TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/23 W278 2237599-6

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Veröffentlicht am 23.07.2021
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Entscheidungsdatum

23.07.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §80

Spruch


W278 2237599-6/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HABITZL als Einzelrichter im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , über die weitere Anhaltung von XXXX , alias XXXX , geb. XXXX , StA Nigeria, alias Niger, vertreten durch Diakonie Flüchtlingsdienst GmbH, in Schubhaft zu Recht:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (in der Folge auch BF genannt) stellte am 31.05.2002 in Österreich seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz und wurde hernach straffällig. Der erstinstanzlich ergangene negative Asylbescheid wurde aufgrund der Berufungsentscheidung des UBAS mit 13.12.2004 rechtskräftig bestätigt.

2. Er wurde im Bundesgebiet insgesamt sechs Mal straffällig und rechtskräftig, zumeist wegen Suchmitteldelikten, verurteilt.

3. Sein zweiter Asylantrag vom 10.04.2007 wurde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen und mit einer Ausweisung verbunden, die am 17.02.2010 in Rechtskraft erwuchs.

4. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2020 wurde über den BF während seines Aufenthaltes in Strafhaft die gegenständliche Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung verhängt und mit Bescheid vom 04.12.2020 erging gegen den BF auch eine Rückkehrentscheidung mit Einreiseverbot. Einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.

5. Der BF wurde am 07.12.2020 aus der Strafhaft entlassen und direkt in Schubhaft überführt.

6. Eine daraufhin erhobene Schubhaftbeschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 17.12.2020 abgewiesen und die Rechtmäßigkeit einer Fortführung ausgesprochen.

7. Vor Ablauf der 4-Monatsfrist legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakt gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vor. Mit Erkenntnis vom 07.04.2021 erkannte das Bundesverwaltungsgericht, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war. Begründend wurde insbesondere auf die fehlende Kooperationsbereitschaft sowie die fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers verwiesen. Von der Erlangung eines Heimreisezertifikats (HRZ) und der Überstellung im Rahmen der zulässigen Anhaltedauer in Schubhaft sei auszugehen gewesen.

8. Mit weiteren Erkenntnissen vom 05.05.2021, 02.06.2021 und 29.06.2021 sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlagen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig war.

9. Das Bundesamt legte am 16.07.2021 erneut die Akten zur amtswegigen Verhältnismäßigkeitsprüfung vor und legte dar, dass insbesondere das Vorverhalten des Beschwerdeführers und die fehlende Kooperationswilligkeit (mehrmalige Verweigerung an Telefoninterviews sich aktiv zu beteiligen und mit den Botschaftsangehörigen zu sprechen, Verweigerung eines Vorführungstermins) des BF eine weitere Anhaltung des BF erfordern würden. Die Heimreisezertifikatsverfahren werden regelmäßig urgiert. Die Nigerianische Botschaft habe eine bedingte Zusage zur Ausstellung eines HRZ für den Fall abgegeben, dass der BF durch die Botschaft von Niger negativ identifiziert werden sollte.

10. Das BVwG forderte vom der HRZ Abteilung am 19.07.2021 zusätzliche Informationen zu den laufenden HRZ Verfahren. Dieser Aufforderung kam das Bundesamt 20.07.2021 nach.

12. Dem BF wurde im Wege seiner Vertretung sowohl der Schriftsatz des BFA betreffend die 5. Vorlage gem. § 22a Abs. 4 BFA-VG, als auch die Information der HRZ Abteilung mit Frist zur Stellungnahme übermittelt. Die Frist zur Stellungnahme lies der BF ungenutzt verstreichen.

13. Am 22.07.2021 fand ein weiterer Versuch einer Vorführung vor die nigerianische Vertretungsbehörde statt. Der BF verhinderte durch aggressives Verhalten diese Vorführung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger Nigerias oder Nigers, die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt er nicht. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter. Es besteht gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme, die mit einem Einreiseverbot verbunden ist. Seit der Entlassung aus der jüngsten Strafhaft am 07.12.2020 befindet sich der Beschwerdeführer in Schubhaft.

