Entscheidungsdatum
09.08.2021Norm
BFA-VG §22a Abs4Spruch
W154 2240557-6/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin im amtswegig eingeleiteten Verfahren zur Zahl 233463310/201170845 zur Prüfung der Verhältnismäßigkeit der weiteren Anhaltung von XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. PAKISTAN, in Schubhaft zu Recht:
A)
Gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist.
B)
Die Revision ist gem. Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) reiste laut eigenen Angaben bereits 1999 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte erst am 11.03.2001 einen Antrag auf internationalen Schutz, der vom Asylgerichtshof zur Zahl C8 231309-0/2009 am 28.09.2009 abgewiesen wurde.
2. Am 03.09.2009 heiratete der BF eine österreichische Staatsbürgerin. In dieser Beziehung kam es schon vor der Heirat zu mehreren Polizeieinsätzen wegen Streitigkeiten im Familienkreis, 2008 wurde gegen den BF ein Betretungsverbot gem. § 38a SPG verhängt. Seit 2015 besteht kein gemeinsamer Wohnsitz mehr.
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch: „BFA“) vom 29.03.2019 wurde dem BF ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr.100/2005 (AsylG) idgF, nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Pakistan zulässig ist, einer Beschwerde gegen diese Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. Nr. 87/2012, (BFA-VG) idgF, die aufschiebende Wirkung aberkannt und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 100/2005 (FPG) idgF ein 10-jähriges Einreiseverbot erlassen. Diese Entscheidung erwuchs am 27.04.2019 in Rechtskraft.
4. Am 15.04.2019 wurde der BF im Bereich des Bahnhofes Wien Mitte wegen des Verdachtes des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet festgenommen und dem BFA vorgeführt. Nach Einvernahme wurde mit Bescheid vom 16.04.2019 über ihn das gelindere Mittel der Meldeverpflichtung gemäß § 77 Abs. 1 und 3 iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG verhängt, dem er bis 26.05.2019 nachkam, welches jedoch aufgehoben werden musste, da der BF erneut straffällig wurde und sich seit 28.05.2019 in Untersuchungshaft befand.
5. Der BF kam seiner seit 2009 bestehenden Ausreiseverpflichtung bis dato nicht nach und wurde zudem in Österreich mehrfach straffällig. Zuletzt befand er sich von 09.07.2019 bis 27.11.2020 in Strafhaft und davor seit 28.05.2019 in Untersuchungshaft.
6. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in weiterer Folge auch: „BFA“) vom 26.11.2020 wurde über den BF Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet. Der BF wird seit 27.11.2020 in Schubhaft angehalten.
7. Der BF stellte am 13.11.2020 einen Antrag auf freiwillige Rückkehr nach Pakistan mit Hilfe des Vereines Menschenrechte Österreich, ZVR-Zahl 460937540, (in weiterer Folge auch: „VMÖ“). Am 11.03.2021 langte ein neuerlicher Antrag des BF mit Hilfe der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen Gesellschaft mit beschränkter Haftung, FN 525828b, (in weiterer Folge auch: „BBU“) auf unterstützte freiwillige Ausreise beim BFA ein.
8. Am 25.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht (in weiterer Folge auch: „BVwG“) eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, das Erkenntnis wurde mündlich verkündet, in dem der erkennende Richter feststellte, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist; die Revision wurde nicht zugelassen.
9. Mit weiteren Erkenntnissen des BVwG vom 22.04.2021, 18.05.2021, 14.06.2021 und 12.07.2021 wurde jeweils festgestellt, dass zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorgelegen sind und die Aufrechterhaltung der Schubhaft zum Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung verhältnismäßig gewesen ist.
10. Am 02.08.2021 erfolgte seitens des BFA die verfahrensgegenständliche Aktenvorlage gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG. Der Aktenvorlage wurde die seitens des BFA erstattete Stellungnahme vom 02.08.2021 zugrunde gelegt.
11. Die Stellungnahme des BFA wurde dem BF am 03.08.2021 zum Parteiengehör übermittelt. Der BF sah von der Erstattung einer Stellungnahme ab.
