TE Bvwg Beschluss 2021/7/29 W207 2239617-1

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Entscheidungsdatum

29.07.2021

Norm

BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W207 2239617-1/3E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Michael SCHWARZGRUBER als Vorsitzender und die Richterin Mag. Natascha GRUBER sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Gerald SOMMERHUBER als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , vertreten durch den Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland (KOBV), gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landstelle Burgenland, vom 14.10.2020, OB: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 02.02.2021, betreffend Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird die Beschwerdevorentscheidung vom 02.02.2021 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte im Jahr 2019 im Wege seiner rechtlichen Vertretung Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses und auf Ausstellung eines Ausweises gemäß § 29b Straßenverkehrsordnung 1960 (Parkausweis für Menschen mit Behinderung). Das Sozialministeriumservice (in der Folge auch als „belangte Behörde“ bezeichnet) holte daraufhin ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten vom 29.11.2019 ein, in dem die Funktionseinschränkungen 1. „Zustand nach tiefer vorderer Rektumresektion mit primärem Stoma und Rückoperation mit anhaltenden Krämpfen und Stuhlentleerungsstörung“, 2. Sozio-Klaustrophobische Störung“, 3. „Zustand nach Schlaganfall mit intermittierenden Sprachstörungen und Halbseitenschwäche Okt/2017“ und 4. „Bluthochdruck“ sowie ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. festgestellt wurde. Zudem wurde dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für unzumutbar erachtet – dies neben der bestehenden sozio- und klaustrophobischen Störung auch wegen des Zustandes nach Adenocarcinom des Rectums mit tiefer vorderer Rectumresektion 2010 und primärer Stomaanlage sowie sekundärer Rückoperation mit anhaltenden Krämpfen im Unterbauch und einer Stuhlinkontinenz, die teilweise mit Vorlagen versorgt wurde -, und festgestellt, dass eine Gesundheitsschädigung (Erkrankung des Verdauungssystems) im Sinne von Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung vorliegt. Eine Nachuntersuchung wurde für 11/2020 empfohlen, da die Etablierung der psychiatrischen Therapie eine wesentliche Verbesserung erbringen könne. Mit Begleitschreiben vom 05.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer ein bis 30.11.2020 befristeter Behindertenpass mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 60% und den Zusatzeintragungen „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ und „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ übermittelt.

Aufgrund des nahenden Ablaufes der Befristungen stellte der Beschwerdeführer am 03.07.2020 im Wege seiner rechtlichen Vertretung Anträge auf „Verlängerung bzw. neuerliche Ausstellung des bis 30.11.2020 befristet ausgestellten Behindertenpasses mit allen bisherigen Zusatzeintragungen sowie des ebenfalls bis 30.11.2020 befristeten Parkausweises gemäß § 29b StVO“ (Parkausweis für Menschen mit Behinderung) bei der belangten Behörde. Den Anträgen wurde ein Verlaufsbefund eines näher genannten Facharztes für Psychiatrie und Neurologie vom 12.06.2020 sowie eine vom Beschwerdeführer gezeichnete Vollmacht vom 25.06.2020 zugunsten des KOBV beigelegt.

Die belangte Behörde holte in der Folge ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Neurologie unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 31.08.2020 ein, in welchem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 06.08.2020 sowie der vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt wurde:

„…

Anamnese:

Vorgutachten mit Untersuchung/Allgemeinmedizin 30.7.2019: GdB 60 % (Z.n. tiefer Recktumresektion 50 %, Sozio-klaustrophische Störung 30 %, Z.n. Schlaganfall 20 %, Bluthochdruck 10 %), UZM, D3, NU 11/2020

Zwischenanamnese: er habe einen Schlaganfall gehabt - kein Befund vorliegend, 2017 habe er auch einen gehabt.

Derzeitige Beschwerden:

Die Beschwerden, die der Dr. M. aufgeschrieben hat. Die Darmgeschichte und die Klaustrophobie - schon wenn ich in einen Lift steigen muss.

ich muss tgl. eine Darmspülung machen - dann habe ich 20 Stunden eine Ruhe, sonst fraktionierte mit zunehmender blutiger Veränderung. Beim Sitzen habe er Schmerzen – er müsse immer auf einem Gummireifen sitzen.

Nachsorgeuntersuchung zuletzt vor 1 Jahr im XXX, regelmäßige internistische Kontrollen Stationärer Aufenthalt zur Schmerztherapie XXX Prof. L. geplant.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Alle paar Monate Kontrollen bei Dr. M. - da würde er auch Gesprächstherapie haben - keine Bestätigung vorliegend.

Keine Medikamentenliste mitgebracht. keine stationären psychiatrischen Aufenthalte.

Nach eigenen Angaben Hydal 2,6 mg 4-6/Tag wegen Anusschmerzen.

Sozialanamnese:

Lebt alleine in einem Einfamilienhaus, Nachbarn helfen beim Einkaufen. ist heute selbst mit dem Auto zur Untersuchung gekommen.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Dr. M. 1.8.2019: Zustand nach Adeno-Carcinom mit Sanierungsoperation, Strahlencolitis mit entsprechender Störung der Verdauung. ausgeprägte Klaustro- und Soziophobie in Verbindung zu seinem primären Grundleiden.

