TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/4 W155 2244780-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2021
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Entscheidungsdatum

04.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs1
BFA-VG §22a Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
VwGVG §35

Spruch


W155 2244780-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. KRASA über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger der demokratischen Volksrepublik Algerien, vertreten durch RA Gregor Klammer, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen und die Anhaltung in Schubhaft seit 04.06.2021 für rechtmäßig erklärt.

II. Die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft liegen zum Zeitpunkt der Entscheidung vor.

III. Der Antrag des Beschwerdeführers auf Kostenersatz wird abgewiesen.

IV. Der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesministerium für Inneres) den Verfahrensaufwand in Höhe von 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführe (BF), reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 21.12.2017 im Stande der Untersuchungshaft einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 25.06.2018 wurde der BF vom einem Landesgericht für Strafsachen zu Zl. XXXX , wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, Abs 2 Z 1, 130 Abs 3, 15 StGB und wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von dreieinhalb Jahren verurteilt.

Mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (belangte Behörde) den Antrag auf internationalen Schutz vom 21.12.2017 hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten und hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien ab (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt V.), aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt VI.). Außerdem stellte sie fest, dass keine Frist zur freiwilligen Ausreise besteht (Spruchpunkt VII.) und erließ gegen den BF ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VIII.).

Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom XXXX , Zl. XXXX als unbegründet ab und erteilte keinen Aufenthaltstitel aus besonders schutzwürdigen Gründen (§57AsylG). Das Erkenntnis erwuchs in Rechtskraft.

Am 28.01.2021 beantragte die belangte Behörde bei der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien die Zustimmung für ein Heimreisezertifikat.

Am 26.04.2021 wurde seitens der belangten Behörde ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet und dem BF nachweislich eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme zugestellt. Er nutzte die Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme, in der er Fragen zu seinen Angehörigen, seiner finanziellen und beruflichen Situation, seines Gesundheitszustandes und sozialen Kontakten beantwortete.

Am 28.04.2021 erfolgte eine Urgenz hinsichtlich der Ausstellung des HRZ bei der algerischen Botschaft ohne Rückmeldung.

Mit Bescheid vom XXXX ordnete die belangte Behörde über den BF die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung der Abschiebung an und stellet fest, dass die Rechtsfolgen des Bescheides nach Entlassung aus der Haft eintreten. Begründet wurde die Fluchtgefahr im Wesentlichen mit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung samt zehnjährigem Einreiseverbot und der mangelnden Vertrauenswürdigkeit aufgrund seines Vorverhaltens. Der BF werde auch künftig nicht gewillt sei, die Rechtsvorschriften einzuhalten. Des Weiteren wurde begründet, dass der BF nicht ausreise- und rückkehrwillig sei und auch keine Bestrebungen angestellt habe, sich selbständig um ein Reisedokument zu bemühen. Aufgrund der fehlenden Rückkehrbereitschaft sei naheliegend, dass der BF jegliche Chance nutzen werde, um sich der drohenden Rückkehr zu entziehen. Die Schubhaft sei insbesondere aufgrund des strafrechtlichen Fehlverhaltens des BF verhältnismäßig.

Der BF verbüßte die Freiheitsstrafe in einer Justizanstalt bis 04.06.2021, er wurde bedingt entlassen.

Am 04.06.2021 wurde der BF in Schubhaft gesetzt.

Am 29.06.2021 stellt der BF im Stande der Schubhaft einen Asylfolgeantrag und wurde von der belangten Behörde ein Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG erstellt. Darin wurde festgehalten, dass Gründe zur Annahme bestünden, dass der BF den Folgeantrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt habe.

Am 27.07.2021 wurde die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft überprüft, bejaht und in einem Aktenvermerk gemäß § 80 FPG festgehalten, dass der BF nicht oder mangelhaft bei der Beschaffung eines Ersatzreisedokumentes mitgewirkt habe, keine gesicherte Unterkunft, kein gesichertes Einkommen, nicht oder mangelhaft bei der Identitätsprüfung mitgewirkt habe und über keine berufliche sowie keine familiäre Integration verfüge.

Am 28.07.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht die nunmehr verfahrensgegenständliche Beschwerde ein. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Abschiebung des BF nicht sichergestellt sei und die Behörde versuche, seit Jänner 2021 ein HRZ zu erlangen. Ein solches läge bis dato nicht vor. Die Behörde habe bei Bescheiderstellung gewusst, dass ein solches nicht vorliegen werde. Die Schubhaft diene nicht zur Verlängerung der Strafhaft, wenn eine Abschiebung nicht möglich sei. Beim BF bestehe kein Grund unterzutauchen, sondern würde er um Aufnahme in die Grundversorgung ansuchen. Die belangte Behörde habe die Prüfung eines gelinderen Mittels oberflächlich vorgenommen. Nicht abschiebbare Fremde wären von der Grundversorgung erfasst und wäre eine regelmäßige Meldung bei der Polizei anzuordnen gewesen.

