TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/6 W150 2240574-6

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2021
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Entscheidungsdatum

06.08.2021

Norm

BFA-VG §22a Abs4
B-VG Art133 Abs4
FPG §76
FPG §77
FPG §80

Spruch


W150 2240574-6/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geb. XXXX 1999, StA. MAROKKO, alias XXXX StA. Algerien im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl XXXX , zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung in Schubhaft zu Recht erkannt:

A)

Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden auch: „BF“), wurde am 26.11.2020 bei der versuchten illegalen Einreise nach Deutschland betreten, den österreichischen Behörden übergeben und in Folge in Schubhaft genommen.

2. Aus dem Stand der Schubhaft stellte der BF am 02.12.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab dazu im Rahmen der Erstbefragung am 03.12.2020 an, dass er private Probleme mit der Familie einer Ex-Freundin habe und seine Mutter in Frankreich besuchen wollte.

3. Mit Bescheid vom 21.12.2020 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Marokko (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Marokko zulässig ist (Spruchpunkt V.). Für die freiwillige Ausreise wurde keine Frist gewährt (Spruchpunkt VI.) und einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.)

4. Die dagegen vom BF fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch: „BVwG“) mit Erkenntnis vom 27.01.2021, GZ. I408 2238838-1/3E, als unbegründet abgewiesen und ist mittlerweile in Rechtskraft erwachsen.

5. Mit Erkenntnis vom 26.03.2021, G313 2240574-1/6E, wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Weiters wurde ein Antrag auf Verfahrenshilfe abgewiesen; die Revision wurde jeweils nicht zugelassen.

6. Mit weiteren mündlich verkündeten Erkenntnissen des BVwG vom 22.04.2021, 19.05.2021 und 14.06.2021 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen sind und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig gewesen ist.

7. Am 14.06.2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem BVwG statt, in deren Verlauf der BF neue Angaben über seine Identität und Staatsangehörigkeit machte.

8. Der BF trat vom 21.06.2021 bis 27.06.2021 in einen Hungerstreik, um seine Freilassung zu erzwingen.

9. Mit einem weiteren mündlich verkündeten Erkenntniss des BVwG vom 09.07.2021 wurde festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen sind und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig gewesen ist.

10. Der BF trat vom 23.07.2021 bis 27.07.2021 in einen Hungerstreik, um seine Freilassung zu erzwingen.

11. Am 01.08.2021 stellte der BF einen Asylfolgeantrag, den er mit seinen schon bisher geäußerten Fluchtgründen begründete, weiters, dass er in Österreich leben wolle.

12. Am 01.08.2021 wurde vom BFA dem BF mittels Aktenvermerk gemäß §76 Abs. 6 FPG der faktische Abschiebeschutz aberkannt.

13. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge auch: „BFA“ legte am 02.08.2021 den Akt zwecks Ansuchen um Genehmigung der Verlängerung der Schubhaft vor und führte in diesem Kontext abgesehen vom Verfahrensgang insbesondere aus, dass das Bundeskriminalamt am 28.07.2021 mitgeteilt hat, dass der BF von Interpol Rabat unter seiner im obigen Spruch als erstes genannten Identität identifiziert worden ist.

14. Das oben unter Punkt 13. angeführte Schreiben wurde am 02.08.2021 dem BF gemäß § 45 Abs. 3 AVG in Verbindung mit § 17 VwGVG zur Kenntnis gebracht und ihm dazu Parteiengehör eingeräumt. Als Frist für eine Stellungnahme wurde ihm dazu der 05.08.2021, 12:00 Uhr gesetzt. Eine Stellungnahme des BF dazu langte bis dato nicht ein.

15. Aufgrund eines gerichtlichen Auftrages vom 02.08.2021 übermittelte das BFA am 04.08.2021 eine aktuelle amtsärztliche Bestätigung vom gleichen Tage, welches die weitere Haftfähigkeit des BF bestätigte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1. Der Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.

2. Der BF besitzt weder die österreichische Staatsbürgerschaft, noch die Staatsbürgerschaft eines EU-Mitgliedstaates, er ist Staatsangehöriger von Marokko. Der Beschwerdeführer ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter.

3. Es besteht gegen den Beschwerdeführer eine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Maßnahme. Der BF verfügt über keinen faktischen Abschiebeschutz.

