Entscheidungsdatum
03.09.2021Norm
AlVG §24Spruch
2244069–/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Vorsitzende und die fachkundigen LaienrichterInnen Mag. Peter Sighartner als Beisitzer und Mag.a Iris WOLTRAN als Beisitzerin über die Beschwerde von XXXX , gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom XXXX , Zahl: XXXX , betreffend Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 29.04.2021, in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 13 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwGVG) als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt
1. Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]
1.1. Mit Bescheid des AMS vom 29.04.2021, Zahl XXXX , wurde der Notstandshilfebezug des Beschwerdeführers gemäß § 33 Abs. 2 iVm § 38, § 24 Abs. 1, § 7, § 9 Abs. 1 AlVG mangels Arbeitswilligkeit ab dem 03.04.2021 eingestellt (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 29).
1.2. Mit Bescheid des AMS vom Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden., Zahl: XXXX , wurde die aufschiebende Wirkung der rechtzeitig eingebrachten Beschwerde vom 02.05.2021 gegen den Bescheid des AMS vom 29.04.2021 gemäß § 13 Abs. 2 VwGVG iVm § 56 Abs. 2 und § 58 AlVG ausgeschlossen (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 2).
Begründend wurde ausgeführt, dass der disziplinäre Zweck der Einstellung der Leistung mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 9 AlVG weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde, weshalb der Bedarf der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung im öffentlichen Interesse liege. Die aufschiebende Wirkung der Beschwerde würde das öffentliche Interesse an einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Leistungen unterlaufen. Auch aus spezialpräventiven Erwägungen sei es notwendig, die aufschiebende Wirkung auszuschließen, um die lange Arbeitslosigkeit ehestens zu beenden. Seit April 2017 könne der Beschwerdeführer keine Beschäftigung mehr nachweisen und trotz der vielen Vermittlungsvorschläge (35 im Jahr 2020 und 54 im Jahr 2021) sei keine Arbeitsaufnahme entstanden. Zwei rechtskräftige Ausschlussfristen würden bereits vorliegen. Darüber hinaus würden beim Beschwerdeführer Exekutionen in der Höhe von etwa EUR 90.000 vorliegen, weshalb die Einbringlichkeit eines Übergenusses gefährdet sei.
1.3. 1.3. Mit Schreiben vom 30.06.2021 erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen den oben bezeichneten Bescheid des AMS (AZ 5).
Begründend führte er zusammengefasst aus, er sei in seinem subjektiven Recht auf Zuerkennung der Notstandshilfe sowie im Recht auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens verletzt worden. Das AMS sei zudem befangen und sein Betreuer missbrauche sein Amt durch Falschaussagen am Telefon. Er verwies auf von ihm angefertigte Gesprächsnotizen, auf seinen Vorlageantrag vom 28.06.2021 und seine Stellungnahme vom 07.06.2021.
2. Das AMS legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 07.07.2021 die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form vor (Ordnungszahl des Gerichtsverfahrensaktes [OZ] 1 [=AZ 1-7], sowie hg. GZ 2244068).
II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1.1. Anzuwendendes Verfahrensrecht
1.1.1. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081). Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das AMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).
1.1.2. Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7 und 9 VwGVG).
1.2. Abweisung der Beschwerde gegen den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung
1.2.1. Gemäß § 13 Abs. 1 VwGVG hat eine rechtzeitig eingebrachte und zulässige Beschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG aufschiebende Wirkung. Diese kann gemäß Abs. 2 leg.cit. mit Bescheid von der Behörde ausgeschlossen werden, wenn nach Abwägung der berührten öffentlichen Interessen und Interessen anderer Parteien der vorzeitige Vollzug des angefochtenen Bescheides oder die Ausübung der durch den angefochtenen Bescheid eingeräumten Berechtigung wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist. Ein solcher Ausspruch ist tunlichst schon in den über die Hauptsache ergehenden Bescheid aufzunehmen. Gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG hat die Beschwerde gegen einen Bescheid gemäß Abs. 2 oder 3 keine aufschiebende Wirkung. Sofern die Beschwerde nicht als verspätet oder unzulässig zurückzuweisen ist, hat die Behörde dem Verwaltungsgericht die Beschwerde unter Anschluss der Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Das Verwaltungsgericht hat über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden und der Behörde, wenn diese nicht von der Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung absieht, die Akten des Verfahrens zurückzustellen.
