TE Bvwg Beschluss 2021/8/2 W282 2172522-4

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Veröffentlicht am 02.08.2021
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Entscheidungsdatum

02.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W282 2172522-4/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Beschwerde XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, im amtswegig am 23.07.2021 eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft seit XXXX .2021

A)

Das Beschwerdeverfahren wird gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen und Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste unrechtmäßig in das Bundesgebiet ein und stellte am 04.12.2015 erstmalig einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Rahmen seiner Erstbefragung am selben Tag gab er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, er sei afghanischer Staatsangehöriger und sei am XXXX geboren. Er stamme aus der afghanischen Provinz Helmand und sei ledig. Seine Erstsprache sei Dari und er habe drei Jahre die Schule besucht. Sein Vater sei bereits verstorben. Im Herkunftsstaat würden noch seine Mutter sowie seine beiden Brüder leben. Vor einem Jahr sei er endgültig aus dem Herkunftsstaat ausgereist. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, dass seine beiden Brüder von den Taliban entführt worden seien und er Angst gehabt habe, dass ihm dasselbe geschehe.

2. Am 13.09.2017 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: BFA), im Zuge welcher er zu seiner Person angab, dass er keiner medizinischen Behandlung bedürfe und gesund sei. Er gehöre der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Religionsgemeinschaft an. Bis zu seinem 15. Lebensjahr habe er im Herkunftsstaat gewohnt. Daraufhin sei er für ein Jahr alleine nach Teheran, Iran, verzogen, da es in seinem Wohnort kaum Arbeit gegeben habe und es aufgrund der Präsenz der Taliban unsicher gewesen sei. In Afghanistan habe er bereits im Alter von fünf oder sechs Jahren begonnen, als Tagelöhner zu arbeiten. Er sei in der Landwirtschaft und im Baubereich tätig gewesen. Der BF habe jeden Tag nach Arbeit gesucht, habe eine solche aber nicht immer gefunden. Für seine Tätigkeiten habe er 40 bis 70 Afghani erhalten. Wenn er nicht gearbeitet habe, sei er zur Schule gegangen. Die Grundschule habe er von 2005 bis 2013 in Helmand besucht. Ferner habe er drei Jahre eine Koran-Schule besucht. Im Iran habe er drei Monate als Wachmann in einer Fabrik gearbeitet. Sein Vater sei verstorben, als er 14 Jahre alt gewesen sei. Er sei im Krieg gegen die Taliban vor circa vier bis fünf Jahren ums Leben gekommen. Mit seiner Mutter und seinen beiden Brüdern habe er seit seiner Ausreise in den Iran keinen Kontakt mehr. Ihren aktuellen Aufenthaltsort kenne er nicht. Vor seiner Ausreise habe er mit seiner Mutter in einem Haus in Helmand gelebt. Seine beiden Brüder seien von den Taliban entführt worden, als sie nach Kabul gehen hätten wollen. Seither habe er nichts mehr von ihnen gehört und wisse nicht, ob sie noch leben würden. Sein jüngerer Bruder sei krank gewesen, weshalb ihn sein älterer Bruder zur Behandlung nach Kabul bringen habe wollen. Am Weg dorthin seien sie aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara von den Taliban angehalten und entführt worden. In der Provinz Helmand könnten sich Hazara nicht frei bewegen und müssten immer Angst haben, von den Taliban entführt oder getötet zu werden. Die Entführung habe etwa einen Monat vor seiner Ausreise in den Iran stattgefunden. Vom Iran aus habe er seiner Mutter Geld geschickt. Was sie jetzt mache, wisse er nicht. Nach seiner Ausreise aus dem Herkunftsstaat habe er neun Monate im Iran gelebt. Davon habe er insgesamt vier Monate für den Iran in Syrien gekämpft. Er sei dazu gezwungen worden. Als er auf dem Weg zur Arbeit gewesen sei, habe ihn die iranische Polizei festgenommen und zu einer Polizeistation gebracht. Sie hätten ihm gesagt, dass er illegal im Iran sei und entweder in Syrien kämpfen oder nach Afghanistan zurückkehren müsse. Mit dem Geld, welches er für seinen Aufenthalt in Syrien erhalten habe, habe er seine Flucht finanziert. Zu extremistischen oder terroristischen Gruppierungen habe er nie Kontakt gehabt. Sonstige Angehörige im Herkunftsstaat habe er nicht. Zu seinen Fluchtgründen führte er an, er habe in Afghanistan keine Zukunft gehabt. Er habe dort nicht leben können, da sein Leben in Gefahr gewesen sei. Jeden Tag sei dort Krieg gewesen, es habe Schießereien gegeben und die Taliban seien dort gewesen. Seine Brüder seien auf dem Weg nach Kabul von den Taliban entführt worden. Als Hazara werde man in Helmand verfolgt und lebe in ständiger Angst. Im Iran sei es ihm zunächst als Wachmann gut gegangen, die Polizei hätte ihn jedoch gezwungen, in Syrien zu kämpfen. Dafür habe er im Iran bleiben dürfen und eine Aufenthaltskarte erhalten. Damit seine Aufenthaltskarte im Iran verlängert werde, hätte er neuerlich in Syrien kämpfen müssen. Da er dies nicht gewollt habe, sei er nach Europa geflüchtet. Sein Zielland sei Schweden gewesen. Zu seinen Rückkehrbefürchtungen gab er an, dass ihn die Taliban in Afghanistan töten würden. Überall in Afghanistan herrsche Krieg und er habe auch keine Verwandten mehr. Auf Nachfrage, warum seine Mutter dort ungefährdet leben könne, gab er an, die Taliban würden Frauen in Ruhe lassen. Sie habe ihn in den Iran geschickt, habe aber selber in Afghanistan bleiben wollen. Wenn in Afghanistan kein Krieg wäre, könne er zurückkehren und dort leben.

