TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/28 W192 1436371-3

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Veröffentlicht am 28.07.2021
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Entscheidungsdatum

28.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52
FPG §53
FPG §55
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W192 1436371-3/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , afghanischer Staatsangehöriger gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 31.07.2020, Zl. 830486304/190075738, zu Recht:

A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1.1. Der im Spruch genannte Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er reiste im April 2013 als Minderjähriger legal auf Grund eines Visums in Österreich ein und stellte am selben Tag vertreten durch seine mit ihm eingereiste Mutter einen Antrag auf internationalen Schutz.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 21.11.2013, wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 3 iVm § 34 Abs. 2 ASylG 2005 im Familienverfahren der Status des Asylberechtigten abgeleitet vom Status seiner Schwester rechtskräftig zuerkannt.

1.2.1. Mit rechtskräftigem Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 10.10.2017 wurde der Beschwerdeführer wegen des mehrfachen Verbrechen der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB, des Vergehens der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1 StGB, wegen des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 StGB und des Vergehens des Raufhandels nach § 91 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Monaten verurteilt, wobei die verhängte Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Der Beschwerdeführer wurde schuldig gesprochen, zwischen Anfang Dezember 2016 und Ende Jänner 2017 einen anderen durch die Ankündigung, ihn sonst zu schlagen, zur Übergabe von insgesamt € 300 genötigt zu haben, am 02.02.2017 das genannte Opfer am Schulweg unter der Forderung, da zu bleiben und mit ihm zu reden, heftig an seiner Schultasche nach hinten gerissen zu haben und somit mit Gewalt zur Führung eines Gespräches und der Abstandnahme vom Weitergehen zu nötigen versucht zu haben, zu einem nicht festzustellenden Zeitpunkt zwischen Ende 2016 und Anfang Februar 2017 ein anderes Opfer nach dessen Weigerung, ihm Geld zu geben, durch die Äußerung, er werde ihn „niederhauen“ mit einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht zu haben, sowie im Zusammenwirken mit weiteren Mittätern einem anderen Opfer Faustschläge versetzt bzw. mit einem Sessel gegen ihn eingeschlagen zu haben, wobei der Angriff eine Körperverletzung, nämlich Kratzer am Hals und eine blutende Wunde am Finger verursacht hat. Bei der Strafbemessung wertete das Gericht als mildernd den bisherigen ordentlichen Lebenswandel, das umfassende Geständnis, Bereitschaft zur Schadensgutmachung sowie den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben ist, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Verbrechen und mehrerer Vergehen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) hielt zur erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung mit Aktenvermerk vom 22.01.2019 fest, dass die Voraussetzungen zur Aberkennung des Status eines Asylberechtigten nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit vorliegen, da die begangenen Straftaten nicht als besonders schweres Verbrechen im Sinne des § 6 Abs. 1 Z. 4 AsylG einzustufen seien

1.2.2. Mit Aktenvermerk vom 06.08.2019 hielt das BFA fest, dass nach der rechtskräftigen Verurteilung weitere Berichte und Meldungen betreffend Straffälligkeit des Beschwerdeführers vorliegen würden und sich daraus Anhaltspunkte ergeben, dass dieser aus stichhaltigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstelle.

Am 07.08.2019 wurde der Beschwerdeführer im Rahmen der Einleitung eines Verfahrens zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 AsylG vor dem BFA einvernommen. Der Beschwerdeführer gab an, dass er bis zum Zeitpunkt seiner Festnahme bei seinen Eltern gelebt habe. Er habe in Österreich die Schule besucht, es habe Sozialhilfe gegeben und er sei nicht arbeiten gegangen. Bis Mai 2019 habe er eine polytechnische Schule besucht. Der Beschwerdeführer könne keine Zertifikate über die Kenntnis der deutschen Sprache vorliegen und er bewertete seine Deutschkenntnisse in der unter Heranziehung eines Dolmetschers durchgeführten Einvernahme mit „Sag ma mal 50 50“.