Dr. M. 12.6.2020: Aufgrund der langjährigen Symtpomatik hat sich im Krankheitsverlauf keine Änderung ergeben. trotz entsprechender therapeutischer Maßnahmen, sodass weiterhin die psychiatrische Klinik als vorliegend diagnostiziert ist.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:

adipös

Größe: 170,00 cm Gewicht: 95,00 kg Blutdruck: 154/76

Klinischer Status – Fachstatus:

Rechtshänder

HN: I-XII altersgemäß

HWS-Rotation endlagig eingeschränkt, KJA 1 cm

OE: MER seitengleich mittellebhaft, AVV/FNV sicher, Nackengriff bds möglich, Gelenke frei beweglich, kein sensomot. Defizit.

Rumpf: kein sensibles Niveau, LWS klopfdolent, FBA 20 cm

UE: MEr seitengleich flau, keine Parese, Lasegue/Femoralislasegue neg., Sens auf NR seitengleich, Babinski neg., Gelenke frei beweglich.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Kommt selbständig gehend ohne Hilfsmittel in Konfektionsschuhen zur Untersuchung, Romberg/Gang und komplizierte Gangarten sicher möglich. Gangbild vollschrittig hinkfrei.

Status Psychicus:

Voll orientiert, gut kontaktfähig, Duktus/Antrieb regelrecht, geht regelmäßig schwimmen. habe einen guten Freundeskreis. Nachtschlaf gut. keine produktive Symptomatik/mnestischen Defizite.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden: Begründung der Positionsnummer und des Rahmensatzes:

Pos. Nr.

GdB %

1

Zustand nach tiefer vorderer Rektumresektion 2011 mit primärem Stoma, Rückoperation mit anhaltender Schmerzsymptomatik und Stuhlentleerungsstörung

Unterer Rahmensatz, bei angegebenen Dauerschmerzen und der Notwendigkeit regelmäßiger Darmspülungen

07.04.06

50

2

Klaustrophobie

Unterer Rahmensatz, keine medikamentöse Therapie, keine Psychotherapie, soziale Kontakte erhalten.

03.04.01

10

3

Zustand nach Schlaganfall mit vorübergehender Sprachstörung und Halbseitenschwäche 10/2017

Unterer Rahmensatz, keine Restbeschwerden im Untersuchungsbefund, subjektive Beeinträchtigung.

04.01.01

10

Gesamtgrad der Behinderung  50 v. H.

Begründung für den Gesamtgrad der Behinderung:

Der Gesamtgrad der Behinderung wird durch Leiden 1 gebildet. Leiden 2 und 3 für eine Erhöhung von zu geringer funktioneller Relevanz.

Folgende beantragten bzw. in den zugrunde gelegten Unterlagen diagnostizierten Gesundheitsschädigungen erreichen keinen Grad der Behinderung:

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Leiden 1 unverändert (Anpassung der Positionsnummer nach Ablauf Heilungsbewährung), Leiden 3 gebessert durch Zeitablauf - kein neuer Fachbefund bzgl. erneutem Schlaganfall vorgelegt. Besserung von Leiden 2 - keine Therapie, soziale Kontakte erhalten. Leiden 4 des Vorgutachtens entfällt – keine medikamentöse Therapie, nicht Befunddokumentiert

Begründung für die Änderung des Gesamtgrades der Behinderung:

Herabsetzung durch Besserung von Leiden 2

[X] Dauerzustand

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und

Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und

warum?

Keine. Es bestehen weder erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten noch erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit. Eine kurze Wegstrecke mit einem Aktionsradius von rund 10 Minuten, entsprechend einer Entfernung von rund 300 bis 400 m ist zumutbar und möglich. Gehbehelfe, die das Einsteigen- und Aussteigen behindern, werden nicht verwendet. Die Beine können gehoben, Niveauunterschiede können überwunden werden. Es besteht ausreichend Kraft und Beweglichkeit an den oberen Extremitäten. Greifformen sind erhalten. Somit sind das Erreichen, ein gesichertes Einsteigen- und Aussteigen und ein gesicherter Transport möglich. Die angegebene Stuhlinkontinenz ist mit handelsüblichen Inkontinenzprodukten ausreichend gut versorgt. Es besteht keine Klaustro/Soziophobie oder generalisierte Angststörung als Hauptdiagnose, die therapeutischen Möglichkeiten diesbezüglich sind nicht ausgeschöpft.

Aufgrund der psychischen Erkrankung ist eine Teilnahme am öffentlichen Leben möglich.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt eine schwere Erkrankung des Immunsystems vor?

nein

Folgende Gesundheitsschädigungen im Sinne von Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung liegen vor, wegen:

[X] JA  Erkrankungen des Verdauungssystems
GdB: 50 v.H.