Am 29.07.2021 langte der Verwaltungsakt beim Bundesverwaltungsgericht samt Stellungnahme der belangten Behörde ein.

Am 30.07.2021 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht die Abteilung für Heimreisezertifikate um Beantwortung der Fragen betreffend die Zusammenarbeit mit den Algerischen Vertretungsbehörden, ob aktuell freiwillige Ausreisen nach Algerien möglich seien und wann realistisch mit einer Abschiebung des BF zu rechnen sei. Die Beantwortung der Fragen erfolgte noch am selben Tag und wurde dem BF umgehend diese Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs übermittelt.

In Rahmen einer Stellungnahme führte der Rechtsvertreter des BF aus, dass im Schubhaftbescheid stünde, dass eine Ausstellung des HRZ nicht absehbar sei und nun von einem voraussichtlichen Termin im September die Rede wäre. Die Behörde hätte dies schon vor Bescheiderlassung gewusst. Es sei vielmehr anzunehmen, dass eine Ausstellung eines HRZ tatsächlich nicht absehbar sei. Die Befragung eines Mitarbeiters des Innen/Außenministeriums, welcher bei hochrangigen Gesprächen beteiligt gewesen sei, wurde beantragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zur Person des BF

Der BF ist nach seinen Angaben Staatsangehöriger von Algerien. Im Fremdenregister sind etliche Alias-Namen bzw. Alias-Identitäten des BF eingetragen. Seine Identität steht daher nicht zweifelsfrei fest.

Der BF ist nicht österreichischer Staatsagehöriger.

Der BF wurde nach der illegalen Einreise in das österreichische Bundesgebiet unter einer anderen als der im Spruch genannten Identität XXXX ) straffällig und wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls und des Vergehens der Urkundenunterdrückung rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren verurteilt.

Es besteht gegen den BF eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot von 10 Jahren.

Der BF befindet sich seit 04.06.2021 in Schubhaft.

Das Verfahren zu dem in der Schubhaft gestellten Asylfolgeantrag ist noch anhängig. Die belangte Behörde beabsichtigt, diesen Folgeantrag auf Grund des bisherigen Ermittlungsverfahrens wegen entschiedener Sache zurückzuweisen. Der BF ist zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung weder asylberechtigt noch subsidiär schutzberechtigt, aber aufenthaltsberechtigt.

Der BF hielt sich nach eigenen Angaben in Belgien auf, wo er wegen wiederholten Diebstahls inhaftiert war. Eingeholte ECRIS-Auskünfte auch zu den vom BF angegebenen Aliasnamen – weisen jedoch keine Vorstrafen aus.

Der BF ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim BF vor. Der BF hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Der BF nimmt Medikamente gegen Epilepsie.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder oder andere Sorgepflichten. Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich und verfügt über keine engen sozialen Anknüpfungspunkte.

Der BF war außer in Justizanstalten, nie meldeamtlich erfasst.

Zur Fluchtgefahr, zum Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft

Der BF verhielt sich nicht kooperativ und rückreise-/ausreisewillig.

Der BF ist nicht vertrauenswürdig.

Der BF missachtet die österreichische Rechtsordnung, er wurde straffällig.

Er verfügt über keine ausreichenden finanziellen Mittel zur Existenzsicherung. Er ist nicht selbsterhaltungsfähig.

Es ist davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Entlassung aus der Schubhaft untertauchen und zur Erzielung seines Unterhaltes illegalen Tätigkeiten (ua., Diebstahl) nachgehen wird.

Das Verfahren zur Erlangung eines HRZ wurde bereits eingeleitet und ist zu erwarten, dass ein Interviewtermin für Anfang September möglich sein wird. Mit der Ausstellung eines HRZ ist innerhalb der zulässigen gesetzlichen Anhaltedauer zu rechnen. Flugverbindungen zwischen Algier und einigen Mitgliedstaaten der europäischen Union wurden wiederaufgenommen, Wien ist noch nicht dabei.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in die vorgelegten Verwaltungsakten der belangten Behörde, in das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX , durch Einsichtnahme in das Zentrale Fremdenregister, in das Strafregister, in das Strafurteil, in das Zentrale Melderegister, in das Grundversorgungsinformationssystem sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

Zur Person des BF

Die Identität des BF steht nicht fest, da er im Verfahren keinen Nachweis über seine Identität vorgelegt hat. Er ist unter verschieden alias – Identitäten aufgetreten.

