seiner Ehefrau wieder versöhnt und mit ihr regelmäßig Kontakt hat.

Dass der BF in Österreich über seine Arbeit Sozialkontakte geschlossen hat, konnte er mit seiner Angabe in der Einvernahme vor dem BFA befragt danach, welche Sozialkontakte er nunmehr in Österreich habe, „meine jetzt begonnene Arbeit sind meine Sozialkontakte“ (AS 129), glaubhaft machen.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Der mit „Rückkehrentscheidung“ betitelte § 52 FPG lautet in Absatz 4 wie folgt:

„§ 52. (…)

(4) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
1.         nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre,
1a.         nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Einreisetitels entgegengestanden wäre oder eine Voraussetzung gemäß § 31 Abs. 1 wegfällt, die für die erlaubte visumfreie Einreise oder den rechtmäßigen Aufenthalt erforderlich ist,
2.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht und im ersten Jahr seiner Niederlassung mehr als vier Monate keiner erlaubten unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
3.         ihm ein Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 oder 2 NAG erteilt wurde, er länger als ein Jahr aber kürzer als fünf Jahre im Bundesgebiet niedergelassen ist und während der Dauer eines Jahres nahezu ununterbrochen keiner erlaubten Erwerbstätigkeit nachgegangen ist,
4.         der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht oder
5.         das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, aus Gründen, die ausschließlich vom Drittstaatsangehörigen zu vertreten sind, nicht rechtzeitig erfüllt wurde.

Werden der Behörde nach dem NAG Tatsachen bekannt, die eine Rückkehrentscheidung rechtfertigen, so ist diese verpflichtet dem Bundesamt diese unter Anschluss der relevanten Unterlagen mitzuteilen. Im Fall des Verlängerungsverfahrens gemäß § 24 NAG hat das Bundesamt nur all jene Umstände zu würdigen, die der Drittstaatsangehörige im Rahmen eines solchen Verfahrens bei der Behörde nach dem NAG bereits hätte nachweisen können und müssen.“

Der mit „Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel“ betitelte § 11 NAG lautet in den Absätzen 1 und 2 wie folgt:

„§ 11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
1.         gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß § 53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;
2.         gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;
3.         gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;
4.         eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;
5.         eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder
6.         er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1.         der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2.         der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3.         der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4.         der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5.         durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden;
6.         der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, rechtzeitig erfüllt hat, und
7.         in den Fällen der §§ 58 und 58a seit der Ausreise in einen Drittstaat gemäß § 58 Abs. 5 mehr als vier Monate vergangen sind.

(…).“

Der mit „Modul 1 der Integrationsvereinbarung“ betitelte § 9 IntG lautet in Abs. 1 – 4 wie folgt:

„§ 9.
(1) Drittstaatsangehörige (§ 2 Abs. 1 Z 6 NAG) sind mit erstmaliger Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG zur Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung verpflichtet. Diese Pflicht ist dem Drittstaatsangehörigen nachweislich zur Kenntnis zu bringen.

(2) Der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 haben Drittstaatsangehörige binnen zwei Jahren ab erstmaliger Erteilung des Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG nachzukommen. Unter Bedachtnahme auf die persönlichen Lebensumstände des Drittstaatsangehörigen kann der Zeitraum der Erfüllungspflicht auf Antrag mit Bescheid verlängert werden. Diese Verlängerung darf die Dauer von jeweils zwölf Monaten nicht überschreiten; sie hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(2a) Fällt das Ende der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 1 in die Zeit von 22. März 2020 bis 30. Juni 2020, verlängert sich der Zeitraum der Erfüllungspflicht nach Abs. 2 bis zum 31. Oktober 2020; diese Verlängerung hemmt den Lauf der Fristen nach § 14.