Begründung:

Z.n. Rektumresektion“

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 01.09.2020 wurde der Beschwerdeführer über das Ergebnis der Beweisaufnahme in Kenntnis gesetzt. Dem Beschwerdeführer wurde in Wahrung des Parteiengehörs die Gelegenheit eingeräumt, binnen zwei Wochen ab Zustellung des Schreibens eine Stellungnahme abzugeben. Das eingeholte Gutachten vom 31.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer zusammen mit diesem Schreiben übermittelt.

Der Beschwerdeführer brachte innerhalb der ihm dafür eingeräumten Frist keine Stellungnahme bei der belangten Behörde ein.

Mit Schreiben vom 03.09.2020 teilte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer aufgrund seines Antrages vom 03.07.2020 mit, dass laut Ergebnis des medizinischen Ermittlungsverfahrens ein Grad der Behinderung von 50 v.H. festgestellt worden sei. Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs. 1 dritter Teilstrich VO 303/1996 liegt vor“ würde vorliegen. Der Behindertenpass im Scheckkartenformat, welcher unbefristet ausgestellt werde, werde in den nächsten Tagen übermittelt werden. Das eingeholte Sachverständigengutachten der Fachärztin für Neurologie vom 31.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer gemeinsam mit diesem Schreiben übermittelt.

Mit Begleitschreiben samt Rechtsmittelbelehrung vom 07.09.2020 wurde dem Beschwerdeführer der – nunmehr unbefristet ausgestellte - Behindertenpass mit einem eingetragenen Grad der Behinderung von 50 v.H. übermittelt.

Hingegen wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 14.10.2020 den Antrag des Beschwerdeführers vom 03.07.2020 auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ab. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das im Ermittlungsverfahren eingeholte Gutachten, wonach die Voraussetzungen nicht vorliegen würden, sowie auf die vom Beschwerdeführer nicht genützte Stellungnahmemöglichkeit zu den Ermittlungsergebnissen. Das medizinische Sachverständigengutachten vom 31.08.2020 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage zum Bescheid übermittelt.

Im Wege seiner rechtlichen Vertretung brachte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24.11.2020 fristgerecht eine Beschwerde gegen diesen Bescheid vom 14.10.2020 folgenden Inhalts, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ein:

„…

Dieser Bescheid ist rechtswidrig. Dazu wird nachstehendes ausgeführt:

Das Sozialministeriumservice hat festgestellt, dass es dem Beschwerdeführer zumutbar ist ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen. Das Sozialministeriumservice stützt sich dabei auf das Ergebnis des neurologisch eingeholten Sachverständigengutachtens von Dr.in O. vom 31.08.2020.

Dazu wird vom Beschwerdeführer vorgebracht, dass es ihm aufgrund der vorliegenden Leiden Z. n. tiefer vorderer Rektumresektion 2011 mit primären Stoma und Rückoperation mit anhaltenden Krämpfen (Schmerzsymptomatik und Stuhlentleerungsstörung, Sozio-Klaustrophobische Störung) und Z. n. Schlaganfall mit intermittierender Sprachstörungen und Halbseitenschwäche 10/2017 keinesfalls möglich und zumutbar ist ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen.

Entgegen den Ausführungen der Sachverständigen hat sich das laufende Leiden 2, Klaustrophobie keinesfalls soweit gebessert, dass nunmehr nur eine Einschätzung mit einem Grad der Behinderung von 10 v.H. gerechtfertigt wäre.

Weiters wird vom Beschwerdeführer vorgebracht, dass die Feststellung der Sachverständigen, dass die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels aufgrund der vorliegenden Stuhlinkontinenz mit handelsüblichen Inkontinenzprodukten ausreichend versorgt wäre, nicht nachvollziehbar ist. Der Beschwerdeführer muss aufgrund dieser bestehenden Problematik immer sofort die Möglichkeit haben innerhalb kurzer Zeit ein WC aufzusuchen. Dies ist bei Benützung von öffentlichen Verkehrsmitteln keinesfalls möglich und gewährleistet.

Dazu wird weiters vorgebracht, dass das Bewegen außer Haus sich beim Beschwerdeführer auch zusätzlich für ihn sehr belastend auswirkt, als dass, wenn bei Auftritt eines Stuhlganges aufgrund der Gefahr, dass es zu Inkontinenz für den Stuhlgang kommt, nicht innerhalb von ein paar Minuten eine Toilette erreicht werden kann. Selbst bei Verwendung von Inkontinenzprodukten sind diese beim Beschwerdeführer im Falle, dass Stuhl kommt keinesfalls zumutbar, da es neben den Verunreinigungen auch zusätzlich zu einer Geruchsbelästigung kommt, welche durch die Verwendung der Einlagen nicht verhindert werden könnte.

Der Beschwerdeführer ist durch diese Erkrankung einem massiven Leidensdruck ausgesetzt und in seinem sozialen Leben maßgeblich eingeschränkt.

Das vorliegende neurologische Sachverständigengutachten ist für den Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar, schlüssig und auch nicht ausreichend um dieses Leiden beurteilen zu können. Aufgrund der vorgebrachten Einwendungen wäre hier gegebenenfalls auch die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Inneren Medizin unbedingt erforderlich gewesen.

