Entscheidungsdatum
11.08.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z3Spruch
W150 2242595-1/24E
Im Namen der Republik!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. KLEIN als Einzelrichter über die Beschwerde von Frau XXXX , geb. XXXX , StA. VR China, vertreten durch Rae RAST & MUSLIU, gegen den Bescheid des BFA vom 01.05.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 22a Abs. 1 Z 3 BFA-VG idgF, § 76 Abs. 2 Z 2 FPG idgF, als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF iVm § 1 Z 3 und Z 4 VwG-AufwErsV idgF, hat die beschwerdeführende Partei dem Bund Aufwendungen in Höhe von € 426,20 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Der Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Kostenersatz wird gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG idgF abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden auch: „BF“), eine chinesische Staatsangehörige, ist zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal ins Bundesgebiet eingereist und stellte am 03.01.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen vom 21.07.2017, Zl. XXXX , wurde der Antrag auf internationalen Schutz der BF gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat VR China (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Gemäß § 57 AsylG 2005 wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, gegen die BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF gemäß § 46 FPG in die VR China zulässig ist (Spruchpunkt III.). Weiters wurde (unter Spruchpunkt IV.) ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung betragen würde.
1.3. Gegen diese Entscheidung erhob die BF über ihre gewillkürte rechtsfreundliche Vertretung fristgerecht Beschwerde.
1.4. Mit Schreiben vom 17.01.2018 zog die Genannte ihre Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesamtes vom 21.07.2017 ausdrücklich zurück.
Laut Ausreisebestätigung durch die CARITAS kehrte sie am 06.02.2018 freiwillig ins Herkunftsland zurück.
Die Zurückziehung der Beschwerde und freiwillige Rückkehr wurde in einer Stellungnahme der Rechtsvertretung der BF vom 19.02.2018 bestätigt.
1.5. Mit Beschluss des BVwG vom 27.02.2018, Zl. W182 2166370-1/16E, wurde das Rechtsmittelverfahren gegen die erstinstanzliche Entscheidung rechtskräftig eingestellt.
1.6. Am 11.09.2018 beantragte die Beschwerdeführerin bei der österreichischen Auslandsvertretungsbehörde in China die Ausstellung eines Visums zum Zwecke des Familienbesuchs.
In weiterer Folge wurde dem Antrag am 17.09.2018 durch Ausstellung eines entsprechenden Visums mit einer insgesamt 90-tägigen Gültigkeitsdauer entsprochen.
1.7. Am 09.10.2018 beantragte die BF bei der BH XXXX die Ausstellung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG, welche für den Gültigkeitszeitraum vom 18.10.2018 bis zum 18.10.2023 erstellt wurde.
1.8. Im Zuge eines aufgrund des Verdachts des Vorliegens einer potentiellen Aufenthaltsehe wurde seitens der zuständigen BH im Mai 2020 ein entsprechendes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Laut Auskunft des damaligen Ehemanns befand sich die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt bereits seit mehreren Monaten wieder in ihrem ursprünglichen Heimatland, plane aber im Juni des selben Jahres wieder ins Bundesgebiet zurückzukehren.
1.9. Am 08.02.2021 wurde der Gatte der BF zum Vorwurf einer allfälligen Aufenthaltsehe zeugenschaftlich vor der belangten Behörde einvernommen; drei Tage später, somit am 11.02.2011, erfolgte sodann die offizielle Scheidung.
1.10. In weiterer Folge wurde die rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführerin am 11.03.2021 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.
1.11. Gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF wurde sodann am 15.04.2021, Zl. XXXX , von der Erstinstanz ein auf zweieinhalb Jahre befristetes Aufenthaltsverbot über die BF verhängt. Unter einem wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 70 Abs. 3 leg. cit. kein Durchsetzungsaufschub gewährt sowie einer potentiellen Beschwerde gegen diese Entscheidung gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG, BGBl. I Nr. 87/2012 die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Selbige Entscheidung ist seit 22.04.2021 durchsetzbar.
1.12. Am 30.04.2021 wurde die BF am Flughafen WIEN SCHWECHAT – von BRÜSSEL aus kommend – festgenommen und in das PAZ WIEN ROSSAUER LÄNDE eingeliefert.
