TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/22 W261 2243367-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.07.2021
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Entscheidungsdatum

22.07.2021

Norm

B-VG Art133 Abs4
VOG §1
VOG §6a

Spruch


W261 2243367-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzerin und als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Stefan RIEDER, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX , vom 21.04.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und dem Beschwerdeführer wird – unter Anrechnung allenfalls vom Täter erhaltener Schadenersatzleistungen – eine einmalige Geldleistung in Höhe von € 4.000,-- als Pauschalentschädigung für Schmerzengeld gewährt.

Die Durchführung obliegt dem Sozialministeriumservice.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 28.09.2020 einen Antrag auf Übernahme der Kosten für psychotherapeutische Krankenbehandlung nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) beim Sozialministeriumservice, Landesstelle XXXX (in der Folge belangte Behörde). Darin brachte er im Wesentlichen vor, er sei am 23.07.2020 Opfer eines Raubüberfalls geworden. Der Täter habe eine Tankstelle betreten und unter vorgehaltener Waffe die Herausgabe von Geld gefordert, sei geflüchtet und habe sich kurze Zeit später gestellt. Der Beschwerdeführer sei deshalb in psychotherapeutischer Behandlung. Mit dem Antrag wurden zwei Abtretungserklärungen, eine ärztliche Bestätigung für die Krankenkasse von Dr. XXXX und das Protokoll einer polizeilichen Zeugenvernehmung des Beschwerdeführers vom 23.07.2020 vorgelegt.

2. Mit Schreiben vom 05.10.2020 ersuchte die belangte Behörde Dr. XXXX um Beantwortung eines beiliegenden Fragebogens zu den Symptomen, Diagnosen und Therapien des Beschwerdeführers.

Mit Eingabe vom 16.10.2020 übermittelte Dr. XXXX den teilweise ausgefüllten Fragebogen, merkte jedoch an, dass sie Psychiaterin und nicht die Psychotherapeutin des Beschwerdeführers sei.

3. Am 19.10.2020 stellte der Beschwerdeführer ergänzend einen Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG), gestützt auf dasselbe Verbrechen. Mit dem Antrag wurden eine Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXXX vom 03.08.2020 und eine fachärztliche Stellungnahme von Dr. XXXX vom 28.09.2020, derzufolge der Beschwerdeführer wegen posttraumatischer Belastungsstörung in psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung sei, vorgelegt.

4. Mit E-Mail vom 10.11.2020 ersuchte die belangte Behörde auch Dr. XXXX um Beantwortung eines beiliegenden Fragebogens zu den Symptomen, Diagnosen und Therapie des Beschwerdeführers.

Mit Eingabe vom 13.11.2020 übermittelte Dr. XXXX den ausgefüllten Fragebogen.

5. Mit Schreiben vom 05.10.2020 und 11.12.2020 ersuchte die belangte Behörde das Landesgericht XXXX um Übermittlung des den Beschwerdeführer betreffenden Strafaktes.

In der Folge übermittelte das Landesgericht XXXX den Strafakt, insbesondere auch das dg. Urteil vom 06.10.2020, Zl. XXXX , und das Berufungsurteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 09.12.2020, Zl. XXXX .

6. Mit Schreiben vom 21.12.2020 ersuchte die belangte Behörde die Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle XXXX , (in der Folge AUVA) um Übermittlung der dort aufliegenden Unterlagen zum Vorfall vom 23.07.2020 sowie Mitteilung, ob auf Grund des Vorfalls Leistungen an den Beschwerdeführer ausbezahlt worden seien.

Mit Schreiben vom 09.02.2021 teilte die AUVA mit, dass sie das Feststellungsverfahren eingeleitet habe. Nach Abschluss ihrer Erhebungen erhalte die Behörde eine schriftliche Verständigung.

7. Mit nicht verfahrensgegenständlichem Bescheid vom 15.02.2021 bewilligte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer gemäß § 1 Abs. 1, 6 iVm § 4 Abs. 5 VOG zur Aufarbeitung der beim Vorfall am 23.07.2020 erlittenen psychischen Schädigung grundsätzlich die Übernahme der entstehenden Kosten für eine psychotherapeutische Krankenbehandlung. Die Bewilligung erstrecke sich nur auf die Dauer der verbrechenskausalen Notwendigkeit der psychotherapeutischen Krankenbehandlung und erfolge nur unter der Voraussetzung, dass der zuständige Krankenversicherungsträger einen Kostenzuschuss auf Grund der Satzung erbringe bzw. Kosten im Rahmen der Wahlarzthilfe erstatte. Die Kosten würden außerdem höchstens bis zu der vom Krankenversicherungsträger bewilligten Anzahl der Sitzungen und bis zur Höhe des dreifachen Kostenzuschusses übernommen bzw. ersetzt. Für die Bewilligung selbst entfalle gemäß § 58 Abs. 2 AVG die Begründung. Über den Antrag auf Pauschalentschädigung für Schmerzengeld werde gesondert entschieden.