12. Im gegenständlichen Verfahren wurde seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eine Anfrage an die für die Erlangung von Heimreisezertifikaten zuständige Abteilung des BFA mit der Frage, welche Entwicklungen sich im gegenständlichen Fall seit der Verhandlung des Bundesverwaltungsgerichtes am 14.6.2021, in der eine Vertreterin der Abteilung als Zeugin geladen war, ergeben hätten, die auf die baldige Erteilung eines Heimreisezertifikates für den BF bzw. die auf dessen baldige Außerlandesbringung schließen ließen.
13. In der Anfragebeantwortung vom 05.08.2021 teilte die für die Erlangung von Heimreisezertifikaten zuständige Abteilung des BFA mit, dass der BF am 27.07.2021 positiv seitens den pakistanischen Behörden habe identifiziert werden können. Am 04.08.2021 sei erneut eine Zustimmung seitens der zuständigen Organisationseinheit zur freiwilligen Ausreise erfolgt. Die Ausreise werde nun von der BBU organisiert. Die HRZ- Ausstellung für die freiwillige Ausreise erfolge zeitnah vor dem Flug.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der angeführte Verfahrensgang und die Entscheidungsgründe der Vorentscheidungen werden übernommen und zu Feststellungen in der gegenständlichen Entscheidung erhoben; ebenso die Stellungnahme des BFA vom 02.08.2021 sowie die von der für die Erlangung von Heimreisezertifikaten zuständige Abteilung des BFA übermittelte Stellungnahme vom 05.08.2021.
Auf der Tatsachenebene liegt keine Änderung - die Fluchtgefahr betreffend - vor.
Festgestellt wird, dass das Bundesamt angemessene Anstrengungen zur Erlangung eines HRZ für den Beschwerdeführer unternommen hat. Die Ausstellung eines HRZ für den BF sowie dessen zeitnahe Außerlandesbringung ist im höchsten Maße wahrscheinlich.
Der BF ist haftfähig, es sind keine Umstände hervorgekommen, dass die weitere Inschubhaftnahme unverhältnismäßig wäre.
2. Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang, die getroffenen Feststellungen und die Haftfähigkeit des BF ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichtes, insbesondere der zitierten Vorentscheidungen.
Die Feststellungen zur Erlangung des Heimreisezertifikates ergeben sich aus der Stellungnahme des BFA anlässlich der Aktenvorlage sowie aus der Stellungnahme der für die Erlangung von Heimreisezertifikaten zuständige Abteilung des BFA vom 05.08.2021. Daraus ist ersichtlich, dass der BF am 27.07.2021 als pakistanischer Staatsangehöriger identifiziert werden konnte. Die Außerlandesbringung des BF ist in Vorbereitung. Wie aus der Stellungnahme der für die Erlangung von Heimreisezertifikaten zuständige Abteilung des BFA ersichtlich, erfolgte am 04.08.2021 erneut eine Zustimmung seitens der zuständigen Organisationseinheit zur freiwilligen Ausreise des BF, die nun zeitnah von der BBU organisiert werden wird.
Die Feststellung, wonach der BF haftfähig ist, ergibt sich aus der Anhaltedatei des Bundesministeriums für Inneres, der keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Beeinträchtigungen seit der letzten Überprüfung zu entnehmen ist. Gegenteiliges wurde vom BF auch nicht vorgebacht.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zu Spruchteil A. – Fortsetzungsausspruch
3.1.1. Gesetzliche Grundlagen
§§ 76, 77 und 80 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 22a Abs. 4 Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Verfahrensgesetz (BFA-VG) lauten:
Schubhaft (FPG)
„§ 76 (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebiets-beschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.“
Gelinderes Mittel (FPG)
„§ 77 (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
2. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen;
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.“
Dauer der Schubhaft (FPG)
„§ 80 (1) Das Bundesamt ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert. Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann.
