Entscheidungsdatum
27.07.2021Norm
AsylG 2005 §3Spruch
W186 2218624-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Indien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwedsen und Asyl vom 31.07.2020, Zl. 1223456205 – 200269371, zu Recht:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste spätestens am 21.03.2019 illegal nach Österreich ein, stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am 22.03.2019 von der LPD OÖ erstbefragt sowie am 27.03.2019 von dem BFA niederschriftlich einvernommen. Der BF gab an, dass er legal aus Indien ausgereist sei. Er sei nicht mehr im Besitz seines indischen Reisepasses, da dieser dem BF von den Schleppern in Moskau abgenommen worden sei.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er habe wegen der Religionsfreiheit nach England reisen wollen. Er sei ein Freiheitskämpfer. Er sei Mitglied von Khalistan, einer Freiheitsbewegung, die von Indien unabhängig werden wolle. Es gebe ein Referendum im Jahr 2020 für Khalistan Am 05.06.1984 sowie am 06.06.1984 sei eine Attacke auf den Tempel Amritsar ausgeübt worden und deshalb würde jährlich an diesen Tagen ein Gebet stattfinden. An diesen Tagen werde auch für Khalistan Propaganda betrieben, sowohl im Areal des Sikh-Tempels als auch außerhalb. Die Polizei würde viele Anhänger der Khalistan-Bewegung vom Sikh-Tempel fernhalten. Da der BF ein Khalistanbefürworter sei und die Shiv Sena den BF bereits ein Auge auf den BF geworfen hätte, befürchte der BF, dass er ins Gefängnis kommen könnte. Ein ausschlaggebendes Ereignis für die Ausreise hätte es nicht gegeben. Der BF habe Angst davor, von der Polizei festgenommen zu werden. Bei einer Rückkehr in seinen Heimatsstaat Indien befürchte der BF weiters, dass er von der gegnerischen Religion namens Shiv Sena getötet würde. Entweder würde die Shiv Sena den BF selbst oder durch ihre Beziehungen zur Polizei töten. Shiv Sena sei an der Macht.
Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 21.03.2019 mit Bescheid des BFA vom 11.04.2019 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien abgewiesen. Gegen den BF wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig ist und eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 05.09.2019 rechtskräftig abgewiesen.
1.2. Mit Schreiben des BFA vom 18.10.2019 wurde der BF darüber verständigt, dass gegen ihn ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, VZ: 1223456205/191048011, eine Beweisaufnahme stattgefunden habe. Das in 1.1. angeführte Verfahren sei nach Entscheidung des BVwG rechtskräftig erledigt worden und die Frist für die freiwillige Ausreise sei am 24.09.2019 geendet. Der BF sei seiner Pflicht zur freiwilligen Ausreise nicht nachgekommen. Die belangte Behörde habe daher beabsichtigt, gegen den BF eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sowie ein Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren zu verhängen. Gleichzeitig hat die belangte Behörde den BF zur Beantwortung von seinen persönlichen Verhältnissen betreffenden Fragen ersucht. Der BF kam der Aufforderung mit E-Mail vom 31.10.2019, der belangten Behörde zugestellt am selben Tag, nach. Der BF gab im Zuge dessen zu seinen persönlichen Verhältnissen an, dass er die Schule von 1995 bis 2005 in Panjawarh besucht habe. Danach habe er von 2005 bis 2010 drei Jahre lang Sikhismus studiert und von 2010 bis 2018 als geistlicher Seelsorger in Punjab gearbeitet. Der BF habe in Indien vier Brüder sowie seinen Vater, wohingegen in Österreich der BF keine Familienangehörige und Verwandte habe. Der BF habe einen Wohnsitz in seinem Herkunftsstaat Indien, in Panjwarh, Bezirk Tarn Tarn in Punjab gehabt. Der BF gehe keiner Beschäftigung in Österreich nach und werde von Freunden finanziell unterstützt. Betreffend die Frage, warum er nicht nach Indien zurückkehren wolle, gab der BF an, dass er seine Probleme in Indien bereits bei seiner Einvernahme ausführlich geschildert habe.
Mit Bescheid vom 18.12.2019 hat das BFA dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass die Abschiebung nach Indien zulässig ist, einer gegen die Rückkehrentscheidung gerichteten Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt, keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt sowie ein Einreiseverbot in der Dauer von 2 Jahren erlassen.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 27.01.2020 wurde die Beschwerde des BF gegen den og Bescheid vom 18.12.2019 rechtskräftig als verspätet zurückgewiesen.
2. Gegenständliches Verfahren
Der BF stellte am 09.03.2020 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz und wurde am gleichen Tag hierzu von der LPD OÖ erstbefragt. Im Zuge seiner Erstbefragung gab der BF an, er habe Österreich seit seiner spätestens am 21.03.2019 erfolgten Einreise nicht verlassen.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, er habe Angst vor einer Festnahme durch die Polizei. Im September 2019 sei in Tran Taran während Bauarbeiten eine im Erdreich befindliche Bombe explodiert und habe zwei Menschen das Leben gekostet. Eine Person sei verletzt worden. Der BF habe diesen Vorfall durch Zeitungen und Youtube erfahren. Die Polizei habe ca. 100 Verdächtige verhaftet. Sieben Personen seien noch in Haft. Eine Person namens XXXX habe den BF beschuldigt, den vorgenannten Vorfall geplant zu haben. Der BF werde beschuldigt, die Anleitung und das Material zum Bau der Bombe zur Verfügung gestellt zu haben. Der BF habe die gegen ihn erhobenen Anschuldigungen aus der Zeitung in Erfahrung gebracht. Ausschnitte davon habe der BF am Handy gespeichert. Weiters habe der BF Angst vor Angehörigen der Shiv Sena, die den BF aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Religion Sikh vielleicht töten wollen würden. Bei seiner Rückkehr befürchte der BF, dass er von der Polizei festgenommen werden könnte.
Der BF gab abschließend an, dass ihm die Änderungen seiner Fluchtgründe seit ca. Oktober oder November 2019 bekannt seien.
Mit Mail vom 14.04.2020 übermittelte der BF ein Dokument der National Investigation Agency, Ministry of Home Affairs, Government of India, an das BFA. Nach dem Inhalt dieses Dokuments habe die vorgenannte Behörde in Indien den BF zu einer Einvernahme geladen. Anzumerken ist, dass das Datum des Dokuments handschriftlich geändert geworden zu scheint. Weiters wird nur der Name des BF, ohne weitere Merkmale (Geburtsdatum, Adresse, etc.) zur eindeutigen Identifizierung des Empfängers des Dokuments angeführt.