Beweis:

?        bereits aufliegende Befunde

?        beiliegender Befund

?        Durchführung einer mündlichen Verhandlung

?        einzuholende Sachverständigengutachten aus den Fachbereichen der

?        Inneren Medizin

?        Psychiatrie

Aus genannten Gründen stellt der Beschwerdeführer die

ANTRÄGE:

1. Das Bundesverwaltungsgericht mögliche der Beschwerde Folge geben, den erstinstanzlichen Bescheid aufheben und dem Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass stattgeben.

2. In eventu, den angefochtenen Bescheid aufheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Name des Beschwerdeführers“

Der Beschwerde wurden eine vom Beschwerdeführer gezeichnete Vollmacht vom 23.11.2020 zugunsten des KOBV und ein aktueller Befundbericht eines näher genannten Facharztes für Innere Medizin vom 20.11.2020 beigelegt.

Die belangte Behörde holte im Rahmen eines Beschwerdevorentscheidungsverfahrens ein weiteres medizinisches Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin unter Anwendung der Bestimmungen der Einschätzungsverordnung vom 01.02.2021 ein, in welchem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 18.01.2021 sowie der vom Beschwerdeführer vorgelegten medizinischen Unterlagen Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form wiedergegeben, ausgeführt wurde:

„…

Anamnese:

Ein Vorgutachten mit Untersuchung/Neurologie aus 8/2020 liegt vor. Ein GdB 50 v. H. ist anerkannt (Zustand nach Rektumresektion mit anhaltender Schmerzsymptomatik und Stuhlentleerungsstörung 50%, Klaustrophobie 10%, Z.n. Schlaganfall 10%).

Wegen Abweisung des Antrages auf Vornahme der ZE "Unzumutbarkeit der Benützung ÖVM" wurde eine Beschwerde eingelegt. Es werden neue Befunde vorgelegt (siehe unten).

Derzeitige Beschwerden:

Beklagt werden anhaltende Schmerzen im Analbereich, sowie imperativer Stuhldrang mit tlw. "fraktioniertem Stuhlverlust". Nach der täglichen morgendlichen Darmspülung habe er dann zwanzig Stunden "eine Ruhe". Das notwendige Equipment hätte er immer im Auto dabei. Die Schmerztherapie erfolge mit Hydal und Novalgin seit Jahren.

Psychiatrisch brauche er nichts mehr, das hätte sich normalisiert, diesbezüglich seien keine Maßnahmen notwendig. Vom Schlaganfall 2017 mit Sprachstörungen und Halbseitensymptomatik hätte er sich gut erholt, es sei keine Restsymptomatik mehr übrig.

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Medikamente lt. Dr. R., 1/21: Candesartan, Imodium 2-3/d, TASS, Hydal 2,6mg 3x1 max., Novalgin bei Bedarf, Biofloran, 1 Einlauf/d (lauwarmes Wasser).

Sozialanamnese:

Pension, bewohnt alleine Haus, Lebensgefährtin vor kurzem verstorben, Essen auf Rädern, Unterstützung im Alltag.

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

2/2020 Chirurgie XXX, stationärer Patientenbrief:Proktalgie bei Z.n. n. recti mit Radiatio, ad Colonskopie und Schmerztherapie, Colonoskopie: "keine Auffälligkeiten bis auf eine Irritation des Rektums"

6/2020 FA für Psychiatrie Dr. M.: "Herr H. ist nach wie vor in Kontrolle und Behandlung meiner fachärztlichen Ordination. Aufgrund der langjährigen Symptomatik hat sich im Krankheitsverlauf keine Änderung ergeben trotz entsprechender therapeutischer Maßnahmen, sodass weiterhin die psychiatrische Klinik als vorliegend zu diagnostizieren ist."

8/2020 SVGA: GdB 50 v. H. (dauerhaft)

11/2020 FA für Innere Medizin Dr. R., Befundbericht: "massive Beschwerden, (...) ohne jegliche vorab spürbare Symptomatik umgehend einen Sanitärbereich aufsuchen muss, (...) mit der Notwendigkeit zum Beispiel sein Fahrzeug umgehend zu parken."

1/2021 Befundbericht Dr. R.: chronische Proktalgie, Th.: Schmerzmedikation und tgl. Einläufe, Z.n. Apoplex und restitutio ad integrum, Z.n. TIA.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand:

gut

Ernährungszustand:

adipös

Größe: 170,00 cm Gewicht: 94,00 kg Blutdruck:

Klinischer Status – Fachstatus:

Caput/Collum: unauffällig, Kopfdrehung nicht eingeschränkt

cor: HT rein und rhythmisch, normofrequent

Pulmo: bds. belüftet, VA, keine RG

OE: große Gelenke frei beweglich, Nackengriff bds. möglich, Faustschluss komplett, Händedruck kräftig, Kraft seitengleich, DMS peripher unauffällig

WS: im Lot, keine Klopfdolenz, Seitneigung bds. 30°, SIG bds. frei, FBA 20cm

Abdomen: über Thoraxniveau, BD weich, keine Abwehrspannung, Rektusdiastase, ansonsten BP geschlossen, Nierenlager frei

UE: linkes Kniegelenk S 0-0-100°, ansonsten große Gelenke frei beweglich und ohne akute Entzündungszeichen, Lasegue bds. neg., Kraft und MER seitengleich, keine Paresen, DMS peripher unauffällig, Babinski neg., keine Varikositas, keine Ödeme, Integuement intakt

Einbein-, Fersen- und Zehenballenstand problemlos, Romberg ungestört.

