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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ApG 1907 §24 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner, Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde der Mag. pharm. D in Kufstein, vertreten durch S, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Gesundheit und Konsumentenschutz vom 31. Juli 1996, Zl. 262.151/0-II/A/4/96, betreffend Filialapothekenbewilligung (mitbeteiligte Parteien:
1. Mag. pharm. P in Kufstein, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in W, und 2. Mag. pharm. W in Kufstein, vertreten durch Dr. T, Rechtsanwalt in K), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und den mitbeteiligten Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt S 12.740,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte 1991 beim Landeshauptmann von Tirol (LH) die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für den Stadtteil Zell von Kufstein.
Die mitbeteiligten Parteien erhoben Einspruch.
Mit Bescheid vom 2. Dezember 1992 wies der LH den Antrag
ab.
In der Begründung heißt es, gemäß § 24 Abs. 1 des Apothekengesetzes (ApG) sei Voraussetzung für die Errichtung einer Filialapotheke das Vorliegen einer Ortschaft. Der LH gehe davon aus, daß es sich beim Ortsteil Zell der Stadtgemeinde Kufstein nicht um eine Ortschaft im Sinne des § 24 Abs. 1 ApG handle. In diesem Zusammenhang sei auch auf die grundsätzlichen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 22. März 1991, Zlen. 90/10/0020 - 0024, 0030, hinzuweisen. Im vorliegenden Fall sei bei der Wertung des Ortsteiles Zell als Ortschaft zu beachten, daß Zell keine eigene Katastralgemeinde bilde. Zell gehöre zur Katastralgemeinde Kufstein. Weiters sei zu beachten, daß der Ortsteil Zell auch über kein eigenes Postamt verfüge und auch der Zustellbereich, wie für ganz Kufstein, beim Postamt 6330 Kufstein liege. Auch hinsichtlich des Telefons habe der Ortsteil Zell keinen Sonderstatus im Vergleich zu den übrigen Teilen von Kufstein. Wenn man dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 1978, Slg. Nr. 8283, folge, seien unter einer Ortschaft die regelmäßig aus einem verbauten Ortskern und aus dem um diesen gelagerten unverbauten Grundstücken bestehenden Flächen, die in ihrer Gesamtheit das Gemeindegebiet bildeten, zu verstehen. Daraus sei zu schließen, daß unter Ortschaft eine verbaute Fläche mit umgebenden freien Flächen zu verstehen sei. Dazu komme noch ein Mindestmaß an Selbständigkeit im Sinne einer administrativrechtlichen Sonderstellung. Im Ortsteil Zell könne der LH eine Mindestbedeutung in administrativrechtlicher Hinsicht nicht erkennen. Für den Ortsteil Zell sei weder ein Ortsvorsteher noch ein Ortsausschuß im Sinne des § 49 der Tiroler Gemeindeordnung berufen. Der Hinweis der Beschwerdeführerin auf den Ortsteil Morsbach sei diesbezüglich nicht relevant, da Morsbach einen eigenen Teil von Kufstein bilde, nicht zum Ortsteil Zell gehöre und auch eine eigene Katastralgemeinde darstelle. Diese Voraussetzung sei jedoch bei Zell offensichtlich nicht vorhanden. Auch die Trennung des Ortsteiles Zell von anderen Ortsteilen von Kufstein durch den Inn vermöge an der mangelnden Ortschaftsqualität von Zell nichts zu ändern. Bei vielen Gemeinden und Städten sei das verbaute Gebiet durch einen Fluß getrennt. Damit sei aber nicht zwingend verbunden, daß die links und rechts dieses Flusses gelegenen Ortsteile selbständige Ortschaften seien. Daß im Zuge der geschichtlichen Entwicklung einmal der eine Teil und dann der andere Teil ein größeres Schwergewicht erhalte, ergebe sich aus der wirtschaftlichen und bevölkerungsmäßigen, aber auch verkehrsmäßigen Entwicklung dieser Orte. Aus all diesen Überlegungen könne der LH nicht die Ansicht der Beschwerdeführerin teilen, daß es sich beim Ortsteil Zell um eine Ortschaft im Sinne des § 24 ApG handle. Es handle sich vielmehr um einen unselbständigen Ortsteil der Stadtgemeinde Kufstein.