Am 06.05.2020 wurde der BF von dem BFA niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dessen führte der BF aus, dass er keine Medikamente nehme und an keine Krankheiten leiden würde. Seine Fluchtgründe bestätigte der BF im Wesentlichen: Am 04.09.2019 sei es zu einem Bombenanschlag in Tarn Taran gekommen. Es seien zwei Personen gestorben und eine Person sei verletzt worden. Der BF habe diese Personen vom Sehen aus dem Sikh-Tempel gekannt. Der BF sei aber mit diesen Personen nicht befreundet gewesen. Die verletzte Person sei ins Krankenhaus gebracht worden. Jeder, der die verletzte Person besucht habe, sei von der Polizei festgenommen worden. Es seien 100 Verdächtige festgenommen worden. Die Polizei habe diese Personen wegen der Khalistan-Bewegung festgenommen. Es seien überwiegend junge Menschen aus den angrenzenden Dörfern gewesen. Die Polizei habe Verbindungen zu den Bombenlegern herausfinden wollen. Es sei eine Person festgenommen worden, die den Name XXXX führe. Es seien acht Personen wegen weiterer Untersuchungen festgehalten worden. Herr XXXX habe auch im Tempel ehrenamtlich gearbeitet. XXXX sei von der Polizei misshandelt und geschlagen worden. XXXX habe nach der Folter gesagt, dass der BF im Jahr 2016 den Anschlag auf den damaligen Minister XXXX geplant habe. Der BF sei dort aber nicht dabei gewesen und sei nur namentlich genannt worden. Damals habe der Minister den goldenen Sikh-Tempel besuchen wollen. Weil der Minister den Namen des BF genannt haben soll, sei der BF auch im Zusammenhang mit den Bombenanschlag 2019 in Verbindung gebracht worden, obwohl der BF absolut nichts damit zu tun hätte. Darüber habe auch die Zeitung geschrieben und es gebe ein Youtube-Video im Nachrichtenkanal. Das verletzte Opfer, das erblindet sei, habe den Namen des BF nie erwähnt. Der BF sei unschuldig. Warum XXXX den Namen des BF genannt habe, wisse der BF nicht. XXXX würde in einem anderen Distrikt, 60 km weit weg vom Dorf des BF wohnen. Nachdem der Name des BF genannt worden sei, sei die Polizei zum BF nachhause gekommen und habe nach ihm gefragt. Die Polizei habe die Handys der Schwägerin und der beiden Brüder des BF, sowie eine Festplatte, Sparbücher und diverse Bankunterlagen mitgenommen. Diese seien nicht zurückgegeben worden. Die Brüder des BF seien für eine Einvernahme zum Gericht gerufen worden, wo die Brüder des BF geschlagen worden seien. Es seien Leute der National Investigation Agency aus Delhi gekommen seien, die das Haus des BF durchsucht haben sollen. Der BF wolle nicht nach Indien, weil er Angst habe, dass ihm etwas „angehängt“ werden könnte. Die Polizei würden behaupten, dass drei Personen ein Attentat auf die Vereinigung namens „DEVIJA JOTI“ geplant hätten. Die Polizei würde weiters behaupten, dass der BF andere angestiftet hätte, den Anschlag auszuführen. Der BF habe damit jedoch nichts zu tun. Der BF hält weiters die Fluchtgründe aus den Vorverfahren aufrecht.
Bei einer Rückkehr nach Indien befürchte der BF, dass von der Polizei festgenommen und misshandelt werde.
Der BF sei von den Vorfällen in Indien bereits seit Oktober/November 2019 in Kenntnis. Der Bruder des BF habe den BF über Whatsapp benachrichtigt. Der BF habe den Antrag am 09.03.2020 auf Ratschlag seiner Rechtsvertretung gestellt. Diese habe den BF geraten, zuzuwarten, bis das Vorverfahren abgeschlossen ist. Die dem BFA vorgelegten Unterlagen habe der BF über Email am 27.12.2019 von seinem Bruder erhalten.
Der BF habe keine Familie in Österreich. Er werde von Freunden und vom Sikh-Tempel finanziell unterstützt.
Mit Schreiben vom 11.05.2020, beim BFA eingelangt am selben Tag, nahm der BF, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, Stellung zu den Länderberichten in Bezug auf seinen Heimatssaat Indien. Zusammengefasst gab der BF an, dass die Reisefreiheit in Indien insoweit zu relativeren sei. Der BF könne in anderen Landesteilen Indiens sich nicht frei bewegen, sondern sei häufig ethnischer Verfolgung ausgesetzt. Eine Niederlassung außerhalb seiner Heimatregion sei extrem prekär, insbesondere wegen des gänzlichen Fehlens von familiären und sozialen Kontakten in anderen Landesteilen. Das Vorbringen des BF betreffend die Misshandlung durch die Polizei sei im Hinblick auf die Länderdokumentationen glaubwürdig. Der BF ersuche daher, seinen Antrag auf internationalen Schutz inhaltlich zu prüfen.
Mit Schreiben vom 13.05.2020 ergänzte der BF, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, sein Vorbringen dahingehend, dass weitere Zeitungsartikel über den og Anschlag vorgelegt wurden. Weiters wurde ein Link auf eine Website der indischen Gerichte angeführt, auf der ein laufendes Gerichtsverfahren unter der GZ PBSA010089082019, wo der BF namentlich vorkomme, zu finden sei. Es sei auch ein Foto der namentlich genannten Person auf der Website zu finden. Es würde daher auf jedenfalls ein neuer Sachverhalt vorliegen.
Mit Bescheid des BFA vom 29.05.2020 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 09.03.2020 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 68 Abs 1 AVG (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Indien gem. § 68 Abs. 1 AVG (Spruchpunkt II.) wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der BF wurde gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, ab 09.03.2020 im Quartier BS West AIBE Thalham 80, 4880 St. Georgen im Attergau, Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt III.).
Begründend wurde ausgeführt, dass betreffend die erneut vorgebrachten Fluchtgründe aus dem Vorverfahren bereits wegen entschiedener Sache eine inhaltliche Auseinandersetzung nicht zulässig sei. Betreffend die im gegenständlichen Verfahren neu vorgebrachten Fluchtgründe habe der BF keinen glaubhaften Kern vorbringen können. Insbesondere hatsich das BFA auf die vom BF vorgelegten Dokumente in Kopie, die teilweise handschriftlich geändert worden seien, sowie auf das Foto der von den indischen Gerichten veröffentlicht worden sei, verwiesen. Der auf dem Foto abgebildete und den Namen des BF führende Mann habe keine Ähnlichkeiten mit dem BF.
Mit Verfahrensanordnung vom 02.06.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF mit Schriftsatz fristgerecht Beschwerde, in welcher auf ein anhängiges Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH betreffend die Frage, ob eine entschiedene Sache vorliegt, wenn ein Sachverhalt vorgebracht wird, der schon im Vorverfahren hätte geltend gemacht werden können, verwiesen wird. Der BF beantragt a) den angefochtenen Bescheid aufzuheben, b) allenfalls das Verfahren zur Ergänzung an die 1. Instanz zurückzuverweisen; c) eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF führt den Namen XXXX , wurde am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger von Indien. Er gehört der Volksgruppe der Punjabi/Panschabi an. Neben seiner Muttersprache Punjabi spricht er Hindi.