(2) Die Schubhaftdauer darf, vorbehaltlich des Abs. 5 und der Dublin-Verordnung, grundsätzlich
1. drei Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen mündigen Minderjährigen angeordnet wird;
2. sechs Monate nicht überschreiten, wenn die Schubhaft gegen einen Fremden, der das 18. Lebensjahr vollendet hat, angeordnet wird und kein Fall der Abs. 3 und 4 vorliegt.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil
1. die Feststellung seiner Identität und der Staatsangehörigkeit, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes, nicht möglich ist,
2. eine für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt,
3. der Fremde die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt, oder
4. die Abschiebung dadurch, dass der Fremde sich bereits einmal dem Verfahren entzogen oder ein Abschiebungshindernis auf sonstige Weise zu vertreten hat, gefährdet erscheint,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts abweichend von Abs. 2 Z 2 und Abs. 3 höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
(5) Abweichend von Abs. 2 und vorbehaltlich der Dublin-Verordnung darf die Schubhaft, sofern sie gegen einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, angeordnet wurde, bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Durchsetzbarkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die Dauer von 10 Monaten nicht überschreiten. Wird die Schubhaft über diesen Zeitpunkt hinaus aufrechterhalten oder nach diesem Zeitpunkt neuerlich angeordnet, ist die Dauer der bis dahin vollzogenen Schubhaft auf die Dauer gemäß Abs. 2 oder 4 anzurechnen.
(5a) In den Fällen des § 76 Abs. 2 letzter Satz ist auf die Schubhaftdauer gemäß Abs. 5 auch die Dauer der auf den Festnahmeauftrag gestützten Anhaltung anzurechnen, soweit sie nach Stellung des Antrags auf internationalen Schutz gemäß § 40 Abs. 5 BFA VG aufrechterhalten wurde. Die Anrechnung gemäß Abs. 5 letzter Satz bleibt davon unberührt.
(6) Das Bundesamt hat von Amts wegen die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung in Schubhaft längstens alle vier Wochen zu überprüfen. Ist eine Beschwerde gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG anhängig, hat diesfalls die amtswegige Überprüfung zu entfallen.
(7) Das Bundesamt hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen.“
Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)
„§ 22a (4) Soll ein Fremder länger als vier Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das vierte Monat überschritten wurde, und danach alle vier Wochen vom Bundesverwaltungsgericht zu überprüfen. Das Bundesamt hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass dem Bundesverwaltungsgericht eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Mit Vorlage der Verwaltungsakten gilt die Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. Das Bundesamt hat darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist. Diese Überprüfung hat zu entfallen, soweit eine Beschwerde gemäß Abs. 1 bereits eingebracht wurde.“
3.1.2. Zur Judikatur:
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der – aktuelle – Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
„Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde“ (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
„Je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung zu sichern, auf der Hand liegt, umso weniger bedarf es einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel. Das diesbezügliche Begründungserfordernis wird dagegen größer sein, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt. Das wurde in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes insbesondere beim Vorliegen von gegen ein Untertauchen sprechenden Umständen, wie familiäre Bindungen oder Krankheit, angenommen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 22.05.2007, Zl. 006/21/0052, und daran anknüpfend das Erkenntnis vom 29.04.2008, Zl. 2008/21/0085; siehe auch die Erkenntnisse vom 28.02.2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391) und wird weiters auch regelmäßig bei Bestehen eines festen Wohnsitzes oder ausreichender beruflicher Bindungen zu unterstellen sein. Mit bestimmten gelinderen Mitteln wird man sich insbesondere dann auseinander zu setzen haben, wenn deren Anordnung vom Fremden konkret ins Treffen geführt wird“ (VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008).
Gemäß § 22a Abs. 4 dritter Satz BFA-VG gilt mit der Vorlage der Verwaltungsakten durch das BFA eine Beschwerde als für den in Schubhaft befindlichen Fremden eingebracht. In einem gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG ergangenen Erkenntnis wird entsprechend dem Wortlaut der genannten Bestimmung (nur) ausgesprochen, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig ist. Diese Entscheidung stellt – ebenso wie ein Ausspruch nach § 22a Abs. 3 BFA-VG – einen neuen Hafttitel dar. Über vor (oder nach) der Entscheidung liegende Zeiträume wird damit nicht abgesprochen (VwGH vom 29.10.2019, Ra 2019/21/0270; VwGH vom 30.08.2018, Ra 2018/21/0111).
