TE Vwgh Beschluss 2021/8/5 Ra 2021/21/0213

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Veröffentlicht am 05.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §67 Abs1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des D S, vertreten durch Mag. Dr. Ralf Heinrich Höfler, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Untere Viaduktgasse 6/6, gegen das am 15. April 2021 mündlich verkündete und mit 6. Mai 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, G314 2201751-2/12E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Nach dem insoweit unbekämpften Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses ist von folgendem Sachverhalt auszugehen:

2        Der 1985 geborene Revisionswerber, ein deutscher Staatsangehöriger, war ab Mai 2012 zunächst mit einem Nebenwohnsitz in Österreich gemeldet, bevor er nach einer Verurteilung in Deutschland wegen „veruntreuender Unterschlagung“ zu einer Geldstrafe seinen Lebensmittelpunkt Ende September 2012 nach Österreich verlegte.

3        Mit rechtskräftigem Urteil vom 6. Februar 2014 verhängte das Landesgericht Leoben über den Revisionswerber wegen des Verbrechens der versuchten schweren Erpressung nach §§ 15 Abs. 1, 144 Abs. 1, 145 Abs. 1 Z 1 StGB eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von 15 Monaten. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im April 2013 versucht, einen anderen durch gefährliche Drohung mit der Vernichtung seiner gesellschaftlichen Stellung zur Zahlung von 500,-- € zu nötigen, indem er seinem Opfer in anonymen SMS-Nachrichten angekündigt habe, er werde von einer Anzeige bei der Polizei wegen schweren sexuellen Missbrauchs Unmündiger und davon, seine (pädophile) Neigung öffentlich zu machen, absehen, wenn dieser ihm den Geldbetrag bis Mitternacht in einem Briefkasten deponiere.

4        Im Zuge seines anschließenden Aufenthalts in Deutschland wurde der Revisionswerber im Zeitraum von August 2014 bis August 2015 mit Urteilen verschiedener Amtsgerichte wegen der (bis September 2012 vorgenommenen) Einfuhr von Betäubungsmitteln zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Jahr sowie wegen „Betrugs bei öffentlichen Leistungen“ und wegen Straßenverkehrsdelikten jeweils zu Geldstrafen verurteilt.

5        Mit rechtskräftigem Urteil vom 11. September 2015 verhängte das Landesgericht Innsbruck über den wieder nach Österreich zurückgekehrten Revisionswerber wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB eine Geldstrafe und eine bedingte Freiheitsstrafe von einem Jahr. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe im November 2014 versucht, einen anderen durch Drohung mit einer Brandstiftung zur Unterlassung der Verständigung der Polizei zu nötigen, nachdem der Leiter einer karitativen Einrichtung seiner Aufforderung, der Revisionswerber möge umgehend die Räumlichkeiten verlassen, mit dem Hinweis auf die Einschaltung der Polizei Nachdruck verleihen wollte.

6        Mit Urteil des Amtsgerichtes München vom 26. November 2015 wurde der zwischenzeitig wieder in Deutschland aufhältig gewesene Revisionswerber wegen Sachbeschädigung zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sechs Monaten und mit Urteil des Amtsgerichts Chemnitz vom 26. Jänner 2016 wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe verurteilt.

7        Mit Bescheid vom 12. Jänner 2018 entzog die Landespolizeidirektion Niederösterreich dem Revisionswerber die Lenkberechtigung, nachdem er der Aufforderung, sich einer amtsärztlichen Untersuchung zu unterziehen oder die zur Erstattung eines amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde vorzulegen, nicht nachgekommen war. Mit Strafverfügung vom 4. April 2018 wurde über den Revisionswerber eine Geldstrafe verhängt, weil er die Abgabe des entzogenen Führerscheins unterlassen hatte.

8        In der Folge erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 22. Juni 2018 gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Dieser Bescheid wurde infolge einer dagegen erhobenen Beschwerde wegen Begründungsmängeln mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 27. Juli 2018 aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das BFA zurückverwiesen.

9        Mit dem seit 16. Mai 2020 rechtskräftigen Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Judenburg vom 26. Juni 2019 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens des Diebstahls gemäß § 127 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt, weil er ein Mobiltelefon gestohlen habe.

10       In Deutschland wurde der Revisionswerber dann noch mit Urteil des Amtsgerichtes Iserlohn vom 14. April 2020 wegen Betrugs zu einer Geldstrafe verurteilt.

11       Mit Bescheid vom 21. September 2020 erließ das BFA neuerlich gegen den Revisionswerber gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Aufenthaltsverbot und erteilte gemäß § 70 Abs. 3 FPG einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

12       In Erledigung der dagegen erhobenen Beschwerde erließ das BFA mit Bescheid vom 8. November 2020 eine im Wesentlichen inhaltsgleich begründete abweisende Beschwerdevorentscheidung.