1.13. Gemäß § 52 BFA-VG wurde der Genannten ein Rechtsberater zur Verfügung gestellt.
1.14. Mit Mandatsbescheid vom 01.05.2021, Zl. XXXX , wurde gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft über die Beschwerdeführerin verhängt.
Die Behörde führte im Wesentlichen aus, wonach die BF bereits am 30.04.2021 illegal eine Grenzverletzung begangen hätte, da sich diese in BRÜSSEL aufgehalten habe und von dort aus am Luftweg neuerlich ins Bundesgebiet eingereist sei, um ihr eigentliches Reiseziel, WIEN, zu erreichen. Auf diese Weise hätte die Beschwerdeführerin versucht, ihre drohende Abschiebung in ihr Heimatland zu vereiteln und sodann in die Illegalität abzutauchen. Zudem wäre die BF am 30.04.2021 trotz bereits bestehenden Aufenthaltsverbots rechtswidrig nach Österreich eingereist. Weder familiär noch sozial oder beruflich ans Bundesgebiet gebunden, verweigere die nicht einmal in Ansätzen integrierte, nahezu mittellose, Beschwerdeführerin jegliche Kooperation mit den heimischen Behörden. Vor diesem Hintergrund bestehe somit Fluchtgefahr und stelle die Schubhaftnahme letztlich in casu eine ultima – ratio – Maßnahme dar, welche durch keinerlei gelinderes Mittel habe substituiert werden können.
1.15. Am 18.05.2021 erhob die BF durch ihren ausgewiesenen Vertreter Beschwerde gegen den gegenständlichen Schubhaftbescheid vom 01.05.2021 und beantragte die Rechtswidrigkeitserklärung der verhängten Schubhaft, die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung sowie Kostenersatz.
Im Wesentlichen wurde vorgebracht, der Mandatsbescheid sei zu Unrecht ergangen, zumal die Genannte eine gültige Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG besitzen würde. Zudem wäre überhaupt nicht gesichert, dass diese tatsächlich eine Aufenthaltsehe geführt habe und hätte die Verhängung eines gelinderen Mittels als Sicherungsmaßnahme jedenfalls genügt.
1.16. Das BFA erstattete mit Schreiben vom 20.05.2021 eine Stellungnahme und führte im Wesentlichen aus, wonach die BF eine Scheinehe geführt hätte, welche – unmittelbar nach Einleitung entsprechender polizeilicher Erhebungen – sofort geschieden worden sei.
Über die Beschwerdeführerin wäre in weiterer Folge ein, seit 22.04.2021 durchsetzbares, Aufenthaltsverbot iSd § 67 Abs. 1 und 2 FPG verhängt worden. Die beschwerdeführende Partei sei jedoch anstatt ihrer daraus resultierenden rechtlichen Verpflichtung nachzukommen, am 30.04.2021 von BRÜSSEL aus kommend, am Flughafen WIEN SCHWECHAT im Zuge ihrer Wiedereinreise aufgegriffen und anschließend festgenommen worden, sodass die Verhängung einer Schubhaft geboten gewesen sei. Am 21.05.2021 wäre die BF aus der Schubhaft entlassen worden und sei selbige sodann freiwillig in ihr Herkunftsland China ausgereist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des BFA, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
Zum Verfahrensgang:
Der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang wird zur Feststellung erhoben.
Zur Person:
1.1. Die BF reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 03.01.2015 einen – zwischenzeitlich rechtskräftig negativ beschiedenen – Antrag auf internationalen Schutz. Sie ist chinesische Staatsbürgerin und besitzt nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Somit handelt es sich bei der Beschwerdeführerin daher um eine Fremde im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 1 FPG.
1.2. Die BF ging eine Scheinehe mit einem slowakischen Staatsbürger ein, um ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu erlangen.
1.3. Im gesamten Verfahren finden sich keine Hinweise auf wesentliche gesundheitliche Beschwerden der Beschwerdeführerin.
Zu den formalen Voraussetzungen der Schubhaft:
2.1. Die BF war haftfähig.
2.2. Ein Aktenvermerk gemäß § 76 Abs. 6 FPG liegt vor.
2.3. Über die BF wurde ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot verhängt.