Gesamtmobilität – Gangbild:

Nach Anlaufsymptomatik unauffälliges Gangbild frei von Gehbehelfen, freies Stehen sicher.

Status Psychicus:

Wach, allseits orientiert, gut kontaktfähig, Ductus zielführend, Stimmung eher dysthym gefärbt, Sprache unauffällig.

Ergebnis der durchgeführten Begutachtung:

Lfd. Nr.

Bezeichnung der körperlichen, geistigen oder sinnesbedingten Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1

Zustand nach tiefer vorderer Rektumresektion 2011 mit primärem Stoma, Rückoperation mit anhaltender Schmerzsymptomatik, imperativem Stuhldrang und der Notwendigkeit regelmäßiger Darmspülungen

2

Klaustrophobie, aktuell ohne Therapienotwendigkeit

3

Zustand nach Schlaganfall 2017 ohne Residualsymptomatik

Stellungnahme zu gesundheitlichen Änderungen im Vergleich zum Vorgutachten:

Das führende Leiden wird unverändert beurteilt. Die neu vorgelegten Befunde bestätigen den

bekannten Sachverhalt mit anhaltender Schmerzsymptomatik, imperativem Stuhldrang und der Notwendigkeit von täglichen Einläufen.

Auch die restlichen Leiden werden unverändert eingeschätzt, diesbezüglich werden auch keine neuen Befunde vorgelegt.

[X] Dauerzustand

1. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und

Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und

warum?

Es liegen keine erheblichen Beeinträchtigungen der Gehfähigkeit oder der Gangsicherheit vor. Die kardiopulmonale Leistungsbreite reicht aus, um kurze Wegstrecken aus eigener Kraft in einer adäquaten Zeit zurückzulegen. Geringe Niveauunterschiede in Form einiger Stufen, werden problemlos bewältigt. Ein sicheres Ein- und Aussteigen in ein ÖVM ist daher möglich. Haltegriffe oder –stangen können verwendet werden, Kraft und Standsicherheit reichen aus, um einen sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel zu gewährleisten. Es liegen aktuell keine psychiatrischen Erkrankungen vor, welche die Teilhabe im öffentlichen Raum verunmöglichen oder die Benützung ÖVM erheblich beeinträchtigen würden. Im Colonoskopiebefund ist keine Schließmuskelläsion beschrieben. Die beklagte Stuhlproblematik ist mit den entsprechenden therapeutischen Maßnahmen (Einlauf, Medikamente) und handelsüblichen Inkontinenzprodukten bewältigbar und stellt somit kein Hindernis hinsichtlich der Benützung ÖVM dar.

2. Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel - Liegt ein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten?

Nicht zutreffend.

Gutachterliche Stellungnahme:

Aus oben genannten Gründen ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel weiterhin zumutbar.“

Mit Bescheid vom 02.02.2021 erließ die belangte Behörde eine Beschwerdevorentscheidung, worin sie die Beschwerde abwies, da die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung nicht vorliegen würden. In der Begründung verwies die belangte Behörde auf das neuerlich eingeholte medizinische Sachverständigengutachten. Das medizinische Sachverständigengutachten vom 01.02.2021 wurde dem Beschwerdeführer als Beilage zum Bescheid übermittelt.

Mit Schriftsatz vom 11.02.2021 brachte der Beschwerdeführer im Wege seiner rechtlichen Vertretung fristgerecht einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG ein. Darin wird Folgendes, hier in den wesentlichen Teilen und in anonymisierter Form dargestellt, ausgeführt:

„…

Es wird ausgeführt, dass das Sozialministeriumservice zu dem Ergebnis kommt, dass aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens beim Antragsteller die Voraussetzungen für die beantragte Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass nicht vorliegen.

Dagegen wird vorgebracht, dass es dem angeführten Antragsteller aufgrund des bestehenden Gesundheitszustandes, insbesondere des bestehenden Darmleidens, keinesfalls möglich und zumutbar ist ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen.

Die Feststellung des Sachverständigen, dass aufgrund der bestehenden Stuhlproblematik die therapeutischen Maßnahmen (Einlauf, Medikamente) und das Verwenden handelsüblicher Inkontinenzprodukte ausreichend wäre und kein Hindernis hinsichtlich der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel darstellt, ist nicht nachvollziehbar und schlüssig. Dazu wird weiters vorgebracht, dass zum Vorbringen des Antragstellers im Beschwerdeschriftsatz, warum diesem aufgrund der bestehenden Stuhlinkontinenz die Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels auch weiterhin nicht zumutbar ist, keine Feststellungen vor.