4. Der Beschwerdeführer ist haftfähig. Es liegen keine die Haftfähigkeit ausschließenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen oder Erkrankungen beim Beschwerdeführer vor. Der Beschwerdeführer hat in der Schubhaft Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Versorgung. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass der BF einer der COVID-19-Risikogruppen angehören würde.

5. Der Beschwerdeführer weist in Österreich unter seinen beiden bekannten Identitäten keine strafgerichtlichen Verurteilungen auf.

6. Der Beschwerdeführer ist weder gewillt, an der Beschaffung eines HRZ mitzuwirken, noch freiwillig in sein Heimatland zurückzukehren, machte evident wechselnde Angaben über seine Identität und Staatsangehörigkeit und erschwerte seine Identifizierung durch die Vertretungsbehörden.

8. Der BF hat mehrfach versucht, sich durch einen Hungerstreik aus der Schubhaft freizupressen.

9. Aufgrund der rezenten Identifizierung des BF durch Interpol Rabat als Marokkanischen Staatsangehörigen mit der im obigen Spruche zuerst angeführten Identität, erscheint eine baldige Erlangung eines Heimreisezertifikats (in der Folge auch: „HRZ“) realistisch. Nach Ausstellung eines HRZ ist mit einer zeitnahen Abschiebung des Beschwerdeführers zu rechnen.

10. Der BF hat in Österreich keine maßgebliche familiäre, soziale und berufliche Verankerung. Er verfügt auch nicht über ausreichende finanzielle Mittel zur Sicherung seines Unterhalts und hat auch keinen gesicherten Wohnsitz. Der BF hatte im Bundesgebiet – abgesehen von seiner Anhaltung in Schubhaft – noch nie einen ordentlichen Wohnsitz.

11. Der BF achtet die österreichische Rechtsordnung nicht. Der BF hat sich illegal in Österreich aufgehalten, ohne zunächst einen Asylantrag zu stellen. Er zeigt weiterhin seine Rückkehrunwilligkeit. Bei einer Entlassung aus der Schubhaft wird der Beschwerdeführer untertauchen und sich vor den Behörden verborgen halten um sich einer Abschiebung zu entziehen.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt, in die Akte des BVwG das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, in den Akt des BVwG das Asylverfahren des BF betreffend, in das Grundversorgungs-Informationssystem, in das Strafregister, in das Zentrale Fremdenregister, in das Zentrale Melderegister sowie in die Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres.

1. Zum Verfahrensgang, zur Person des BF und den Voraussetzungen der Schubhaft:

1.1. Der Verfahrensgang ergibt sich aus dem Akt des BFA, den Akten des BVwG das bisherige Schubhaftverfahren des BF betreffend, aus dem Akt des BVwG das Asylverfahren des BF betreffend, aus dem Auszug aus dem Zentralen Melderegister sowie aus dem Auszug aus dem Zentralen Fremdenregister und aus der Anhaltedatei-Vollzugsverwaltung des Bundesministeriums für Inneres.

1.2. Die Feststellungen zur Identität des BF beruhen auf dem Inhalt des Verwaltungsaktes, insbesondere auf den Unterlagen zur Vorbereitung seiner Abschiebung unter Bezugnahme auf jene Identitätsdaten, unter denen die Ausstellung eines Heimreisezertifikates vorgenommen wurde und vor allem die rezente Identifizierung des BF durch Interpol Rabat. Anhaltspunkte dafür, dass er die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sind im Verfahren nicht hervorgekommen, ebenso wenig besteht ein Zweifel an der Volljährigkeit des BF. Da sein Asylantrag rechtskräftig vollinhaltlich abgewiesen und über den Asylfolgeantrag noch nicht entschieden wurde, handelt es sich beim BF weder um einen Asylberechtigten noch um einen subsidiär Schutzberechtigten.

1.3. Der Zeitpunkt, seit dem der BF in Schubhaft angehalten wird, ergibt sich aus dem Verwaltungsakt und den damit übereinstimmenden Angaben in der Anhaltedatei.