8. Mit Schreiben vom 15.02.2021 ersuchte die belangte Behörde einen Amtssachverständigen der Behörde um Erstellung eines Sachverständigengutachtens insbesondere dazu, welche psychischen Gesundheitsschädigungen beim Beschwerdeführer vorliegen würden, welche dieser Gesundheitsschädigungen kausal auf den Vorfall vom 23.07.2020 zurückzuführen seien, ob die kausale Gesundheitsschädigung als schweres psychiatrisches Krankheitsbild angesehen werden könne und ob diese mehr als drei Monate vorgelegen wäre.

9. Der beauftragte medizinische Amtssachverständige, ein Arzt für Allgemeinmedizin, erstattete am 01.03.2021 ein medizinisches Sachverständigengutachten aufgrund der Aktenlage. Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, als kausale Gesundheitsschädigung könne die diagnostizierte posttraumatische Belastungsreaktion und -störung angesehen werden. Andere Anlässe oder Vorerkrankungen, die die alleinige Kausalität der Tat in Zweifel ziehen könnten, würden nicht vorliegen. Die beschriebene posttraumatische Belastungsstörung sei jedoch nicht als schwere psychiatrische Störung einzuordnen. Eine einfache bzw. leichte posttraumatische Belastungsreaktion, die gegebenenfalls zu einer Belastungsstörung fortschreiten könne, sei zwar ein behandlungsbedürftiges, aber nicht als schwer anzusehendes Krankheitsbild. Im vorliegenden Fall würden die unmittelbare Auswirkung sowie die Äußerungen des Opfers wie auch der betrauten Therapeutinnen auf eine leichtgradige Störung hinweisen. Es sei eine psychiatrische Behandlung sowie eine noch laufende psychotherapeutische Betreuung gefolgt, wobei bereits nach den ersten beiden Sitzungen eine gute Entlastung beobachtet werden habe können. Eine schwerere Gesundheitsschädigung würde keine so umgehende Entlastung und freie Akzeptanz einer therapeutischen Begleitung zeigen und zulassen.

10. Mit Schreiben vom 17.03.2021 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs mit, dass sie beabsichtige, den Antrag auf Grundlage der Ermittlungsergebnisse, vorbehaltlich der Ergebnisse dieses Parteiengehörs, abzulehnen. Ihm werde Gelegenheit gegeben, binnen zwei Wochen zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen.

Gemäß § 6a Abs. 1 VOG sei Pauschalentschädigung für Schmerzengeld für eine schwere Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 StGB zu leisten. Im Urteil des Landesgerichts XXXX zu Zl. XXXX sei der Täter wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 143 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zur Zahlung eines Teilschmerzengeldes von 1.000,00 EUR verurteilt worden. In der rechtlichen Beurteilung habe sich die Vorsitzende mit der Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers und dem Erfordernis psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung auseinandergesetzt. Das Gericht habe jedoch keine Qualifikation des schweren Raubes nach § 143 Abs. 2 StGB und sohin keine schwere Körperverletzung nach § 84 StGB angenommen. Nach näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde durch gerichtliche Verurteilungen in einer für Verwaltungsbehörde bindenden Weise über die Begehung der Tat abgesprochen. Eine eigene Beurteilung durch die Behörde sei damit nicht mehr zulässig. Von dieser Bindungswirkung umfasst seien auch die innere Tatseite sowie die tatsächlichen Feststellungen, auf denen der Spruch beruhe, wozu jene Tatumstände gehörten, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetze. Auf dieser Grundlage könne von der belangten Behörde keine schwere Körperverletzung iSd § 84 StGB festgestellt werden. Die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld würden demnach nicht vorliegen.

Die Frist zur Abgabe einer Stellungnahme wurde dem Beschwerdeführer formlos um weitere zwei Wochen bis 21.04.2021 erstreckt.