Dass der BF die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt ist im Verfahren nicht hervorgekommen.

Die Feststellungen zur Rückkehrentscheidung sowie zum Einreiseverbot ergeben sich aus dem vorgelegten Bescheid der belangten Behörde vom XXXX in Zusammenschau mit dem beschwerdeabweisenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom XXXX im Asylverfahrens des BF.

Die Anhaltungen in Strafhaft und Schubhaft ergeben sich aus dem Akt der belangten Behörde sowie aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

Die Feststellungen zur familiären Situation und sozialen Verankerung im Bundesgebiet ergibt sich aus den Angaben des BF, insbesondere in seiner Stellungnahme vom 30.04.2021.

Dass der Beschwerdeführer nicht beschäftigt gewesen ist, ergibt sich aus der fehlenden Anmeldung bei der Sozialversicherung.

Zur Fluchtgefahr, zum Sicherungsbedarf und zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft

Die Feststellungen zur fehlenden Kooperationsbereitschaft, der Unwilligkeit das österreichische Bundesgebiet zu verlassen und seine Vertrauensunwürdigkeit ergeben sich aus seinem bisherigen Verhalten. Er legte seine Identität nicht offen, nimmt immer wieder alias Identitäten an und konnte sich nicht mit einem Dokument (Reisepass) ausweisen. Er missachtet die österreichische Rechtsordnung, indem er straffällig wurde, wie sich aus dem Strafregisterauszug und dem vorgelegten Urteil des Landesgerichtes ergibt. Der BF hat durch mehrere Einbruchsdiebstähle in Wohnstätten fremde bewegliche Sachen mit dem Vorsatz sich unrechtmäßig zu bereichern, weggenommen und verfügte über eine Urkunde, (Reisepass) über die er nicht verfügen durfte. Im Hinblick darauf, dass der BF kurz nach seiner Einreise, bevor er noch einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, mehrere Einbruchsdiebstähle verübt bzw. versucht hat, sich eine fortlaufende Einnahmequelle über einen Zeitraum von zumindest mehrere Monate zu verschaffen, um seiner Vermögens- und Einkommenslosigkeit entgegenzuwirken, liegt für das erkennende Gericht eine Vertrauensunwürdigkeit vor. Den Feststellungen betreffend die mangelnde Vertrauenswürdigkeit des BF wurde in der Beschwerde nicht substantiiert entgegengetreten. Der BF hatte in Österreich nie einen ordentlichen Wohnsitz, sondern war in Haft. Gesundheitliche Probleme wurden in der Beschwerde nicht behauptet. Nach eigene Angaben am 30.04.2021, nimmt der BF Medikamente gegen Epilepsie. Dass diese die Haftfähigkeit nicht beeinträchtigen, hat schon der Aufenthalt in der Strafhaft ergeben. Dass der BF nicht ausreisewillig ist, ergibt sich zudem aus den Rückkehrberatungsgesprächen mit der BBU am 14.01.2021 und 08.02.2021. Es ist daher davon auszugehen, dass der BF jegliche Chance nutzen wird, um sich einer drohenden Rückkehr zu entziehen.

Die Feststellung zur Erlangung eines HRZ ergeben sich aus dem Verwaltungsakt und dem Vorlageschreiben der belangten Behörde. Dass ein Interviewtermin Anfang September, wenn der algerische Konsul wieder in Österreich ist, organisiert werden kann, ergibt sich im Wesentlichen aus der Anfragebeantwortung der HRZ Abteilung vom 30.07.2021. Für das erkennende Gericht sind die Ausführungen der HRZ Abteilung glaubwürdig und werden „hochrangige Gespräche“ von Mitarbeitern des Innenministeriums nicht in Zweifel gezogen. Ebenso ist damit zu rechnen, dass nach Wiederaufnahme des Flugverkehrs zwischen Algerien und einigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union auch die Wiederaufnahme des direkten Flugverkehrs zwischen Algier und Wien erfolgen wird. Die realistische Möglichkeit einer Abschiebung des BF innerhalb der gesetzlichen Zeitspanne für die Anhaltung in Schubhaft besteht somit aus aktueller Sicht. Es liegen im Entscheidungszeitpunkt keine Hinweise vor, wonach die Erlangung eines HRZ von Algerien und eine Abschiebung innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer nicht möglich wäre.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A)

§§ 76, 77 und 80 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 22a Abs. 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten:

Schubhaft (FPG)

„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1.       dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2.       dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3.       die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen. 