Das nun eingeholte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten ist für den Antragsteller nicht nachvollziehbar, schlüssig und auch nicht ausreichend zur Beurteilung seines Gesundheitszustandes. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens aus dem Fachbereich der Inneren Medizin wäre unbedingt erforderlich gewesen.

Des Weiteren wird auf die Ausführungen in der Beschwerde verwiesen.

Beweis:

?        Bereits vorgelegte Befunde

?        Einzuholendes Sachverständigengutachten aus dem Fachgebiet der Inneren Medizin

?        Durchzuführende mündliche Verhandlung

Es wird daher der

ANTRAG

gestellt, das Sozialministeriumsservice möge die fristgerecht eingelangte Beschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 15 Abs. 2 VwGVG dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorlegen.

Name des Beschwerdeführers“

Die belangte Behörde legte dem Bundesverwaltungsgericht am 16.02.2021 die gegenständliche Beschwerde, den Vorlageantrag und den Bezug habenden Verwaltungsakt zur Entscheidung vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu Spruchteil A)

Der Vollständigkeit halber sei vorab darauf hingewiesen, dass sich der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde ausschließlich gegen die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass wendet. Beschwerdegegenstand ist nicht die Frage des Grades der Behinderung.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

?        der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

?        die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren 2013, § 28 VwGVG, Anm. 11.)

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn „die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen“ hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 zweiter Satz ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung“ der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Die im Beschwerdefall relevanten Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten auszugsweise:

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 47. Der Bundesminister für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, mit Verordnung die näheren Bestimmungen über den nach § 40 auszustellenden Behindertenpaß und damit verbundene Berechtigungen festzusetzen.“

§ 1 Abs. 4 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, BGBl. II Nr. 495/2013 in der Fassung des BGBl. II Nr. 263/2016, lautet – soweit im gegenständlichen Fall relevant – auszugsweise:

„§ 1 …

(4) Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

a)…

b)…

2. …

3. die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

?        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

?        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

?        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

?        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

?        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach Abs. 4 Z 1 lit. b oder d vorliegen.

(5) Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(6)..."

In den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013, wird betreffend § 1 Abs. 2 Z 3 (in der Stammfassung) unter anderem – soweit im gegenständlichen Fall in Betracht kommend – Folgendes ausgeführt:

㤠1 Abs. 2 Z 3:

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen.

Komorbiditäten der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensationsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

?        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

?        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

?        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

?        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

?        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

?        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

?        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

?        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr,

?        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten,

?        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen,

?        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden –Begleitperson ist erforderlich.

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

?        anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

?        schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B.: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

?        fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

?        selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo-und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Anzumerken ist noch, dass in dieser kurzen Phase die Patienten in einem stark reduzierten Allgemeinzustand sind und im Bedarfsfall ein Krankentransport indiziert ist.

Bei allen frisch transplantierten Patienten kommt es nach einer anfänglichen Akutphase mit hochdosierter Immunsuppression, nach etwa 3 Monaten zu einer Reduktion auf eine Dauermedikation, die keinen wesentlichen Einfluss auf die Abwehrkräfte bei üblicher Exposition im öffentlichen Raum hat.

Keine Einschränkung im Hinblick auf die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel haben:

?        vorübergehende Funktionseinschränkungen des Immunsystem als Nebenwirkung im Rahmen von Chemo-und /oder Strahlentherapien,

?        laufende Erhaltungstherapien mit dem therapeutischen Ziel, Abstoßreaktionen von Transplantaten zu verhindern oder die Aktivität von Autoimmunerkrankungen einzuschränken,

?        Kleinwuchs,

?        gut versorgte Ileostoma, Colostoma und Ähnliches mit dichtem Verschluss. Es kommt weder zu Austritt von Stuhl oder Stuhlwasser noch zu Geruchsbelästigungen. Lediglich bei ungünstiger Lokalisation und deswegen permanent undichter Versorgung ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar,

?        bei Inkontinenz, da die am Markt üblichen Inkontinenzprodukte ausreichend sicher sind und Verunreinigungen der Person durch Stuhl oder Harn vorbeugen. Lediglich bei anhaltend schweren Erkrankungen des Verdauungstraktes ist in Ausnahmefällen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel unzumutbar.“

Der Beschwerdeführer ist aktuell Inhaber eines unbefristeten Behindertenpasses mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50 v.H. Dem gegenständlichen Verfahren liegt nun ein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass zu Grunde.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH 23.02.2011, 2007/11/0142, und die dort zitierten Erkenntnisse vom 18.12.2006, 2006/11/0211, und vom 17.11.2009, 2006/11/0178, jeweils mwN.).

Ein solches Sachverständigengutachten muss sich mit der Frage befassen, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt (VwGH 20.03.2001, 2000/11/0321). Dabei ist auf die konkrete Fähigkeit des Beschwerdeführers zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einzugehen, dies unter Berücksichtigung der hiebei zurückzulegenden größeren Entfernungen, der zu überwindenden Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, der Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt etc. (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242; VwGH 14.05.2009, 2007/11/0080).