3. Mit Bescheid vom XXXX .2017, Zl. XXXX , wurde der (erste) Antrag des BF auf internationalen Schutz betreffend die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie betreffend die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 wurde ihm nicht erteilt. Gegen ihn wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Ferner wurde festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden gemäß § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung festgelegt (Spruchpunkt IV.).

4. Gegen diesen Bescheid des BFA erhob der BF fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

5. Mit Urteil des LG Eisenstadt vom XXXX .2019, XXXX , wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28 Abs. 1 SMG sowie wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 SMG und Abs. 2 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt, wobei ein Teil von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

6. Mit Urteil des LG Wiener Neustadt vom XXXX 2020, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der Vorbereitung zum Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt. Die mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom XXXX .2019 zu XXXX ausgesprochene bedingte Strafnachsicht wurde widerrufen.

7. Mit Erkenntnis vom 07.08.2020, W124 2172522-1/52E, wies das BVwG die gegen den Bescheid des BFA vom XXXX .2017 erhobene Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis III. gemäß den §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und den §§ 46, 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, 55 Abs. 1 bis 3 FPG als unbegründet ab. Die Beschwerde gegen den Spruchpunkt IV. wurde mit der Maßgabe abgewiesen, dass der Spruch zu lauten hat: „Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist zur freiwilligen Ausreise 14 Tage ab dem Zeitpunkt der Enthaftung.“ Das Erkenntnis des BVwG ist in Rechtskraft erwachsen.

Das BVwG stellte – hier zusammengefasst und verkürzt wiedergegeben – zur Person des BF fest, dass er afghanischer Staatsangehöriger sei, der Volksgruppe der Hazara sowie der schiitischen Glaubensrichtung des Islams angehöre. Der BF stamme aus der afghanischen Provinz Helmand, wo er bis zu seiner endgültigen Ausreise aus dem Herkunftsstaat gelebt habe. Seine Erstsprache sei Dari. Im Herkunftsstaat habe er acht Jahre die Grundschule und drei Jahre eine Koranschule besucht. Neben dem Schulbesuch habe er als Tagelöhner verschiedene Tätigkeiten verrichtet und seiner Familie bei der Arbeit auf deren Landwirtschaft geholfen. Im Alter von circa 14 oder 15 Jahren sei er in den Iran verzogen und habe dort rund ein Jahr auf Baustellen sowie als Wachmann gearbeitet. Durch diese Tätigkeiten habe er nicht nur seinen Lebensunterhalt eigenständig bestritten, sondern habe sich auch ausreichende Ersparnisse angeeignet, um seiner Mutter Geld nach Afghanistan zu schicken und seine Flucht nach Europa zu finanzieren. Weiters wurde festgestellt, dass der BF zu seiner Mutter und seinen Brüdern nach wie vor Kontakt habe. Ihr Aufenthaltsort könne jedoch nicht hinreichend festgestellt werden. Der Vater des BF sei bereits verstorben, wobei die näheren Umstände seines Todes nicht abschließend festgestellt werden hätten können.

