Entscheidungsdatum
02.08.2021Norm
AlVG §17Spruch
W237 2244704-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Martin WERNER als Vorsitzenden sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf NORTH und Mag. Jutta HAIDNER als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Tulln vom 26.04.2021 betreffend Zuerkennung von Arbeitslosengeld ab 26.04.2021 nach Beschwerdevorentscheidung vom 12.07.2021 zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerdevorentscheidung vom 12.07.2021 wird infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde behoben.
II. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 46 Abs. 7 AlVG als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Bescheid vom 26.04.2021 stellte das Arbeitsmarktservice Tulln (im Folgenden: AMS) fest, dass dem Beschwerdeführer ab 26.04.2021 Arbeitslosengeld gebühre. Begründend hielt das AMS fest, dass der Beschwerdeführer den Antrag auf Arbeitslosengeld (erst) an diesem Tag gestellt habe.
2. Der Beschwerdeführer erhob mit Schreiben vom 29.04.2021 gegen diesen Bescheid Beschwerde und begehrte die Änderung des Zuerkennungsdatums für seinen Anspruch auf Arbeitslosengeld auf den 08.04.2021. Begründend führte er aus, er habe bereits am 28.01.2021, also vor Eintritt seiner Arbeitslosigkeit, einen Antrag auf Arbeitslosengeld gestellt. Mit von ihm nicht angefochtenem Bescheid vom 08.02.2021 habe ihm das AMS mitgeteilt, dass sein Anspruch ruhe, weil er einen Anspruch auf Urlaubsersatzleistung habe. Er habe die Rechtsmittelbelehrung dieses Bescheids nicht gelesen und somit nicht gewusst, dass er vor Ablauf des Ruhenszeitraums einen neuen Antrag stellen müsse. Nur durch Zufall habe er das am 26.04.2021 erfahren, worauf er umgehend einen Antrag gestellt habe. Es sei für den Beschwerdeführer nicht nachvollziehbar, warum er als Arbeitsloser zwei Anträge stellen müsse, insbesondere nachdem er seinen Antrag ursprünglich rechtzeitig gestellt habe. Er ersuche somit um Zuerkennung des Arbeitslosengeldes ab 08.04.2021, zumal er eine Familie mit fünf Kindern zu versorgen habe.
3. Mit näher begründeter Beschwerdevorentscheidung vom 12.07.2021 wies das AMS die Beschwerde ab.
4. Am 21.07.2021 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Vorlage seiner Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Das AMS legte dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss des Verwaltungsakts am 26.07.2021 vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der Beschwerdeführer war nach mehrjähriger beruflicher Tätigkeit bis 31.01.2021 bei einem näher genannten Unternehmen vollversicherungspflichtig beschäftigt. Von 01.02.2021 bis 08.04.2021 bezog er eine Urlaubsersatzleistung. Am 28.01.2021 stellte der Beschwerdeführer mittels elektronisch ausgefüllten Formulars beim AMS einen Antrag auf Arbeitslosengeld, das er beginnend mit 01.02.2021 geltend machte.
Mit Bescheid vom 08.02.2021 stellte das AMS fest, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld wegen des Bestehens der Urlaubsersatzleistung von 01.02.2021 bis 08.04.2021 ruhe. In dem Bescheid ist nach der Rechtsmittelbelehrung ein Vermerk enthalten, wonach eine Weitergewährung des Arbeitslosengeldes nur möglich sei, wenn der Beschwerdeführer nach Wegfall des Ruhenstatbestands neuerlich einen Antrag auf Arbeitslosengeld stelle. Nach Erhalt des Bescheides erhob der Beschwerdeführer dagegen kein Rechtsmittel.
Der Beschwerdeführer stellte – nach Nachfrage beim AMS – am 26.04.2021 einen Antrag auf Arbeitslosengeld mit Geltendmachung am selben Tag. Seit diesem Tag bezieht der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen ergeben sich zur Gänze aus dem vorgelegten Verwaltungsakt, in dem auch die Übersichten über den Bezug des Beschwerdeführers von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung aufliegen. Der festgestellte Sachverhalt ist unstrittig; dass der Beschwerdeführer den Bescheid des AMS vom 08.02.2021 erhielt und kein Rechtsmittel dagegen erhob, gab er in der Beschwerde selbst an.
3. Rechtliche Beurteilung:
Der angefochtene Bescheid datiert auf den 26.04.2021. Die der belangten Behörde am 29.04.2021 übermittelte Beschwerde ist somit gemäß § 7 Abs. 4 erster Satz VwGVG jedenfalls rechtzeitig.
Zu A I.)
Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung durch das AMS betrug gemäß § 56 Abs. 2 AlVG zehn Wochen. Die Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid langte am 29.04.2021 beim AMS ein. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung endete sohin mit Ablauf des 08.07.2020. Die auf den 12.07.2021 datierende und – ausweislich des im Akt aufliegenden Rückscheins in Kopie – erst am 14.07.2021 durch Hinterlegung zugestellte Beschwerdevorentscheidung erweist sich damit als verspätet.