Die Beschwerdeführerin berief. Sie machte geltend, der LH berufe sich auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1991, Zlen. 90/10/0020 bis 0024, 0030, ziehe daraus aber die falschen Schlüsse. Der Verwaltungsgerichtshof habe betont, daß die Katastralgemeinden nur mehr ein bedingt brauchbares Bild der Ortschaftsstruktur widerspiegelten. Aus dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ergebe sich weiters, daß Ortschaften heute keine bzw. nur mehr eine vernachlässigbare administrativrechtliche Bedeutung hätten. Aus diesem Grund sei das Argument des LH verfehlt, eine Ortschaft müsse ein Mindestausmaß an Bedeutung in administrativrechtlicher Hinsicht aufweisen. Das Vorhandensein eines Ortsvorstehers oder eines Ortsausschusses sei zwar ein starkes Indiz für das Vorliegen einer Ortschaft, ein Gegenschluß sei aber unzulässig. Zusammenfassend habe der Verwaltungsgerichtshof gemeint, unter Ortschaft sei nur eine Siedlung für eine dort wohnhafte Bevölkerung zu verstehen.
Die Grenzen dieser Ortschaften seien auch dann auf Grund der historischen Gegebenheiten objektiv ermittelbar, wenn sie rechtlich nirgends verankert seien. Gehe man von diesen Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zum Begriff der Ortschaft aus, so zeige sich, daß der Ortsteil Zell eine derartige Ortschaft sei. Dies ergebe sich aus folgenden Überlegungen:
Historisch handle es sich bei Zell um die älteste urkundlich erwähnte Siedlung im Bereich des heutigen Kufstein. Das Kloster sei bereits im Jahr 748 gegründet worden, die erste urkundliche Erwähnung stamme aus dem Jahr 788 ("Zell bei Kufstein"). Es handle sich daher um eine historisch selbständige, erst im Zuge späterer Kommunalstrukturmaßnahmen zu einer größeren Gemeinde (Kufstein) zusammengelegte Kleingemeinde (VfSlg. 8283/1978).
Ein Teil von Zell, nämlich das sogenannte "Morsbachgebiet" sei bis in die jüngste Zeit der Gemeinde Langkampen zugeordnet gewesen und sei erst im Jahr 1955 vertraglich - mit zahlreichen Sonderrechten - in die Stadtgemeinde Kufstein eingegliedert worden. Morsbach habe noch heute einen eigenen Ortsvorsteher. In diesem Zusammenhang sei hervorzuheben, daß Morsbach sich innerhalb des beantragten Standortgebietes befinde und daß Voraussetzung für die Berufung eines Ortsvorstehers das Vorliegen einer Ortschaft sei. Damit sei eindeutig belegt, daß es auch im städtischen Gebiet - und konkret auch in Kufstein und noch konkreter innerhalb des von der Beschwerdeführerin beantragten Standortgebietes - Ortschaften gebe.
Hervorzuheben sei ferner, daß der Österreichische Amtskalender 1992/93 Zell innerhalb der Stadtgemeinde Kufstein als "Dorf (geschlossener Ort)" führe. Bis vor kurzem sei Zell auch durch eigene Schilder mit der Aufschrift "Ortschaft Zell" gekennzeichnet gewesen. All das sei bei der besonderen örtlichen Situation des Stadtteils Zell verständlich. Es handle sich dabei um eine eigene Siedlungseinheit, die vom übrigen Stadtgebiet ganz außergewöhnlich markant abgeschnitten sei, nämlich durch den Inn, die parallel dazu verlaufende Bahnlinie einschließlich Frachtenbahnhof und in gewissem Grad auch durch die Schubertstraße und letztlich auch durch die Autobahn. Zell sei vom übrigen Gebiet der Stadt Kufstein über die drei Innbrücken nur äußerst schwierig zu erreichen.
Mit Bescheid vom 31. Juli 1996 wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab.
In der Begründung wird ausgeführt, der Verwaltungsgerichtshof sehe in seinem Erkenntnis vom 22. März 1991 eine Ortschaft grundsätzlich aus einem verbauten Ortskern und aus den um diesen gelagerten unverbauten Grundstücken bestehend an. Diesem Erfordernis sei nach dem Akteninhalt nicht Genüge getan. Aus dem Planstudium ergebe sich vielmehr eindeutig, daß es sich bei Kufstein/Zell um den restlichen Teil des Stadtgebietes von Kufstein handle. Ebenso wie bei anderen Städten, die durch Flüsse durchquert werden, werde auch im gegenständlichen Fall ein Stadtteil hiedurch nicht zur eigenständigen Ortschaft. Dieser Sachverhalt sei so klar, daß sich eine noch nähere Begründung erübrige.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdebegründung entspricht im wesentlichen den in der Berufung gegen den Bescheid des LH vorgetragenen Gründen.
Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und in der Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Die mitbeteiligten Parteien haben ebenfalls Gegenschriften erstattet und beantragt, der Beschwerde keine Folge zu geben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 24 Abs. 1 ApG ist dem Inhaber einer öffentlichen Apotheke die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine Ortschaft, in der sich keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet, zu erteilen, wenn diese Ortschaft nicht mehr als 4 Straßenkilometer von der Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke entfernt ist und der Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln besteht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 22. März 1991, Zlen. 90/10/0020 bis 0024, 0030, zur Auslegung des Begriffes "Ortschaft" u.a. auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 14. März 1978, Slg. Nr. 8283, zurückgegriffen. Danach werden unter "Ortschaften" herkömmlicherweise die regelmäßig aus einem verbauten Ortskern und den um diesen gelagerten unverbauten Grundstücken bestehenden Flächen verstanden. Wesentlich für eine Ortschaft ist also, daß sie sich von anderen Siedlungen als eigene Einheit abhebt.
Diesen Grundsatz hat der Verwaltungsgerichtshof auch im Erkenntnis vom 19. Dezember 1994, Zl. 93/10/0029, betont. Danach ist bei Bedachtnahme auf den Zweck der Vorschrift des § 24 ApG, den Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln zu decken, und auf die in § 47 Abs. 2 letzter Satz ApG normierten Wirkungen der Errichtung einer Filialapotheke der Begriff der "Ortschaft" in § 24 Abs. 1 ApG im Sinne eines räumlich von anderen Siedlungsgebieten klar abgegrenzten Siedlungsgebietes zu verstehen. Innerhalb eines städtischen (geschlossenen) Siedlungsraumes gelegene Gebiete sind nicht als "Ortschaft" im Sinne des § 24 ApG anzusprechen; dies hat im Hinblick auf geänderte tatsächliche Verhältnisse auch dann zu gelten, wenn es sich historisch um das Gebiet früherer "Ortschaften" handelt. Entscheidend ist, ob unter topografischen und strukturellen Gesichtspunkten ein räumlich von anderen Siedlungsgebieten klar abgegrenztes Siedlungsgebiet im Sinne des dem § 24 ApG zugrundeliegenden Begriffes einer "Ortschaft" vorliegt.
Die von der Beschwerdeführerin ins Treffen geführte Trennung von Zell vom übrigen Stadtgebiet von Kufstein durch Fluß, Bahn und Straße ist eine Konstellation, wie sie in vielen Städten und Orten vorkommt, ohne daß bei einer solchen Konstellation die solcherart getrennten Siedlungsgebiete als "eigene Ortschaften" bezeichnet würden. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, daß Ortsteile, die durch Fluß, Bahn oder Straße getrennt sind, als eigene "Ortschaften" anzusehen sind. Das kann aber nur dann gelten, wenn besondere Umstände vorliegen, die es erlauben, in diesem Fall von einer "selbständigen Siedlungseinheit" zu sprechen.
Im Beschwerdefall kann davon keine Rede sein.
Die Ausführungen der Beschwerdeführerin über die geschichtliche Entwicklung sind ohne Belang, da es auf den heutigen Zustand ankommt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 1994, Zl. 93/10/0029).
Morsbach gehört, wie im Verfahren festgestellt wurde, nicht zu Zell. Das Vorhandensein eines Ortsvorstehers in Morsbach hat daher für die Qualifikation von Zell als "Ortschaft" keine Bedeutung.
Der Hinweis auf die Eintragungen im Amtskalender 1992/93 verfängt schon deswegen nicht, weil dort von "Dorf (geschlossener Ort)" die Rede ist, also Begriffe gebraucht werden, die mit jenen der "Ortschaft" nicht ident sind (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. März 1991, Zlen. 90/10/0020 bis 0024, 0030) und außerdem nicht bekannt ist, von welchen Kriterien bei dieser Qualifizierung ausgegangen wurde.
Die frühere Aufstellung eines Schildes "Ortschaft Zell" führt noch nicht zum Vorhandensein einer Ortschaft (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 22. März 1991, Zlen. 90/10/0020 bis 0024, 0030).
Ist Zell aber keine "Ortschaft", dann hat die belangte Behörde die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke zu Recht verweigert.
Aus den dargestellten Erwägungen erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
Schlagworte
Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1996100191.X00Im RIS seit
11.07.2001