1.4. Der Gesundheitszustand des BF ergibt sich vor allem aus der amtsärztlichen Bestätigung vom 04.08.2021, welches die weitere Haftfähigkeit des BF bestätigte. Auch sind dem Verwaltungsakt weder davor noch seitdem Hinweise auf gesundheitliche Probleme des BF zu entnehmen, auch in der Anhaltedatei finden sich keine Eintragungen von Arztbesuchen, die auf eine Erkrankung des BF hinweisen. Bisher gab der BF ebenfalls keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen an. Insofern konnten die Feststellungen zur Haftfähigkeit des BF getroffen werden und ergibt sich auch, dass der BF keiner der COVID-19-Risikogruppen angehört. Dass der BF Zugang zu allenfalls benötigter medizinischer Behandlung hat, ist unzweifelhaft.

2. Zur Fluchtgefahr und zum Sicherungsbedarf:

2.1. Die Feststellungen zu der mit Bescheid des BFA gegen den BF erlassenen Rückkehrentscheidung und dem unbefristet erlassenen Einreiseverbot beruhen auf einer Einsichtnahme in den Verwaltungsakt und die Akten des BVwG.

2.2. Aus der Aktenlage der Verwaltungsakten und den Gerichtsakten konnte festgestellt werden, dass der am 19.05.2021 selbst erklärt hat, fest entschlossen zu sein, sich nach Deutschland oder Italien abzusetzen, falls er freigelassen würde, weil er dort über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte verfüge. Am 09.07.2021 hob der BF hervor, er sei nicht bereit, freiwillig in den Herkunftsstaat zurückzukehren, sondern in Österreich bleiben zu wollen.

2.3. Aus der rezenten Strafregisterauskunft den vom BFA vorgelegten Urteilen ergibt sich, dass der BF unbescholten ist.

2.4. Dass der BF in Österreich über keinen eigenen gesicherten Wohnsitz verfügt ergibt sich aus dem Zentralen Melderegister. Dass der BF in Österreich weder nennenswert sozial noch beruflich verankert ist und in Österreich über keine Familienangehörigen verfügt ergibt sich aus seinen Angaben in den bisherigen Verfahren.

3. Zur Verhältnismäßigkeit der Schubhaft:

3.1. Die Feststellungen zum beantragten Heimreisezertifikat sowie den Vereitelungsversuchen des BF hinsichtlich seiner Identität, sowie seinen Versuchen, sich aus der Schubhaft freizupressen, ergeben sich aus dem Verwaltungsakt.

3.2. Die Realisierung einer zeitnahen Abschiebung aufgrund seiner nunmehr durch Interpol Rabat erfolgten Indentifizierung ergibt sich aus der unwidersprochen gebliebenen Stellungnahme der belangten Behörde.

3.3. Eine für den BF positive Änderung der Umstände für die Aufrechterhaltung der Schubhaft seit ihrer letzten Überprüfung ist dem Verwaltungsakt hingegen nicht zu entnehmen, hingegen hat er durch Hungerstreiks versucht, sich aus der Schubhaft freizupressen. Gegenteiliges ist auch im durchgeführten Ermittlungsverfahren nicht hervorgekommen.

Weitere Beweise waren wegen Entscheidungsreife nicht aufzunehmen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit:

Gemäß Artikel 130 Abs. 1 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden

1. gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit;

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

3. wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde;

4. gegen Weisungen gemäß Art. 81a Abs. 4.

Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

§ 7 Abs. 1 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), lautet:

(1) Das Bundesverwaltungsgericht entscheidet über

1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes,

2. Beschwerden gegen Bescheide der Vertretungsbehörden gemäß dem 11. Hauptstück des FPG,

3. Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG,

4. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesamtes und

5. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesministers für Inneres in Verfahren gemäß §§ 3 Abs. 2 Z 1 bis 6 und 4 Abs. 1 Z 1 und 2

Gemäß § 7 Abs. 2 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision oder der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde gegen ein Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß Abs. 1 stattgegeben hat.

Für das gegenständliche Verfahren ist sohin das Bundesverwaltungsgericht zuständig.

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft. Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A) Fortsetzungsausspruch

3.2. §§ 76, 77 und 80 Fremdenpolizeigesetz (FPG), § 22a Abs. 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten auszugsweise:

„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt

(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern

a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,

b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder

c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.

(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.

§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.

(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.

(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,

1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,

2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder

2. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;

(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird

(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.

(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.

(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.

(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.

(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.

[…]

§ 80. (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.

(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich,

1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;

2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt

(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.