(3) Für die Dauer von fünf Jahren ab Ablauf der Gültigkeit des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels gemäß § 8 Abs. 1 Z 1, 2, 4, 5, 6, 8, 9 oder 10 NAG werden bereits konsumierte Zeiten der Erfüllungspflicht auf den Zeitraum der Erfüllungspflicht gemäß Abs. 2 angerechnet.

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.“

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 BFA-VG lautet wie folgt:

§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1.         die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2.         das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3.         die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4.         der Grad der Integration,
5.         die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6.         die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7.         Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8.         die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9.         die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.“

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jede Person Anspruch auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihres Briefverkehrs.

Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit ein Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

3.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich:

Der BF ist bosnischer Staatsangehöriger und war ab Juni 2012 jeweils innerhalb der sichtvermerkfrei erlaubten Aufenthaltszeit bzw. mit nicht mehr als sechs Monaten Abwesenheit im Jahr im österreichischen Bundesgebiet aufhältig, hält sich somit nunmehr seit rund neun Jahren in Österreich auf.

Auch wenn das persönliche Interesse am Verbleib in Österreich grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zunimmt, so ist die bloße Aufenthaltsdauer freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären und sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 15.12.2015, Zl. Ra 2015/19/0247).

Nach diesbezüglicher Antragstellung wurde dem BF ein vom 16.06.2016 bis 17.06.2017 gültiger Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus erteilt. Dieser wurde nach Verlängerungsantrag bis 16.06.2018 verlängert. Am 05.06.2018 stellte der BF erneut einen Verlängerungsantrag. Sein diesbezügliches NAG-Verfahren ist noch offen.

Nach § 24 Abs. 1 Satz 3 FPG ist der Antragsteller nach Stellung eines Verlängerungsantrages, unbeschadet der Bestimmungen nach dem FPG, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig.

Der BF hält sich weiterhin rechtmäßig nach dem NAG im österreichischen Bundesgebiet auf.

Es besteht kein Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 oder Abs. 2 NAG, zumal der BF auch alle für die Erteilung eines NAG-Aufenthaltstitels in § 11 Abs. 2 NAG kumulativ geforderten Voraussetzungen erfüllt, mit seinem Besitz einer Rot-Weiß-Rot Karte plus, welcher bis zur Beantragung der Rot-Weiß-Rot Karte plus der Besitz einer Rot-Weiß-Rot Karte nach § 9 Abs. 4 Z. 4 IntG vorausgegangen ist, auch das in § 11 Abs. 2 Z. 6 NAG erwähnte Modul 1, und zumal auch nicht erkennbar war, dass der Aufenthalt des BF in Österreich öffentlichen Interessen widerstreitet.

Der BF war in Österreich bei verschiedenen Dienstgebern beschäftigt, und zwar rund ein Monat von Juli bis August 2016, mehr als ein halbes Jahr von September 2016 bis März 2017, darauf im Juli 2017 und August 2017 jeweils ein paar Tage lang, dann rund zweieinhalb Monate lang von August 2017 bis November 2017, mehr als fünf Monate von Jänner bis Juni 2018, mehr als ein Monat im Oktober, November 2019, etwas mehr als ein Monat im Jänner, Februar 2020, daraufhin ein paar Tage im März 2020, zwei Tage im Juni 2020, rund viereinhalb Monate von Juni bis November 2020, etwas weniger als zwei Monate von Februar bis April 2021, ein Monat im Mai, Juni 2021, und steht nunmehr seit 07.06.2021 in einem laufenden Beschäftigungsverhältnis.

Er ist selbsterhaltungsfähig und konnte in Österreich stets seinen Lebensunterhalt bestreiten und hat nie um bedarfsorientierte Mindestsicherung angesucht.

Der BF konnte über seine Erwerbstätigkeit zudem Sozialkontakte aufbauen und sich einige Deutschkenntnisse aneignen.

