TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/10 G314 2197231-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.08.2021
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Entscheidungsdatum

10.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4

Spruch


G314 2197231-1/18E

GEKÜRZTE AUSFERTIGUNG DES AM 26.07.2021 MÜNDLICH VERKÜNDETEN ERKENNTNISSES

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des XXXX (auch XXXX), geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Irak, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX.2018, Zl. XXXX, betreffend internationalen Schutz, zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt IV. (die Spruchpunkte I. bis III. des angefochtenen Bescheids bleiben unverändert) zu lauten hat: „Gemäß § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG ist eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig. Dem Beschwerdeführer wird gemäß § 55 Abs 1 und 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ iSd § 54 Abs 1 Z 1 AsylG erteilt“ und die Spruchpunkte V. und VI. ersatzlos behoben werden.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers (BF) im Irak wurde nicht glaubhaft gemacht, sodass Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden ist. Dem Vorbringen des BF zu einer Bedrohung durch eine schiitische Miliz im Irak kann nicht gefolgt werden, zumal er sich diesbezüglich in Widersprüche verwickelte und eine Zwangsrekrutierung von Sunniten durch eine schiitische Miliz nicht nachvollziehbar ist. Auch aus den Länderberichten lässt sich die behauptete Verfolgungsgefahr nicht konkret ableiten.

Dem BF droht als alleinstehendem jungen Mann ohne besondere Vulnerabilität bei der Rückkehr in den Irak auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention, ebensowenig würde diese für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen. Die Sicherheits- und Versorgungslage in seiner Herkunftsregion XXXX ist nicht so schlecht, dass die Rückkehr für den BF aus diesem Grund unzumutbar ist, zumal mehrere seiner Geschwister nach wie vor dort unbehelligt leben. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher ebenfalls rechtskonform. Allenfalls kann sich der BF nach seiner Rückkehr auch in Bagdad niederlassen, wo für ihn als alleinstehenden jungen Mann eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht und er in der Person seiner Schwester auch eine familiäre Anknüpfung hat.

Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG bestehen nicht, sodass auch Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheids nicht zu beanstanden ist.

Gemäß § 58 Abs 2 AsylG ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. Gemäß § 55 Abs 1 AsylG ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ (die gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG zu einem Aufenthalt im Bundesgebiet und zur Ausübung einer selbständigen und unselbständigen Erwerbstätigkeit gemäß § 17 AuslBG berechtigt) zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist (Z 1) und die Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze erreicht wird (Z 2).

Da der BF Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt hat, ist ihm aufgrund der dauerhaften Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.

Der BF hält sich seit 2015 kontinuierlich als Asylwerber im Bundesgebiet auf. Bei Beurteilung der Frage, ob die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK geboten ist, ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Der BF hat außergewöhnliche Integrationsbemühungen unternommen, weil er sich um eine Erwerbstätigkeit bemüht und ehrenamtlich engagiert hat. Er hat beachtliche Deutschkenntnisse erworben, Freundschaften geknüpft und hat einen Arbeitsplatz in Aussicht. Er lebt in Österreich in einem gemeinsamen Haushalt mit seinem Zwillingsbruder, dem eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ erteilt wurde und hat Kontakte zu seinem älteren Bruder, der ebenfalls in XXXX lebt und eine „Niederlassungsbewilligung“ hat. Er hat die in Österreich verbrachte Zeit somit zu seiner sozialen und beruflichen Integration genützt. Er ist strafgerichtlich unbescholten und hat sich keine wesentlichen Verstöße gegen die öffentliche Ordnung zuschulden kommen lassen. Auch wenn man berücksichtigt, dass sein Privatleben im Inland zu einem Zeitpunkt entstand, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst war, überwiegen in der vorzunehmenden Abwägung seine persönlichen Interessen am Verbleib in Österreich das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Der BF hat somit große Anstrengungen unternommen, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. Der Umstand, dass ihm sein unsicherer Aufenthaltsstatus stets bewusst sein musste, relativiert zwar das Gewicht des Privatlebens im Inland, hat aber vor dem Hintergrund der gebotenen Gesamtbetrachtung insbesondere bei Bedachtnahme auf die Integrationsbemühungen nicht zur Konsequenz, dass diesem überhaupt kein Gewicht beizumessen wäre und ein solcherart begründetes persönliches Interesse nicht zur Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung führen kann.

In teilweiser Stattgebung der Beschwerde ist im Ergebnis eine Rückkehrentscheidung gegen den BF auf Grund des § 9 Abs 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig zu erklären und ihm gemäß § 58 Abs 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 54 Abs 1 Z 1 AsylG iVm § 55 Abs 1 AsylG zu erteilen. Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheids ist insoweit abzuändern, die Spruchpunkte V. und VI. haben als Folge dieser Entscheidung ersatzlos zu entfallen.

Die Revision nach Art 133 Abs 4 B-VG ist nicht zuzulassen, weil es sich bei der Beweiswürdigung und bei der Interessenabwägung gemäß Art 8 EMRK um typische Einzelfallbeurteilungen handelt, bei der sich das BVwG (vor allem angesichts der Integrationsbemühungen und der zu erwartenden Selbsterhaltungsfähigkeit des BF) im Rahmen der Rechtsprechung des VwGH bewegte, und keine erheblichen, über den Einzelfall hinausreichenden Rechtsfragen zu lösen hatte.

Gemäß § 29 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, kann das Erkenntnis in gekürzter Form ausgefertigt werden, wenn von den Parteien auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof verzichtet oder nicht binnen zwei Wochen nach Ausfolgung bzw. Zustellung der Niederschrift gemäß Abs. 2a eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 von mindestens einem der hiezu Berechtigten beantragt wird. Die gekürzte Ausfertigung hat den Spruch sowie einen Hinweis auf den Verzicht oder darauf, dass eine Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß Abs. 4 nicht beantragt wurde, zu enthalten.

Diese gekürzte Ausfertigung des nach Schluss der mündlichen Verhandlung am 26.07.2021 verkündeten Erkenntnisses ergeht gemäß § 29 Abs 5 VwGVG, weil innerhalb der zweiwöchigen Frist kein Antrag auf Ausfertigung des Erkenntnisses gemäß § 29 Abs 4 VwGVG gestellt wurde.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse individuelle Verhältnisse Integration mangelnde Asylrelevanz non refoulement Pandemie Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:G314.2197231.1.00

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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