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1.       ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a.      ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2.       ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3.       ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4.       ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5.       ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6.       ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a.       der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b.       der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c.       es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7.       ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8.       ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9.       der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“

Gelinderes Mittel (FPG)

„§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder2. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“

Dauer der Schubhaft (FPG)

„§ 80 (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich

1.       drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2.       sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.

(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.

(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.

(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.

(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“

Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)

„§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

Zur Judikatur

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).

Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).

„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt – ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG – einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung und Fortsetzung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft) – möglich ist.

Der BF bringt in der Beschwerde im Wesentlichen vor, dass er keinen Grund habe unterzutauchen. Er würde die Aufnahme in die Grundversorgung suchen, falls nicht der eine oder andere Freund bereit wäre, ihn bei sich wohnen zu lassen.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus:

Dabei ist gemäß § 76 Abs. 3 Z 1 FPG zu berücksichtigen, ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert. Mit dem beschwerdeabweisenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX wurde die Rückkehrentscheidung betreffend den BF rechtskräftig. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der BF noch in Strafhaft.

Gemäß § 76 Abs. 3 Z 3 FPG ist bei der Beurteilung der Fluchtgefahr zu berücksichtigen, ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz entzogen hat. Unbestritten lag gegen den BF eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung vor und konnte das Verfahren zur aufenthaltsbeendenden Maßnahme eingeleitet werden. Diesem Verfahren hat sich nun der BF durch einen Asylfolgeantrag entzogen und hat die belangte Behörde gemäß § 76 Abs. 6 FPG einen Aktenvermerk erstellt, weil Gründe zur Annahme vorlagen, dass der vom BF am 29.06.2021 im Stande der Schubhaft gestellten Folgeantrag zur Verzögerung der Vollstreckung der aufenthaltsbeenden Maßnahme dient. Z3 des § 76 Abs. 3 ist damit erfüllt. Im Übrigen ist der Stellungnahme der belangten Behörde vom 29.07.2021 zu entnehmen, dass auf Grund des bisherigen Ermittlungsverfahrens davon auszugehen sein wird, dass entschiedene Sache vorliegt (wie in den meisten Fällen).

Bei der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, sind gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG der Grad der sozialen Verankerung des Fremden in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes zu berücksichtigen.

Der BF verfügt über keine ausreichenden Existenzmittel und übte keine Erwerbstätigkeit in Österreich aus. Im Gegenteil hat er sich durch wiederkehrende Einbruchsdiebstähle eine fortlaufende Einnahmequelle verschafft. Er war nie ordentlich gemeldet und hat vermutlich zwischen seiner Einreise und seiner Strafhaft illegal Unterschlupf gefunden. Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich. Dass er bei dem einen oder anderen Freund nach seiner Entlassung Unterkunft finden könnte wurde nicht substantiiert vorgetragen. Der Grad seiner sozialen Verankerung in Österreich ist daher insgesamt als gering zu beurteilen. § 76 Abs. 3 Z 9 FPG liegt daher gegenständlich ebenfalls vor.

Wie die Behörde im Mandatsbescheid vom XXXX sieht auch die erkennende Richterin die Tatbestände der Z 3 und Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG als erfüllt an und ist von einer erheblichen Fluchtgefahr auszugehen.

Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung ergibt, dass eine Vielzahl an Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Im Fall des BF ist ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben. In Österreich befinden sich keine Familienangehörige des BF, er verfügt über keine ausreichenden Mittel zur Existenzsicherung und er ging nie einer legalen Beschäftigung nach. Bei seinem Vorverhalten und der geringen sozialen Verankerung in Österreich ist der BF im hohen Maße als fluchtgefährlich zu beurteilen und sind daher auch in einer Gesamtsicht Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf gegeben.

Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

Der BF ist nach illegaler Einreise wiederholt und massiv straffällig geworden und hat sich durch unrechtmäßiges Verhalten ein Einkommen verschafft. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 ½ Jahren verurteilt. Daher war das strafrechtliche Verhalten in Bezug auf Vermögensdelikte in Verbindung mit der Mittellosigkeit in die Beurteilung der Fluchtgefahr miteinzubeziehen. Es ist davon auszugehen, dass der Aufenthalt des BF die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährdet und ein besonders hohes öffentliches Interesse an der baldigen Außerlandesbringung des BF besteht. Eine erhebliche Delinquenz des Fremden kann das Gewicht des öffentlichen Interesses an der Effektivität einer baldigen Ausreise vergrößern (VwGH 25.03.2010, 2009(21/0276). Einem geordneten Fremdenwesen kommt im Hinblick auf die öffentliche Ordnung und des wirtschaftlichen Wohls des Staates ein hoher Stellenwert zu.