Zum Sicherungsbedarf (erhebliche Fluchtgefahr):
3.1. Es lag eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor.
3.2. Die Beschwerdeführerin war im bisherigen Verfahren unkooperativ, versuchte sich durch illegale Reisebewegungen über BRÜSSEL der Abschiebung zu entziehen, reiste umgehend wieder illegal ins Bundesgebiet ein und ist daher als nicht vertrauenswürdig anzusehen.
3.3. Die BF verfügte über keine nennenswerten finanziellen Mittel.
Zur familiären/sozialen Komponente:
4.1. Die – zwischenzeitlich geschiedene – Ehe der BF war eine Scheinehe. Mit ihrem Ehemann lag kein reales Familienleben vor.
4.2. Die Beschwerdeführerin ging regelmäßig der Prostitution als Erwerbstätigkeit nach.
4.3. Über nennenswerte soziale Kontakte im Inland verfügte die Genannte zu keinem Zeitpunkt ihres mehrjährigen Aufenthalts.
4.4. Die BF verfügte über eine Meldeadresse, an der sie jedoch nicht aufhältig war.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person (1.1-1-3.):
Der Verfahrensgang und die hiezu getroffenen Feststellungen sowie die Feststellungen zur Person der BF (1.1 bis 1.3), ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der Behörde und dem Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts. Die Auflösung der Scheinehe resultiert aus dem erstinstanzlichen Verwaltungsakt und den darin enthaltenen diesbezüglichen Dokumenten. Ein unionsrechtlicher Aufenthaltstitel kam der BF daher nicht zu (1.2.). Die Feststellung zur Gesundheit der BF (1.3.) ergibt sich aus einer Zusammenschau ihrer eigenen Angaben in den im Akt einliegenden Einvernahmen sowie der Anhaltedatei, in welcher wesentliche gesundheitliche Beeinträchtigungen mit 20.05.2021 explizit verneint wurden.
2.2. Zu den formalen Voraussetzungen der Schubhaft (2.1.-2.3.):
Eine Haftunfähigkeit hat sich aus dem Akt nicht ergeben und wurde auch im Rahmen der Beschwerde nicht thematisiert (2.1.).
Das durchsetzbare Aufenthaltsverbot (2.3.) ist aktenkundig und wurde mit 22.04.2021 rechtskräftig.
2.3. Zum Sicherungsbedarf (3.1.-3.3.):
Das Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme (hier: durchsetzbares Aufenthaltsverbot) ergibt sich insbesondere aus der im Akt befindlichen schriftlichen Ausfertigung des Bescheides der belangten Behörde vom 15.04.2021, Zl. XXXX sowie aus dem Auszug des Zentralen Fremdenregisters (3.1.). Das bisherige Verhalten der BF (3.2.) geht aus dem gesamten Akteninhalt hervor. Die Feststellung in 3.3. lässt sich insb. aus der Anhaltedatei sowie ihren eigenen Angaben anlässlich ihrer niederschriftlichen Einvernahmen entnehmen.
2.4. Familiäre/soziale Komponente (4.1.-4.4.):
Zu der begründeten Feststellung in 4.1. wird auf die Ausführungen zu 1.2. verwiesen. Dass die Beschwerdeführerin als Prostituierte arbeitete, gab diese selbst vor dem BFA an (4.2.). Das Vorliegen eines sozialen Netzwerks der BF (4.3.) ist im gesamten Beweisverfahren nicht hervorgekommen, insbesondere machte sie hierzu in den zahlreichen Einvernahmen keinerlei Angaben, sondern verwies diesbezüglich ausschließlich auf Arbeitskolleginnen, vornehmlich ihres Heimatlandes. Gegenteiliges wurde, abgesehen von der vorgeblichen Ehe der BF, auch nicht vorgebracht.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. - Schubhaftbescheid, Anhaltung in Schubhaft
3.1.1. Gesetzliche Grundlage:
Zur Schubhaft:
Der mit "Schubhaft" betitelte § 76 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, lautet:
"§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß."
Zur Möglichkeit der Verhängung gelinderer Mittel
Der mit "Gelinderes Mittel" betitelte § 77 FPG idgF lautet:
"§ 77. (1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen."
§ 54 NAG - Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers:
(1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.
(3) Das Aufenthaltsrecht der Angehörigen gemäß Abs. 1 bleibt trotz Tod des EWR-Bürgers erhalten, wenn sie sich vor dem Tod des EWR-Bürgers mindestens ein Jahr als seine Angehörigen im Bundesgebiet aufgehalten haben und nachweisen, dass sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 bis 2 erfüllen.