Wird eine Beschwerdevorentscheidung erst nach Ablauf der Frist zur Erlassung derselben erlassen, so ist diese infolge Unzuständigkeit der Behörde mit Rechtswidrigkeit behaftet, sodass sie im Falle der Erhebung eines Vorlageantrags vom Verwaltungsgericht (von Amts wegen, vgl. § 27 VwGVG) zu beheben und über die Beschwerde zu entscheiden ist (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte², § 14 VwGVG, K 7).
Die Beschwerdevorentscheidung ist somit infolge Unzuständigkeit der Behörde (ersatzlos) zu beheben.
Zu A II.)
3.1. Die im vorliegenden Fall maßgebliche Bestimmung des Arbeitslosenversicherungs-gesetzes 1977 (AlVG) lautet:
„Geltendmachung des Anspruches auf Arbeitslosengeld
§ 46. (1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ist bei der zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich geltend zu machen. Für die Geltendmachung des Anspruches ist das bundeseinheitliche Antragsformular zu verwenden. Personen, die über ein sicheres elektronisches Konto beim Arbeitsmarktservice (eAMS-Konto) verfügen, können den Anspruch auf elektronischem Weg über dieses geltend machen, wenn die für die Arbeitsvermittlung erforderlichen Daten dem Arbeitsmarktservice bereits auf Grund einer Arbeitslosmeldung oder Vormerkung zur Arbeitsuche bekannt sind; sie müssen jedoch, soweit vom Arbeitsmarktservice keine längere Frist gesetzt wird, innerhalb von 10 Tagen nach elektronischer Übermittlung des Antrages persönlich bei der regionalen Geschäftsstelle vorsprechen. Das Arbeitsmarktservice kann die eigenhändige Unterzeichnung eines elektronisch eingebrachten Antrages binnen einer gleichzeitig zu setzenden angemessenen Frist verlangen, wenn Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Geltendmachung bestehen. Der Anspruch gilt erst dann als geltend gemacht, wenn die arbeitslose Person bei der regionalen Geschäftsstelle zumindest einmal persönlich vorgesprochen hat und das vollständig ausgefüllte Antragsformular übermittelt hat. Das Arbeitsmarktservice kann vom Erfordernis der persönlichen Vorsprache absehen. Eine persönliche Vorsprache ist insbesondere nicht erforderlich, wenn die arbeitslose Person aus zwingenden Gründen, wie Arbeitsaufnahme oder Krankheit, verhindert ist, den Antrag persönlich abzugeben. Die Abgabe (das Einlangen) des Antrages ist der arbeitslosen Person zu bestätigen. Können die Anspruchsvoraussetzungen auf Grund des eingelangten Antrages nicht ohne weitere persönliche Vorsprache beurteilt werden, so ist die betroffene Person verpflichtet, auf Verlangen bei der regionalen Geschäftsstelle vorzusprechen. Hat die regionale Geschäftsstelle zur Klärung der Anspruchsvoraussetzungen, etwa zur Beibringung des ausgefüllten Antragsformulars oder von sonstigen Unterlagen, eine Frist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gesetzt und wurde diese ohne triftigen Grund versäumt, so gilt der Anspruch erst ab dem Tag als geltend gemacht, ab dem die beizubringenden Unterlagen bei der regionalen Geschäftsstelle eingelangt sind.
(2) – (5) […]
(6) Hat die arbeitslose Person den Eintritt eines Unterbrechungs- oder Ruhenstatbestandes wie zB die bevorstehende Aufnahme eines Dienstverhältnisses ab einem bestimmten Tag mitgeteilt, so wird der Bezug von Arbeitslosengeld ab diesem Tag unterbrochen. Tritt der Unterbrechungs- oder Ruhenstatbestand nicht ein, so genügt für die Geltendmachung die Wiedermeldung bei der regionalen Geschäftsstelle. Die Wiedermeldung kann telefonisch oder elektronisch erfolgen, soweit die regionale Geschäftsstelle nicht ausdrücklich eine persönliche Wiedermeldung vorschreibt. Die regionale Geschäftsstelle kann die persönliche Wiedermeldung insbesondere vorschreiben, wenn Zweifel an der Verfügbarkeit zur Arbeitsvermittlung bestehen oder eine persönliche Abklärung zur Wahrung oder Verbesserung der Vermittlungschancen erforderlich ist. Erfolgt die Wiedermeldung nicht binnen einer Woche nach der Unterbrechung, so gebührt das Arbeitslosengeld erst wieder ab dem Tag der Wiedermeldung.