Zu den Fluchtgründen des BF hielt das BVwG fest, dass er im Herkunftsstaat nicht in das Blickfeld der Taliban geraten und nie einer konkret gegen seine Person gerichteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Es sei nicht glaubhaft, dass der BF als Mitglied der Fatemiyoun Division im Kampfeinsatz in Syrien gewesen sei und ihm aufgrund von Fotos, welche ihn bei diesem Kampfeinsatz zeigten und im Internet veröffentlicht worden seien, im Fall der Rückkehr nach Afghanistan die reale Gefahr einer Verfolgung drohe.

Für ihn bestehe keine reale Gefahr der Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara sowie zur schiitischen Glaubensrichtung des Islams. Ferner sei es nicht wahrscheinlich, dass dem BF aufgrund seines Aufenthalts in Europa und/oder im Iran der Abfall vom islamischen Glauben oder eine feindliche politische Gesinnung unterstellt werde. Der BF habe während seines Aufenthalts in Österreich keine Wertehaltung und/oder Lebensführung verinnerlicht, die von den afghanischen Sozialnormen in einem solchen Ausmaß abweiche, sodass er im Fall der Rückkehr nach Afghanistan der realen Gefahr einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Zudem sei es nicht wahrscheinlich, dass der BF in Afghanistan von den Taliban oder einer anderen regierungsfeindlichen Gruppierung zwangsrekrutiert werde.

Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat stellte das BVwG fest, dass bei einer Rückkehr in die Provinz Helmand eine Verletzung seiner körperlichen Unversehrtheit aufgrund der instabilen Sicherheitslage sowie der schlechten Erreichbarkeit dieser Provinz nicht ausgeschlossen werden könne. Eine Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif sei dem BF zumutbar und sei diese Stadt auch sicher mit dem Flugzeug erreichbar. Die großen Reisebeschränkungen in Afghanistan seien mittlerweile aufgehoben worden und auch der internationale Flugverkehr sei wiederaufgenommen worden. Es stehe nicht fest, dass der BF im Falle einer Ansiedlung in der Stadt Mazar-e Sharif in seinem Recht auf Leben gefährdet werde, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht werde oder für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde.

Der BF leide an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit, habe keine Obsorgepflichten und sei arbeitsfähig. Er sei im afghanischen Familienverband aufgewachsen und spreche die in Afghanistan verbreitete Sprache Dari als Erstsprache. Der BF habe den überwiegenden Teil seines Lebens in Afghanistan verbracht, sei mit den kulturellen Traditionen und Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut und habe Berufserfahrung in der Landwirtschaft, auf Baustellen sowie im Wachdienst gesammelt. Es sei daher anzunehmen, dass er im Herkunftsstaat auch ohne finanzielle Unterstützung seiner Angehörigen in der Lage sein werde, sich – allenfalls mit Hilfstätigkeiten - ein ausreichendes Einkommen zu sichern. Es sei nicht davon auszugehen, dass er bei seiner Rückkehr nach Afghanistan in eine hoffnungslose Lage geraten würde. Zur Überbrückung allfälliger Anfangsschwierigkeiten könne der BF zudem Rückkehrunterstützung in Anspruch nehmen.

Zum Privatleben des BF in Österreich stellte das BVwG fest, dass er in Österreich in keiner Familiengemeinschaft oder einer familienähnlichen Gemeinschaft lebe. Er habe sich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, über Bindungen besonderer Intensität zu einzelnen Personen im Bundesgebiet verfüge er hingegen nicht. In seiner früheren Unterkunft habe er Hilfstätigkeiten verrichtet. Für die Dauer eines Monats sei er zudem Mitglied in einer Fußballmannschaft gewesen. Während seines Aufenthalts in Österreich habe er sich nicht ehrenamtlich engagiert. Der BF sei in der Lage, einfache Unterhaltungen auf Deutsch zu führen. Er habe die Kurse „Brückenmodul Deutsch, Mathematik und Englisch“ sowie „Basisbildung mit Politischer Bildung“ absolviert. Ferner habe er an einem Pflichtschulabschlusslehrgang teilgenommen, diesen jedoch nicht abgeschlossen. Seinen Lebensunterhalt in Österreich bestreite er aus staatlichen Mitteln. Während seines Aufenthalts sei er zu keinem Zeitpunkt selbsterhaltungsfähig gewesen.