Zur erfolgten strafgerichtlichen Verurteilung brachte der Beschwerdeführer vor, dass er einen Fehler gemacht habe und dumm gewesen sei. Auf Vorhalt einer erfolgten Strafanzeige wegen Verdachts des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen und wegen Verdachts der Hehlerei mit Tatzeit im Mai 2019 und einer Anzeige wegen Verdachts des Raubes mit Tatzeit im Mai 2019 gab der Beschwerdeführer an, dass er einen schweren Fehler begangen habe und jung und dumm gewesen sei. Zu zwei weiteren erfolgten Strafanzeigen wegen des Verdachts des unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln und des Verdachts des Diebstahls durch Einbruch oder mit Waffen brachte er vor, dass er nur ein Auto gestohlen habe, er habe dort Cannabis hinterlassen.

Zum Vorhalt, dass er seine Möglichkeiten, sich in die österreichische Gesellschaft und am Arbeitsmarkt zu integrieren, nur sehr mangelhaft verfolgt habe und ein Aberkennungsverfahren hinsichtlich des Status als Asylberechtigter eingeleitet werde, brachte er vor, dass keine Ahnung habe, wohin er gehen solle. Er habe Fehler gemacht und es werde nicht mehr vorkommen.

Der Beschwerdeführer wurde über den Inhalt des Länderinformationsblatts „Afghanistan“ der Staatendokumentation in Kenntnis gesetzt und ihm mitgeteilt, dass er bei einer Rückkehr in Herat oder in Mazar-e Sharif eine zumutbare Lebenssituation und Sicherheit vorfinden könnte. Er gab dazu an, dass es dort nur den Tod gebe und er im Herkunftsstaats außer Schule und Heim nichts gesehen habe.

1.2.3. Mit rechtskräftigem Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 26.09.2019 wurde der Beschwerdeführer wegen des mehrfachen Verbrechens des teils versuchten Raubes nach §§ 15, 142 Abs. 1 und 2 sowie der Vergehen des schweren Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 128 Abs. 1 Z 5,129 Abs. 1 Z 1 teilweise als Beitragstäter nach § 12 dritter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von zwölf Monaten verurteilt, zugleich wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht zum Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 10.10.2017 abgesehen und die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Es wurde die Vorhaft in der Zeit vom 27.05.2019 bis 26.09.2019 auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet. Der Beschwerdeführer wurde am 27.11.2019 bedingt unter Festlegung einer Probezeit von drei Jahren aus der Freiheitsstrafe entlassen.

Er wurde schuldig gesprochen, mit drei Mittätern auf einer Bahnstrecke anderen mit Gewalt und durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben Bargeld abgenötigt bzw. abzunötigen versucht haben, indem sie Opfer einschüchternd verfolgten, wiederholt in aggressiver Weise die Herausgabe von Bargeld befahlen, die Bekleidung nach Bargeld abtasteten, mit ihren Fingern gegen die Wange eines Opfers schnipsten und der Beschwerdeführer einem Opfer einen wuchtigen Schlag mit der flachen Hand gegen das Gesicht versetzte und ankündigen, dass sie alle zusammenschlagen, sollten sie das von ihnen abverlangte Bargeld nicht herausgeben. Dadurch wurde einem Opfer einen Geldbetrag von € 5,20 abgenötigt, während das Vorhaben hinsichtlich fünf weiterer Opfer misslang.

Der Beschwerdeführer wurde weiters schuldig gesprochen im März und April 2019 mit Mittätern durch gewaltsames Aufdrücken der Schiebetüren der Filiale eines Bäckereibetriebes Chips und Coca-Cola, sowie dem Inhaber eines Würstelstandes durch Hochdrücken von Rollläden und Hineinkriechen und Einschlagen der Durchreiche € 110 Bargeld, Lebensmittel, Getränke sowie Zigaretten in einem nicht mehr feststellbaren Wert weggenommen zu haben, wobei der Beschwerdeführer die Diebstähle beging, indem er zur Ausführung der Tat in ein Gebäude einbrach bzw. einstieg.

Der Beschwerdeführer wurde weiters schuldig gesprochen, zu einem schweren Diebstahl durch Einbruch eines Mittäters beigetragen zu haben, indem er diesen zur Ausführung der Straftat bestärkte und einen psychischen Tatbeitrag leistete und in weiterer Folge den gestohlenen Pkw durch Verkauf zu verwerten versucht.