1.2. Der Beschwerdeführer wurde in Österreich seit 2002 sechsmal – vorrangig wegen Suchtgiftdelikten – zu weitestgehend unbedingten Freiheitsstrafen von zusammengerechnet fast 15,5 Jahren verurteilt. Er wurde in dieser Zeit – bis zum Vollzug der Schubhaft – auch zumeist in Justizanstalten angehalten.

Die sechste Verurteilung des BF zu einer Freiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten erfolgte wegen dem Verbrechen der Vorbereitung des Suchtgifthandels im Rahmen einer kriminellen Vereinigung, da der BF Kokain in einer das 15-fach übersteigenden Grenzmenge (615 Gramm Kokain), mit dem Vorsatz diese in Verkehr zu setzen zu erwerben und zu besitzen versucht hat und eine jedenfalls 7,4 Gramm überseigende Menge Kokain übernahm und zum geplanten Weiterverkauf in seiner Wohnung verwahrte. Unter Anwendung der allgemeinen Grundsätze des § 32 Abs 2 und 3 StGB wertete das Gericht im vorliegenden Fall als mildernd, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist. Erschwerend wirkten hingegen die fünf einschlägigen Vorstrafen, der rasche Rückfall lediglich zwei Monate nach Vollzug der letzten Strafhaft, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 39 StGB sowie die mehrfache Qualifikation des § 28 SMG, nämlich nach Abs 2 sowie Abs 3 leg. cit.

1.3. Er ist im Zusammenhang mit der Organisation seiner Abschiebung in keiner Form kooperativ und in besonderem Maße vertrauensunwürdig. Mit der Ausstellung eines Heimreisezertifikats und der Abschiebung ist jedoch aus derzeitiger Sicht vor Ablauf der rechtlich zulässigen Höchstanhaltedauer von 18 Monaten zu rechnen.

Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung insgesamt nicht. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird er mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um einer Abschiebung zu entgehen.

1.4. In Österreich leben keine Angehörigen des Beschwerdeführers. Er ging jedenfalls in den letzten Jahren keiner legalen Beschäftigung (außerhalb der Strukturen der Justizanstalten) nach. Er konnte bisher keine sozialen Kontakte außerhalb der Justizanstalten knüpfen und verfügt über keinen gesicherten Wohnsitz im Bundesgebiet.

1.5. Der Beschwerdeführer ist gesund, haftfähig und gehört keiner Risikogruppe im Zusammenhang mit CoVid-19 an. Die Ausstellung eines Heimreisezertifikats sowie der Abschiebung innerhalb der höchstzulässigen Schubhaftdauer ist realistischerweise möglich. Eine Zusage von Nigeria liegt vor. Diese verzögert sich vorrangig, da der BF nicht mit den Behörden zusammenarbeitet und nicht mit Vertretern der Botschaften spricht. Der BF verweigerte am 11.06.2021 sowie am 24.06.2021 die Vorführung vor die nigerianische Vertretungsbehörde. Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats kann eine zeitnahe Abschiebung des BF erfolgen. Das Bundesamt hat zuletzt am 16.07.2021 das HRZ Verfahren betreffend Senegal, Sierra Leone und Niger urgiert.

Das Bundesamt hat am 22.07.2021 eine Vorführung vor die nigerianische Vertretungsbehörde organisiert. Diese hat der BF durch aggressives Verhalten verhindert.

Das Bundesamt plant ein Video Interview mit der senegalesischen Botschaft.

Eine Änderung der entscheidungswesentlichen Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit der letzten Überprüfung am 29.06.2021 hat sich im Verfahren nicht ergeben.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen ergeben sich aus der Aktenlage im gegenständlichen Verfahren, aus den Gerichts- und Verwaltungsakten zu seinen Asylverfahren und den bisherigen Schubhaftprüfungen. Dies gilt insbesondere für die abgeschlossenen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren des Beschwerdeführers, deren Status unstrittig ist. Die jüngste (mit einem Einreiseverbot verbundene) Rückkehrentscheidung vom 04.12.2020 wurde durchsetzbar.

Die Feststellungen bezüglich der Anhaltungen ergeben sich aus der Aktenlage, insbesondere aus einer rezenten ZMR-Abfrage. Die kurzzeitigen Meldungen an anderen Adressen ändert nichts an der faktisch sehr langen Anhaltung in Strafhaft.