1.2.2. Die Entscheidung über die Zuerkennung oder die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung kann nur das Ergebnis einer im Einzelfall vorzunehmenden Interessenabwägung sein, welche die berührten öffentlichen Interessen UND die Interessen von Verfahrensparteien berücksichtigt (VwGH 01.09.2014, Ra2014/03/0028, VfGH 02.12.2014, G74/2014). Es muss sich um ein besonderes öffentliches Interesse handeln, aus dem wegen der "triftigen Gründe" des konkreten Falles die vorzeitige Vollstreckung des Bescheides sachlich geboten ist (Hengstschläger/Leeb1, AVG § 64 Rz 29 mHa VfSlg 11.196/1986; 16.460/2002; 17.346/2004).
1.2.3. Ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ist im Allgemeinen insbesondere bei der Verhängung einer Sperrfrist mangels Arbeitswilligkeit gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AlVG (iVm § 38 AlVG) gegeben, deren disziplinierender Zweck weitgehend verloren ginge, wenn sie erst Monate nach ihrer Verhängung in Kraft treten würde. Die Interessenabwägung kann vor allem dann zu Gunsten einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ausschlagen, wenn für den Fall einer vorläufigen Weitergewährung einer Leistung die Einbringlichkeit des Überbezuges gefährdet ist. Ob eine solche Gefährdung vorliegt, hat das AMS zu ermitteln und gegebenenfalls auf Grund konkret festzustellender Tatsachen über die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Partei festzustellen (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 3f und 19 zu § 56). Wirkt der Notstandshilfebezieher an den Feststellungen über die Einbringlichkeit nicht mit, kann von einer Gefährdung derselben ausgegangen werden (Müller in Pfeil AlVG-Komm Rz 19 zu § 56). Eine maßgebliche Gefährdung der Einbringlichkeit des Überbezuges wäre allerdings dann nicht anzunehmen, wenn die prima facie beurteilten Erfolgsaussichten der Beschwerde eine Rückforderung der weiter gezahlten Notstandshilfe unwahrscheinlich machen (VwGH 11.04.2018, 2017/08/0033 mwN zur Interessenabwägung VwGH 14.02.2014, Ro2014/02/0053 und zur Erfolgsprognose VwGH 09.05.2016, Ra2016/09/0035).
1.2.3.1. Gegenständlich wurde der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung seitens des AMS insbesondere damit begründet, dass bereits zwei rechtskräftige Ausschlussfristen vorliegen und es sich um die dritte verhängte Ausschlussfrist und damit einhergehender Einstellung des Bezuges handelt; sowie dass beim Beschwerdeführer Exekutionen in der Höhe von EUR 90.000 bestehen, was die Rückforderung des Übergenusses gefährde.
Diese Begründung steht im Einklang mit der bereits zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes wonach insbesondere in Verfahren zur Verhängung einer Sperrfrist ein im öffentlichen Interesse gelegener Bedarf nach einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung vorliegt.
1.2.4. Um die vom Gesetzgeber geforderte Interessenabwägung vornehmen zu können, hat ein Notstandshilfebezieher insbesondere die nicht ohne weiteres erkennbaren Umstände, die sein Interesse an einer Weitergewährung untermauern, sowie die in seiner Sphäre liegenden Umstände, die entgegen entsprechender Feststellungen des AMS für die Einbringlichkeit einer künftigen Rückforderung sprechen, spätestens in der Begründung (§ 9 Abs. 1 Z3 VwGVG) seiner Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung konkret darzutun und zu bescheinigen, zumal das Verwaltungsgericht gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG über die Beschwerde ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden hat (VwGH 11.04.2018, 2017/08/0033 mwN). Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes trifft den Beschwerdeführer hinsichtlich des unverhältnismäßigen Nachteils eine Konkretisierungspflicht (VwGH 11.04.2018, Ro2017/08/0033; 14.02.2014, Ro2014/02/0053). Die Dartuung eines unverhältnismäßigen wirtschaftlichen Nachteils erfordert die nachvollziehbare Darlegung der konkreten wirtschaftlichen Folgen der behaupteten Einbußen auf dem Boden der gleichfalls konkret anzugebenden gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse der beschwerdeführenden Partei. Denn erst die tunlichst ziffernmäßigen Angaben über die finanziellen Verhältnisse versetzen das erkennende Verwaltungsgericht in die Lage, zu beurteilen, ob der Vollzug des angefochtenen Bescheides für den Betroffenen einen unverhältnismäßigen Nachteil mit sich brächte, und ermöglichen so erst die vom Gesetz gebotene Interessenabwägung (vgl. für viele VwGH 02.03.2017, Ra2017/08/0009 mwN; 24.02.2016, Ra2016/08/0043).