Der BF lebte bis zu seiner Ausreise in seinem Elternhaus im Bundesstaat Punjab. Der BF hat eine Schulausbildung sowie einen Studienabschluss für Sikhismus. Der BF arbeitete als geistlicher Seelsorger im Raum Punjab, überwiegend in Tarn Taran und Amritsar. Seine finanzielle Lage war sehr gut. Der BF erhielt 1.000 Rupien pro Gebet. Der BF hat vier Brüder und seinen Vater in Indien. Der BF hat keine Familienangehörige in Österreich. Der BF geht in Österreich keiner Beschäftigung nach. Er wird in Österreich von Freunden und dem Sikh-Tempel finanziell unterstützt.
Der BF stellte in der Vergangenheit bereits einen Antrag auf internationalen Schutz, der jedoch rechtskräftig in zweiter Instanz abgewiesen wurde.
Nach rechtskräftiger Abweisung des Erstantrags des BF auf internationalen Schutz durch die zweite Instanz, hatte der BF die Möglichkeit, aus der Republik Österreich freiwillig, innerhalb einer Frist von 14 Tagen, auszureisen. Der BF hielt sich trotz Ablauf der Frist für eine freiwillige Ausreise unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich auf. In der Folge leitete das BFA ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein. Der BF nahm zu diesem Verfahren mit Schriftsatz vom 31.10.2019 Stellung. Mit Bescheid des BFA vom 18.12.2019 wurde gegen den BF eine zwischenzeitig rechtskräftig gewordene Rückkehrentscheidung sowie ein zwischenzeitig rechtskräftig gewordenes Einreiseverbot in der Dauer von zwei Jahren erlassen.
Der BF ist gesund und nimmt keine Medikamente.
1.2. Zu den Fluchtgründen
Die seitens des BF im Zuge des Verfahrens vorgebrachten Fluchtgründe – er werde durch die indischen Sicherheitsbehörden mit dem Anschlag in Tran Taran vom 04.09.2019 in Verbindung gebracht, insbesondere weil der BF Dritte zum Ausführen des Anschlages angestiftet haben soll- sind als nicht glaubhaft einzustufen und werden dem Verfahren nicht zugrunde gelegt. Somit hat der BF im vorliegenden Fall keine neuen Fluchtgründe, denen ein "glaubwürdiger und asylrelevanter Kern“ innewohnt, vorgebracht. Der BF ist seit Oktober/November 2019 in Kenntnis seiner neu vorgebrachten Fluchtgründe.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien
Der BF unterliegt im Falle einer Rückkehr nach Indien keiner Verfolgung (Eingriffe in seine physische oder psychische Integrität), weil er Anhänger des „Sikhismus“ bzw. in Straftaten verwickelt gewesen sei. Auch sonst drohen dem BF keine Eingriffe in sein persönliche Identität.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Indien
Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Indien vom 31.05.2021:
COVID-19
Letzte Änderung: 21.05.2021
Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie verhängte die indische Regierung am 25. März 2020 eine Ausgangssperre über das gesamte Land, die nur in Einzelfällen (Herstellung lebensnotwendiger Produkte und Dienstleistungen, Einkaufen für den persönlichen Bedarf, Arztbesuche, usw.) durchbrochen werden durfte. Trotz der Ausgangssperre sanken die Infektionszahlen nicht. Seit der ersten Aufsperrphase, die am 8. Juni 2020 begann, schießt die Zahl der Infektionen noch steiler als bisher nach oben. Größte Herausforderung während der Krise waren die Millionen von Wanderarbeitern, die praktisch über Nacht arbeitslos wurden, jedoch auf Grund der Ausgangssperre nicht in ihre Dörfer zurückkehren konnten (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021). Viele von ihnen wurden mehrere Wochen in Lagern unter Quarantäne gestellt (also de facto eingesperrt), teilweise mit nur schlechter Versorgung (ÖB 9.2020). Menschen mit Beeinträchtigungen sind von coronabedingten Maßnahme wie Abriegelungen und sozialen Distanzierungen besonders betroffen. Der Zugangs zu medizinischer Versorgung und lebenswichtigen Gütern und der Ausübung sozialer Distanzierung, insbesondere für diejenigen, die persönliche Unterstützung für Aufgaben des täglichen Lebens erhalten (HRW 13.1.2021). Während der ersten Wochen der COVID-19 Pandemie, wurden Muslime für die Verbreitung des Coronavirus, auch von Vertretern der Regierungsparteien verantwortlich gemacht (FH 3.3.2021; vgl. HRW 13.1.2021).
Nach Angaben des indischen Gesundheitsministeriums vom 11. Oktober 2020 wurden seit Beginn der Pandemie mehr als sieben Millionen Infektionen mit COVID registriert. Die täglichen offiziellen Fallzahlen stiegen zwar zuletzt weniger schnell als noch im September, die Neuinfektionen nehmen in absoluten Zahlen jedoch schneller zu als in jedem anderen Land der Welt. Medien berichten in einigen Teilen des Landes von einem Mangel an medizinischem Sauerstoff in Krankenhäusern (BAMF 12.10.2020).
Die Lage in Indien, dass mit Bezug auf das Infektionsgeschehen (neben den USA und Brasilien) zu den am schwersten von der COVID-19-Pandemie betroffenen Ländern weltweit zählt, hat sich sich gegenüber dem Sommer 2020 mit damals fast 100.000 Neuinfektionen pro Tag inzwischen etwas entspannt. Es erkranken offiziellen Angaben zufolge nach wie vor etwa 40.000 Menschen täglich am Virus. In den Ballungszentren kann die medizinische Versorgung weitestgehend aufrecht erhalten werden (GTAI 3.12.2020). Indiens Wirtschaft wurde durch die COVID-19-Pandemie stark beeinträchtigt (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Das Land rutschte im zweiten Quartal des Geschäftsjahres 2020-21 erstmals in eine wirtschaftliche Rezession (PRC 18.3.2021). Es wird allgemein erwartet, dass das Land ab 2021 zu einem nachhaltigen Wachstum zurückkehren wird (DFAT 10.12.2020; vgl. GTAI 3.12.2020). Nach dem zweimonatigen harten Lockdown im Frühjahr 2020 hat die indische Regierung das öffentliche Leben im Rahmen ihrer Unlock-Strategie schrittweise wieder hochgefahren. Die Bundesstaaten und Unionsterritorien haben dabei weitreichendere Entscheidungsbefugnisse, welche Lockerungen sie umsetzen und welche nicht. Mit den bestehenden Einschränkungen sollen vor allem Superspreader-Events wie religiöse Großveranstaltungen und Hochzeiten eingedämmt werden. Massentests, Kontaktnachverfolgung, Isolierung von Infizierten und die Abschottung von Gebieten mit hohen Fallzahlen (Containment Zones) sollen helfen, das Virus zurückzudrängen (GTAI 3.12.2020; vgl. WKO 13.1.2021). Es kann daher vereinzelt und regional sowie zeitlich begrenzt zu erneuten Lockdowns kommen. Eine Skizzierung in „Red Zone“, „Orange Zone“ und „Green Zone“ wird von der Regierung des Bundesstaates/Unionsterritoriums in Absprache mit dem Gesundheitsministerium und der nationalen Regierung entschieden (WKO 13.1.2021).