Der BF habe als Mittäter im Zeitraum von Sommer 2017 bis Ende Februar 2019 vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er dieses an Personen in stetig wiederkehrenden Tathandlungen verkauft bzw. auch im Rahmen gemeinsamer Konsumation weitergegeben habe. Ferner habe er im Zeitraum von Oktober 2017 bis Ende Februar 2019 in mehrfachen Angriffen sowohl zum Zweck des weiteren Verkaufs bzw. der Weitergabe als auch ausschließlich zum persönlichen Gebrauch Cannabiskraut und XTC-Tabletten erworben und besessen. Mit Urteil des LG Eisenstadt vom XXXX .2019, XXXX , sei der BF aufgrund dieses Verhaltens wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels sowie wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten verurteilt worden, wobei ein Teil von 10 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen worden sei. Für die Dauer der Probezeit sei Bewährungshilfe angeordnet worden. Ferner sei ein Betrag von € 265, -- für verfallen erklärt worden. Das Mobiltelefon des BF sei konfisziert worden.

Am 17.01.2020 habe der BF vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge mit dem Vorsatz erworben, besessen und befördert, dass es durch gewinnbringenden Verkauf an Suchtgiftkonsumenten in Verkehr gesetzt werde. Mit Urteil des LG Wiener Neustadt vom XXXX 2020, XXXX , sei der BF aufgrund dieses Verhaltens wegen des Vergehens der Vorbereitung zum Suchtgifthandel nach § 28 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten verurteilt worden. Die mit Urteil des LG Eisenstadt vom XXXX .2019 gewährte bedingte Strafnachsicht sei widerrufen worden.

Aktuell verbüße der BF seine Freiheitsstrafe in der Justizanstalt Wiener Neustadt, wo er einen Deutschkurs besuche und als Koch arbeite.

8. Der BF stellte am 02.12.2020 aus dem Stande der Strafhaft vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes den ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz. Zu den Gründen der neuerlichen Antragstellung befragt, gab er an, dass er keine Familienangehörigen mehr in Afghanistan habe. Seine Mutter lebe seit 2018 im Iran. Alle, die nach Afghanistan abgeschoben worden seien, seien auf der Straße gelandet oder seien zum Militär gegangen, was der BF nicht wolle. Alle weiteren Fluchtgründe habe er bereits im ersten Asylverfahren angegeben und möchte er auf diese verweisen. Im Falle einer Rückkehr würden die Leute glauben, dass er viel Geld habe. Sie wüssten nicht, dass er hier mit € 40,00 in der Woche auskommen müsse. Außerdem habe er Angst vor den Taliban und dem IS.

9. Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA im Beisein des Dolmetschers für die Sprache Dari am 21.01.2021 gab der BF an, dass der Deutschkurs, den er in Strafhaft besuche, seit Corona nicht mehr laufend sei.

Zum Grund für seine neue Asylantragstellung befragt erwiderte er, dass er nicht nach Afghanistan zurückkehren, sondern hierbleiben wolle. An seinen Fluchtgründen habe sich nichts geändert. Er habe niemanden mehr in Afghanistan und wisse nicht, wohin er gehen solle. All seine Verwandten und Bekannten seien irgendwo hingegangen. Das was er angegeben habe, habe er im ersten Verfahren bewiesen. Er habe dazu auch Beweise vorgelegt und es sei nicht gelogen, dass er in Afghanistan etwas im militärischen Bereich zu tun gehabt habe. Als er in Syrien gekämpft habe, seien Fotos gemacht und diese seien auch veröffentlicht worden. Wenn er nun zurückkehre, dann müsse er an seinen Heimatort zurückkehren und dort würden sie wissen, dass er in Syrien gekämpft habe und dann würde man ihn töten. Das habe er nicht im ersten Verfahren erwähnt, da sei ich nicht so viel gefragt worden. Wenn er nicht in Haft gewesen wäre, hätte er seine Mutter kontaktiert und gefragt, was es neues gebe. Er habe auch keine Kontaktdaten seiner Mutter. Über Vorhalt, dass er im Erstverfahren genau befragt worden sei und es auch eine Verhandlung vor dem BVwG gegeben habe, erwiderte der BF, seine Mutter sei 2018 noch in Afghanistan gewesen. Als sie in den Iran gekommen sei, habe er dann nicht mehr gewusst, was in Afghanistan in seiner Heimat los gewesen sei. Dazu befragt, warum eine Rückkehr nach Afghanistan nicht möglich wäre antwortete er, dass er vieles angeben könne, wenn er lügen wolle, vielleicht seinen Glauben wechseln oder sonstige Gründe erfinden. Es sei aber so, dass er nicht lügen wolle und er sagen wolle, dass eine Rückkehr für ihn eine Gefahr wäre. Er sei 6 Jahre in Österreich gewesen, habe hier Toleranz gelernt und man habe ihm viele gute Dinge beigebracht.