(4) Das Aufenthaltsrecht von minderjährigen Kindern eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt auch nach dem Tod oder nicht bloß vorübergehenden Wegzug des EWR-Bürgers bis zum Abschluss der Schulausbildung an einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule erhalten. Dies gilt auch für den Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, sofern dieser die Obsorge für die minderjährigen Kinder tatsächlich wahrnimmt.
(5) Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 oder 2 erfüllen und
1. die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
2. die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
3. ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird;
4. es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann, oder
5. ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang – solange er für nötig erachtet wird – ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf.
(6) Der Angehörige hat diese Umstände, wie insbesondere den Tod oder Wegzug des zusammenführenden EWR-Bürgers, die Scheidung der Ehe oder die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben.
(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt.
§ 55 NAG - Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate:
(1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird.
3.1.2. Judikatur:
Die Anhaltung in Schubhaft ist nach Maßgabe der grundrechtlichen Garantien des Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrBVG und des Art. 5 Abs. 1 lit. f EMRK nur dann zulässig, wenn der Anordnung der Schubhaft ein konkreter Sicherungsbedarf zugrunde liegt und die Schubhaft unter Berücksichtigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls verhältnismäßig ist. Dabei sind das öffentliche Interesse an der Sicherung der Aufenthaltsbeendigung und das Interesse des Betroffenen an der Schonung seiner persönlichen Freiheit abzuwägen. Kann der Sicherungszweck auf eine andere, die Rechte des Betroffenen schonendere Weise, wie etwa durch die Anordnung eines gelinderen Mittels nach § 77 FPG, erreicht werden (§ 76 Abs. 1 FPG), ist die Anordnung der Schubhaft nicht zulässig (VfGH 03.10.2012, VfSlg. 19.675/2012; VwGH 22.01.2009, Zl. 2008/21/0647; 30.08.2007, Zl. 2007/21/0043).
Ein Sicherungsbedarf ist in der Regel dann gegeben, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen oder diese zumindest wesentlich erschweren werde (§ 76 Abs. 3 FPG). Es ist allerdings nicht erforderlich, dass ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits eingeleitet worden ist (VwGH 28.06.2002, Zl. 2002/02/0138).
Die fehlende Ausreisewilligkeit des Fremden, d.h. das bloße Unterbleiben der Ausreise, obwohl keine Berechtigung zum Aufenthalt besteht, vermag für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen. Vielmehr muss der - aktuelle - Sicherungsbedarf in weiteren Umständen begründet sein, etwa in mangelnder sozialer Verankerung in Österreich. Dafür kommt insbesondere das Fehlen ausreichender familiärer, sozialer oder beruflicher Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet in Betracht, was die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens eines Fremden, rechtfertigen kann. Abgesehen von der damit angesprochenen Integration des Fremden in Österreich ist bei der Prüfung des Sicherungsbedarfes auch sein bisheriges Verhalten in Betracht zu ziehen, wobei frühere Delinquenz das Gewicht des öffentlichen Interesses an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung maßgeblich vergrößern kann (VwGH 21.12.2010, Zl. 2007/21/0498; weiters VwGH 08.09.2005, Zl. 2005/21/0301; 23.09.2010, Zl. 2009/21/0280).