11. Mit Eingabe vom 13.04.2021 erstattete der Beschwerdeführer eine Stellungnahme, in der er im Wesentlichen ausführte, er sei nach dem Vorfall in einem längeren Krankenstand gewesen und habe auch eine psychotherapeutische Behandlung in Anspruch genommen, sei aber bis zum heutigen Tage psychisch nicht genesen. Auch wenn seine Berufsunfähigkeit nicht länger als drei Monate angedauert habe, habe er doch eine schwere Gesundheitsschädigung erlitten und leide unter einer psychischen Beeinträchtigung. Es sei außerdem nicht damit zu rechnen, dass der Täter ihm das Teilschmerzengeld laut Urteil bezahle. Er bitte die Behörde daher, den Antrag noch einmal zu prüfen.

12. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 21.04.2021 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers vom 19.10.2020 auf Hilfeleistungen nach dem VOG in Form einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld auf Grund des Vorfalles vom 23.07.2020 gemäß § 1 Abs. 1, 6 und § 6a VOG ab.

Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, gemäß § 6a Abs. 1 VOG sei Pauschalentschädigung für Schmerzengeld für eine schwere Körperverletzung nach § 84 Abs. 1 StGB zu leisten. Der Beschwerdeführer sei deutscher Staatsbürger, ein Ausschlussgrund gemäß § 8 VOG werde nicht angenommen. Im Urteil des Landesgerichts XXXX zu Zl. XXXX sei der Täter wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 143 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und zur Zahlung eines Teilschmerzengeldes von 1.000,00 EUR verurteilt worden. In der rechtlichen Beurteilung habe sich die Vorsitzende mit der Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers und dem Erfordernis psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung auseinandergesetzt. Das Gericht habe jedoch keine Qualifikation des schweren Raubes nach § 143 Abs. 2 StGB und sohin keine schwere Körperverletzung nach § 84 StGB angenommen. Nach näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes werde durch gerichtliche Verurteilungen in einer für Verwaltungsbehörde bindenden Weise über die Begehung der Tat abgesprochen. Eine eigene Beurteilung durch die Behörde sei damit nicht mehr zulässig. Von dieser Bindungswirkung umfasst seien auch die innere Tatseite sowie die tatsächlichen Feststellungen, auf denen der Spruch beruhe, wozu jene Tatumstände gehörten, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetze. Gemäß § 45 Abs. 3 AVG sei dem Beschwerdeführer Gelegenheit gegeben worden, zum Ergebnis des Ermittlungsverfahrens Stellung zu nehmen. Dem Vorbringen in der Stellungnahme vom 13.04.2021 sei nur wiederholt entgegenzuhalten, dass die Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an den Schuldspruch eines Strafurteils gebunden sei. Da die Vorsitzende im Urteil des Landesgerichts XXXX zu Zl. XXXX in der rechtlichen Beurteilung auch über die psychische Beeinträchtigung entschieden habe, sei die Behörde verpflichtet, die so entschiedene Frage ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Es würden somit Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Pauschalentschädigung für Schmerzengeld leider nicht vorliegen und es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

13. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer, bevollmächtigt vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Dr. Stefan RIEDER, mit Eingabe vom 01.06.2021 fristgerecht die gegenständliche Beschwerde.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Behörde argumentiere zentral mit der materiellen Rechtskraft des Schuldspruches eines Strafurteils. Der Beschwerdeführer sei am 23.07.2020 Opfer eines (schweren) Raubes an seiner Arbeitsstelle, einer Tankstelle, geworden. Der mittlerweile rechtskräftig Verurteilte habe eine Pistole gegen ihn gerichtet und ihn aufgefordert, ihm Geld herauszugeben. Richtig sei, dass das Strafgericht „nur“ einen „Waffenraub“, also die Qualifikation des § 143 Abs. 1 2. Fall StGB, angenommen habe und nicht (auch) die Qualifikation des § 143 Abs. 2 1. Fall, wonach eine Erfolgsqualifikation vorliege, wenn durch die ausgeübte Gewalt jemand schwer verletzt (§ 84 Abs. 1 StGB) worden sei. Aus rechtlichen Gründen sei es dem Strafgericht im Rahmen des Schuldspruches verwehrt gewesen, über die Frage zu entscheiden, ob beim Beschwerdeführer vorfallskausal eine schwere psychisch-seelische Gesundheitsbeeinträchtigung, welche mit einer schweren Körperverletzung zu vergleichen sei, eingetreten sei. Schon der Wortlaut des § 143 Abs. 2 StGB lege klar nahe, dass eine schwere Körperverletzung nur dann eine Erfolgsqualifikation darstelle, wenn sie durch ausgeübte Gewalt erfolgt sei. Eine beim Raub geäußerte Drohung falle nach näher zitierter Judikatur und Literatur nicht darunter. Bei gegenständlicher Konstellation dürfe aus dem Umstand, dass im Schuldspruch die schwere Körperverletzung nicht erwähnt sei, nicht geschlossen werden, dass die Behörde diesbezüglich gebunden sei. Im Übrigen bestehe eine Bindung nur an positiv festgestellte Urteilssprüche, nicht aber an daraus zu ziehende (konkludente) Umkehrschlüsse. Im Urteilsspruch zu Zl. XXXX sei nicht ausgeführt, dass der Beschwerdeführer keine schwere Körperverletzung erlitten habe. Dieser habe sich aufgrund einer Überweisung vom 22.09.2020 wegen posttraumatischer Belastungsstörung in psychotherapeutische Behandlung begeben. Unrichtig sei auch, dass die Vorsitzende im Urteil auch über die psychische Beeinträchtigung entschieden habe. Entsprechende Ausführungen stünden in keinerlei Zusammenhang mit dem Schuldspruch, sondern hätten sich nur auf den Privatbeteiligten-Zuspruch bezogen. Mit der Beschwerde wurden das Strafurteil des Landesgerichts XXXX und medizinische Befunde vorgelegt.