2.2. Aus der Einsichtnahme in das Strafregister ergeben sich die strafrechtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers, die auch nicht bestritten werden. Urteilskopien liegen im Akt ein.

2.3. Dass der Beschwerdeführer nicht bereit ist freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren oder am Verfahren zu seiner Abschiebung mitzuwirken, ergibt sich ganz klar aus dem bisherigen Verhalten aus der Aktenlage. Die in besonderem Maße fehlende Vertrauenswürdigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich aus seiner Straffälligkeit, der jahrelangen Ignoranz seiner Ausreiseverpflichtung und dem Verhalten in den bisherigen Verfahren.

Wie sich aus dem Akt ergibt, hat Nigeria die Ausstellung eines Heimreisezertifikates bereits zugesagt, falls Niger eine negative Identifizierung bekannt geben solle. Wann es daher zu einer derartigen Ausstellung eines Heimreisezertifikates kommen wird, hängt aber wesentlich von der Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers selbst im Verfahren ab. Aus dem Schriftsatz der Aktenvorlage und der Stellungnahme der Fachabteilung ist zweifelsfrei das angemessene Bemühen des Bundesamts zur Erlangung eines HRZ ersichtlich und dokumentiert. Dass bisher die Identifizierung nicht erfolgt ist, liegt im zum größten Teil am unkooperativen Verhalten des BF. Das Bundesamt hat, nachdem der BF Vorführungstermine am 11.06.2021, 24.06.2021 und am 22.07. 2021 bei der nigerianischen Vertretungsbehörde vereitelt.

Die grundlegende Missachtung der österreichischen Rechtsordnung durch den Beschwerdeführer ergibt sich aus seinem Verhalten seit 2002. Er hat schon kurz nach Erreichen der Strafmündigkeit derart schwere Straftaten begangen, dass er sich schon in jungen Jahren sehr häufig in Strafhaft befunden hat – darunter bereits beim zweiten Mal in einer unbedingten Freiheitsstrafe; dies jeweils unter Anwendung des reduzierten Strafrahmens im Jugendstrafrecht. Angesichts dieses Vorverhaltens und der weiterhin demonstrierten Kooperationsunwilligkeit besteht keinerlei Zweifel darüber, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft dem behördlichen Zugriff umgehend entziehen würde. Auch in Schubhaft verweigert der BF die Unterschrift bei der Übernahme von Dokumenten.

2.4. Die Feststellungen zum gesicherten Wohnsitz und den gänzlich fehlenden sozialen- bzw. familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet ergeben sich aus der Aktenlage und wurden nicht bestritten. Die Feststellungen zur fehlenden legalen Beschäftigung und der fehlenden sozialen Kontakte ergeben sich aus der unstrittigen, fast durchgehenden Anhaltung in Justizanstalten und Polizeianhaltezentren.

2.5. Aus der Aktenlage ergeben sich weiterhin keine Hinweise auf derart gravierende gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers, die zu einer Haftunfähigkeit führen könnten. Die regelmäßigen ärztlichen Kontrollen sind in der Anhaltedatei ohne Hinweis auf gesundheitliche Probleme des BF dokumentiert. Die gegenwärtige Anhaltung in Schubhaft besteht erst seit knapp mehr als sieben Monaten, schöpfte also nur ein Drittel des gesetzlichen Rahmens aus. Es ist daher nach wie vor realistisch, dass die Erlangung eines Heimreisezertifikats und eine Abschiebung – ungeachtet der fehlenden Kooperationsbereitschaft des Beschwerdeführers – während der gesetzlich zulässigen Anhaltedauer möglich ist. Das Bundesamt führt die HRZ Verfahren mit Nachdruck. Dass ein Video Interview mit der senegalesischen Botschaft geplant ist, ergibt sich aus der Stellungnahme der HRZ Abteilung.

