TE Vwgh ErkenntnisVS 1959/5/13 1137/58

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Veröffentlicht am 13.05.1959
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Index

Verwaltungsverfahren - VStG
40/01 Verwaltungsverfahren
90/02 Kraftfahrgesetz

Norm

KFG 1955 §111
VStG §19

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsidenten Dr. Höslinger und die Räte Dr. Vejborny, Dr. Kaniak, Dr. Dorazil und Dr. Krzizek als Richter, im Beisein des Sektionsrates Dr. Skorjanec als Schriftführer, über die Beschwerde des Dipl-Ing. GS in L gegen den Bescheid des Amtes der Oberösterreichischen Landesregierung vom 4. Jänner 1958, Zl. VerkR - 3240/1-1957, betreffend Verhängung einer Verwaltungsstrafe wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Bundespolizeidirektion Linz hatte den Beschwerdeführer mit dem am 14. August 1957 verkündeten Straferkenntnis schuldig erkannt, am 1. August 1957 um 15.50 Uhr in Linz, Lenaustraße, obwohl ihm der Führerschein entzogen worden war, einen Personenkraftwagen gelenkt und hiedruch die Verwaltungsübertretung nach § 57 Abs. 1 Kraftfahrgesetz 1955, BGBl. Nr. 223, (KFG) begangen zu haben, und über ihn gemäß § 111 KFG eine Geldstrafe von 2000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 8 Tage) und eine Arreststrafe von 5 Tagen verhängt. In der Begründung hatte die Behörde ausgeführt, daß dem Beschwerdeführer am 12. Juli 1957 der Führerschein wegen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand entzogen worden sei. Er sei daher nicht berechtigt gewesen, ein Kraftfahrzeug zu lenken. Bei der Strafbemessung seien die bisherigen Vorstrafen, darunter Strafen "wegen Schnellfahrens und nochmaligen Lenkens eines Kraftfahrzeuges in alkoholisiertem Zustand" als erschwerend zu berücksichtigen gewesen. In diesem Fall könne mit der Verhängung einer Geldstrafe allein nicht das Auslangen gefunden werden, sodaß auch eine primäre Arreststrafe dem Verschulden nach angemessen erscheine. Mildernd sei das Geständnis.

Hinsichtlich der Geldstrafe erklärte der Beschwerdeführer, auf ein Rechtsmittel zu verzichten, hinsichtlich der Arreststrafe jedoch berief er. Zur Begründung führte er aus, es könne nicht geleugnet werden, daß eine Reihe von Vorstrafen vorliegen, so insbesondere die Bestrafung nach § 99 Abs. 5 KFG. Diesem Erschwerungsgrund stünde jedoch das Geständnis des Beschwerdeführers als eines der wichtigsten Milderungsgründe gegenüber. Die Behörde könne daher nicht von überwiegenden Erschwerungsumständen sprechen. Im Gegenteil, es hielten sich Erschwerungs- und Milderungsumstände die Waage. Die gleichzeitige Verhängung einer Geld- und Arreststrafe sei daher nicht gerechtfertigt.

Der Berufung gab das Amt der Oberösterreichischen Landesregierung mit dem für den Landeshauptmann gezeichneten Bescheid vom 4. Jänner 1958 nicht Folge. In der Begründung führte die Behörde aus, der Beschwerdeführer habe nach dem Unfall den Polizeiorganen des Unfallkommandos nach anfänglichem Leugnen zugegeben, selbst am Steuer des Autos gesessen zu sein. Das Geständnis könne daher keinesfalls als gewichtiger Milderungsumstand, geschwiege denn als ein den Erschwerungsgründen die Waage haltendes Moment gewertet werden, da sich der wahre Sachverhalt zweifellos auch ohne dieses Geständnis ziemlich rasch ergeben hätte. Denn es sei nicht anzunehmen, daß sich einer der einen Führerschein besitzenden Wageninsassen bereit erklärt hätte, die Schuld an dem folgenschweren Verkehrsunfall auf sich zu nehmen. Die Voraussetzungen des § 111 KFG zur Verhängung von Geld- und Arreststrafen nebeneinander sei daher erfült.