Schubhaft darf stets nur "ultima ratio" sein (vgl. VwGH 02.08.2013, Zl. 2013/21/0054; VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0502; VwGH 17.03.2009, Zl. 2007/21/0542; VwGH 30.08.2007, 2007/21/0043). Daraus leitete der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527, unter Hervorhebung der in § 80 Abs. 1 FPG 2005 ausdrücklich festgehaltenen behördliche Verpflichtung, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert, insbesondere auch ab, "dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig" (VwGH vom 19.05.2011, Zl. 2008/21/0527). Bereits im Erkenntnis des VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595, wurde dazu klargestellt, dass der Schubhaft nicht der Charakter einer Straf- oder Beugehaft zu kommt, "weshalb ohne besondere Anhaltspunkte für eine absehbare Änderung der Einstellung des Fremden die Haft nicht allein im Hinblick darauf aufrechterhalten werden darf, diese 'Einstellungsänderung' durch Haftdauer zu erwirken. (Hier: Der Fremde hatte, nachdem er nach zwei Monaten nicht aus der Schubhaft entlassen worden war, seine vorgetäuschte Mitwirkungsbereitschaft aufgegeben und zu erkennen gegeben, dass er nicht in den Kamerun zurückkehren wolle und auch nicht an einer Identitätsfeststellung mitwirken werde. Die mangelnde Kooperation des Fremden gipfelte schließlich in der Verweigerung jeglicher Angaben. Die belangte Behörde hat in Folge bis zu einem neuerlichen Einvernahmeversuch zugewartet ohne zwischenzeitig auf Basis der vorhandenen Daten zwecks Erstellung eines Heimreisezertifikates an die Botschaft von Kamerun heranzutreten oder sonst erkennbare Schritte in Richtung Bewerkstelligung einer Abschiebung zu setzen. In diesem Verhalten der belangten Behörde ist eine unangemessene Verzögerung zu erblicken)." (VwGH vom 27.01.2011, Zl. 2008/21/0595; vgl. dazu etwa auch VwGH 19.04.2012, 2009/21/0047).
"Die Entscheidung über die Anwendung gelinderer Mittel iSd § 77 Abs 1 FrPolG 2005 ist eine Ermessensentscheidung. Auch die Anwendung gelinderer Mittel setzt das Vorliegen eines Sicherungsbedürfnisses voraus. Fehlt ein Sicherungsbedarf, dann darf weder Schubhaft noch ein gelinderes Mittel verhängt werden. Insoweit besteht kein Ermessensspielraum. Der Behörde kommt aber auch dann kein Ermessen zu, wenn der Sicherungsbedarf im Verhältnis zum Eingriff in die persönliche Freiheit nicht groß genug ist, um die Verhängung von Schubhaft zu rechtfertigen. Das ergibt sich schon daraus, dass Schubhaft immer ultima ratio sein muss (Hinweis E 17.03.2009, 2007/21/0542; E 30.08.2007, 2007/21/0043). Mit anderen Worten: Kann das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden, dann wäre es rechtswidrig, Schubhaft zu verhängen; in diesem Fall hat die Behörde lediglich die Anordnung des gelinderen Mittels vorzunehmen (Hinweis E 28.05.2008, 2007/21/0246). Der Ermessenspielraum besteht also für die Behörde nur insoweit, als trotz eines die Schubhaft rechtfertigenden Sicherungsbedarfs davon Abstand genommen und bloß ein gelinderes Mittel angeordnet werden kann. Diesbezüglich liegt eine Rechtswidrigkeit nur dann vor, wenn die eingeräumten Grenzen des Ermessens überschritten wurden, also nicht vom Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht wurde" (VwGH 11.06.2013, Zl. 2012/21/0114, vgl. auch VwGH vom 02.08.2013, Zl. 2013/21/0008). #
Eine erhebliche Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes, selbst wenn daraus keine Haftunfähigkeit resultiert, kann im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zum Ergebnis führen, dass unter Berücksichtigung des gesundheitlichen Zustandes des Fremden und der bisherigen Dauer der Schubhaft die Anwendung gelinderer Mittel ausreichend gewesen wäre (im Zusammenhang mit behaupteter Haftunfähigkeit wegen psychischer Beschwerden vgl. VwGH 05.07.2012, Zl. 2012/21/0034; VwGH 19.04.2012, Zl. 2011/21/0123; VwGH 29.02.2012, Zl. 2011/21/0066). Der Krankheit eines gemeinsam geflüchteten Familienmitglieds kann insofern Bedeutung zukommen, als eine sich aus der Erkrankung ergebende Betreuungsbedürftigkeit auch die Mobilität der übrigen Familienmitglieder einschränken und damit die Gefahr eines Untertauchens in die Illegalität vermindern könnte (vgl. VwGH vom 28.02.2008; Zl. 2007/21/0391).
3.1.3. Zum Zeitpunkt der Erlassung des Schubhaftbescheides lag aufgrund des erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotes und der Tatsache, dass weder ein Durchsetzungsaufschub gewährt, noch einer allfälligen Beschwerde eine aufschiebende Wirkung nicht aberkannt wurde, eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor; die Rechtsgrundlage für die Abschiebung ist im gegenständlichen Fall somit durch das durchsetzbare Aufenthaltsverbot gegeben.