Für eine Änderung der entscheidungsrelevanten Umstände seit dem Beschwerdeverfahren gibt es – im Zusammenhang mit einem Wegfall der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung - keinen Hinweis. Vielmehr hat sich durch die bestehende Zusage Nigerias zur Ausstellung eines Heimreisezertifikates die Chance auf eine baldige Beendigung der Schubhaft erhöht. Aus den als gerichtsnotorisch anzusehenden Abschiebeinformationen des BMI für die 29. KW geht hervor, dass laufend Abschiebungen, zumindest nach Nigeria, stattfinden und derartige jeweils zum Ende des Monats (aktuell Ende Juli) geplant sind.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt I. (Vorliegen der Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft):

Entsprechend dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015 – FrÄG 2015 vom 18.06.2015, BGBl. I Nr. 70/2015, lautet §22a Abs. 4 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) wie folgt:

„§ 22a. (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

§22a Abs. 4 bildet im gegenständlichen Fall die formelle Grundlage, da der Beschwerdeführer seit 07.12.2020 in Schubhaft angehalten wird.

Die in diesem Zusammenhang maßgeblichen (innerstaatlichen) verfassungsrechtlichen Bestimmungen des Art 5 Abs. lit. f EMRK und des Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG sowie einfachgesetzlichen Normen des mit 20. Juli 2015 im Rahmen des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2015 – FrÄG 2015 in Kraft getretenen Fremdenpolizeigesetzes 2005 lauten:

Art 5 Abs. 1 lit. F EMRK

(1) Jedermann hat ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den folgenden Fällen und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:
f)         wenn er rechtmäßig festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen oder weil er von einem gegen ihn schwebenden Ausweisungs- oder Auslieferungsverfahren betroffen ist.

Art 2 Abs. 1 Z. 7 PersFrBVG

(1) Die persönliche Freiheit darf einem Menschen in folgenden Fällen auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden:

7. wenn dies notwendig ist, um eine beabsichtigte Ausweisung oder Auslieferung zu sichern.

§ 76 FPG (in der nunmehr gültigen Fassung)

„§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1.         dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2.         dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3.         die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1.         ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a.         ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2.         ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3.         ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4.         ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5.         ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6.         ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a.         der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b.         der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c.         es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7.         ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8.         ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9.         der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

In seinem Erkenntnis zur Zahl Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 hielt der VwGH fest, dass die Frage der rechtzeitigen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates bei länger andauernden Schubhaften, die gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG überprüft werden, für die weitere Verhältnismäßigkeit der Anhaltung (typischerweise) entscheidend ist. Dabei ist insbesondere relevant, ob die Bemühungen der Behörde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend sind. Bei der Ermittlung des gefordertes Grades dieser Wahrscheinlichkeit können auch die bisherige Anhaltedauer und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen. Bisherige Erfahrungswerte mit der jeweiligen Vertretungsbehörde können – sofern diese nachvollziehbar festgestellt und nicht bloß behauptet würden – wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung bieten (vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174 vom 22.12.2020, mwN).

Gemessen also an § 76 Abs. 3, konkret an dessen ersten Satz „liegt eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 2 - immer noch - vor, da „bestimmte Tatsachen“, nämlich jene bereits im Rahmen der angeführten Beweiswürdigung relevierten, indizieren, dass sich der Beschwerdeführer einer drohenden Abschiebung in den Herkunftsstaat entziehen wird.

Die Gründe, aus denen das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Schubhaft anordnete, haben sich seither nicht geändert und erweisen sich als grundsätzlich nachvollziehbar. Insbesondere hat der Beschwerdeführer das Kriterium der Ziffer 1 des § 76 Abs. 3 FPG durch die Verweigerung jeder Kooperation im Zusammenhang mit der Umsetzung der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung erfüllt.

Mit der Anordnung gelinderer Mittel kann weiterhin nicht das Auslangen gefunden werden. Angesichts (in besonderem Umfang) fehlender persönlicher Vertrauenswürdigkeit – siehe dazu das aktenkundige und unstrittige Vorverhalten des Beschwerdeführers, insbesondere der hartnäckigen Verweigerung einer Befragung durch die möglichen Herkunftsstaaten – kommen diese schon aus grundsätzlichen Erwägungen nicht in Betracht. Die mangelnde Wertschätzung des Beschwerdeführers gegenüber der österreichischen Rechtsordnung ist ein weiteres klares Indiz dafür, dass die Anordnung des gelinderen Mittels zur Erfüllung des Sicherungszweckes nicht einmal im Ansatz geeignet ist. Darüber hinaus besteht keinerlei soziales Netz und auch keine Wohnmöglichkeit. Damit liegt die zur Anhaltung in Schubhaft erforderliche ultima-ratio-Situation unverändert vor.