14. Mit Eingabe vom 10.06.2021 übermittelte die AUVA einen gegenüber dem Beschwerdeführer erlassenen Bescheid vom 02.06.2021, wonach das Ereignis vom 23.07.2020 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

15. Die belangte Behörde legte das Beschwerdeverfahren mit Schreiben vom 10.06.2021 dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, wo dieses am 14.06.2021 einlangte.

16. Mit Schreiben vom 23.06.2021, eingelangt am 29.06.2021, übermittelte die belangte Behörde ein den Beschwerdeführer betreffendes Rentengutachten der AUVA aus dem klinisch-neuropsychologischen Fachgebiet und eine chefärztliche Stellungnahme.

I.       Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist ein am XXXX geborener deutscher Staatsangehöriger und hat seinen ständigen Wohnsitz im Inland.

Er wurde am 23.07.2020 bei seiner Arbeit als Tankstellenmitarbeiter Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls. Der Täter, XXXX , richtete dabei eine schwarze CO2-Pistole gegen den Beschwerdeführer und forderte ihn auf, ihm sämtliche 20er-, 50er- und 100er-Scheine herauszugeben, womit er diesem 520,00 EUR an Bargeld sowie mehrere Lebensmittel abnötigte bzw. wegnahm.

Der Täter wurde mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 06.10.2020, Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Zugleich wurde er schuldig gesprochen, dem Beschwerdeführer – der sich dem Verfahren als Privatbeteiligter angeschlossen hatte – einen Teilschmerzengeldbetrag von 1.000,00 EUR zu bezahlen.

Einer dagegen vom Verurteilten erhobenen Berufung wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 09.12.2020, Zl. XXXX , teilweise Folge gegeben und die Freiheitsstrafe auf drei Jahre herabgesetzt. Im Übrigen erwuchs das erstinstanzliche Urteil in Rechtskraft.

Der Beschwerdeführer ging drei Tage nach dem Vorfall wieder zur Arbeit. Er nahm von September bis November 2020 einen Behandlungstermin bei einer Fachärztin für Psychiatrie und drei Behandlungstermine bei einer Psychotherapeutin wahr.

Der Beschwerdeführer erlitt durch die Tat eine psychische Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung, deren Symptome bis Oktober/November 2020 anhielten und danach abklangen. Die Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers dauerte damit mit der nach dem VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit länger als drei Monate an.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zum Geburtsdatum, zur Staatsangehörigkeit und zum Wohnsitz des Beschwerdeführers ergeben sich aus den von der belangten Behörde eingeholten Auszügen aus dem Zentralen Melderegister, zuletzt vom 10.06.2021 (vgl. AS 64).

Die Feststellungen zum gegenständlichen Verbrechen und zum Strafverfahren ergeben sich aus den vorliegenden Urteilen des Landesgerichts XXXX vom 06.10.2020, Zl. XXXX (vgl. AS 23-25), und des Oberlandesgerichts XXXX vom 09.12.2020, Zl. XXXX (vgl. AS 27-28). Diese sind unstrittig, auch die belangte Behörde ging im angefochtenen Bescheid erkennbar vom strafgerichtlich festgestellten Ablauf des Verbrechens aus.

Dass der Beschwerdeführer drei Tage nach dem Vorfall wieder zur Arbeit ging und insgesamt vier Behandlungstermine wahrnahm, entspricht seinen eigenen Angaben gegenüber dem Gutachter des Rentengutachtens der AUVA (vgl. OZ 2, S. 1).