Gegen regierungskritische Äußerungen, auch im Zusammenhang mit Maßnahmen der Regierung im Umgang mit der COVID-19 Pandemie wurden mittels aus der Kolonialzeit stammenden Gesetzen zur Staatsverhetzung und dem im Jahr 2000 erlassenen IT-Gesetz vorgegangen (FH 3.3.2021). Medienvertreter sehen sich Drohungen, Verhaftungen, Strafverfahren oder körperlichen Angriffen durch Mobs oder der Polizei wegen der Berichterstattung über die Pandemie ausgesetzt (HRW 13.1.2021). Mehrere von der Regierung zur Eindämmung einer Verbreitung der Pandemie getroffenen Maßnahmen wurden von Menschenrechtsanwälten als invasiv angesehen (FH 3.3.2021).
Im ersten Quartal 2021 wird Indien mit einem Anstieg der Fallzahlen vor einer zweiten COVID-19 Welle erfasst (TOI 21.3.2021; vgl. TFE 20.3.2021) und verzeichnete im Zeitraum ab April/Mai 2021 die höchsten Zahlen an täglichen Todesfällen wegen des Coronavirus seit Beginn der Pandemie (BAMF 3.5.2021). Kritik äußert sich aus dem Umstand heraus, dass Indien, ob seiner Pharmaindustrie, als "Apotheke der Welt" durch die Lieferung von Covid-19-Impfstoffen an viele Länder der Welt genießt (FE 20.3.2021; vgl. TOI 21.3.2021), gleichzeitig jedoch bei der Durchimpfung der eigenen Bevölkerung landesweit lediglich einen Wert von rund zwei Prozent erreicht (HO 28.4.2021).
Auch der Umstand, dass im Zuge der Regionalwahlen in einigen Bundesstaaten große Kundgebungen mit zum Teil Zehntausender Besucher abgehalten wurden, wie auch die Durchführung des hinuistischen Festes Kumbh-Mela in Haridwar im nördlichen Bundesstaat Uttarakhand, an dem im Zeitraum von Jänner 2021 bis zum 27. April knapp 25 Millionen Hindus vor Ort teilgenommen haben, attestieren der indischen regierung eine "praktizierte Sorglosigkeit". Die Aussage der BJP bei einer Wahlveranstaltung im Bundestaat Assam in der verkündet wurde, "Wahlveranstaltungen und religiöse Zusammenkünfte tragen nicht zur Verbreitung von Covid-19 bei", wird kritisiert (BAMF 3.5.2021; vgl. HO 28.4.2021).
Seit Mai 2021 sind alle Erwachsenen impfberechtigt, davor nur über 45-Jährige. In mehreren Bundesstaaten des Landes ist der Impfstoff ausgegangen, Hilfsgüter aus mehreren Ländern wie Beatmungsgeräte, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamente und Impfstoff werden Indien von der internationalen Staatengemeionschaft zur Verfügung gestellt. Medienberichten zufolge will Indien die eigene Impfstoffproduktion bis Juni 2021 erhöhen, von der staalichen indischen Eisenbahngesellschaft gab bekannt, 4.000 Waggons mit einer Kapazität von 64.000 Betten als provisorische Stationen für Corona-Patienten bereitzustellen (BAMF 3.5.2021).
Alle Experten davon aus, dass kurzfristig die Fallzahlen wie auch die Zahlen der Toten weiter ansteigen werden, da das staatliche Gesundheitssystem in vielen Landesteilen schon jetzt an seine Grenzen gestoßen ist. Eine mittelfristige Prognose ist noch unklar. Eine Hoffnung stellt, bedingt durch den bereits erfolgten sehr breiten Ansteckung der Bevölkerung das Erreichen einer Herdenimmunität dar (HO 25.4.2021).
Quellen:
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (3.5.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw18-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=3, Zugriff 7.5.2021
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.10.2020): https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2020/briefingnotes-kw42-2020.pdf;jsessionid=91E533F0FC7A0F35C0751A9F00F3D711.internet572?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 12.10.2020
DFAT – Australian Government - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.12.2020): DFAT Country Information Report India, https://www.ecoi.net/en/file/local/2043026/country-information-report-india.pdf, Zugriff 18.1.2021
FE – Financial Express (20.3.2021): Coronavirus Lockdown 2021 News Highlights: Only partial relaxation from lockdown in Nagpur from Monday, https://www.financialexpress.com/lifestyle/health/coronavirus-lockdown-2021-live-news-coronavirus-india-latest-march-20-updates-narendra-modi-covid-lockdown-night-curfew-maharashtra-mumbai-pune-nagpur-uttar-pradesh-delhi-bengaluru-hyderabad-punjab-gu/2216571/, Zugriff 22.3.2021
FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2046516.html, Zugriff 22.3.2021
GTAI – German Trade & Invest [Deutschland] (3.12.2020): Indien sieht erste Anzeichen einer Konjunkturbelebung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/indien/indien-sieht-erste-anzeichen-einer-konjunkturbelebung-234424, Zugriff 18.1.2021
HO – Heise Online (25.4.2021): Telepolis: Corona in Indien: Sorglosigkeit, Mutanten und himmelschreiende Ungleichheit, https://www.heise.de/tp/features/Corona-in-Indien-Sorglosigkeit-Mutanten-und-himmelschreiende-Ungleichheit-6030218.html, Zugriff 7.5.2021
HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - India, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043608.html, Zugriff 18.1.2021
ÖB – Österreichische Botschaft New Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht Indien
PRC – Pew Research Center (18.3.2021): In the pandemic, India’s middle class shrinks and poverty spreads while China sees smaller changes, https://www.pewresearch.org/fact-tank/2021/03/18/in-the-pandemic-indias-middle-class-shrinks-and-poverty-spreads-while-china-sees-smaller-changes/, Zugriff 22.3.2021
TOI – Times of India (21.3.2021): Government failed to control Covid spread, must vaccinate all within months: Congress,
http://timesofindia.indiatimes.com/articleshow/81618736.cms?utm_source=contentofinterest&utm_medium=text&utm_campaign=cppst, Zugriff 22.3.2021
WKO – Wirtschaftskammer Österreich [Österreich] (13.1.2021): Coronavirus: Situation in Indien, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-infos-indien.html, Zugriff 18.1.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 21.05.2021
Indien ist mit über 1,3 Milliarden Menschen und einer multireligiösen und multiethnischen Gesellschaft die bevölkerungsreichste Demokratie der Welt (CIA 27.4.2021; vgl. AA 23.9.2020). Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik (BICC 1.2021).