Hinsichtlich der im Rechtsmittelschriftsatz ins Treffen geführten gültigen Aufenthaltskarte gemäß § 54 NAG ist auszuführen, demzufolge gemäß § 55 Abs. 1 leg. cit. das Aufenthaltsrecht für EWR-Bürger und deren Angehörigen lediglich solange besteht, als dass die hiefür in § 54 NAG normierten Erfordernisse weiterhin erfüllt sind; im Falle einer Scheidung sind die diesbezüglichen Voraussetzungen neu zu überprüfen. Bei Vorliegen der in § 54 Abs. 7 leg. cit. enthaltenen Tatbestandsmerkmale – wie etwa einer Scheinehe – verliert der solcherart bislang aufenthaltsrechtlich privilegierte Scheinehepartner ex lege seine daraus abgeleitete Sonderstellung.
Die Behörde sieht als Gründe für das Vorliegen eines Sicherungsbedarfs die Ziffern 1, 2, 3 und 9 des § 76 Abs. 3 FPG als erfüllt an. Nach Ansicht des Gerichts sind sämtliche dieser Kriterien gegeben: Zunächst versuchte die BF, sich einen unionsrechtlichen Aufenthaltstitel zu erschleichen. Als dies nicht gelang, zeigte sie sich unkooperativ und versuchte sich dem Verfahren zu entziehen. Ihrer Verhaftung versuchte die Beschwerdeführerin durch taktisches Untertauchen und internationale Reisebewegungen inklusive illegaler Wiedereinreise ins Bundesgebiet zu entziehen. Somit versuchte sie – zunächst erfolgreich - die Beendigung ihres Aufenthaltes in Österreich zu verhindern (Z 1). Am 30.04.2021 wurde die Genannte am Flughafen WIEN SCHWECHAT abermals im Zuge einer illegalen Einreise ins Bundesgebiet – von BRÜSSEL aus kommend – betreten, wodurch sie vorsätzlich gegen das über sie verhängte Aufenthaltsverbot verstoßen hat (Z 2). Eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, wie oben bereits eingehend erläutert, ebenso (Z 3). Zudem hat das Beweisverfahren ergeben, dass die BF im Inland keine nennenswerten sozialen Kontakte hat. Von einem Familienleben zu ihrem lediglich zum Schein geehelichten Ex-Gatten konnte ebenfalls nicht ausgegangen werden. Somit war nicht anzunehmen, dass die beschwerdeführende Partei aus einem sozialen Blickwinkel etwas an einem erneuten Untertauchen hätte hindern können (Z 9). Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, warum die BF ihr bisheriges Verhalten hinkünftig hätte ändern sollen. Es war offenkundig ihr – sogar im Rahmen ihrer erstinstanzlichen Einvernahmen dezidiert eingestandenes – Ziel, mit allen ihr möglichen Mitteln im Inland zu verbleiben. Insgesamt war daher das Vorliegen von Fluchtgefahr im vorliegenden Fall zu bejahen.
3.1.4. Darüber hinaus war die Verhältnismäßigkeit der Inschubhaftnahme nach Ansicht des erkennenden Gerichtes ebenso gegeben. Betrachtet man die Interessen der BF an den Rechten ihrer persönlichen Freiheit in Bezug auf ihre familiären und sozialen Verhältnisse so zeigt sich, dass hier bisher keine konkret schützenswerten Anknüpfungspunkte entstanden sind. Kontakte der Beschwerdeführerin im Inland, die bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit wesentlich ins Gewicht fallen könnten sind im Verfahren nicht hervorgekommen. In den zahlreichen Einvernahmen der BF äußerte diese niemals, Freunde oder ein soziales Netz im Inland zu haben. Vielmehr zeigte diese eindrucksvoll, dass sie es mit den rechtlichen Regelungen in Österreich nicht genau nahm, indem sie eine Scheinehe einging. Es liegen keine Anhaltspunkte vor, warum die BF ihr bisheriges Verhalten in Hinkunft hätte ändern sollen. Hinzu kommt, dass die Behörde sie bereits am 21.05.2021 eigenständig aus der Schubhaft entließ, nachdem diese ihre Bereitschaft, binnen 24 Stunden freiwillig in ihr Heimatland zurückkehren zu wollen, glaubhaft zum Ausdruck brachte. Noch am selben Tag erfolgte die tatsächliche Heimkehr am Luftweg.