Das Gericht wertete im Rahmen der Strafbemessung als erschwerend eine massive einschlägige Vorstrafe, neuerliche strafbare Handlungen innerhalb der offenen Probezeit, das Zusammentreffen mehrfacher Verbrechen mit einem Vergehen, und die Tatwiederholung beim Einbruchsdiebstahl sowie als mildernd den Umstand, dass es teilweise beim Versuch geblieben sei.

1.2.4. Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 12.02.2020 wegen des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB und des Vergehens der versuchten Begünstigung nach § 15, 299 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt. Es wurde vom Widerruf der mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 10.10.2017 gewährten bedingten Strafnachsicht und mit Beschluss des zuständigen Landesgerichts vom 23.10.2019 gewährten bedingten Entlassung abgesehen, jedoch bei der bedingten Entlassung die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Der Beschwerdeführer wurde am 14.10.2020 unter Festsetzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen. Der Beschwerdeführer wurde schuldig gesprochen, dass er am 08.10.2019 in der Hauptverhandlung vor dem zuständigen Landesgericht anlässlich seiner zeugenschaftlichen Vernehmung wahrheitswidrig behauptet hatte, zwei der Hehlerei Angeklagte hätten nicht gewusst, dass der Pkw gestohlen gewesen sei, den zu verheimlichen bzw. zu verwerten er die beiden Angeklagten ersucht hatte. Weiters wurde er schuldig gesprochen, dass er durch die Tathandlung die beiden Angeklagten der Strafverfolgung zu entziehen versucht habe.

1.3. Mit nunmehr angefochtenem Bescheid der belangten Behörde wurde dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 AsylG ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.), ausgesprochen, dass die Frist für seine freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von acht Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

Begründend stützte die belangte Behörde ihre die Flüchtlingseigenschaft aberkennende Entscheidung auf den Ausschlussgrund des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG. Dazu führte sie die Verurteilung des zuständigen Landesgerichtes vom 26.09.2019 ins Treffen und führte dazu aus, dass die Straftat des Raubes nach § 142 Abs. 1 StGB unter den Tatbestand eines besonders schweren Verbrechens falle, wie sich bereits aus der Strafdrohung von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe ergebe. Bei Straftaten, die mit lebenslanger bzw. mit einer fünf Jahre übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht seien, handle es sich um Schwerkriminalität.

Aufgrund der Art und der kurzen Abfolge der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten sei eine positive Zukunftsprognose nicht möglich. Der Beschwerdeführer sei nicht gewillt, die österreichische Rechtsordnung einzuhalten und deshalb als gemeingefährlich einzustufen bzw. stelle offensichtlich eine Gefahr für die Gemeinschaft dar.

Die Behörde führte weiters aus, dass der Beschwerdeführer mehrmals rechtskräftig verurteilt wurde und in der Gesamtschau von einem besonders schweren Verbrechen gesprochen werden könne. Dazu stützte sie sich auf ein nicht genau bezeichnetes Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.09.2009 (offensichtlich gemeint: 2006/01/0626), worin der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen habe, dass sich der Tatbestand des besonders schweren Verbrechens auch im Rahmen einer Gesamtschau aus einer Mehrzahl von rechtskräftigen Verurteilungen ergeben könne.

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die mit Schreiben vom 14.08.2020 rechtzeitig eingebrachte Beschwerde, in welcher ausgeführt wird, dass der Beschwerdeführer seine begangenen Taten bereue und ein gesetzestreues Leben führen wolle. Er habe alle Freiheitsstrafen angetreten und sei jedes Mal aus der Strafhaft wegen guter Führung vorzeitig unter Erlassung der Reststrafe entlassen worden.

Die Behörde habe es unterlassen, sich mit der Gefährdungslage des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat auseinanderzusetzen und es sei auch die Erlassung des Einreiseverbots unzulässig, da der Beschwerdeführer in Österreich aufgewachsen sei und sein gesamtes familiäres und soziales Netzwerk hier habe.

