TE Vwgh ErkenntnisVS 1958/11/11 1576/56

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Veröffentlicht am 11.11.1958
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Index

Baurecht - Wien
L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag Wien
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien
L82009 Bauordnung Wien
001 Verwaltungsrecht allgemein
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §56
BauO Wr §129 Abs2
BauO Wr §129 Abs4
VVG §10 Abs2
VVG §4 Abs1
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Werner und die Räte Dr. Hrdlitzka, Dr. Krzizek, Penzinger und Dr. Striebl als Richter, im Beisein des Regierungsoberkommissärs der nö. Landesregierung Kinscher als Schriftführer, über die Beschwerde des JE in New York und des AW in W gegen den Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 3. Juli 1956, Zl. M.Abt. 64 - B XVI - 27/1956, betreffend Vollstreckungsauftrag in einer Bausache, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit der als Vollstreckungsverfügung bezeichneten Erledigung vom 25. Mai 1956 erteilte der Wiener Magistrat in seiner Eigenschaft als Vollstreckungsbehörde den Beschwerdeführern als Eigentümern der Liegenschaft Wien XVI., G-gasse 20, zu Handen der Hausverwalterin KQ gemäß § 4 Abs. 1 VVG den Auftrag, binnen einer Woche mit den noch ausständigen Arbeiten zu beginnen und diese Arbeiten in ununterbrochener Folge zu beenden, widrigenfalls die mangelnde Leistung auf Gefahr und Kosten des Eigentümers bewerkstelligt werde. Als ausständige Arbeiten wurden in diesem Bescheid die mit den Bescheiden vom 16. Februar 1953, vom 19. Mai 1954 (soll richtig heißen: 19. Mai 1953) und vom 3. Februar 1954 erteilten baupolizeilichen Aufträge bezeichnet, nämlich: Sämtliche schadhafte Decken des letzten Stockwerkes auswechseln bzw. soweit möglich nach Reinigen und Imprägnieren aufhängen zu lassen, die übrigen Deckenteile gleichfalls, wenn notwendig zu imprägnieren und erforderlichenfalls aufzuhängen, alle lockeren und absturzgefährlichen Bauteile auf der Gassen- und Hofschaufläche sowie im linken Abort des Erdgeschoßes zu entfernen, das Gassenhauptmauerwerk rechts der Einfahrt ordnungsgemäß herzustellen, das lockere Gangpflaster im I. Stock festzulegen, die rissigen Mauergurten der Wohnung Nr. 19 in der Küche und das rissige Gassenhauptmauerwerk, soweit notwendig, auszukeilen und zu verzementieren, die Eingangstür der Hausbesorgerwohnung Nr. 6 und sämtliche schadhaften Außenfenster sowie den linken Abort im Erdgeschoß instandsetzen zu lassen, alle Mauerwerksteile, welche Risse aufweisen, wenn sie konstruktiv in Ordnung sind, auskeilen, nachmauern und reinigen zu lassen. Die Hausverwalterin KQ brachte gegen diesen Bescheid Berufung ein. Diese Berufung wies die belangte Behörde mit dem nunmehr vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 3. Juli 1956 als unbegründet ab. In der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Mit der Erledigung des Wiener Magistrates vom 25. Mai 1956 wurde den Beschwerdeführern wegen Nichterfüllung baupolizeilicher Aufträge die Durchführung der Ersatzvornahme im Sinne des § 4 Abs. 1 VVG angedroht. Für diese Prozeßhandlung ist das Formular 54 der Verwaltungsformularverordnung vom 31. Juli 1951, BGBl. Nr. 219, vorgesehen, welches die Rechtsmittelbelehrung vorsieht, daß gegen diesen "Bescheid" Berufung eingebracht werden kann. Auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Jänner 1954, Slg. N.F. Nr. 3284/A) ist bisher dahin gegangen, daß von einer dem Gesetz entsprechenden Ersatzvornahme nur dann gesprochen werden kann, wenn die Ersatzvornahme in Bescheidform sowohl angedroht als auch angeordnet wurde. Gegen die Richtigkeit dieser Rechtsansicht haben sich jedoch Bedenken ergeben. Die Rechtsfrage wurde daher einem verstärkten Senat vorgelegt, der in seiner Sitzung vom 7. Juli 1958 den Rechtssatz beschlossen hat, daß die Androhung der Ersatzvornahme, die im § 4 Abs. 1 VVG vorgesehen ist, kein Bescheid ist. Der verstärkte Senat ist zu diesem Rechtssatz im wesentlichen aus nachstehenden Erwägungen gelangt: Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind Bescheide Verwaltungsakte, durch die in bestimmten einzelnen Angelegenheiten der Verwaltung in einer förmlichen und der Rechtskraft fähigen Weise über Rechtsverhältnisse materiellrechtlicher oder formalrechtlicher Art abgesprochen wird, sei es daß bestehende Rechtsverhältnisse festgestellt oder Rechtsverhältnisse begründet, abgeändert oder aufgehoben werden. Behördliche Erledigungen, die weder ein Rechtsverhältnis feststellen noch gestalten, können daher keine Bescheide im Sinne der Verwaltungsverfahrensgesetze sein. Diese Voraussetzungen sind bei der Androhung der Ersatzvornahme gegeben. Der Inhalt einer solchen Erledigung kann nicht in der Gestaltung eines Rechtsverhältnisses gelegen sein, weil das Rechtsverhältnis bereits durch den Titelbescheid gestaltet wurde. Auch ein Feststellungsbescheid liegt nicht vor. Wohl muß die Androhung der Ersatzvornahme darlegen, daß ein vollstreckbarer Bescheid vorliegt und daß der Verpflichtete die Leistung überhaupt nicht, nicht zur Gänze oder nicht zur gehörigen Zeit erbracht hat. Ein Feststellungsbescheid liegt aber deswegen nicht vor, weil sich bei einem solchen der rechtliche Gehalt des Verwaltungsaktes in der Feststellung eines Rechtsverhältnisses erschöpft, während das Ziel, das durch die Androhung der Ersatzvornahme erreicht werden soll, niemals nur eine Feststellung sein kann. Mit einem Verwaltungsakt, mit dem die Ersatzvornahme angedroht wird, soll vielmehr erreicht werden, daß die späteren Zwangsmaßnahmen, die von der Behörde gesetzt werden, gesetzesgemäß ergehen, das heißt, daß die hierüber aufgestellten Verfahrensvorschriften eingehalten werden. Mit der Androhung der Ersatzvornahme wird daher lediglich eine Prozeßvoraussetzung für eine dem Gesetz entsprechende Ersatzvornahme geschaffen. Der Gerichtshof vermag auch dem möglichen Gesichtspunkt keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen, die Androhung der Ersatzvornahme müsse als Bescheid gewertet werden, weil sonst dem Verpflichteten die Möglichkeit genommen sei, die Gesetzmäßigkeit der Ersatzvornahme unter dem Gesichtspunkt des § 10 Abs. 2 VVG anzufechten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. das Erkenntnis vom 20. Juni 1952, Slg. N.F. Nr. 2578/A) hat die Anordnung der Ersatzvornahme in Bescheidform zu ergehen. Sie ist eine notwendige Voraussetzung für eine dem Gesetz entsprechende Ersatzvornahme. Dem Rechtsschutzbedürfnis ist daher ausreichend Rechnung getragen, da der Verpflichtete gegen die als Vollstreckungsverfügung zu wertende Anordnung der Ersatzvornahme die im § 10 Abs. 2 VVG vorgesehene Berufung einbringen kann.

War nach richtiger Rechtsansicht die Erledigung des Wiener Magistrates vom 25. Mai 1956 kein Bescheid und daher auch keine Vollstreckungsverfügung im Sinne des § 10 Abs. 2 VVG, dann mußte die belangte Behörde, ungeachtet der erteilten Rechtsmittelbelehrung, die Berufung der Beschwerdeführer als unzulässig zurückweisen. Da jedoch die belangte Behörde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen, sohin eine mit Rechtskraftwirkung ausgestattete Sachentscheidung getroffen hat, mußte der angefochtene Bescheid zufolge § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben werden. Bei dieser Rechtslage erübrigt es sich, auf das Beschwerdevorbringen im einzelnen einzugehen.

Wien, 11. November 1958

Schlagworte

Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Verfahrensanordnungen Bescheidbegriff Mangelnder Bescheidcharakter Androhungen Aufforderung Verordnungen Verhältnis Verordnung - Bescheid VwRallg4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1958:1956001576.X00

Im RIS seit

10.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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