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung geht das erkennende Gericht daher davon aus, dass, wie oben bereits angeführt, den persönlichen Interessen der BF aufgrund ihrer persönlichen Situation und des bisherigen Verhaltens kein vergleichbar hoher Stellenwert wie dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen, öffentlicher Ordnung sowie dem wirtschaftlichen Wohl des Staates zukam.
Die Haftfähigkeit der BF stellte im Verfahren kein Problem dar. Es sind keine Beschwerden aktenkundig, auf welche im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsprüfung Bedacht zu nehmen gewesen wäre.
Die gegenständliche Entscheidung des BFA ist daher nach Ansicht des Gerichtes auch im Hinblick auf die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit nicht zu bemängeln.
3.1.5. Die Verhängung eines gelinderen Mittels wurde zu Recht ausgeschlossen. Die Beschwerdeführerin verfügte nicht über wesentliche Vermögensmittel, weshalb eine Sicherheitsleistung nicht in Frage kam. Im Rahmen des Schubhaftverfahrens sind keine Tatsachen ans Tageslicht gekommen, die glaubhaft eine Erfüllung des Sicherungszwecks durch die Verhängung eines gelinderen Mittels ergeben hätten. Die Verhängung eines gelinderen Mittels im Sinne einer konkreten Zuweisung einer Unterkunft und/oder einer Meldeverpflichtung hätte daher nach Ansicht des Gerichtes nicht zu einer Sicherung der Abschiebung geführt, sondern diesfalls wäre evident die Gefahr verbunden gewesen, dass die Beschwerdeführerin in alte, bestehende Verhaltensmuster zurückfallen und durch neuerliches Untertauchen den Sicherungszweck vereiteln hätte können. Darüber hinaus hat das Beweisverfahren ergeben, dass die BF aufgrund ihres Vorverhaltens in der Vergangenheit nicht als vertrauenswürdig anzusehen war.
3.1.6. Die gegenständlich verhängte Schubhaft erweist sich daher auch als "ultima ratio". Auf Grund des vorher Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl Sicherungsbedarf, als auch Verhältnismäßigkeit gegeben ist und die Anwendung eines gelinderen Mittels nicht als erfolgversprechend zu beurteilen war.
3.2. Im vorliegenden Fall konnte von der Abhaltung einer mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden, da der Sachverhalt im Rahmen des gerichtlichen Verfahrens hinreichend geklärt werden konnte. Der Sachverhalt konnte aus den Akten abschließend ermittelt und beurteilt werden und wurde in der - sehr knapp gehaltenen - Beschwerdeschrift in keiner Weise ausgeführt, weshalb die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung im konkreten Fall für zwingend notwendig erachtet werde. Insbesondere wurde die BF vor der belangten Behörde mehrfach und zeitnah zu den jeweiligen Verfahrensschritten einvernommen, sodass eine weitere Einvernahme durch das BVwG für die Wahrheitsfindung nicht notwendig gewesen wäre.
Zu Spruchpunkt II. und III. - Kostenbegehren:
Beide Parteien begehrten den Ersatz ihrer Aufwendungen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen. Da die Verwaltungsbehörde vollständig obsiegte, steht ihr nach den angeführten Bestimmungen der Ersatz ihrer Aufwendungen zu. Die Höhe der zugesprochenen Verfahrenskosten stützt sich auf die im Spruch des Erkenntnisses genannten gesetzlichen Bestimmungen.
Zu Spruchpunkt B. - Revision
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, wenn die Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt oder wenn die Frage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird bzw. sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vorliegen.
Es sind keine Auslegungsfragen hinsichtlich der anzuwendenden Normen hervorgekommen und es waren auch keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen. Die Revision war daher nicht zuzulassen.
Schlagworte
Aufenthaltsverbot Fluchtgefahr gelinderes Mittel illegale Einreise Kostenersatz Mittellosigkeit öffentliche Interessen Rückkehrentscheidung Scheinehe Schubhaft Sicherungsbedarf Ultima Ratio Untertauchen VerhältnismäßigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W150.2242595.1.00Im RIS seit
16.09.2021Zuletzt aktualisiert am
16.09.2021