Indien ist eine parlamentarische Demokratie und verfügt über ein Mehrparteiensystem und ein Zweikammerparlament (USDOS 30.3.2021). Darüber hinaus gibt es Parlamente auf Ebene der Bundesstaaten (AA 23.9.2020). Im Einklang mit der Verfassung haben die 28 Bundesstaaten und acht Unionsterritorien ein hohes Maß an Autonomie und tragen die Hauptverantwortung für Recht und Ordnung (USDOS 30.3.2021).
Der Präsident ist das Staatsoberhaupt und wird von einem Wahlausschuss gewählt, während der Premierminister der Regierungschef ist (USDOS 30.3.2021). Der Präsident nimmt weitgehend repräsentative Aufgaben wahr. Die politische Macht liegt hingegen beim Premierminister und seiner Regierung, die dem Parlament verantwortlich ist. Präsident ist seit 25. Juli 2017 Ram Nath Kovind, der der Kaste der Dalits (Unberührbaren) entstammt (GIZ 1.2021a).
Der Grundsatz der Gewaltenteilung von Legislative, Exekutive und Judikative ist nach britischem Muster durchgesetzt (AA 23.9.2020). Die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit ist verfassungsmäßig garantiert, der Instanzenzug ist dreistufig (AA 23.9.2020). Das oberste Gericht (Supreme Court) in New Delhi steht an der Spitze der Judikative und wird gefolgt von den High Courts auf Länderebene (GIZ 1.2021a).
Die Verfassung garantiert Rede- und Meinungsfreiheit (USDOS 30.3.2021). Unabhängigen Medien drücken eine große Bandbreite von Meinungen und Ansichten ohne Einschränkungen aus (USDOS 30.3.2021; vgl. FH 3.3.2021). Allerdings haben die Angriffe auf die Pressefreiheit unter der Regierung Modi zugenommen (FH 3.3.2021).
Im April/Mai 2019 wählten etwa 900 Mio. Wahlberechtigte ein neues Unterhaus. Im System des einfachen Mehrheitswahlrechts konnte die Bharatiya Janata Party (BJP) unter der Führung des amtierenden Premierministers Narendra Modi ihr Wahlergebnis von 2014 nochmals verbessern (AA 23.9.2020).
Als deutlicher Sieger mit 352 von 542 Sitzen stellt das Parteienbündnis "National Democratic Alliance (NDA)", mit der BJP als stärkster Partei (303 Sitze) erneut die Regierung. Der BJP-Spitzenkandidat und amtierende Premierminister Narendra Modi wurde im Amt bestätigt. Die United Progressive Alliance rund um die Congress Party (52 Sitze) erhielt insgesamt 92 Sitze (ÖB 9.2020; vgl. AA 19.7.2019). Die Wahlen verliefen, abgesehen von vereinzelten gewalttätigen Zusammenstößen v. a. im Bundesstaat Westbengal, korrekt und frei. Im Wahlbezirk Vellore (East) im Bundesstaat Tamil Nadu wurden die Wahlen wegen des dringenden Verdachts des Stimmenkaufs ausgesetzt und werden zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt (AA 19.7.2019). Mit der BJP-Regierung unter Narendra Modi haben die hindu-nationalistischen Töne deutlich zugenommen. Die zahlreichen hindunationalen Organisationen, allen voran das Freiwilligenkorps RSS [Rashtriya Swayamsevak Sangh], fühlen sich nun gestärkt und versuchen verstärkt, die Innenpolitik aktiv in ihrem Sinn zu bestimmen (GIZ 1.2021a). Mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts treibt die regierende BJP ihre hindunationalistische Agenda weiter voran. Die Reform wurde notwendig, um die Defizite des Bürgerregisters des Bundesstaats Assam zu beheben und den Weg für ein landesweites Staatsbürgerregister zu ebnen. Kritiker werfen der Regierung vor, dass die Vorhaben vor allem Muslime und Musliminnen diskriminieren, einer großen Zahl von Personen den Anspruch auf die Staatsbürgerschaft entziehen könnten und Grundwerte der Verfassung untergraben (SWP 2.1.2020; vgl. TG 26.2.2020). Kritiker der Regierung machten die aufwiegelnde Rhetorik und die Minderheitenpolitik der regierenden Hindunationalisten, den Innenminister und die Bharatiya Janata Party (BJP) für die Gewalt verantwortlich, bei welcher Ende Februar 2020 mehr als 30 Personen getötet wurden. Hunderte wurden verletzt (FAZ 26.2.2020; vgl. DW 27.2.2020).
Bei der Wahl zum Regionalparlament der Hauptstadtregion New Delhi musste die Partei des Regierungschefs Narendra Modi gegenüber der regierenden Antikorruptionspartei Aam Aadmi (AAP) eine schwere Niederlage einstecken. Diese gewann die Regionalwahl erneut mit 62 von 70 Wahlbezirken. Die AAP unter Führung von Arvind Kejriwal, punktete bei den Wählern mit Themen wie Subventionen für Wasser und Strom, Verbesserung der Infrastruktur für medizinische Dienstleistungen sowie die Sicherheit von Frauen, während die BJP für das umstrittene Staatsbürgerschaftsgesetz warb (KBS 12.2.2020). Modis Partei hat in den vergangenen zwei Jahren bereits bei verschiedenen Regionalwahlen in den Bundesstaaten Maharashtra und Jharkhand heftige Rückschläge hinnehmen müssen (quanatra.de 14.2.2020; vgl. KBS 12.2.2020).
Bei Regionalwahlen in vier indischen Bundesstaaten und einem Unionsterritorium hat die konservative Regierungspartei BJP von Premierminister Modi offenbar keine Zugewinne erzielt. In Westbengalen liegt die BJP deutlich hinter der Regionalpartei All India Trinamool Congress (TMC) von Chefministerin Mamata Banerjee. Auch in Assam, Tamil Nadu, Kerala und Puducherry fanden Wahlen statt. Nur in Assam konnte die BJP an der Macht festhalten, aber auch dort erzielte sie – wie in den anderen Bundesstaaten – keine Zugewinne. Der Wahlkampf fand inmitten der Corona-Pandemie zum Teil mit riesigen Wahlkundgebungen statt. Viele Experten sehen darin die Ursache für den dramatischen Anstieg der Infektionszahlen im Land. Modi hatte sich im Wahlkampf besonders in Westbengalen engagiert, das an der Grenze zu Bangladesch liegt und eine starke muslimische Minderheit hat. Die BJP versprach, hunderttausende Muslime auszuweisen, die vor Jahrzehnten aus Bangladesch nach Indien geflohen sind (DS 3.5.2021).