Die Feststellungen zur verbrechenskausalen Gesundheitsschädigung und deren Dauer ergeben sich insbesondere aus dem bereits erwähnten klinisch-neuropsychologischen Rentengutachten der AUVA von Mag. Dr. XXXX , basierend auf einer persönlichen Untersuchung und psychologischen Testung des Beschwerdeführers am 14.05.2021 sowie den von diesem vorgelegten Befunden. Zusammenfassend kommt der sachverständige Gutachter darin zum Ergebnis, dass die Testergebnisse zum Untersuchsuchungszeitpunkt auf keine affektive Störung, PTSD oder Persönlichkeitsveränderung mehr verweisen. Aus der Aktenlage und Anamnese ließe sich aber schließen, dass zumindest Symptome einer PTSD nach dem Ereignis aufgetreten sind, die längstens bis Oktober/November 2020 anhielten und durch die Intervention der Psychotherapeutin und Resilienz des Probanden dermaßen abgeklungen sind, dass die ICD-10-Kriterien für eine PTSD nicht mehr erfüllt waren. Ob und wie stark die PTSD-Symptomatik bis Oktober/November 2020 ausgeprägt war, kann nicht abschließend retrospektiv geklärt werden. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass die ICD-10-Kriterien einer PTSD erfüllt waren, obwohl der Proband seinem Beruf nachgegangen ist (vgl. OZ 2, S. 8).

Dieses Gutachten ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts schlüssig und nachvollziehbar, es weist keine Widersprüche auf. In Zusammenschau dieser Einschätzung damit, dass die posttraumatische Belastungsstörung des Beschwerdeführers erst am 28.09.2020 (vgl. AS 12) bzw. 11.11.2020 (vgl. AS 20-21), somit bereits über zwei bzw. drei Monate nach dem Verbrechen, erstmals diagnostiziert wurde, ist mit der nach dem VOG erforderlichen Wahrscheinlichkeit jedenfalls davon auszugehen, dass diese insgesamt länger als drei Monate angedauert hat. Das Gutachten des Amtssachverständigen der belangten Behörde, das zur Dauer der Gesundheitsschädigung keine Aussage traf, sondern offenbar nur beurteilte, ob es sich bei dieser um eine „an sich schwere“ psychiatrische Störung handelt (vgl. AS 39-40), ist demgegenüber nicht vollständig und schlüssig. Zu dieser Einschätzung und zur Annahme einer länger als drei Monate dauernden Gesundheitsschädigung gelangte, wie aus einer Aktenfeststellung vom 18.03.2021 hervorgeht, auch die verfahrensführende Referentin der belangten Behörde (vgl. AS 42). Der Antrag sei lediglich aufgrund einer angenommenen Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils dennoch abzuweisen (siehe dazu noch in der rechtlichen Beurteilung).

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A)

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Verbrechensopfergesetzes lauten auszugsweise:

„Kreis der Anspruchsberechtigten

§ 1. (1) Anspruch auf Hilfe haben österreichische Staatsbürger, wenn mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, dass sie

1.       durch eine zum Entscheidungszeitpunkt mit einer mehr als sechsmonatigen Freiheitsstrafe bedrohten rechtswidrigen und vorsätzlichen Handlung eine Körperverletzung oder eine Gesundheitsschädigung erlitten haben oder

2.       durch eine an einer anderen Person begangene Handlung im Sinne der Z 1 nach Maßgabe der bürgerlich-rechtlichen Kriterien einen Schock mit psychischer Beeinträchtigung von Krankheitswert erlitten haben oder

3.       als Unbeteiligte im Zusammenhang mit einer Handlung im Sinne der Z 1 eine Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, soweit nicht hieraus Ansprüche nach dem Amtshaftungsgesetz, BGBl. Nr. 20/1949, bestehen,

und ihnen dadurch Heilungskosten erwachsen sind oder ihre Erwerbsfähigkeit gemindert ist. Wird die österreichische Staatsbürgerschaft erst nach der Handlung im Sinne der Z 1 erworben, gebührt die Hilfe nur, sofern diese Handlung im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug (Abs. 6 Z 1) begangen wurde.

(2) Hilfe ist auch dann zu leisten, wenn

1.       die mit Strafe bedrohte Handlung im Zustand der Zurechnungsunfähigkeit begangen worden ist oder der Täter in entschuldigendem Notstand gehandelt hat,

2.       die strafgerichtliche Verfolgung des Täters wegen seines Todes, wegen Verjährung oder aus einem anderen Grund unzulässig ist oder

3.       der Täter nicht bekannt ist oder wegen seiner Abwesenheit nicht verfolgt werden kann.