10. Mit dem Bescheid des BFA vom XXXX 2021 wurde der erste Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten gemäß § 68 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt I.) und dieser Antrag auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt VI.). Darüber hinaus wurde gegen den BF gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

In der Begründung dieses Bescheides wurde festgestellt, dass der BF keinen glaubhaften Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass eine besondere Integrationsverfestigung des BF in Österreich bestehe. Er verfüge in Afghanistan nach wie vor über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Zu den Gründen für die Erlassung eines Einreiseverbotes stellte das BFA unter anderem fest, dass der BF nunmehr zum zweiten Mal einen unbegründeten und damit missbräuchlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe. Er sei wiederholt straffällig geworden und verbüße derzeit die zweite Gefängnisstrafe in Österreich.

11. Mit Erkenntnis des BVwG vom 17.03.2021 (W135 2172522-2/4E) wurde die gegen den Bescheid vom XXXX 2021 eingebrachte Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. gemäß § 68 AVG als unbegründet abgewiesen und gegen die Spruchpunkte III. bis VII. gemäß §§ 57, 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG und §§ 52, 53 und 55 FPG als unbegründet abgewiesen. Dieses Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

12. Der BF wurde am XXXX .2021 in Schubhaft genommen. Der BF stellte am 19.04.2021 aus dem Stande der Schubhaft den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er von einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Dort gab er an, dass er in psychologischer Behandlung sei und täglich abends Medikamente nehme.

Zu den Gründen für seine neuerliche Antragstellung brachte er vor, dass seine damaligen Fluchtgründe nach wie vor aufrecht seien. Was er nun jedoch erzähle, habe er noch niemandem erzählt. Zwei Mal sei er von den iranischen Behörden nach Syrien geschickt worden, um gegen den IS zu kämpfen. Er habe einen iranischen Reisepass gehabt. Die Fotos und die Unterlagen, die das bestätigten habe er dem BFA bereits vorgelegt. Als er nach Europa geflüchtet sei habe er den iranischen Reisepass im Iran gelassen. Seine Mutter habe sich während dieser Zeit in Afghanistan aufgehalten. Ein Freund von ihm benutzte seinen iranischen Reisepass um in Syrien gegen den IS zu kämpfen. Sein Freund sei seitdem verschollen. Dessen Familie gebe nun dem BF die Schuld an dessen Verschwinden und er werde deshalb – im Iran und in Afghanistan, wo dessen Familie bzw. Verwandten wohnten – von ihnen bedroht. Als er in Österreich gewesen sei, sei er via Facebook mehrmals von der Familie des Freundes bedroht worden. Seine Mutter sei am 07.08.2019 von Afghanistan in den Iran geflüchtet, weil die Familie des verschollenen Jungen sie in Afghanistan bedroht habe. Sie hätten von seiner Mutter verlangt, dass sie den BF auffordern solle, zurück nach Afghanistan zu kommen, ansonsten würden sie ihr etwas antun. Bei einer Rückkehr in seine Heimat habe er Angst um sein Leben und das seiner Mutter. Er habe außerdem keine Unterkunft und seine Heimatstadt sei vollkommen unter der Kontrolle der Taliban. Wenn die Taliban erfuhren, dass er in Syrien gekämpft habe, würden sie ihn töten. Die afghanische Polizei werde ihn festnehmen, weil er als Spion gelte, da er für die iranische Regierung gekämpft habe. Die Änderungen seiner Fluchtgründe seien ihm seit Ende 2016 bekannt.

13. Am 19.03.2021 wurde der BF vom BFA niederschriftlich einvernommen. Er gab an, dass er Medikamente gegen Schlaflosigkeit und Depressionen nehme.