Trotz der Annäherung an die USA und der zunehmenden Spannungen mit China betont Indien weiterhin seine strategische Autonomie. Diese beinhaltet auch den Anspruch auf eine eigenständige Rolle im Kontext der geopolitischen Spannungen zwischen China und den USA im Indo-Pazifik. So haben Indien und China in den letzten Jahren auch immer wieder kooperiert, zum Beispiel in der Shanghaier Orga-nisation für Zusammenarbeit. Innerhalb der Quad hat sich Indien für ein inklusives Verständnis des Indo-Pazifiks ausgesprochen, das im Unterschied zu den Vorstellungen der USA bislang immer die Einbeziehung Chinas beinhaltete (SWP 7.2020). Ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat ist weiterhin ein strategisches Ziel Indiens (GIZ 1.2021a).
Quellen:
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AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (19.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht zur asyl- und abschiebungsrelevanten Lage in der Republik Indien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014276/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_zur_asyl-_und_abschiebungsrelevanten_Lage_in_der_Republik_Indien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_19.07.2019.pdf, Zugriff 15.10.2020
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DS Der Standard (3.5.2021): Indien: Regionalwahl-Schlappe für Modi inmitten steigender Corona-Zahlen, https://www.derstandard.at/story/2000126330932/indienregionalwahl-schlappe-fuer-modi-inmitten-steigender-corona-faelle, Zugriff 6.5.2021
DW – Deutsche Welle (27.2.2020): Sierens China: Schwieriges Dreiecksverhältnis, https://www.dw.com/de/sierens-china-schwieriges-dreiecksverh%C3%A4ltnis/a-52556817, Zugriff 28.2.2020
FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (26.2.2020): Immer mehr Tote nach Unruhen in Delhi, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/indien-tote-bei-gewalt-zwischen-hindus-und-muslimen-in-delhi-16652177.html, Zugriff 28.2.2020
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Sicherheitslage
Letzte Änderung: 28.05.2021
Indien hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer regionalen Hegemonialmacht in Südostasien entwickelt. Nachdem sich das Land während des Kalten Krieges vor allem innerhalb der Blockfreienbewegung profilierte, verfolgt es heute eine eindeutig pro-westliche Politik. Das Land ist ein wichtiger Handelspartner der EU und der Vereinigten Staaten (BICC 1.2021).
Es gibt in Indien eine Vielzahl von Spannungen und Konflikten, Gewalt ist an der Tagesordnung (GIZ 1.2021a). Aufstände gibt es auch in den nordöstlichen Bundesstaaten Assam, Manipur, Nagaland sowie in Teilen Tripuras. In der Vergangenheit konnte eine Zunahme von Terroranschlägen in Indien, besonders in den großen Stadtzentren, verzeichnet werden. Mit Ausnahme der verheerenden Anschläge auf ein Hotel in Mumbai im November 2008, wird Indien bis heute zwar von vermehrten, jedoch kleineren Anschlägen heimgesucht (BICC 1.2021). Aber auch in den restlichen Landesteilen gab es in den letzten Jahren Terroranschläge mit islamistischem Hintergrund. Im März 2017 platzierte eine Zelle des „Islamischen Staates“ (IS) in der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh eine Bombe in einem Passagierzug. Die Terrorzelle soll laut Polizeiangaben auch einen Anschlag auf eine Kundgebung von Premierminister Modi geplant haben (bpb 12.12.2017). Das Land unterstützt die US-amerikanischen Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus. Intern wurde eine drakonische neue Anti-Terror-Gesetzgebung verabschiedet, die Prevention of Terrorism Ordinance (POTO), von der Menschenrechtsgruppen fürchten, dass sie auch gegen legitime politische Gegner missbraucht werden könnte (BICC 1.2021).
Konfliktregionen sind Jammu und Kashmir (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021) und der von separatistischen Gruppen bedrohte Nordosten Indiens (ÖB 9.2020; vgl. BICC 1.2021, AA 23.9.2020). Der Punjab blieb im vergangenen Jahren von Terroranschlägen und Unruhen verschont (im Punjab wurden 2020 insgesamt 18 Vorfälle im Zusammenhang mit Terrorismus registriert (SATP 3.5.2021a). Neben den islamistischen Terroristen tragen die Naxaliten zur Destabilisierung des Landes bei. Von Chattisgarh aus kämpfen sie in vielen Unionsstaaten (von Bihar im Norden bis Andrah Pradesh im Süden) mit Waffengewalt gegen staatliche Einrichtungen. Im Nordosten des Landes führen zahlreiche Separatistengruppen (United Liberation Front Assom, National Liberation Front Tripura, National Socialist Council Nagaland, Manipur People’s Liberation Front etc.) einen Kampf gegen die Staatsgewalt und fordern entweder Unabhängigkeit oder mehr Autonomie (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.9.2020). Der gegen Minderheiten wie Moslems und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird selten von offizieller Seite in die Kategorie Terror eingestuft, sondern vielmehr als „communal violence“ bezeichnet (ÖB 9.2020).
Gewalttätige Operationen maoistischer Gruppierungen in den ostzentralen Bergregionen Indiens dauern an (ÖB 9.2020; vgl. AA 23.7.2020, FH 3.3.2021). Rebellen heben illegale Steuern ein, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte und beteiligen sich an Entführungen und Zwangsrekrutierungen von Kindern und Erwachsenen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in von der Regierung geführten Lagern. Unabhängig davon greifen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten Indiens mehr als 40 aufständische Gruppierungen, welche entweder eine größere Autonomie oder die vollständige Unabhängigkeit ihrer ethnischen oder Stammesgruppen anstreben, weiterhin Sicherheitskräfte an. Auch kommt es weiterhin zu Gewalttaten unter den Gruppierungen, welche sich in Bombenanschlägen, Morden, Entführungen, Vergewaltigungen von Zivilisten und in der Bildung von umfangreichen Erpressungsnetzwerken ausdrücken (FH 3.3.2021).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 812 Todesopfer durch terroristische Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 940 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2019 kamen 621 Menschen durch Terrorakte. 2020 belief sich die Opferzahl terroristischer Gewalt landesweit auf insgesamt 591 Tote. 2021 wurden bis zum 3. Mai insgesamt 164 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 3.5.2021b).
Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikalen (z. B. Maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 23.9.2020).