Die belangte Behörde machte von der Möglichkeit der Beschwerdevorentscheidung nicht Gebrauch und legte die Beschwerde samt den bezughabenden Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

2. Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens, insbesondere aus dem - jedenfalls im Umfang der wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers und der dazu vorgelegten Beweismittel glaubwürdigen – Vorbringen des Beschwerdeführers, dem angefochtenen Bescheid und der Beschwerde. Die strafgerichtlichen Verurteilungen und die näheren Umstände der vom Beschwerdeführer begangenen Taten sind aus den einschlägigen Urteilen der zuständigen Strafgerichte ersichtlich.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

3.1. Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 7 Abs. 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie zur Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-VG), entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG) entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Mangels materienspezifischer Sonderregelung besteht somit gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles sowie andere näher genannte (im vorliegenden Fall nicht relevante) Gesetze und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

3.2. Die Beschwerde wurde fristwahrend erhoben und es liegen auch die anderen Prozessvoraussetzungen vor.

3.3. In der Sache

3.3.1. Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid der Status eines Asylberechtigten abzuerkennen, wenn ein Asylausschlussgrund nach § 6 AsylG vorliegt.

Gemäß dem von der belangten Behörde herangezogenen § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG ist ein Fremder von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft darstellt.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes müssen für die Anwendung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss erstens ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür zweitens rechtskräftig verurteilt worden und drittens gemeingefährlich sein, und schließlich müssen die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung seine Interessen am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fallen unter den Begriff des „besonders schweren Verbrechens“ nur Straftaten, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Typischerweise schwere Verbrechen sind etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen. Auf die Strafdrohung allein kommt es bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, nicht an. Die Tat muss sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen, wobei auf Milderungsgründe, Schuldausschließungsgründe und Rechtfertigungsgründe Bedacht zu nehmen ist. Bei der Beurteilung, ob ein „besonders schweres Verbrechen“ vorliegt, ist daher eine konkrete fallbezogene Prüfung vorzunehmen und sind insbesondere die Tatumstände zu berücksichtigen (vgl. etwa VwGH 18.11.2019, Ra 2019/18/0418, mwN; auch VwGH 06.10.1999, 99/01/0288). Der Verwaltungsgerichtshof hat ferner zum Ausdruck gebracht, dass auch im Fall einer Vielzahl einschlägiger rechtskräftiger Verurteilungen und insofern verhängter, beträchtlicher und überwiegend unbedingter Freiheitsstrafen, verwirklichte Delikte in einer Gesamtbetrachtung als „besonders schweres Verbrechen“ qualifiziert werden können (vgl. VwGH 18.10.2018, Ra 2017/19/0109).

Schon im Zusammenhang mit dem „schweren Verbrechen“ nach Art. 1 Abschnitt F lit. b GFK wird die Auffassung vertreten, es müsse sich um „ein Kapitalverbrechen oder eine besonders schwerwiegende Straftat“, um eine „in objektiver und subjektiver Hinsicht besonders schwerwiegende“ Tat bzw. um „truly abhorrent wrongs“ handeln. Zum „besonders schweren Verbrechen“ des Art. 33 Abs. 2 zweiter Fall GFK verweist Grahl-Madsen auf eine Stellungnahme des UNHCR, wonach es sich normalerweise um ein Kapitalverbrechen wie Mord, Brandstiftung, Vergewaltigung oder bewaffneten Raub handeln müsse. Art. 33 Abs. 2 GFK solle nur in extrem seltenen Fällen zur Anwendung. Kälin zufolge muss es sich jeweils fallbezogen um die „ultima ratio“ handeln, die Bestimmung sei „restriktiv auszulegen“ und es kämen bei Bedachtnahme auf die von Grahl-Madsen referierte Stellungnahme des UNHCR „nur die schwersten Straftaten“ in Betracht (VwGH 03.12.2002, 99/01/0449).

3.3.2. Für den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:

3.3.2.1. Unbestritten wurde der in Österreich asylberechtigte Beschwerdeführer mit Strafurteil vom 26.09.2019 wegen des mehrfachen Verbrechens des teils versuchten Raubes zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, wobei er nach Haftverbüßung vom 17.05.2019 bis 27.11.2019 unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt aus der Freiheitsstrafe entlassen wurde.