Diesen Bescheid bekämpft der Beschwerdeführer mit der vorliegenden Verwaltungsgerichtshofbeschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. In dieser wird geltend gemacht, daß das Verfahren in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedürfe, weil entgegen der Vorschrift des § 19 VStG die Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers bei der Strafzumessung nicht berücksichtigt worden seien. Der Beschwerdeführer sei im Jahre 1894 geboren, er sei leber- und gallenkrank. Die Verhängung einer Arreststrafe stelle eine unbillige Härte dar. Die Gesetzwidrigkeit des Inhaltes wird darin erblickt, daß es sich bei § 111 KFG um eine Kann-Vorschrift handle. Es sei daher keineswegs zwingend, selbst bei erschwerenden Umständen Geld- und Arreststrafen nebeneinander zu verhängen. Das Tatsachengeständnis bilde auf alle Fälle einen mildernden Umstand. Dazu kämen noch die Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschwerdeführers. Bei richtiger Anwendung des Gesetzes hätte mit der Verhängung einer Geldstrafe das Auslangen gefunden werden können.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde wie folgt erwogen:

Wer den Vorschriften des Kraftfahrgesetzes zuwiderhandelt, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist gemäß § 111 KFG mit Geld bis zu 30.000 S oder mit Arrest bis zu 6 Wochen zu bestrafen. Liegen erschwerende Umstände vor, so können Geld- und Arreststrafen auch nebeneinander verhängt werden. Gemäß § 19 VStG aber sind bei der Bemessung der Strafe die mildernden und erschwerenden Umstände zu berücksichtigen. Im vorliegenden Falle berücksichtigte die belangte Behörde die mildernden und erschwerenden Umstände insoferne, als sie ausführte, das Geständnis des Beschwerdeführers könne nicht als ein den Erschwerungsumständen die Waage haltendes Moment gewertet werden. Die Voraussetzung des § 111 KFG zur Verhängung von Geld- und Arreststrafen nebeneinander erscheine daher als erfüllt. Diese Begründungsausführungen veranlaßten den Gerichtshof, die Frage zu untersuchen, ob die Behörde, wenn sie wegen Vorliegens eines bestimmten erschwerenden Umstandes im Sinne des § 111 KFG eine Geld- und Arreststrafe nebeneinander verhängt hat, denselben Umstand noch bei der im Sinne des § 19 VStG vorzunehmenden Strafbemessung berücksichtigen dürfe. Diese Frage wurde wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 11 Abs. 4 Z. 2 VwGG 1952 einem verstärkten Senat vorgelegt. Der verstärkte Senat hat am 13. April 1959 die Frage verneint. Hiefür waren folgende Erwägungen maßgebend:

Gemäß § 10 Abs. 1 VStG richten sich Strafmittel und Strafsatz nach den Verwaltungsvorschriften. Die jeweils angewendete Verwaltungsvorschrift hat die Behörde im Straferkenntnisse zu benennen (§ 44a lit. c VStG). Da dem Beschwerdeführer die Verwaltungsübertretung nach § 57 Abs. 1 KFG zur Last gelegt worden ist, kam als Verwaltungsvorschrift der im Wortlaute bereits wiedergegebene § 111 KFG in Betracht. In dieser Gesetzesstelle hat der Gesetzgeber Geld- und Arreststrafen als Strafmittel zur Verfügung gestellt, und zwar, wenn keine erschwerenden Umstände vorliegen: disjunktiv, wenn aber schwerende Umstände vorliegen: konjunktiv. Die Änderung der Strafmittel bei Vorliegen erschwerender Umstände ist sowohl im Justiz- als auch im Verwaltungsstrafrecht nicht ungewöhnlich. In diesem Zusammenhange genügt der Hinweis auf § 72 StPolG, wo es einer Geldstrafe, bei erschwerenden Umständen aber an Stelle oder neben der Geldstrafe mit Arrest geahndet werden. Der Strafänderungsgrund kann allgemein oder namentlich genannt sein. So wird eine Zuwiderhandlung gegen § 1 Zugabengesetz (BGBl. II Nr. 196/1934) gemäß § 4 leg. cit. mit Geld bestraft; ist der Täter aber wegen einer solchen Zuwiderhandlung bereits einmal bestraft worden, so kann an Stelle oder neben der Geldstrafe auf Arrest erkannt werden. Hier ist der Rückfall ein namentlich genannter Strafänderungsgrund. Im § 111 KFG allerdings sind Strafänderungsgründe nicht namentlich genannt. Der Gesetzgeber macht vielmehr die Verhängung von Geld- und Arreststrafen nebeneinander schlechthin davon abhängig, daß erschwerende Umstände vorliegen. Der Gebrauch der Mehrzahl rechtfertigt nicht die Auffassung, daß bei Vorliegen nur eines Erschwerungsumstandes die Verhängung von Geld- und Arreststrafen nebeneinander unzulässig wäre. Dies hat der Gerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 17. Mai 1955, Slg. Nr. 3743/A, allerdings in Auslegung des § 17 KFG 1946, BGBl. Nr. 83/1947, ausgesprochen; wegen des im wesentlichen gleichen Wortlautes des § 111 KFG hat es auch hier zu gelten. Infolge der Vielzahl der Erschwerungsumstände ist es unmöglich, alle Tatsachen anzuführen, die als erschwerende Umstände im Sinne des § 111 KFG in Betracht gezogen werden können. Jedenfalls bildet aber Rückfall einen erschwerenden Umstand (vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Juni 1955, Zl. 124/54). In diesem und im Erkenntnis vom 21. Oktober 1957, Zl. 96/56, hat der Gerichtshof auch ausgesprochen, daß die Verhängung von Geld- und Arreststrafen nebeneinander mit dem Gedanken der Generalprävention gesetzmäßig nicht begründet werden kann. Als erschwerender Umstand kann bei Bestrafung wegen der Verwaltungsübertretung nach § 85 Abs. 2 KFG die aus der Lenkung eines Kraftfahrzeuges in einem Zustande hochgradiger Alkoholisierung vorherzusehende Gefahr und bei Bestrafung wegen der Verwaltungsübertretung nach § 68 Abs. 3 StPolO die besondere Gefährdung der übrigen Verkehrsteilnehmer im Falle der Lenkung eines unbeleuchteten Motorfahrrades im alkoholisierten Zustand in Betracht gezogen werden (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Februar 1958, Zl. 448/57, und vom 9. Juli 1958, Zl. 1987/57). Allerdings kann ein Tatbestandsmerkmal keinen erschwerenden Umstand bilden. Dies hat der Gerichtshof bereits in seinen Erkenntnissen vom 14. November 1950, Slg. Nr. 1762/A, und vom 17. Mai 1955, Slg. Nr. 3743/A, ausgesprochen. Jedoch darf bei der Bestrafung wegen Schnellfahrens eine erhebliche Überschreitung der Geschwindigkeitsgrenze als erschwerender Umstand gewertet werden (vgl. das Erkenntnis vom 9. November 1954, Zl. 307/54).