3.1.3. Aufgrund der zitierten gesetzlichen Bestimmungen hat die Behörde nach § 22a Abs. 4 BFA-VG dem Bundesverwaltungsgericht den Verwaltungsakten rechtzeitig zur amtswegigen Überprüfung der Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit der weiteren Anhaltung, welche über die Viermonatsfrist hinausgehen soll, vorzulegen. Diese Überprüfung hat nach Überschreiten der Viermonatsfrist in vierwöchigen Intervallen zu erfolgen. Die letzte Überprüfung erging mit Erkenntnis vom 12.07.2021; die gegenständliche vierwöchige Frist ist ab diesem Zeitpunkt zu berechnen (vgl. VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0163, Rz. 11) und endet daher am 09.08.2021.
3.1.4. Der BF besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft und ist daher Fremder im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG. Er ist volljährig und weder Asylberechtigter noch subsidiär Schutzberechtigter, weshalb die Anordnung der Schubhaft grundsätzlich – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – möglich ist. Im vorliegenden Fall liegt eine rechtskräftige, durchsetzbare und durchführbare Rückkehrentscheidung vor.
3.1.5. Der BF behinderte immer wieder seine Rückkehr. So behinderte er im Jahr 2006 seine Rückkehr bzw. Abschiebung, indem er sich aus einer Schubhaft durch Eintreten in einen Hungerstreik freipresste. Auch wirkte er am Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nicht mit, indem er bereits kurz nach Stellung eines Asylantrages einer Ladung nicht nachkam und unbekannten Aufenthaltes war. Der Fluchtgefahrtatbestand des § 76 Abs. 3 Z. 1 FPG ist damit erfüllt. Auch die Erfüllung der Z 3 des § 76 Abs. 3 leg.cit. liegt vor, da gegen den BF eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht und er sich zudem bereits dem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz entzogen hat, weshalb die Erfüllung beider Untertatbestände dieser Ziffer zu bejahen ist. Da der BF abgesehen von seiner Ehefrau, von der er seit sechs Jahren getrennt lebt, keinerlei soziale, familiäre oder berufliche Anknüpfungspunkte in Österreich aufweist und weder über einen eigenen gesicherten Wohnsitz noch über die finanziellen Mittel zur Finanzierung seines Aufenthaltes verfügt, ist auch der Fluchtgefahrtatbestand der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG erfüllt. Es liegen daher im Falle des BF die Fluchtgefahrtatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG vor und es ist weiterhin Fluchtgefahr im Sinne des § 76 Abs. 3 FPG zu bejahen.
3.1.6. Bei der Beurteilung des Sicherungsbedarfes ist das gesamte Verhalten des BF vor Verhängung der Schubhaft sowie seine familiäre, soziale und berufliche Verankerung im Inland in einer Gesamtbetrachtung zu berücksichtigen. Diese Beurteilung hat ergeben, dass mehrere Kriterien für das Bestehen eines Sicherungsbedarfes sprechen. Es war daher eine konkrete Einzelfallbeurteilung vorzunehmen, welche ergeben hat, dass sowohl das Vorverhalten als auch die vorzunehmende Verhaltensprognose einen Sicherungsbedarf ergeben haben, da im Fall des BF ein beträchtliches Risiko des Untertauchens gegeben ist. Wie eben ausgeführt, hat der BF noch während ihm eine Meldeverpflichtung als gelinderes Mittel aufgetragen war Straftaten begangen. Anstatt seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen ist der BF über Jahre unrechtmäßig in Österreich verblieben und hat zahlreiche Straftaten begangen. Gegen den BF besteht ein Waffenverbot. Überdies hat der BF während seiner Anhaltung in Schubhaft Medikamente in seiner Zelle versteckt.
In Österreich befinden sich außer der Ehegattin des BF, von der er seit sechs Jahren getrennt lebt und zu der er offensichtlich auch keinen Kontakt mehr hat, keine Familienangehörige des BF noch ist er sonst sozial verankert. Die Mitglieder der Kernfamilie des BF leben in Pakistan. Der BF verfügt in Österreich über keinen gefestigten Wohnsitz und auch nicht über ausreichende Mittel zur Existenzsicherung. Einer legalen Beschäftigung ging er in Österreich bisher nicht nach.
Es ist daher auch weiterhin Sicherungsbedarf gegeben.
3.1.7. Als weitere Voraussetzung ist die Verhältnismäßigkeit der angeordneten Schubhaft zu prüfen. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen.