Bauernproteste, die sich gegen die von der indischen Regierung verabschiedeten Gesetze zur Liberalisierung des Agrarsektors richten, dauern seit Monaten an. Widerstand hat sich vor allem bei Sikhs im Punjab – dem Brotkorb Indiens - formiert. Inzwischen protestieren aber auch Bauern in anderen Teilen des Landes. Als im Januar 2021 die Proteste in New Delhi gewalttätig wurden, antwortete die Regierung mit harten Maßnahmen. Da bei den Protesten viele Sikhs beteiligt sind und u.a. eine Sikh-Flagge im Roten Fort in Delhi gehisst wurde, unterstellt die indische Regierung eine Beteiligung der Khalistan-Bewegung an den Protesten (BAMF 22.3.2021).
Indien und Pakistan
Indien und Pakistan teilen sprachliche, kulturelle, geografische und wirtschaftliche Verbindungen, doch sind die Beziehungen der beiden Staaten aufgrund einer Reihe historischer und politischer Ereignisse in ihrer Komplexität verstrickt und werden durch die gewaltsame Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947, dem Jammu & Kashmir-Konflikt und die zahlreichen militärischen Konflikte zwischen den beiden Nationen bestimmt (EFSAS o.D.).
Pakistan erkennt weder den Beitritt Jammu und Kaschmirs zur indischen Union im Jahre 1947 noch die seit dem ersten Krieg im gleichen Jahr bestehende de-facto-Aufteilung der Region auf beide Staaten an. Indien hingegen vertritt den Standpunkt, dass die Zugehörigkeit Jammu und Kaschmirs in seiner Gesamtheit zu Indien nicht zur Disposition steht (Piazolo 2008). Die äußerst angespannte Lage zwischen Indien und Pakistan hat sich in der Vergangenheit immer wieder in Grenzgefechten entladen, welche oft zu einem größeren Krieg zu eskalieren drohten. Seit 1947 gab es bereits drei Kriege aufgrund des umstrittenen Kaschmir-Gebiets (BICC 1.2021; vgl. BBC 23.1.2018, DFAT 10.12.2020). Bewaffnete Zusammenstöße zwischen indischen und pakistanischen Streitkräften entlang der sogenannten "Line of Control (LoC)" haben sich in letzter Zeit verschärft und Opfer auf militärischer wie auch auf ziviler Seite gefordert. Seit Anfang 2020 wurden im von Indien verwalteten Kaschmir 14 Personen durch Artilleriebeschuss durch pakistanische Streitkräfte über die Grenz- und Kontrolllinie hinweg getötet und fünf Personen verletzt (FIDH 23.6.2020; vgl. KO 25.6.2020).
Indien wirft Pakistan dabei unter anderem vor, in Indien aktive terroristische Organisationen zu unterstützen. Pakistan hingegen fordert eine Volksabstimmung über die Zukunft der Region, da der Verlust des größtenteils muslimisch geprägten Gebiets als Bedrohung der islamischen Identität Pakistans wahrgenommen wird (BICC 1.2021). Es kommt immer wieder zu Schusswechseln zwischen Truppenteilen Indiens und Pakistans an der Waffenstillstandslinie in Kaschmir (BICC 1.2021). So drang die indische Luftwaffe am 26.2.2019 als Vergeltung für einen am 14. Februar 2019 verübten Selbstmordanschlag erstmals seit dem Krieg im Jahr 1971 in den pakistanischen Luftraum ein, um ein Trainingslager der islamistischen Gruppierung Jaish-e-Mohammad in der Region Balakot, Provinz Khyber Pakhtunkhwa, zu bombardieren (SZ 26.2.2019; vgl. FAZ 26.2.2019, WP 26.2.2019).
Modi nutzte den Konflikt mit Pakistan zur politischen Mobilisierung im Wahlkampf 2019. Dadurch wurde die pakistanfeindliche Stimmung in Indien so stark angeheizt, dass eine erneute Annäherung Indiens an Pakistan immer schwieriger wird. Seit der Veränderung des Status von Jammu und Kaschmir haben die Verletzungen des Waffenstillstands am Grenzverlauf zwischen Indien und Pakistan ("Line of Control") deutlich zugenommen (bpb 29.4.2021).
In einer Vereinbarung zwischen Indien und Pakistan mit dem Ziel "einen gegenseitig vorteilhaften und nachhaltigen Frieden zu erreichen", heißt es, dass nach längeren Verhandlungen die zuletzt bestehende Vereinbarung von 2003 über eine Waffenruhe "in Wort und Geist" ab dem 25. Februar 2021 umsetzen ist (Gov. o. I. 25.2.2021; vgl. SZ 26.2.2021).
Indien und China
Indien und China teilt eine 4.056 km lange Grenze (DFAT 10.12.2020). Der chinesisch-indische Grenzverlauf im Himalaya ist weiterhin umstritten (FAZ 27.2.2020). Nach wie vor gibt es zwischen Indien und China eine Reihe ungelöster territorialer Streitigkeiten, die 1962 zu einem kurzen Krieg zwischen den beiden Nachbarstaaten und zu mehreren Unruhen führten, darunter 2013, 2017 und 2020. Zusammenstöße zwischen Grenzpatrouillen an der 1996 vereinbarten "Line of Actual Control" (LAC), der De-facto-Grenze zwischen der von Indien verwalteten Region des Ladakh Union Territory und der von China verwalteten Region Aksai Chin sind häufig (DFAT 10.12.2020; vgl. FIDH 23.6.2020) und forderten am 15.6.2020 mindestens 20 Tote auf indischer Seite und eine unbekannte Anzahl von Opfern auf chinesischer Seite (FIDH 23.6.2020; vgl. BBC 3.7.2020, BAMF 8.6.2020). Dies waren die ersten Todesopfer an der LAC seit 1975. Von beiden Seiten wurden eine Reihe von Gesprächen auf politischer, diplomatischer und militärischer Ebene geführt. Die Situation bleibt jedoch festgefahren (DFAT 10.12.2020). Viele indische Experten sehen in der Entscheidung der Modi-Regierung vom August 2019, den Bundesstaat Jammu und Kaschmir aufzulösen, einen Auslöser für die gegenwärtige Krise (SWP 7.2020; vgl. Wagner C. 2020). Die chinesischen Gebietsübertretungen können somit als Reaktion auf die indische Politik in Kaschmir in der letzten Zeit gesehen werden (SWP 7.2020). Weitere Eskalationen drohen auch durch Gebietsverletzungen an anderen Stellen der mehr Grenze (FAZ 27.2.2020; vgl. SWP 7.2020). Sowohl Indien als auch China haben Ambitionen, ihren Einflussbereich in Asien auszuweiten (BICC 1.2021).
Zwar hat der amerikanisch-chinesische Handelskrieg die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Indien und China gestärkt und neue Möglichkeiten für indische Unternehmen auf dem chinesischen Markt geschaffen, dennoch fühlt sich Indien von Peking geopolitisch herausgefordert, da China innerhalb seiner „Neuen Seidenstraße“ Allianzen mit Indiens Nachbarländern Pakistan, Bangladesch, Nepal und Sri Lanka geschmiedet hat. Besonders der Wirtschaftskorridor mit dem Erzfeind Pakistan ist den Indern ein Dorn im Auge (FAZ 27.2.2020).