(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil,

1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,

2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,

3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder

4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint

kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.“

Das BFA-VG lautet auszugsweise:

„§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“

Die Rückführungsrichtlinie lautet auszugsweise:

„Art 2. (1) Diese Richtlinie findet Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige.

[…]

Art 15. (1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, […]

(5) Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf.

(6) Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:

a. mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder,

b. Verzögerung bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.“

3.3. Zur Judikatur:

Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).

Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se vermag zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr

Bedeutung zu (vgl. VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021). In einem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist (VwGH vom 20.02.2014, 2013/21/0178).

Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FPG ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Der Behörde kommt aber dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043).

Gemäß § 80 Abs. 4 FPG darf die Anhaltung in Schubhaft nur bei Vorliegen der dort in den Z 1 bis 4 genannten alternativen Voraussetzungen höchstens achtzehn Monate dauern. Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, so beträgt die Schubhaftdauer - wie in § 80 Abs. 2 Z 2 FPG als Grundsatz normiert - nur sechs Monate. Mit § 80 Abs 4 FPG soll Art. 15 Abs. 6 RückführungsRL umgesetzt werden, sodass die Bestimmung richtlinienkonform auszulegen ist. In diesem Sinn ist auch der Verlängerungstatbestand des § 80 Abs. 4 Z 4 FPG dahingehend auszulegen, dass der Verlängerungstatbestand nur dann vorliegt, wenn das Verhalten des Beschwerdeführers kausal für die längere (mehr als sechsmonatige) Anhaltung ist. Wenn kein Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Drittstaatsangehörigen und der Verzögerung der Abschiebung festgestellt werden kann, liegen die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft gemäß § 80 Abs 4 Z 4 FPG über die Dauer von sechs Monaten nicht vor (VwGH vom 15.12.2020, Ra 2020/21/0404).

Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt - ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG - einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).

In seinem Erkenntnis zur Zahl Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 hielt der VwGH fest, dass die Frage der rechtzeitigen Erlangbarkeit eines Heimreisezertifikates bei länger andauernden Schubhaften, die gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG überprüft werden, für die weitere Verhältnismäßigkeit der Anhaltung (typischerweise) entscheidend ist. Dabei ist insbesondere relevant, ob die Bemühungen der Behörde mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erfolgsversprechend sind. Bei der Ermittlung des gefordertes Grades dieser Wahrscheinlichkeit können auch die bisherige Anhaltedauer und die Schwere der Gründe für ihre Verhängung und Aufrechterhaltung eine Rolle spielen. Bisherige Erfahrungswerte mit der jeweiligen Vertretungsbehörde können – sofern diese nachvollziehbar festgestellt und nicht bloß behauptet würden – wesentliche Anhaltspunkte für die Beurteilung bieten (vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174 vom 22.12.2020, mwN).

3.4. Der BF befindet sich zum Zeitpunkt der Entscheidung in Schubhaft, es ist daher eine Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft zu treffen.

Der Beschwerdeführer besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Ziff. 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen (Vorliegen eines Sicherungsbedarfes, das Bestehen von Fluchtgefahr sowie die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft) – möglich ist.

Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.

Im vorliegenden Fall geht das Gericht auch weiterhin von Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG aus.

Der Beschwerdeführer achtet die österreichische Rechtsordnung nicht, er ist nicht kooperativ. Der Beschwerdeführer hat unterschiedliche Identitäten angegeben, um eine Abschiebung zu verhindern. Der Beschwerdeführer verhält sich auch während seiner Anhaltung in Schubhaft nicht kooperativ. Er ist bereits zweimal in Hungerstreik getreten um seine Entlassung aus der Schubhaft zu erwirken.

Sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose haben bei dem Beschwerdeführer ein erhöhtes Risiko des Untertauchens sowie einen Sicherungsbedarf ergeben. In diesem schon fortgeschrittenen Verfahrensstadium reichen grundsätzlich weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung aus, weil hier die Gefahr des Untertauchens eines Fremden erhöht ist.

Es liegt daher weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 Z 1 und 9 FPG vor und ist auch Sicherungsbedarf gegeben.

3.5. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich weder sozial noch familiär verankert. Er hat keine Verwandten oder sonstigen engen Nahebeziehungen in Österreich. Er ist beruflich nicht verwurzelt und hat auch keinen eigenen gesicherten Wohnsitz. Der BF steht im PAZ in psychiatrischer Behandlung und ist delikts- verhandlungs- und haftfähig.