Der Beschwerdeführer war bei Anordnung der Schubhaft haftfähig und ist dies auch weiterhin.

Die mit der Erlangung eines Heimreisezertifikats verbundene Dauer der Anhaltung in Schubhaft hat der Beschwerdeführer durch seine mangelnde Kooperation im Wesentlichen selbst zu verantworten. Verzögerungen, die in die Sphäre des Bundesamtes fallen würden, sind im laufenden Prüfverfahren nicht ans Tageslicht gekommen. Es wird laufend bei den verschiedenen Botschaften urgiert und es werden regelmäßig Versuche unternommen den BF zur Identifizierung den ausländischen Vertretungsbehörden vorzuführen. Auch ein Videointerview mit der senegalesischen Botschaft wird organisiert.

Daher ist das Erfordernis der angemessenen Bemühungen jedenfalls erfüllt. Die nachgewiesenen Bemühungen des Bundesamts sind durch Belege im Akt dokumentiert. Die Bemühungen des Bundesamts sind im gegenständlichen Fall immer noch erfolgversprechend und entsprechen den Erfordernissen der höchstgerichtlichen Judikatur (Vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174-8 vom 22.12.2020).

Die (zum Entscheidungszeitpunkt) voraussichtliche Dauer der Anhaltung ergibt sich aus den oben angeführten Umständen und steht nach Ansicht des Gerichts im Wesentlichen nicht im Zusammenhang mit den gegenwärtigen Restriktionen zur Eindämmung der Covid-19-Pandemie. Diese bewirken im gegenständlichen Fall (derzeit) keine längere Anhaltedauer des Beschwerdeführers in Schubhaft.

Substanzielle gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers sind im Übrigen nicht aktenkundig. Das Gericht geht diesbezüglich davon aus, dass aufgrund der im Rahmen der Schubhaft durchgeführten regelmäßigen ärztlichen Kontrollen, der weitere Verbleib des BF in Schubhaft nicht zu einer Erhöhung eines allenfalls bestehenden Gesundheitsrisikos für den BF führen wird. Das strafrechtliche Fehlverhalten des BF, das insgesamt zu sechs Verurteilungen auch wegen schwerer Suchtmittelkriminalität zu hohen unbedingten Freiheitsstrafen (zuletzt 7 Jahren und 6 Monaten) führte, stellt ein relevantes Fehlverhalten gemäß § 76 Abs. 2a FPG dar und ist daher im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu berücksichtigen. Im gegenständlichen Fall überwiegt daher das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung der Abschiebung der persönlichen Freiheit des BF.

Die Fortsetzung der Schubhaft, welche seit 07.12.2020 besteht, ist auch unter Berücksichtigung der in § 80 FPG vorgesehenen Regelung über die Höchstdauer der Anhaltung in Schubhaft zulässig, da die Tatbestände des § 80 Abs. 4 Z 1, 2 u 4 FPG evident erfüllt sind, weshalb die Schubhaft auch über die Dauer von 6 Monaten hinaus aufrechterhalten werden kann. Diesem Umstand wurde auch nicht entgegengetreten.

Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung die Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft weiterhin gegeben ist, da das öffentliche Interesse an Sicherheit, Ordnung und einer gesicherten baldigen Heimreise des BF das Interesse auf Freiheit des BF noch immer bei weitem überwiegt. Eine über die Frage der Verhältnismäßigkeit hinausgehende Prüfung der Schubhaft ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 22a Abs. 4 BFA-VG nicht vorgesehen.

Zu Spruchpunkt II.:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Im vorliegenden Akt findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Einbeziehung eines unstrittigen oder zweifelsfrei belegten Vorverhaltens entsprich der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes.

Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Heimreisezertifikat öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Suchtmitteldelikt Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit Verzögerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W278.2237599.6.00

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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