(7) Ist der regionalen Geschäftsstelle das Ende des Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraumes im Vorhinein bekannt und überschreitet die Unterbrechung oder das Ruhen den Zeitraum von 62 Tagen nicht, so ist von der regionalen Geschäftsstelle ohne gesonderte Geltendmachung und ohne Wiedermeldung über den Anspruch zu entscheiden. Die arbeitslose Person ist in diesem Fall im Sinne des § 50 Abs. 1 verpflichtet, den Eintritt in ein Arbeitsverhältnis oder sonstige maßgebende Änderungen, die im Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraum eintreten, der regionalen Geschäftsstelle zu melden. In allen übrigen Fällen ist der Anspruch neuerlich geltend zu machen.“
3.2. Soweit das AMS dem Beschwerdeführer mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.04.2021 Arbeitslosengeld ab dem 26.04.2021 zuerkannte, ohne den davor liegenden Teil des Anspruchs formell abzuweisen, ist festzuhalten, dass in der Begründung des Bescheids ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe erst am 26.04.2021 den Antrag auf Arbeitslosengeld beim AMS gestellt (weshalb ihm dieses erst ab diesem Tag gebühre). Der Spruch des angefochtenen Bescheids ist daher im Sinne einer Abweisung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom 09.04.2021 (also dem ersten Tag nach Ende des Anspruchs auf Urlaubsersatzleistung) bis 25.04.2021 zu verstehen (vgl. VwGH 23.10.2002, 2002/08/0041; 22.02.2012, 2010/08/0103).
3.3. Dies erfolgte auch zu Recht:
3.3.1. § 46 AlVG stellt eine umfassende Regelung der Rechtsfolgen fehlerhafter oder unterlassener fristgerechter Antragstellungen dar. Diese abschließende Normierung lässt es nicht zu, die Folgen einer (irrtümlich) unterlassenen rechtzeitigen Antragstellung (bzw. Wiedermeldung) nachträglich zu sanieren, zumal selbst ein Arbeitsloser, der auf Grund einer von einem Organ des Arbeitsmarktservice schuldhaft erteilten unrichtigen Auskunft einen Schaden erleidet, prinzipiell nur auf die Geltendmachung allfälliger Amtshaftungsansprüche verwiesen ist (vgl. in diesem Zusammenhang aber die der zuständigen Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eingeräumte Ermächtigungsbefugnis nach § 17 Abs. 4 AlVG, auf deren Ausübung jedoch ebenfalls kein Rechtsanspruch besteht). Die formalisierte Antragstellung im Sinne des § 46 AlVG, der eine abschließende Regelung enthält, schließt also selbst eine Bedachtnahme auf Fälle unverschuldet unterbliebener Antragstellung aus (vgl. VwGH 23.05.2007, 2006/08/0330; 22.12.2009, 2007/08/0245; 22.02.2012, 2010/08/0103).
3.3.2. § 46 Abs. 7 letzter Satz AlVG sieht vor, dass der Antrag auf Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung „neuerlich geltend zu machen“ ist, wenn der Unterbrechungs- oder Ruhenszeitraum die Dauer von 62 Tagen übersteigt.
Dies war vorliegend der Fall: Der Beschwerdeführer bezog für die Dauer von 67 Tagen eine Urlaubsersatzleistung und hätte – ungeachtet der Stellung seines Antrags auf Arbeitslosengeld bereits am 28.01.2021 – neuerlich einen Antrag stellen müssen (dies wurde ihm vom AMS im Bescheid vom 08.02.2021 auch ausdrücklich mitgeteilt). Eine solche neuerliche Antragstellung hätte nach dem klaren Wortlaut des § 46 Abs. 7 AlVG nur dann unterbleiben können, wenn er die Urlaubsersatzleistung höchstens 62 Tage bezogen hätte.
3.3.3. Angesichts dieser klaren Rechtlage erging der das Arbeitslosengeld erst ab dem 26.04.2021 – also dem Tag der neuerlichen Antragstellung und Geltendmachung – zuerkennende (bzw. den Anspruch zwischen 09.04. und 25.04.2021 abweisende) Bescheid der belangten Behörde zu Recht. Nachsichts- oder Kulanzmöglichkeiten sieht das Gesetz nicht vor.
3.4. Die Beschwerde ist daher abzuweisen.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 VwGVG Abstand genommen werden, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt. Der entscheidungsmaßgebliche Sachverhalt (s. Pkt. II.1) wurde vom Beschwerdeführer nicht bestritten und warf er mit seinem Beschwerdevorbringen lediglich rechtliche Fragen auf.
Bei Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt es sich zwar um "civil rights" iSd Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 24.11.2016, Ra 2016/08/0142, mwN). Im vorliegenden Fall liegen jedoch angesichts der obigen Ausführungen keine entscheidungserheblichen widersprechenden prozessrelevanten Behauptungen vor, die es erforderlich machen würden, dass sich das Gericht im Rahmen einer mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien verschafft (vgl. zu den Fällen, in denen von Amts wegen eine mündliche Verhandlung durchzuführen ist, etwa VwGH 07.08.2017, Ra 2016/08/0171). Auch wurde eine solche Verhandlung vom Beschwerdeführer nicht beantragt. Im Ergebnis stehen dem Entfall der Verhandlung daher weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen.
Zu B)
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung; des Weiteren ist die vorliegende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die maßgebliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 46 AlVG (unter der Begründung zu Spruchteil A auszugsweise zitiert) ist im Lichte des Falles klar und kohärent.
Schlagworte
Antragsprinzip Arbeitslosengeld Beschwerdevorentscheidung Fristablauf Geltendmachung Unzuständigkeit UrlaubsersatzleistungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W237.2244704.1.00Im RIS seit
15.09.2021Zuletzt aktualisiert am
15.09.2021