(3) Wegen einer Minderung der Erwerbsfähigkeit ist Hilfe nur zu leisten, wenn

1.       dieser Zustand voraussichtlich mindestens sechs Monate dauern wird oder

2.       durch die Handlung nach Abs. 1 eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB, BGBl. Nr. 60/1974) bewirkt wird.

(4) Hatte die Handlung im Sinne des Abs. 1 den Tod eines Menschen zur Folge, dann ist den Hinterbliebenen, für deren Unterhalt der Getötete nach dem Gesetz zu sorgen hatte, Hilfe zu leisten, wenn sie österreichische Staatsbürger sind und ihnen durch den Tod der Unterhalt entgangen ist. Die Kostenübernahme gemäß § 4 Abs. 5 erfolgt unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlichen Unterhaltsentganges.

(5) Kindern ist Hilfe gemäß Abs. 4 bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres zu leisten. Darüber hinaus ist ihnen auch dann Hilfe zu leisten, wenn sie

1.       wegen wissenschaftlicher oder sonstiger regelmäßiger Schul- oder Berufsausbildung sich noch nicht selbst erhalten können, bis zur ordnungsmäßigen Beendigung der Ausbildung, längstens jedoch bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres. Kindern, die eine im § 3 des Studienförderungsgesetzes 1992, BGBl. Nr. 305, genannte Einrichtung besuchen, gebührt die Hilfe nur dann, wenn sie ein ordentliches Studium ernsthaft und zielstrebig im Sinne des § 2 Abs. 1 lit. b des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 311/1992, betreiben;

2.       infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, sofern das Gebrechen vor Vollendung des 18. Lebensjahres oder während des in Z 1 bezeichneten Zeitraumes eingetreten ist und solange dieser Zustand dauert.

(6) Hilfe ist Unionsbürgern sowie Staatsbürgern von Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum in gleicher Weise wie österreichischen Staatsbürgern zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1

1.       im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde oder

2.       im Ausland begangen wurde, die betroffenen Personen ihren rechtmäßigen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich haben und die Handlung nach dessen Begründung begangen wurde.

(7) Hilfe ist ferner den nicht in den Abs. 1 und 6 genannten Personen zu leisten, wenn die Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 im Inland oder auf einem österreichischen Schiff oder Luftfahrzeug, unabhängig davon, wo sich dieses befindet, begangen wurde und sie sich zum Zeitpunkt der Handlung dort rechtmäßig aufgehalten haben. Wurde ein unrechtmäßiger Aufenthalt zum Tatzeitpunkt durch einen erlittenen Menschenhandel bewirkt, ist Personen Hilfe solange zu leisten, als sie dafür über ein Aufenthaltsrecht für besonderen Schutz verfügen oder im Anschluss daran weiterhin aufenthaltsberechtigt sind und sie sich gewöhnlich im Inland aufhalten.

(8) Einer Körperverletzung und einer Gesundheitsschädigung im Sinne des Abs. 1 stehen die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, insbesondere einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich, wenn die zur Beschädigung führende Handlung nach Abs. 1 nach dem 30. Juni 2005 begangen wurde. Der Ersatz und die Reparatur richten sich nach § 5 Abs. 2.

Hilfeleistungen

§ 2. Als Hilfeleistungen sind vorgesehen:

10. Pauschalentschädigung für Schmerzengeld.

Pauschalentschädigung für Schmerzengeld

§ 6a (1) Hilfe nach § 2 Z 10 ist für eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs. 1 StGB) infolge einer Handlung im Sinne des § 1 Abs. 1 als einmalige Geldleistung im Betrag von 2 000 Euro zu leisten; sie beträgt 4 000 Euro, sofern die durch die schwere Körperverletzung verursachte Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit länger als drei Monate andauert.

(2) Zieht die Handlung eine Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen (§ 85 StGB) nach sich, gebührt eine einmalige Geldleistung im Betrag von 8 000 Euro; sie beträgt 12 000 Euro, sofern wegen der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen ein Pflegebedarf im Ausmaß von zumindest der Stufe 5 nach dem Bundespflegegeldgesetz (BPGG), BGBl. Nr. 110/1993, besteht.“

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Strafgesetzbuches (StGB) lauten – soweit im gegenständlichen Fall relevant - auszugsweise:

„Schwere Körperverletzung

§ 84 (1) Hat die Tat eine länger als vierundzwanzig Tage dauernde Gesundheitsschädigung oder Berufsunfähigkeit zur Folge oder ist die Verletzung oder Gesundheitsschädigung an sich schwer, so ist der Täter mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren zu bestrafen.“

Der Beschwerdeführer ist deutscher Staatsangehöriger. Er wurde am 23.07.2020 bei seiner Arbeit als Tankstellenmitarbeiter Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls.