Abgesehen von einer Ehegattin, von der er aber schon sechs Jahre getrennt lebt und keinen Kontakt mehr hat, verfügt der BF über keinerlei familiäre oder soziale Bindungen in Österreich. Einer legalen Erwerbstätigkeit ging der BF in Österreich nicht nach.
Gemäß § 76 Abs. 2a FPG ist im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
Der BF weist zahlreiche Vorstrafen nach dem Suchtmittelgesetz auf, wobei sich der Zeitraum, in dem er strafbare Handlungen gesetzt hat, von 2001 bis April 2019 erstreckt. Gerade an der Verhinderung von Drogenkriminalität besteht ein besonders hohes öffentliches Interesse. Diesem hat der BF massiv zuwidergehandelt, da er wiederholt Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, auch an öffentlichen Orten, begangen hat, um sich durch ihre wiederkehrende Begehung längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen. Er wurde seit dem Jahr 2016 fünfmal wegen Suchtgiftdelikten verurteilt, überwiegend in der Qualifikation der gewerbsmäßigen Begehung. Das Strafausmaß wurde von zunächst 5 Monate zuletzt auf 18 Monate unbedingt gesteigert. Zwischen der vorletzten und der letzten Strafhaft befand sich der BF nicht einmal zwei Monate in Freiheit. Der BF hat aber auch zahlreiche weiteren Straftaten begangen, die gegen andere Rechtsgüter gerichtet waren (Schlepperei, Vergewaltigung, sexuelle Belästigung und öffentlich geschlechtliche Handlungen, Einbruchsdiebstahl, Körperverletzung, fahrlässige Körperverletzung und Sachbeschädigung). Insgesamt wurde er 11 Mal von einem Strafgericht verurteilt.
Es ist auf die mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen verbundene große Wiederholungsgefahr hinzuweisen, von der auch im vorliegenden Fall angesichts der Mittellosigkeit des BF in Verbindung mit dem in der Vergangenheit gezeigten Verhalten und seiner eigenen Substanzabhängigkeit auszugehen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz wiederholt festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist und an dessen Verhinderung ein besonders großes öffentliches Interesse besteht (VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554).
Es ist daher davon auszugehen, dass der BF auch künftig Straftaten nach dem Suchtmittelgesetz begehen wird, sodass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit massiv gefährdet und ein besonders hohes öffentliches Interesse an der baldigen Außerlandesbringung des BF besteht.
Der BF befindet sich derzeit seit 8 Monaten und ca. 2 Wochen in Schubhaft. Gemäß § 80 Abs. 2 Z 2 FPG beträgt die Schubhafthöchstdauer für volljährige Fremde grundsätzlich sechs Monate. Im Falle des Vorliegens eines Tatbestandes der Ziffern 1 bis 4 des § 76 Abs. 3 FPG kann die Schubhaft für höchstens 18 Monate aufrechterhalten werden.
Im vorliegenden Fall sind kumulativ die Verlängerungstatbestände des § 80 Abs. 4 Z 1 und 2 FPG (iSd Art. 15 Abs. 6 lit b RückführungsRL) erfüllt. Weder war bisher die Feststellung seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit durch die pakistanische Vertretungsbehörde, insbesondere zum Zweck der Erlangung eines Ersatzreisedokumentes möglich (§ 80 Abs. 4 Z 1 FPG), noch konnte aus selbigem Grund die für die Einreise erforderliche Bewilligung (HRZ) eines anderen Staates (Pakistan) erlangt werden (§ 80 Abs. 4 Z 2 FPG). Es ist aus Sicht des erkennenden Gerichts nicht zweifelhaft, dass der Begriff „Verzögerungen“ iSd Art. 15 Abs. 6 lit. b) RückführungsRL jedwede Art von Hindernis bei der Erlangung der „erforderlichen Unterlagen“ zur Effektuierung der Abschiebung miteinschließt. Wie sich aus den Feststellungen ergibt, kann dem BFA auch nicht vorgeworfen werden, sich um die Erlangung des HRZ für den BF nicht angemessen bemüht zu haben, die Ausstellung des HRZ wird vielmehr intensiv betrieben. Im vorliegenden Fall konnte daher die Schubhaft in Übereinstimmung mit 15 Abs. 6 lit b RückführungsRL über 6 Monate hinaus aufrechterhalten werden.