Mit der Feststellung des nach den Verwaltungsvorschriften anzuwendenden Strafmittels ist die Tätigkeit der Strafbehörde noch nicht erschöpft. Sofern hienach die Verhängung einer Freiheits- oder Geldstrafe zulässig ist, finden gemäß § 10 Abs. 2 VStG die Vorschriften der §§ 11 bis 22 VStG Anwendung. Wenn sich nun die Behörde darüber schlüssig ist, welche Strafmittel sie anzuwenden gedenkt, dann hat sie gemäß § 19 VStG die Strafen innerhalb der Grenzen des gesetzlichen Strafsatzes zu bemessen. Dabei sind außer den mildernden und erschwerenden Umständen auch die Vermögens- und Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen. Hiezu sei nebenbei bemerkt, daß die Behörde bei der Bemessung der Strafe im Sinne des § 19 VStG auch auf den Gedanken der Generalprävention Bedacht zu nehmen hat (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 1958, Zl. 2065/57, und vom 20. Oktober 1958, Zl. 366- 368/58). Bei den in § 19 VStG genannten mildernden und erschwerenden Umständen handelt es sich um Strafzumessungsgründe. Um eine Verwaltungsübertretung der Kraftfahrvorschriften allein mit Arrest zu ahnden, bedarf es nicht der Feststellung eines erschwerenden Umstandes als Strafzumessungsgrund (vgl. die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. September 1956, Zl. 2475/55, und vom 6. Juni 1957, Zl. 512/56). Als Strafzumessungsgründe kommen nach Lehre und Rechtsprechung auch im Verwaltungsstrafverfahren die im gerichtlichen Strafrecht maßgeblichen Umstände in Betracht (vgl. insbesondere die §§ 263 und 264 StG). Nun ist es durchaus denkbar, daß ein und dieselbe Tat sowohl einen Strafänderungs- als auch einen Strafzumessungsgrund abgeben könnte. Für diesen Fall haben im Bereiche des Justizstrafrechtes die Lehre und die Rechtsprechung den Grundsatz entwickelt, daß ein und dieselbe Tatsache nicht sowohl als Strafänderungsgrund als auch als Strafzumessungsgrund in Betracht gezogen werden darf. So kann bei Bestrafung nach § 84 StG der Erschwerungsumstand des § 44 lit. e StG dem Urheber gegenüber nicht angewendet werden, weil diese Eigenschaft schon dadurch berücksichtigt ist, daß er einem strengeren Strafsatz unterfällt (vgl. Altmann-Jakob, Kommentar zum österreichischen Strafrecht, Wien 1928, S. 205). Bei Rückfallsdiebstahl ist erst die dritte Diebstahlsstrafe erschwerend (Oberster Gerichtshof, 25. März 1948, ÖJZ. Nr. 528/1948). Bei Gewohnheitsdiebstahl aber gibt es keinen Erschwerungsgrund des Rückfalls (Oberster Gerichtshof, 11. Februar 1931, RZ. S. 92/1931). Es besteht kein Anlaß, diese grundsätzlichen Fragen im Verwaltungsstrafrecht anders zu beurteilen und zu lösen.

Aus diesen Erwägungen hat der verstärkte Senat des Verwaltungsgerichtshofes, wie einleitend erwähnt, folgenden Rechtssatz beschlossen:

"Die Behörde darf, wenn sie wegen Vorliegens eines bestimmten erschwerenden Umstandes im Sinne des § 111 Kraftfahrgesetzes 1955, BGBl. Nr. 223, (KFG) eine Geld- und Arreststrafe nebeneinander verhängt hat, denselben Umstand nicht noch bei der im Sinne des § 19 VStG vorzunehmenden Strafbemessung berücksichtigen."

Im vorliegenden Falle führte - wie oben ausgeführt - die belangte Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, das Geständnis könne keinesfalls als gewichtiger Milderungsumstand, geschweige denn als ein den Erschwerungsgründen die Waage haltendes Moment gewertet werden; die Voraussetzung des § 111 KFG zur Verhängung von Geld- und Arreststrafen nebeneinander sei daher erfüllt. Bei dieser Formulierung der Begründungsausführungen kann die Annahme nicht ausgeschlossen werden, daß die belangte Behörde die von der Erstinstanz als erschwerend angeführten Vorstrafen als erschwerenden Umstand sowohl im Sinne des § 111 KFG als auch im Sinne des § 19 VStG gewertet hat.

Der angefochtene Bescheid leidet somit an einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes, die gemäß § 42 Abs. 2 lit. a VwGG 1952 zu seiner Aufhebung führte.

Wien, 13. Mai 1959

Schlagworte

Erschwerende und mildernde Umstände Allgemein Geldstrafe und Arreststrafe Rücksichten der Generalprävention

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1959:1958001137.X00

Im RIS seit

10.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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