Der Beschwerdeführer erlitt durch die Tat eine psychische Gesundheitsschädigung in Form einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Gemäß § 1 Abs. 1 Z 2 VOG liegen die grundsätzlichen Voraussetzungen für Leistungen nach dem Verbrechensopfergesetz damit vor.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Auslegung des Begriffes „wahrscheinlich“ der allgemeine Sprachgebrauch maßgebend. Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlichen-wissenschaftlichen Lehrmeinung erheblich mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. VwGH 19.03.2014, Zl. 2013/09/0181).

Die Beurteilung der Frage, ob die posttraumatische Belastungsstörung als schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 StGB zu qualifizieren ist, welche mehr als drei Monate andauerte, ist eine Rechtsfrage.

Gesundheitsschädigung ist die Herbeiführung oder Verschlimmerung einer Krankheit, dabei kommen neben körperlichen auch geistig-seelische Leiden in Betracht. Vorausgesetzt ist aber in beiden Fällen, dass es sich dabei um Zustände handelt, die einen Krankheitswert in medizinischen Sinn haben (Knienapfel BT I § 83 Rz 15). Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes ist jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Wohlbefindens einer Person als Gesundheitsschädigung anzusehen, wobei das Andauern dieses Zustandes nicht mit der Heilungsdauer identisch sein muss.

Wie festgestellt dauerte die Gesundheitsschädigung des Beschwerdeführers länger als drei Monate an. Zu dieser Einschätzung gelangte, wie beweiswürdigend bereits ausgeführt, auch die belangte Behörde. Die Voraussetzung einer länger als 24 Tage andauernden Gesundheitsschädigung nach § 84 Abs. 1 erster Fall StGB ist damit erfüllt, womit die posttraumatische Belastungsstörung – unabhängig davon, ob es sich um eine „an sich schwere“ Gesundheitsschädigung handelt – als schwere Körperverletzung im Sinne des § 84 StGB zu qualifizieren ist (zur Bejahung der Qualifikation bei Vorliegen einer [entsprechend lange andauernden] posttraumatischen Belastungsstörung vgl. Burgstaller/Schütz, WK2 StGB § 84, Rz 6, mit Hinweis auf 11 Os 106/02, 14 Os 19/14x).

Die belangte Behörde stützte die Abweisung des Antrages im angefochtenen Bescheid zusammengefasst darauf, dass sie nach näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an den Schuldspruch eines Strafurteils gebunden sei. Das Strafgericht habe keine Qualifikation des schweren Raubes nach § 143 Abs. 2 StGB und sohin keine schwere Körperverletzung nach § 84 StGB angenommen. Eine eigene Beurteilung durch die Behörde sei damit nicht mehr zulässig. Von dieser Bindungswirkung umfasst seien auch die innere Tatseite sowie die tatsächlichen Feststellungen, auf denen der Spruch beruhe, wozu jene Tatumstände gehörten, aus denen sich die jeweilige strafbare Handlung nach ihren gesetzlichen Tatbestandselementen zusammensetze.

Dabei übersieht die Behörde, dass sich die angesprochene Bindungswirkung nach sämtlichen zitierten Entscheidungen nur auf Schuldsprüche und die damit verbundenen Feststellungen bezieht. Im Fall eines freisprechenden Urteils ist hingegen, wie im Bescheid auch ausgeführt wird, eine eigenständige Beurteilung durch die Behörde vorzunehmen (vgl. VwGH 26.04.2016, Ra 2016/03/0009). Wie die Beschwerde zurecht anmerkt, folgt daraus, dass sich die Bindungswirkung eines (verurteilenden) Strafurteils nicht auch auf Umkehrschlüsse aus dessen positiven Feststellungen erstreckt. Dies ergibt sich bereits aus dem unterschiedlichen Beweismaß im Strafverfahren einerseits und Verfahren nach dem VOG andererseits (vgl. dazu VwGH 21.08.2014, 2013/11/0251). Dass der Täter im vorliegenden Fall nicht nach der Erfolgsqualifikation des § 143 Abs. 2 erster Fall StGB verurteilt wurde, bedeutet – ebenso wie im Falle eines gänzlichen Freispruchs – nicht, dass eine diesem Tatbild entsprechende Handlung nicht nach den Voraussetzungen des VOG angenommen werden könnte.