Nach Ausstellung eines Heimreisezertifikats erfolgt umgehend eine Abschiebung des Beschwerdeführers. Die Ausstellung des Heimweisezertifikats scheint derzeit als sehr wahrscheinlich, da der BF von Interpol Rabat vor kurzem identifiziert wurde. Die bisherige Anhaltedauer ist dem BF selbst zuzurechnen, da er bewusst falsche Angaben zu seiner Identität gemacht und keine Identitätsdokumente vorlegt hat. Aufgrund der gesetzlichen Bestimmungen ist zudem jedenfalls gewährleistet, dass eine allfällige weitere wesentliche Verlängerung der Schubhaft einer neuerlichen Überprüfung zu unterziehen sein wird. Das Bundesamt hat regelmäßig das Verfahren zur Erlangung eines HRZ durch dessen Beantragung bei der marokkanischen Vertretungsbehörde zu beschleunigen versucht. Demgegenüber hat der BF die Verfahren zur Erlangung eines HRZ aufgrund seiner mangelnden Kooperationsbereitschaft mit der Behörde und seinen falschen, divergierenden Angaben selbstverschuldet in die Länge gezogen. Dass ein HRZ Verfahren geführt werden muss, ist ausschließlich der Sphäre des BF zuzurechnen. Dass BFA hat hingegen die notwendigen Schritte für die Führung der HRZ Verfahren ohne unnötige Verzögerungen geführt und unmittelbar nach Behauptung einer – falschen - algerischen Identität durch den BF auch ein HRZ Verfahren mit Algerien eingeleitet.

Da die Identität des Beschwerdeführers bis vor kurzem nicht festgestellt werden konnte und daher auch das erforderliche Heimreisezertifikat noch nicht vorliegt, liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs 4 Z 1 und Z 2 FPG vor, sodass die höchstmögliche Schubhaftdauer 18 Monate beträgt.

Sobald ein Heimreisezertifikat vorliegt kann zeitnah eine Abschiebung des Beschwerdeführers erfolgen.

Daher ist das Erfordernis der angemessenen Bemühungen des Bundesamts im HRZ Verfahren erfüllt. Die nachgewiesenen Bemühungen des Bundesamts sind durch Belege im Akt dokumentiert. Aufgrund der kürzlich bestätigten Identifizierung durch Interpol Rabat ist von einer konkreten Erlangbarkeit eines HRZ mit hoher Wahrscheinlichkeit auszugehen. Die Bemühungen des Bundesamts sind im gegenständlichen Fall erfolgversprechend und entsprechen nicht den Erfordernissen der höchstgerichtlichen Judikatur (Vgl. VwGH Ra 2020/21/0070 vom 26.11.2020 Ra 2020/21/0174-8 vom 22.12.2020).

Bei einer im Sinne des § 80 Abs. 4 Z. 1 und Z 2 FPG höchstzulässigen Dauer der Schubhaft von 18 Monaten ist die Aufrechterhaltung der seit 26.11.2020 bestehenden Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft derzeit auch weiterhin verhältnismäßig.

Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers kommt daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen – insbesondere an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung – zumal der Beschwerdeführer bereits in der Vergangenheit gezeigt hat, dass er die österreichische Rechtsordnung missachtet und im Verfahren auch keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändert.

Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung sowie die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom Beschwerdeführer in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens, dass er auch im Zuge der Schubhaft fortsetzt, nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des Beschwerdeführers besteht.

Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.

Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, eine gesicherte Außerlandesbringung des Beschwerdeführers zu gewährleisten.

Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.

Es war daher festzustellen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Zu Spruchteil B) – Zulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.

Wie der oben dargelegten rechtlichen Beurteilung zu allen Spruchpunkten zu entnehmen ist, warf der gegenständliche Fall vor dem Hintergrund der bestehenden Judikatur der Gerichte des öffentlichen Rechts keine Auslegungsprobleme der anzuwendenden Normen auf, schon gar nicht waren Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen.

Die Revision war daher in Bezug auf sämtliche Spruchpunkte nicht zuzulassen.

Schlagworte

falsche Angaben Fluchtgefahr Folgeantrag Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Heimreisezertifikat Identität Mittellosigkeit Mitwirkungspflicht öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen Verhältnismäßigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W150.2240574.6.00

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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