Die belangte Behörde vertritt die Ansicht, aus dieser Verurteilung ergebe sich schon aus der Strafdrohung des § 142 Abs. 1 StGB von einem bis zehn Jahren Freiheitsstrafe, dass es sich um ein „besonders schweres Verbrechen“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG handelt.

Dem kann nicht beigetreten werden:

3.3.2.2. Die Behörde hat übersehen, dass die entsprechende strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers nicht nach § 142 Abs. 1 StGB, sondern wegen des hinsichtlich der Strafdrohung privilegierten Deliktstypus des minderschweren Raubes nach § 142 Abs. 2 StGB erfolgt ist, da die Tat ohne Anwendung erheblicher Gewalt an einer Sache geringen Wertes begangen wurde und die Tat nur unbedeutende Folgen nach sich gezogen hat.

Die zur Begehung des Hauptdeliktes gesetzten Tathandlungen des Beschwerdeführers, die verbale Einschüchterung der Opfer, das Abtasten der Oberkleidung der Opfer nach Bargeld und das Versetzen eines wuchtigen Schlages mit der flachen Hand gegen das Gesicht eines Opfers erreicht nicht die Schwere des in der durch den Verwaltungsgerichtshof erfolgten Nennung typischerweise schwerer Verbrechen angeführten bewaffneten Raubes.

Nach Berücksichtigung der Milderungs- und Erschwerungsgründe verhängte das Strafgericht über den Beschwerdeführer für die im Urteil vom 26.09.2019 genannten Straftaten (trotz der Erschwerungsgründe) eine Freiheitsstrafe von 12 Monaten, was bei einem Strafrahmen von einem bis zu fünf Jahren als im unteren Bereich gelegen einzustufen ist. Auch dies spricht gegen die Annahme der Verübung eines „Kapitalverbrechens“ oder einer „besonders schwerwiegenden Straftat“ durch den Beschwerdeführer. In dieses Bild passt, dass er nach Verbüßung eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe, nämlich sechs Monaten, unter Bestimmung einer Probezeit bedingt entlassen wurde (sodass der unbedingte Teil der Freiheitsstrafe sechs Monate beträgt), woraus sich überdies auch keine besondere Gefährlichkeit des Beschwerdeführers ableiten lässt. Die nach Auffassung des Strafgerichts schuld- und tatangemessen konkret verhängte Strafe belegt daher, dass die vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten nicht als besonders gravierend anzusehen sind. In diese Richtung deutet auch der Umstand, dass die zur Verurteilung vom 10.10.2017 gewährte bedingte Strafnachsicht im Urteil vom 26.09.2019 nicht widerrufen wurde und ebenso im weiteren Strafurteil vom 12.02.2020 von einem solchen Widerruf und auch vom Widerruf der gewährten bedingten Entlassung abgesehen wurde.

Hinsichtlich der mit Urteil des zuständigen Landesgerichts vom 10.10.2017 erfolgten Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Verbrechens der Erpressung nach § 144 Abs. 1 StGB ist die Behörde laut ihrem Aktenvermerk vom 22.01.2019 selbst davon ausgegangen, dass die Taten nicht als besonders schweres Verbrechen Sinne des § 6 Abs. 1 Z4 AsylG einzustufen sind. Dies gilt auch für die Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs. 1 StGB und der versuchten Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs. 1 StGB, die zur strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers vom 12.02.2020 geführt haben.