Er ist seit April 2015 mit einer bosnischen Staatsangehörigen verheiratet und lebte mit ihr und deren Sohn bzw. seinen Stiefsohn eine Zeit lang im Bundesgebiet in gemeinsamem Haushalt zusammen, bis er sich im Oktober 2019 nach sechs Jahren Beziehung von seiner Ehefrau getrennt hat und im November 2019 zu einer Freundin gezogen ist. Nunmehr hat er sich mit seiner Ehefrau wieder versöhnt und hat mit ihr regelmäßig Kontakt.

Der BF, in Österreich strafrechtlich unbescholten geblieben, hat somit in Österreich sich sowohl beruflich als auch sozial integrieren und über seine Arbeit und Sozialkontakte auch Deutschkenntnisse aneignen können, sowie angesichts seiner langdauernden Beziehung mit seiner Ehegattin, die er im April 2015 geheiratet und mit welcher er sich nach ihrer Trennung nach sechs Jahren Beziehung wieder versöhnt hat, auch eine berücksichtigungswürdige familiäre Anbindung im österreichischen Bundesgebiet.

Dass ein weiterer Aufenthalt des BF in Österreich iSv § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG öffentlichen Interessen widerstreiten würde, war nicht erkennbar.

Die privaten und familiären Interessen des BF an einem weiteren Bleiberecht überwiegen im gegenständlichen Fall die öffentlichen Interessen bzw. das Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, weshalb gegen den BF keine Rückkehrentscheidung zu erlassen und diese für auf Dauer unzulässig zu erklären war.

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ betitelte § 55 AsylG lautet wie folgt:

„§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn
1.         dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
2.         der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Der mit „Modul 1 der Integrationsvereinbarung“ betitelte § 9 IntG (Integrationsgesetz) lautet in seinem Absatz 4 wie folgt:

„§ 9. (…)

(4) Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1. einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt,

(Anm.: Z 2 aufgehoben durch Art. III Z 15, BGBl. I Nr. 41/2019)

3. über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I Nr. 120/2002, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht,

4. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 NAG besitzt oder

5. als Inhaber eines Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung – Künstler“ gemäß § 43a NAG eine künstlerische Tätigkeit in einer der unter § 2 Abs. 1 Z 1 bis 3 Kunstförderungsgesetz, BGBl. I Nr. 146/1988, genannten Kunstsparte ausübt; bei Zweifeln über das Vorliegen einer solchen Tätigkeit ist eine diesbezügliche Stellungnahme des zuständigen Bundesministers einzuholen.“

Da der BF mit dem Besitz seiner „Rot-Weiß-Rot Karte plus“, welcher ein Besitz der „Rot-Weiß-Rot Karte“ iSv § 9 Abs. 4 Z. 4 IntG und ein Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot Karte plus“ vorausgegangen ist, nach § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG iVm § 9 Abs. 4 Z. 4 IntG das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt und er außerdem mit seiner aktuell erlaubten Erwerbstätigkeit, womit er die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (nach § 5 Abs. 2 ASVG) überschreitet, auch die zweite Alternativbedingung in § 55 Abs. 1 Z. 2 AsylG erfüllt, war ihm nach § 55 Abs. 1 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.

Die entsprechende Kompetenz des BVwG, diesen Ausspruch zu tätigen ergibt sich daraus, dsas § 55 AsylG 2005 im Wesentlichen die Kehrseite der Überprüfung einer Rückkehrentscheidung iSd § 52 FPG darstellt und daher die Verfahrensgegenstände als nicht trennbare erscheinen (vgl. VwGH 23.02.2017, Ra 2016/21/0325, 23.02.2017, Ra 2017/20/0029; 22.02.0217, Ra 2017/19/0043). Eine entsprechende Interpretation des § 58 Abs. 2 AsylG ergibt sich schon aus Effizienzgründen (vgl. VwGH 15.12.2016, Ra 2016/18(/0343). Die faktische Ausstellung der entsprechenden Karte unterfällt der Kompetenz des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

3.3. Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als eindeutig geklärt erschien, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Integration Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G313.2229658.1.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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