Betrachtet man die Interessen des BF an den Rechten seiner persönlichen Freiheit in Bezug auf seine familiären bzw. sozialen Verhältnisse im Inland zeigt sich, dass der BF keine Familienangehörigen, keine legale Erwerbstätigkeit und keine engen sozialen Kontakte im Inland vorweisen konnte, die im Rahmen der Abwägung die Entscheidung zu Gunsten einer Freilassung zu beeinflussen geeignet waren. Die persönlichen Interessen des BF wiegen daher weit weniger schwer als das erhöhte öffentliche Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung.

Der BF wird seit 04.06.2021, somit seit 2 Monaten in Schubhaft angehalten. Dass er bislang nicht abgeschoben werden konnte, ist dem Umstand geschuldet, dass der BF über kein gültiges Reisedokument verfügt und bislang auch kein Heimreisezertifikat beschafft werden konnte. Der BF hat keine Dokumente vorgelegt, die seine Identität oder Staatsangehörigkeit bescheinigen. Das Bundesamt hat das HRZ-Verfahren eingeleitet und wurde ein Interviewtermin Anfang September in Aussicht gestellt. Dass überhaupt ein HRZ-Verfahren geführt werden muss, ist ausschließlich der Sphäre des BF zuzurechnen. Der BF hat es in der Hand durch Vorlage von Dokumenten und kooperatives Verhalten seine Identifizierung zu beschleunigen und die Schubhaft zu verkürzen. Außerdem hat er in Schubhaft einen Folgeantrag gestellt, um, wie die belangte Behörde in einem Aktenvermerk festgehalten hat, die Vollstreckung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme zu verzögern. Dem BF steht jederzeit die freiwillige Rückkehr offen, wenn auch nicht direkt von Wien, eventuell über einen europäischen Mitgliedsstaat.

Da die Identität des BF noch nicht festgestellt werden konnte und auch kein HRZ vorliegt, liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 4 Z 1 und Z 2 FPG vor, sodass die höchstmögliche Schubhaftdauer im Fall des BF 18 Monate beträgt.

Wie sich aus den getroffenen Feststellungen ergibt, kann eine Abschiebung des BF – jedenfalls innerhalb dieser Frist – realistisch erwartet werden. Es ist damit zu rechnen, dass von der algerischen Botschaft zeitnah wieder Interviewtermine durchgeführt werden und direkte Flugverbindungen zwischen Algerien in Bälde wieder aufgenommen werden. Hinweise, dass eine Außerlandesbringung des BF innerhalb der höchstmöglichen Schubhaftdauer nicht möglich sein sollte, liegen zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht vor.

Die Aufrechterhaltung der seit zwei Monaten bestehenden Anhaltung des BF in Schubhaft ist zum Zeitpunkt der gegenständlichen Entscheidung im Hinblick auf das dargestellte hohe öffentliche Interesse an seiner Außerlandesbringung und auch in Hinblick darauf, dass der BF einerseits bislang keine Dokumente vorgelegt hat und das Bundesamt andererseits die Erlangung eines HRZ laufend und mit Nachdruck betreibt, als verhältnismäßig zu beurteilen.

Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Auf Grund des Vorverhaltens des BF, nämlich seine Straffälligkeit und die damit einhergehende mangelnde Vertrauenswürdigkeit kommt eine Anordnung eines gelinderen Mittels auch aus Sicht des erkennenden Gerichts auch weiterhin nicht in Betracht.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der entscheidungsrelevante Sachverhalt sich als hinreichend geklärt erwiesen hat.

Die Einvernahme eines/r Mitarbeiters/in des Innen-bzw. Außenministerium über künftige Interviewtermine bzw. Abschiebungen konnte, wie beweiswürdigend dargelegt, unterbleiben. Eine zusätzlich zu den schriftlichen Parteiengehören durchgeführte Zeugeneinvernahme hätte über den beweiserhebenden Gegenstand keinen anderen Beweis liefern können.

Zu Spruchpunkt B)

Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der eine grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Einreiseverbot Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Identität Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit Strafhaft strafrechtliche Verurteilung Ultima Ratio Verhältnismäßigkeit Verzögerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W155.2244780.1.00

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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