Der angefochtene Bescheid bzw. die Beschwerdevorentscheidung erweisen sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt als mangelhaft, und zwar aus folgenden Gründen:

Aktuell führendes Leiden des Beschwerdeführers ist der „Zustand nach tiefer vorderer Rektumresektion 2011 mit primärem Stoma, Rückoperation mit anhaltender Schmerzsymptomatik und Stuhlentleerungsstörung“; das Vorliegen dieser Funktionseinschränkung – sohin auch das Vorliegen einer Stuhlentleerungsstörung - wurde in dem vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten vom 31.08.2020, das zur Ausstellung eines nunmehr unbefristet ausgestellten Behindertenpasses mit entsprechendem Bescheid vom 07.09.2020 mit einem festgestellten Grad der Behinderung von 50. v.H. führte, rechtskräftig festgestellt, zumal die zur Anwendung gebrachte Positionsnummer 07.04.06 der Anlage zur Einschätzungsverordnung u.a. auch das Tatbestandselement „Tägliche, auch nächtliche Durchfälle“ beinhaltet. In dem nunmehr im Rahmen der gegenständlichen Beschwerdevorentscheidung von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten vom 01.02.2021 wurde das führende Leiden 1 als „Zustand nach tiefer vorderer Rektumresektion 2011 mit primärem Stoma, Rückoperation mit anhaltender Schmerzsymptomatik, imperativem Stuhldrang und der Notwendigkeit regelmäßiger Darmspülungen“ festgestellt und bezeichnet. Dieses medizinische Sachverständigengutachten vom 01.02.2021 geht daher vom Vorliegen imperativen Stuhlganges aus.

Diesbezüglich gab der Beschwerdeführer bereits bei seiner persönlichen Untersuchung am 06.08.2020 an, dass er aufgrund dieses Leidens erhebliche Probleme habe. In der Beschwerde wurde dazu weiter ausgeführt, dass der Beschwerdeführer aufgrund dieser Problematik innerhalb kurzer Zeit ein WC aufsuchen müsse. Die diesbezüglichen Ausführungen der Sachverständigen, dass die vorliegende Stuhlinkontinenz mit handelsüblichen Inkontinenzprodukten ausreichend versorgt sei, seien nicht nachvollziehbar, da es beim Beschwerdeführer auch bei Verwendung von Inkontinenzprodukten zu einer Verunreinigung und Geruchsbelästigung komme. In dem im Rahmen der Beschwerde vorgelegten Befundbericht wird zu dieser Problematik ausgeführt: „Sehr häufig kommt es vor, dass er ohne jegliche vorab spürbare Symptomatik umgehend einen Sanitärbereich aufsuchen muss“. Auch im Rahmen der zweiten persönlichen Untersuchung am 18.01.2021 führte der Beschwerdeführer wiederum unter derzeitige Beschwerden einen „imperativen Stuhldrang mit teilweise fraktioniertem Stuhlverlust“ an. Schließlich wurde auch im Zuge des Vorlageantrags auf die Unzulänglichkeit von Inkontinenzprodukten hingewiesen.

Im Zusammenhang mit der beschwerdegegenständlichen Zusatzeintragung hat der Verwaltungsgerichtshof schon mehrfach vergleichbare Krankheitsbilder beurteilt, die wiederkehrende Phasen der Inkontinenz beinhaltet haben: Im Erkenntnis vom 17.06.2013, 2010/11/0021, wurde der Umstand, dass (im Zusammenhang mit der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn) die "mehrmals im Monat auftretenden Phasen der Stuhlinkontinenz und Flatulenzen unvorhersehbar und schubartig" aufgetreten sind, als Argument für die Annahme der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewertet, insbesondere aufgrund der "Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit" der behaupteten Zustände, wie sie sich damals aus den ärztlichen Gutachten ergaben. In seinem Erkenntnis vom 23.02.2011, 2007/11/0142, wurde dieselbe Schlussfolgerung aus den Feststellungen der Behörde gezogen, wonach die damalige Beschwerdeführerin an einer Belastungsinkontinenz litt und täglich sechs bis sieben Mal ihre Vorlagen wechseln musste, wobei mit der Inkontinenz auch eine Geruchsbelästigung verbunden war. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 21.04.2016, Ra 2016/11/0018, bestätigt (vgl. im Übrigen auch VfGH 23.09.2016, E 439/2016-13).

Darüber hinaus ist auch noch auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.04.2016, Zl. Ra 2016/11/0018, zu verweisen, in dem der Verwaltungsgerichtshof – unter Zugrundelegung des Vorbingens der Revisionswerberin, sie leide an einer Durchfallerkrankung "mit häufigem und imperativem Stuhlgang" (nach ihren unwidersprochenen Angaben mindestens 20mal pro Tag und mit Flatulenzen verbunden) und seien die Zeitpunkte des Stuhlganges für sie in der Regel weder vorhersehbar noch beeinflussbar, und abgehend vom in diesem Fall vorliegenden medizinischen Sachverständigengutachten – ausführte, dass es geradezu offenkundig sei und keiner weiteren Erörterung bedürfe, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel bei diesem Krankheitsbild unzumutbar ist. Daran würden – angesichts der schweren Ausprägung der Erkrankung – die im Handel erhältlichen, vom Bundesverwaltungsgericht angesprochenen Inkontinenzprodukte (saugfähige Einmalhosen) nichts ändern.