Dass die Außerlandesbringung des BF innerhalb der verlängerten Schubhafthöchstdauer von 18 Monaten nicht möglich sein sollte, hat das Ermittlungsverfahren nicht ergeben, zumal der BF mittlerweile identifiziert werden konnte, die Außerlandesbringung des BF in Vorbereitung ist und die Ausstellung eines HRZ lediglich nur mehr an die Flugbuchung gebunden ist.
Eine davon zu trennende Frage ist die, ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft nach wie vor verhältnismäßig ist. Der BF hat keine berücksichtigungswürdigen Umstände dargetan, wonach die Schonung seiner Freiheit das öffentlichen Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung zum gegenwärtigen Zeitpunkt überwiegen würde. Wie dargelegt, gefährdet der BF massiv die öffentliche Ordnung und Sicherheit und besteht ein besonders hohes öffentliches Interesse an seiner Außerlandesbringung. Vor diesem Hintergrund erweist sich die weitere Anhaltung in Schubhaft, die derzeit 8 Monate und ca. 2 Wochen beträgt, als verhältnismäßig.
Insgesamt kommt den persönlichen Interessen des BF daher ein geringerer Stellenwert zu als dem öffentlichen Interesse an der Sicherung seiner Aufenthaltsbeendigung. Der BF hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er die ihn treffenden Verpflichtungen nicht einhält und er zur Finanzierung seines unrechtmäßigen Aufenthaltes auch vor der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen nicht zurückschreckt. Im Verfahren liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er dieses Verhalten in Zukunft ändern wird.
3.1.8. Zu prüfen ist, ob ein gelinderes Mittel im Sinne des § 77 FPG den gleichen Zweck wie die angeordnete Schubhaft erfüllt. Eine Sicherheitsleistung kann auf Grund der fehlenden finanziellen Mittel des BF nicht zur Anwendung kommen. Aber auch die konkrete Zuweisung einer Unterkunft oder einer Meldeverpflichtung kann auf Grund des vom BF in der Vergangenheit gezeigten Verhaltens nicht zum Ziel der Sicherung der Abschiebung führen, da diesfalls die konkrete Gefahr des Untertauchens des BF besteht. Da gegen den BF bereits eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde und zu befürchten ist, dass der BF abermals ins Suchtgiftmilieu abtauchen würde und aufgrund von Obdachlosigkeit nicht mehr greifbar wäre, ist nicht zu erwarten, dass ein gelinderes Mittel für die Sicherung des Verfahrens und in weiterer Folge für die Sicherung seiner Abschiebung ausreichend ist. Die Verhängung eines gelinderen Mittels kommt daher weiterhin nicht in Betracht.
3.1.9. Die hier zu prüfende Schubhaft stellt daher nach wie vor eine „ultima ratio“ dar, da sowohl Fluchtgefahr und Sicherungsbedarf als auch Verhältnismäßigkeit vorliegen und ein gelinderes Mittel nicht den Zweck der Schubhaft erfüllt. Das Verfahren hat keine andere Möglichkeit ergeben, die Außerlandesbringung des BF zu sichern.
Es war daher gemäß § 22a Abs. 4 BFA-VG festzustellen, dass die angeordnete Schubhaft nach wie vor notwendig und verhältnismäßig ist und dass die maßgeblichen Voraussetzungen für ihre Fortsetzung im Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen.
3.1.10. Es konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des behördlichen Verfahrens hinreichend geklärt wurde und das gerichtliche Verfahren keine wesentlichen Änderungen ergeben hat.
Zu Spruchpunkt B. - Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Da keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen sind, es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen, war die Revision daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Einreiseverbot Fluchtgefahr Fortsetzung der Schubhaft gelinderes Mittel Heimreisezertifikat öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Schubhaft Sicherungsbedarf Straffälligkeit strafgerichtliche Verurteilung Strafhaft Suchtmitteldelikt Ultima Ratio Untertauchen VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W154.2240557.6.00Im RIS seit
16.09.2021Zuletzt aktualisiert am
16.09.2021