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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §17;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Puck und die Hofräte Dr. Zens,
Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Böheimer, über die Beschwerde der N in W, vertreten durch Dr. S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 12. Juli 1995, Zl. 109.795/4-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerium für Inneres) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 19. August 1994 stellte die Beschwerdeführerin an den Landeshauptmann von Wien den Antrag, ihr eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen. Mit einem am 24. November 1994 bei dieser Behörde eingelangten Schriftsatz gab die Beschwerdeführerin bekannt, sie habe einem Rechtsanwalt Vollmacht erteilt, und beantragte, sämtliche Zustellungen zu dessen Handen vorzunehmen.
Mit einer mit "16.9.1994/17.Sep.1994" datierten, als Bescheid intendierten Erledigung des Landeshauptmannes von Wien sollte dieser Antrag der Beschwerdeführerin gemäß § 9 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes - AufG (in seiner Fassung vor Inkrafttreten der Novelle BGBl. Nr. 351/1995) abgewiesen werden. Die Zustellung dieser Erledigung erfolgte in Entsprechung der Zustellverfügung durch die österreichische Berufsvertretungsbehörde in Ankara am 13. Dezember 1994 an die Beschwerdeführerin persönlich.
Am 15. Dezember 1994 erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, gegen diese Erledigung Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. Juli 1995 wies der Bundesminister für Inneres die in Rede stehende Berufung "gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes und § 10 Abs. 1 Z. 6 des Fremdengesetzes" ab.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof, in der die Beschwerdeführerin Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften mit dem Antrag geltend macht, den angefochtenen Bescheid aus diesen Gründen aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Über telefonische Erhebung des Verwaltungsgerichtshofes teilte der damalige Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin mit, daß ihm die erstinstanzliche Erledigung nicht zugekommen sei. Über Vorhalt dieses Umstandes bestätigte die Beschwerdeführerin die telefonische Äußerung ihres damaligen Rechtsanwaltes.
Die belangte Behörde äußerte sich zu diesem Vorhalt wie folgt:
"Durch die Zustellung am 13. Dezember 1995 und die Einbringung der Berufung am 15.12.1995 ist durch die ho. Behörde eine Mängelbehebung der Zustellung im Sinne des § 17 AVG zu erkennen gewesen. Hiedurch wurde die Berufung als zulässig gesehen und finalisiert."
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 9 Abs. 1 ZustellG lautet:
"§ 9. (1) Ist eine im Inland wohnende Person gegenüber der Behörde zum Empfang von Schriftstücken bevollmächtigt, so hat die Behörde, sofern gesetzlich nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist, diese Person als Empfänger zu bezeichnen. Geschieht dies nicht, gilt die Zustellung in dem Zeitpunkt als vollzogen, in dem das Schriftstück dem Zustellbevollmächtigten tatsächlich zugekommen ist."
Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdeführerin am 24. November 1994 ihren Rechtsanwalt als Zustellbevollmächtigten namhaft gemacht. Die Zustellung der erstinstanzlichen Erledigung an die Beschwerdeführerin persönlich am 13. Dezember 1994 bewirkte daher nicht die Erlassung des angefochtenen Bescheides. Für ein tatsächliches Zukommen einer Ausfertigung desselben an den Vertreter der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren bestehen nach der Aktenlage keine Anhaltspunkte. Insoweit die belangte Behörde meint, eine "Mängelbehebung der Zustellung im Sinne des § 17 AVG" sei zu erkennen gewesen, ist ihr zunächst zu entgegnen, daß den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen ist, der damalige Rechtsvertreter der Beschwerdeführerin hätte Akteneinsicht genommen. Im übrigen ist die bloße Kenntnisnahme von einem Bescheid im Wege der Akteneinsicht nicht dem tatsächlichen Zukommen im Sinne des § 9 ZustellG gleichzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1985, Zl. 85/02/0249). Aus dem Umstand, daß die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihren Rechtsanwalt, gegen die als Bescheid intendierte Erledigung des Landeshauptmannes von Wien Berufung erhob, kann nicht der Schluß gezogen werden, diese Erledigung sei dem Rechtsanwalt auch tatsächlich zugekommen. Mangels wirksamer Zustellung an den damaligen Vertreter der Beschwerdeführerin fehlt der erstinstanzlichen Erledigung aber der Bescheidcharakter.
Die Behörde zweiter Instanz darf die Berufung eines Berufungswerbers, gegen den ein erstinstanzlicher Bescheid nicht ergangen ist und der daher zur Erhebung der Berufung nicht legitimiert ist, nicht in sachliche Behandlung nehmen, sondern muß sie als unzulässig zurückweisen. Dadurch, daß die Behörde zweiter Instanz gegenüber einem solchen Berufungswerber eine Sachentscheidung - deren Spruch inhaltlich so zu werten ist, als ob die Berufungsbehörde eine mit dem Bescheid der unteren Instanz übereinstimmenden neuen Bescheid erlassen würde, der fortan an die Stelle des erstinstanzlichen Bescheides tritt (vgl. hiezu Walter-Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts6, Rz 543) - trifft sie im Ergebnis erstmals eine - hier in der Abweisung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gelegene - Sachentscheidung. Eine solche Entscheidung fällt aber nicht in die funktionelle Zuständigkeit der Berufungsbehörde. Dies belastete den Berufungsbescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde (vgl. die hg. Erkenntisse vom 27. September 1994, Zl. 92/07/0130, vom 13. Dezember 1994, Zl. 92/07/0051, sowie das zur BAO ergangene hg. Erkenntnis vom 27. April 1994, Zl. 92/13/0016). Dieser Zuständigkeitsmangel war auch ohne ausdrückliche Geltendmachung in der Beschwerde vom Verwaltungsgerichtshof von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 170 f).
Aus diesen Erwägungen war der Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Soweit Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zitiert werden, die in der Amtlichen Sammlung der Erkenntnisse und Beschlüsse dieses Gerichtshofes nicht veröffentlicht sind, wird auf Art. 14 Abs. 4 der Geschäftsordnung des Verwaltungsgerichtshofes, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995190788.X00Im RIS seit
20.11.2000