Der Verfassungsgerichtshof wiederum tätigte in seinem - ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, mit dem ein Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ bei Vorliegen von Begleiterscheinungen der Erkrankung Morbus Crohn abgewiesen worden war, behebenden - Erkenntnis vom 23.09.2016, E439/2016, folgende hier auszugsweise wiedergegebene Ausführungen:

„…..

2.1. Der Verwaltungsgerichtshof hatte im Zusammenhang mit der Frage, ob eine Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" schon wiederholt Krankheitsbilder zu beurteilen, die wiederkehrende Phasen der Inkontinenz beinhaltet haben: Im Erkenntnis vom 17. Juni 2013, 2010/11/0021, wurde der Umstand, dass (im Zusammenhang mit der Verdachtsdiagnose Morbus Crohn) die "mehrmals im Monat auftretenden Phasen der Stuhlinkontinenz und Flatulenzen unvorhersehbar und schubartig" aufgetreten sind, als Argument für die Annahme der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gewertet, insbesondere auf Grund der "Häufigkeit, Unvorhersehbarkeit und Unabwendbarkeit" der behaupteten Zustände, wie sie sich damals aus den ärztliche Gutachten ergaben. In seinem Erkenntnis vom 23. Februar 2011, 2007/11/0142, wurde dieselbe Schlussfolgerung aus den Feststellungen der Behörde gezogen, wonach die damalige Beschwerdeführerin an einer Belastungsinkontinenz litt und täglich sechs bis sieben Mal ihre Vorlagen wechseln musste, wobei mit der Inkontinenz auch eine Geruchsbelästigung verbunden war. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof in dem mittlerweile ergangenen Erkenntnis vom 21. April 2016, Ra 2016/11/0018, bestätigt.

2.2.    Das Bundesverwaltungsgericht hatte im Beschwerdefall vergleichbar schwere Begleiterscheinungen der Erkrankung Morbus Crohn zu beurteilen:

2.2.1.  Danach leidet der Beschwerdeführer "an chologener Diarrhö mit 5-10 täglichen, auch nächtlichen Stühlen bei Dranginkontinenz". Die tägliche Anzahl der Fälle nicht beherrschbaren Stuhldrangs, mit denen der Beschwerdeführer rechnen muss, übersteigt somit jene aus den Sachverhalten der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 2013 und vom 23. Februar 2011. Die Zeitpunkte des Eintretens des Stuhldrangs sind nach den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes nicht vorhersehbar und können vom Beschwerdeführer in der Regel auf Grund der Dranginkontinenz auch nicht beeinflusst werden.

2.2.2.  Die Annahme, dass dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dennoch zumutbar ist, vermag das Bundesverwaltungsgericht nur darauf zu gründen, dass die handelsüblichen Hilfsmittel (wie Einlagen, saugfähige Einmalhosen) geeignet sind, der durch das Krankheitsbild des Beschwerdeführers bedingten Verunreinigung und Geruchsbelästigung "für den Zeitraum bis zur nächsten Möglichkeit, ein öffentliches Verkehrsmittel zu verlassen" vorzubeugen.

2.3.    Wenn das Bundesverwaltungsgericht auf dem Boden dieser Feststellungen die Auffassung vertritt, dass der Beschwerdeführer mit Einlagen die Verschmutzung bewältigen und die Geruchsbelästigung durch Verlassen des Verkehrsmittels "bei der nächsten Möglichkeit" vermeiden kann, dann verkennt es gröblich den Zumutbarkeitsbegriff der Bestimmung des §1 Abs2 Z3 der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, der – vor dem Hintergrund des offensichtlichen Zwecks der Norm – der Sache nach darauf abstellt, ob die Erreichung des mit der Benützung eines öffentlichen Verkehrsmittels angestrebten Ziels (wenngleich unter Inkaufnahme gewisser Beschwernisse) aus bestimmten, beispielsweise aufgezählten Gründen nicht gewährleistet ist. In einem solchen Fall kann auch von einer Zumutbarkeit der Benützung nicht mehr die Rede sein.

2.3.1.  Daher ist es für den Verfassungsgerichtshof nicht nachvollziehbar, wie das Bundesverwaltungsgericht angesichts dessen zu der rechtlichen Schlussfolgerung gelangen konnte, dass dem Beschwerdeführer, obwohl er im Falle des (jeweils unvorhersehbaren und auch nicht beeinflussbaren) Auftretens eines solchen Dranges die Fahrt nicht fortsetzen kann, die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar sein soll, obwohl sich der Zweck der Norm nicht etwa in der Vermeidung einer nach außen zu Tage tretenden Verschmutzung oder einer möglichen Geruchsbelästigung von Umstehenden erschöpft.

….“

Daraus ergibt sich, dass sowohl der Verwaltungsgerichtshof als auch der Verfassungsgerichtshof - trotz der gegenteiligen Ausführungen in den Erläuterungen zur Stammfassung der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen, StF: BGBl. II Nr. 495/2013

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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