Bei einer einzelfallbezogenen Gesamtbeurteilung unter Bedachtnahme auf die Art und die Schwere der Straftaten und das Fehlverhalten des Beschwerdeführers, die konkret verhängten Strafen und die Gründe für die Strafzumessung können die vom Beschwerdeführer begangenen Delikte nicht als (objektiv und subjektiv) besonders schwerwiegende, qualifizierte Verfehlung gewertet werden und es ergeben sich auch keine Gründe, wonach die vom Beschwerdeführer verübten Straftaten (Verbrechen und die Vergehen) in ihrer Gesamtheit als besonders qualifizierter strafrechtlicher Verstoß angesehen werden müssten. Die vorliegenden mehrfachen strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers unterscheiden sich von den in den Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs vom 23.09.2009, Zl. 2006/01/0626 und vom 18.10.2018, Ra 2017/19/0109 dahingehend, dass im vorliegenden Fall (noch) nicht von einer Vielzahl einschlägiger Verurteilungen gesprochen werden kann und überdies eine mindere Schwere der vom Beschwerdeführer gesetzten einzelnen Tathandlungen gegeben ist. Hinzu tritt der Umstand, dass es sich bei der ersten gerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers durch das zuständige Landesgericht vom 10.10.2017 um eine Jugendstraftat handelte, bei der die verhängte Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen wurde, und es auch anlässlich der beiden weiteren strafgerichtlichen Verurteilungen bloß zu einem teilweisen Vollzug der verhängten Freiheitsstrafen und zu bedingten Entlassungen gekommen ist.

Die Qualifikation als besonders schweres Verbrechen ergibt sich daher auch nicht aus einer Gesamtbetrachtung aller gerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers.

3.3.2.4. Da es bereits an dieser Voraussetzung für die Aberkennung des Asylstatus mangelt, können die Prüfung der Gemeingefährlichkeit des Beschwerdeführers und die Vornahme der Güterabwägung unterbleiben.

Bei einer Würdigung der konkreten Tatumstände und des Gesamtverhaltens des Beschwerdeführers muss diesem zwar ein eindeutiges negatives Persönlichkeitsbild, ein besonders hoher Grad einer ablehnenden Einstellung gegenüber den rechtlich geschützten Werten sowie eine Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, attestiert werden. Entgegen der Ansicht der belangten Behörde erreichen die von ihm gesetzten Taten allerdings nicht die hohe Schwelle (vgl. VwGH 30.12.2019, Ra 2019/18/0125) eines „besonders schweren Verbrechens“ im Sinne des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG.

3.3.2.5. Es wird allerdings ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine allfällige Begehung weiterer Straftaten durch den Beschwerdeführer entgegen der zum Entscheidungszeitpunkt bestehenden Situation und eine allfällige weitere strafgerichtliche Verurteilung durchaus geeignet sein könnten, künftig zu einer anderen rechtlichen Beurteilung zu führen.

3.3.3. Nach den Ausführungen wurde der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG nicht verwirklicht. Dass ein anderer Asylausschlussgrund des § 6 AsylG vorliegen würde, hat die belangte Behörde nicht dargelegt und ist nicht ersichtlich geworden. Es sind auch keine anderen Gründe, die zu einer Aberkennung des Status des Asylberechtigten führen würden, hervorgekommen. Die (in Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ausgesprochene) Aberkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG ist somit zu Unrecht erfolgt. Damit können auch die auf der Aberkennung (auf Spruchpunkt I.) rechtlich aufbauenden Absprüche der belangten Behörde (Spruchpunkte II. bis VII.) keinen Bestand mehr haben.

3.4. Ergebnis:

Der Beschwerde ist gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattzugeben und der angefochtene Bescheid in allen Spruchpunkten ersatzlos aufzuheben. Dem Beschwerdeführer kommt damit der Status des Asylberechtigten weiterhin zu.

3.5. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (§ 21 Abs. 7 BFA-VG; vgl. dazu etwa VwGH 10.08.2017, Ra 2016/20/0105, 0106, mwN) und bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist (§ 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG).

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die vorliegende Entscheidung hängt nicht von der Lösung einer Rechtsfrage ab, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Es liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich im konkreten Fall eine Rechtsfrage stellt, die über den (hier vorliegenden konkreten) Einzelfall hinaus Bedeutung entfaltet. Ausgehend davon kann eine Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG von grundsätzlicher Bedeutung auch insofern nicht bejaht werden (vgl. etwa VwGH 25.09.2015, Ra 2015/16/0085, mwN). Es war daher auszusprechen, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig ist.

Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Asylausschlussgrund Gefährdungsprognose Strafbemessung Straffälligkeit strafrechtliche Verurteilung Verbrechen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W192.1436371.3.00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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