Zur geplanten Vorgehensweise des BFA, seinen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz aufzuheben, brachte der BF vor, dass er einen Folgeantrag gestellt habe und darin neue Gründe angegeben habe, die er in seinem Vorverfahren nicht angegeben habe. Er habe im Iran einen Reisepass gehabt, dieser sei zehn Jahre gültig gewesen. Der Reisepass sei bei seiner Familie im Iran gewesen. Ein guter Freund habe den BF überredet, dass er diesem seinen Reisepass gebe und einige Informationen über sein Leben. Der Freund sei mit diesem Reisepass zweimal nach Syrien gereist und habe an Kämpfen teilgenommen. Das zweit Mal sei er nicht zurückgekommen. Von seinem Freund lebten drei Brüder in Afghanistan, in der Ortschaft in der auch seine Mutter gelebt habe. Die Brüder hätten den BF angerufen und bedroht, weshalb er seinen Reisepass und Informationen weitergegeben habe. Aus Angst vor ihnen sei seine Mutter aus Afghanistan in den Iran geflüchtet. Aus diesem Grund könne er nicht nach Afghanistan zurückkehren. Der BF würde von der Familie getötet werden. Den Reisepass habe er Ende 2016 weitergegeben.

14. Am Ende dieser Einvernahme wurde mit dem verfahrensgegenständlich mündlich verkündeten Bescheid des BFA vom XXXX 2021 der faktische Abschiebeschutz des BF gemäß § 12a Abs. 2 AsylG aufgehoben.

15. Mit Beschluss des BVwG vom 11.05.2021, GZ W148 2172522-3/4E wurde die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes für rechtmäßig erklärt.

16. Am 23.07.2021 legte das Bundesamt den ggst. Verwaltungsakt zur amtswegigen Überprüfung der weiteren Anhaltung in Schubhaft über das vierte Monat hinaus gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG dem BVwG vor. Das vierte Monat der Anhaltung ist am 06.08.2021 erreicht.

17. Am 30.07.2021 langte beim BVwG eine auf § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG gestützte Schubhaftbeschwerde des BF - eingebracht durch seine Vertretung- ein.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Akt des Bundesamtes und dem Akt des Bundesverwaltungsgerichtes sowie den in das Verfahren eingebrachten Akten des Vorverfahrens W148 2172522-3. Einsicht genommen wurde weiters in das Melderegister, in das Strafregister sowie in die Anhaltedatei des BMI.

3. rechtliche Beurteilung

Zu A)

Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG idgF die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.

Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakten rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Die amtswegige Überprüfung durch das BVwG hätte daher im ggst. Fall spätestens mit 06.08.2021 ergehen müssen (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0163, Rz. 11) . Gleichzeitig verbleibt dem BVwG ein Spielraum zur Entscheidung von einer Woche vor diesem Termin (VwGH 16.7.2020, Ra 2020/21/0099).

Gemäß § 22a Abs. 4 letzter Satz BFA-VG hat diese Überprüfung zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde. Im ggst. Fall wurde am 30.07.2021, abends eine Beschwere gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG seitens des BF eingebracht. Die Frist für den Fortsetzungssauspruch des § 22a Abs. 3 BFA-VG hinsichtlich dieser „normalen“ Schubhaftbeschwerde fällt somit auf den 05.08.2021 und endet somit vor dem Entscheidungszeitraum der ggst. amtswegigen Haftüberprüfung.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. Die Entscheidung über die Verfahrenseinstellung war daher in der Rechtsform des Beschlusses zu treffen (vgl. VwGH vom 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

§ 28 Abs. 1 VwGVG legt nicht fest, wann das Verfahren einzustellen ist, sodass insoweit auf die diese Frage regelnden Vorschriften abzustellen ist. Gemäß § 22a Abs. 4 letzter Satz BFA-VG hat daher das Verfahren über amtswegige Haftüberprüfung nach dieser Bestimmung zu entfallen, da im Entscheidungszeitraum dieses Verfahrens eine Schubhaftbeschwerde gemäß Abs. 1 leg. cit. eingebracht wurde.

Das ggst. Verfahren war daher gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG mit Beschluss einzustellen.

Zu B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung. Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Beschwerdeeinbringung Entscheidungsfrist Schubhaft Verfahrenseinstellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2172522.4.00

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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