1.2.4.1. Der Beschwerdeführer hat in seiner Beschwerde sein Interesse an der Weitergewährung nicht untermauert und auch nicht begründet, inwiefern ihm aus der Einstellung des Bezuges ein unverhältnismäßiger Nachteil erwachsen würde, sondern beschränkte sich darauf darzulegen, dass das AMS seiner Ansicht nach befangen sei und sein Berater sein Amt missbrauche. Er hat damit kein Vorbringen erstattet, warum ihn der sofortige Vollzug des Bescheides unverhältnismäßig hart treffen würde und insbesondere nicht dargelegt, dass die gegen ihn unbestrittenermaßen offenen Exekutionsforderungen in der Höhe von EUR 90.000 die spätere Einbringlichkeit eines gegebenenfalls bestehenden Überbezuges nicht gefährde.
1.2.5. Das Bundesverwaltungsgericht hat gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden. Dies bedeutet, dass das BVwG gleichsam einem Eilverfahren ohne Setzung der sonstigen üblichen Verfahrensschritte, etwa Gewährung von Parteiengehör oder Durchführung einer Verhandlung, aber auch ohne jede Möglichkeit, ergänzende Sachverhaltsfeststellungen zu treffen, über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung zu erkennen hat (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 13 VwGVG, K17; Verwaltungsgerichtsverfahren (2013) [§13 VwGVG, Anm 8]). Das BVwG hat somit ausschließlich aufgrund der vorgelegten Aktenteile zu entscheiden.
Unter Berücksichtigung dieses eingeschränkten Prüfungsmaßstabes vermag der erkennende Senat weder die Erwägungen der belangten Behörde über den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung – insbesondere vor dem Hintergrund des gegenständlichen Verfahrens (Rückforderung nach abgeschlossenem Sperrfristverfahren) –als unschlüssig zu erkennen, noch Anhaltspunkte für einen unverhältnismäßigen Nachteil für den Beschwerdeführer erkennen.
1.2.6. Im Ergebnis erfolgte der Ausschluss der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde somit zu Recht, und ist spruchgemäß zu entscheiden.
2. Da das Bundesverwaltungsgericht nach der Regelung des § 13 Abs. 5 VwGVG verpflichtet ist, über die Beschwerde "ohne weiteres Verfahren unverzüglich zu entscheiden", ist grundsätzlich keine mündliche Verhandlung durchzuführen (VwGH 09.06.2015, Ra2015/08/0049).
III. ad B) Unzulässigkeit der Revision:
Die gegenständliche Entscheidung stützt sich auf die jeweils wiedergegebene Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und weicht von dieser auch nicht ab. Zur Konkretisierungspflicht VwGH 14.02.2014, Ro2014/02/0053; 11.04.2018, Ro2017/08/0033; zur Interessenabwägung insbesondere in Verfahren bezüglich der Verhängung einer Sperrfrist gemäß § 10 Abs. 1 Z1 AlVG VwGH 11.04.2018, Ro2017/08/0033. Der Entfall der mündlichen Verhandlung ergibt sich aus der gesetzlichen Regelung, siehe dazu explizit VwGH 09.06.2015, Ra2015/08/0049, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.
Schlagworte
aufschiebende Wirkung - Entfall Interessenabwägung Konkretisierung öffentliche Interessen SperrfristEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2244069.1.00Im RIS seit
15.09.2021Zuletzt aktualisiert am
15.09.2021