Indien und Bangladesch
Die Beziehungen zu Bangladesch sind von besonderer Natur, teilen die beiden Staaten doch eine über 4.000 km lange Grenze. Indien kontrolliert die Oberläufe der wichtigsten Flüsse Bangladeschs und war historisch maßgeblich an der Entstehung Bangladeschs während seines Unabhängigkeitskrieges beteiligt. Schwierige Fragen wie Transit, Grenzverlauf, ungeregelter Grenzübertritt und Migration, Wasserverteilung und Schmuggel werden in regelmäßigen Regierungsgesprächen erörtert (GIZ 1.2021a). In Nordost-Indien leben etwa 100.000 illegal eingewanderte Personen aus Bangladesch. Diese Einwanderer werden als ein erhöhtes Konfliktpotential wahrgenommen (BICC 1.2021). Auch bestehen kleinere Konflikte zwischen den beiden Ländern (BICC 1.2021).
Indien und Nepal
Die Beziehungen zwischen Indiens zu Nepal haben sich im Laufe des vergangenen Jahres [2020] verschlechtert (HRW 13.1.2021), nachdem das nepalesische Parlament im Juni 2020 eine Aufnahme dreier umstrittener Grenzgebiete in das nepalesische geographische Kartenwerk abgesegnet hat. Die kratographische Erfassung der umstrittenen Gebiete ist eine Reaktion auf den Bau einer Straße durch eines der umstrittenen Gebiete durch Indien, von welchem in einer im November 2019 überarbeitete Karte als zu Indien gehörig ausgewiesen wurde (HRW 13.1.2021). Nepal ist für Indien von besonderer sicherheitspolitischer Bedeutung (GIZ 1.2021a). Indien unterstützt die nepalesische Regierung mit Waffen und Gerät in ihrem Kampf gegen die maoistischen Guerilla (BICC 1.2021).
Indien und Sri Lanka
Die beiden Staaten pflegen ein eher ambivalentes Verhältnis (GIZ 1.2021a). Indien belieferte in der Vergangenheit Waffen die LTTE ("Tamil Tigers") in Sri Lanka (BICC 1.2021). Die tamilische Bevölkerungsgruppe in Indien umfasst ca. 65 Millionen Menschen, woraus sich ein gewisser Einfluss auf die indische Außenpolitik ergibt (GIZ 1.2021a). Indiensetzt sich für einen Prozess der Versöhnung der ehemaligen Gegnerschaften des Bürgerkrieges in Sri Lanka ein (HRW 13.1.2021).
Quellen:
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Punjab
Letzte Änderung: 31.05.2021
Der Terrorismus im Punjab ist Ende der 1990er Jahre nahezu zum Erliegen gekommen. Die meisten hochkarätigen Mitglieder der verschiedenen militanten Gruppen haben den Punjab verlassen und operieren von anderen Unionsstaaten oder Pakistan aus. Finanzielle Unterstützung erhalten sie auch von Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland (ÖB 9.2020).
Der illegale Waffen- und Drogenhandel von Pakistan in den indischen Punjab hat sich in letzter Zeit verdreifacht. Es gibt Anzeichen von konzertierten Versuchen militanter Sikh-Gruppierungen im Ausland gemeinsam mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI, die aufständische Bewegung in Punjab wiederzubeleben. Indischen Geheimdienstinformationen zufolge werden Kämpfer der Babbar Khalsa International (BKI), einer militanten Sikh-Organisation in Pakistan von islamischen Terrorgruppen wie Lashkar-e-Toiba (LeT) trainiert, BKI hat angeblich ein gemeinsames Büro mit der LeT im pakistanischen West-Punjab errichtet. Die Sicherheitsbehörden im Punjab konnten bislang die aufkeimende Wiederbelebung der aufständischen Sikh-Bewegung erfolgreich neutralisieren (ÖB 9.2020). Im Punjab (und anderen Konfliktzonen) haben die Behörden besondere Befugnisse, ohne Haftbefehl Personen zu suchen und zu inhaftieren (USDOS 30.3.2021; vgl. BBC 20.10.2015). Die Menschenrechtslage im Punjab stellt sich nicht anders dar als im übrigen Indien (ÖB 9.2020).
Neben den angeführten Formen der Gewalt, stellen Ehrenmorde vor allem in Punjab (sowie Uttar Pradesh und Haryana) weiterhin ein Problem dar (USDOS 30.3.2021).
Laut Angaben des indischen Innenministeriums zu den Zahlen der Volkszählung im Jahr 2011 leben von den 21 Mio. Sikhs 16 Mio. im Punjab (MoHA o.D.). Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine auf Grund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Auch stellen die Sikhs 60 Prozent der Bevölkerung des Punjabs, einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen offen (ÖB 9.2020).
Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 25 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt in Punjab. Im Jahr 2018 wurden drei Personen durch Terrorakte getötet, 2019 waren es zwei Todesopfer und im Jahr 2020 wurden durch terroristische Gewalt drei Todesopfer registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen]. Bis zum 3.5.2021 wurden für Beobachtungszeitraum 2020 keine Opfer von verübten Terrorakten aufgezeichnet (SATP 3.5.2021).
In Indien ist die Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit rechtlich garantiert und praktisch von den Behörden auch respektiert. In manchen Grenzgebieten sind allerdings Sonderaufenthaltsgenehmigungen notwendig. Sikhs aus dem Punjab haben die Möglichkeit sich in anderen Landesteilen niederzulassen, Sikh-Gemeinden gibt es im ganzen Land verstreut. Sikhs können ihre Religion in allen Landesteilen ohne Einschränkung ausüben (ÖB 9.2020).
Im Zuge der Bauernproteste gegen die 2020 beschlossene Liberalisierung des Agrarsektors ist ein neues, gegen die religiöse Minderheit der Sikhs gerichtetes politisches Narrativ von der hindunationalistischen BJP instrumentalisiert worden, nachdem sich Widerstand gegen die Marktrefom auch bei den Sikhs aus dem Punjab formiert hatte. Politiker der Bharatiya Janata Party (BJP) unterstellten den protestierenden Sikhs vereinzelt, für ein unabhängiges Khalistan zu kämpfen und weckten damit in der Bevölkerung Erinnerungen an die Bewegung aus den 1980er und 1990er Jahren (BAMF 12.4.2021).
Aktive Mitglieder von verbotenen militanten Sikh-Gruppierungen, wie Babbar Khalsa International, müssen mit polizeilicher Verfolgung rechnen (ÖB 9.2020).
Quellen:
BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 6.5