Daneben ist im gegenständlichen Fall, wie die Beschwerde ebenfalls zurecht ausführt, zu berücksichtigten, dass die Erfolgsqualifikation nach § 143 Abs. 2 erster Fall StGB nach ständiger Judikatur nur dann erfüllt ist, wenn die schwere Körperverletzung Folge der beim Raum eingesetzten Gewalt ist. Ist eine Gesundheitsschädigung nicht auf Gewaltanwendung, sondern auf die durch die gefährliche Drohung als Raubmittel hervorgerufene Belastungssituation zurückzuführen, ist die Qualifikation nicht erfüllt (vgl. RS0111354, ebenso Eder-Rieder, WK2 StGB § 143, Rz 23). Da eine solche Einschränkung auf unmittelbar durch Gewaltanwendung verursachte Gesundheitsschädigungen dem VOG unbestritten fremd ist, wäre im vorliegenden Fall schon aus diesem Grund keine Bindungswirkung des Strafurteils anzunehmen.

Der Beschwerdeführer litt wie festgestellt und beweiswürdigend erläutert länger als drei Monate nach der Tat an einer krankheitswerten posttraumatischen Belastungsstörung, weswegen gemäß § 6a Abs. 1 VOG die Voraussetzungen für die Gewährung der Pauschalentschädigung für Schmerzengeld in der Höhe von EUR 4.000,00 gegeben sind. Hinweise darauf, dass es eine Köperverletzung mit schweren Dauerfolgen vorliegt, sind im Verfahren nicht hervorgekommen.

Zum anrechenbaren Schadensersatz ist auszuführen, dass schon aus den erläuternden Bemerkungen zum VOG hervorgeht, dass das VOG im Hinblick auf die Anspruchsberechtigung dem Schadensersatz nachgebildet sein soll:

„Die Pflicht zur Schadenswiedergutmachung an Opfern strafbarer Handlungen schlechthin, als nicht nur an Opfern von Verbrechen, trifft nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechtes den Schädiger. Das Motiv für die staatliche Hilfeleistung liegt demnach nicht im Mangel eines Anspruchs an Schadloshaltung, sondern in der Unmöglichkeit diesen Anspruch durzusetzen“ (40 d. Blg., GP XIII).

In den Erläuterungen zur VOG-Novelle BGBl. Nr. 40/2009 wird ausgeführt, dass die Ergänzung des Leistungskataloges (Schmerzengeld) nach dem VOG eine weitere staatliche Vorleistung auf den Schadensersatzanspruch gegen den Täter darstellt (678 d. Blg., GP XXIII).

Der Gesetzgeber hat demnach nicht beabsichtigt, eine zum Schadensersatzanspruch gegen den Täter zusätzliche Leistung zu gewähren. Entsprechend der schadenersatzrechtlichen Anbindung, dem Vorleistungscharakter und der daraus folgenden Subsidiarität der staatlichen Hilfeleistungen des VOG sind Schmerzengeldzahlungen des Täters auf den Pauschalbetrag anzurechnen.

Bereits vom Täter erhaltene Entschädigungen für Schmerzengeld sind sohin auf die allfällige Entschädigung nach § 6a VOG 1972 „anzurechnen“, weil das VOG 1972 keinen zusätzlichen Anspruch neben den Schadensersatzanspruch gegen den Täter schafft (VwGH 20.11.2012, 2011/11/0102).

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1.       der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2.       die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Abl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Im gegenständlichen Fall waren, da, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, auch die belangte Behörde davon ausging, dass der Beschwerdeführer verbrechenskausal eine länger als drei Monate andauernde Gesundheitsschädigung erlitt, letztlich ausschließlich Rechtsfragen zu klären. Damit war im Sinne der Judikatur des EGMR und der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 16.12.2013, 2011/11/0180) und des Verfassungsgerichtshofes (vgl. VfGH 09.06.2017, E 1162/2017) eine mündliche Verhandlung nicht geboten. Art. 6 EMRK bzw. Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union stehen somit dem Absehen von einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG – trotz des in der Beschwerde gestellten Antrages auf eine mündliche Verhandlung – nicht entgegen. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Bindungswirkung Geldleistung Gesundheitsschädigung Körperverletzung Pauschalentschädigung Raub Sachverständigengutachten Schmerzengeld Strafurteil VerbrechensopferG Wahrscheinlichkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2243367.1.00

Im RIS seit

15.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

15.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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