13       Im Hinblick auf einen fristgerechten Vorlageantrag gab das BVwG mit dem in der mündlichen Verhandlung am 15. April 2021 verkündeten, über fristgerechten Antrag mit 6. Mai 2021 schriftlich ausgefertigten und nunmehr angefochtenen Erkenntnis der Beschwerde teilweise Folge und änderte die Beschwerdevorentscheidung dahingehend ab, dass es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf drei Jahre reduzierte. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

14       In der Begründung stellte das BVwG noch des Näheren die Aufenthalte des Revisionswerbers im österreichischen Bundesgebiet ab dem Jahr 2012 sowie mehrmonatige Abwesenheiten durch Aufenthalte in Deutschland und in den Jahren 2016/2017 in Ungarn sowie in den Jahren 2019/2020 in Italien, wo er nach wie vor über einen Zweitwohnsitz verfüge, fest. Der Revisionswerber habe ab 2012 immer wieder Suchtmittel konsumiert, zuletzt im September 2020, als er bei einer Fahrzeugkontrolle in einem von Suchtgift beeinträchtigten Zustand angetroffen und anschließend in einer psychiatrischen Klinik untergebracht worden sei. Seit Ende Oktober 2020 unterziehe sich der Revisionswerber einer Psychotherapie bei einer Suchtberatungseinrichtung. Er führe seit etwa drei Monaten eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin, die jedoch noch nicht als Lebensgemeinschaft angesehen werden könne. Seit März 2020 betreibe der Revisionswerber einen Verkaufsstand für Blumenzwiebel auf verschiedenen österreichischen Märkten. Diese selbständige Erwerbstätigkeit habe er ungeachtet des Bezuges von Notstandshilfe bzw. Krankengeld, ohne eine Meldung zur Sozialversicherung und ohne die erforderliche österreichische Gewerbeberechtigung ausgeübt. Abgesehen von Kontakten zu einem Verein, der ihn unterstütze, seien vom Revisionswerber keine weiteren konkreten Integrationsschritte gesetzt worden. Seit 1. April 2021 bestehe auch keine Wohnsitzmeldung im Bundesgebiet mehr.

15       Vor diesem Hintergrund folgerte das BVwG rechtlich, angesichts der wiederholt in Österreich und in Deutschland begangenen, zum Teil einschlägigen Straftaten erfülle das Verhalten des Revisionswerbers insgesamt den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 zweiter bis vierter Satz FPG, der zur Anwendung komme, weil der Revisionswerber, wie näher begründet wurde, nicht das Recht auf Daueraufenthalt erworben habe. Bei der nach § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessenabwägung kam das BVwG dann zusammengefasst zum Ergebnis, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes angesichts der in Österreich nur geringfügigen sozialen und beruflichen Bindungen des Revisionswerbers und des Bestehens von Anknüpfungspunkten in Deutschland, wo die Mutter des Revisionswerbers lebe, sowie in Ungarn und in Italien wegen seiner Straffälligkeit verhältnismäßig sei. Da sich der Revisionswerber aber zuletzt erkennbar um einen geordneten Lebenswandel bemüht habe, sei dessen Dauer angemessen auf drei Jahre herabzusetzen.

16       Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als unzulässig erweist.

17       Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

18       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

19       In dieser Hinsicht wendet sich die Revision zunächst gegen die „Beweiswürdigung“ des BVwG, das in Anbetracht der sozialen Integration des Revisionswerbers im Bundesgebiet, seiner „Wert- und Berufsvorstellungen in Zukunft bzw. seiner Berufstätigkeit derzeit“ zu Unrecht eine negative Gefährdungsprognose erstellt habe. Vielmehr hätte es angesichts seines Wohlverhaltens seit der letzten Verurteilung und aufgrund der derzeit erfolgreich absolvierten Therapie von einem positiven Gesinnungswandel ausgehen müssen, der sich im Übrigen auch durch die beantragte, aber rechtswidrig unterlassene Einholung eines kriminalpsychologischen Sachverständigengutachtens bestätigt hätte.

20       Vorauszuschicken ist, dass mit diesem Vorbringen den (nicht unvertretbaren) Annahmen des BVwG, es sei im vorliegenden Fall auf den Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG abzustellen und dieser Maßstab sei aufgrund des bisherigen Gesamtverhaltens des Revisionswerbers grundsätzlich erfüllt, nicht entgegengetreten wird. Es geht demnach nur um die Frage eines allfälligen nachträglichen Wegfalls dieser Gefährdung. Dazu ist dem Revisionsvorbringen aber zu entgegnen, dass das BVwG zutreffend auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen hat, wonach der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem allfälligen Vollzug einer Haftstrafe: in Freiheit - wohlverhalten hat, was selbst im Fall einer erfolgreichen Therapie gilt. Aber auch die daraus gezogene Schlussfolgerung, es hätte daher nicht der vom Revisionswerber zum Nachweis seines behaupteten Gesinnungswandels beantragten Einholung eines kriminalpsychologischen Gutachtens bedurft, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. zum Ganzen VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0276, Rn. 10, mwN). Dem liegt zu Grunde, dass der Verwaltungsgerichtshof davon ausging, dass ein durch ein Gutachten festgestellter Gesinnungswandel, der nicht in einem - einen relevanten Zeitraum umfassenden - Wohlverhalten seine Entsprechung gefunden habe, für den Wegfall der Gefährdungsprognose nicht ausreiche (vgl. dazu VwGH 24.5.2016, Ra 2016/21/0108, Rn. 10, mwN). Daran ist festzuhalten.

21       Das BVwG gelangte im angefochtenen Erkenntnis zur Einschätzung, wegen der wiederholten und kontinuierlichen Rückfälligkeit des Revisionswerbers in Bezug auf mehrfach auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen und angesichts des Umstands, dass er zuletzt noch im September 2020 Suchtgift konsumiert habe, reiche trotz der seither bestehenden Abstinenz und der im Oktober 2020 begonnenen Therapie der seit der letzten Verurteilung verstrichene Zeitraum noch nicht aus, um einen nachhaltigen Gesinnungswandel anzunehmen. Diese - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des dabei gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber vorgenommene - Beurteilung war jedenfalls vertretbar (vgl. zu diesem Prüfungsmaßstab für die Zulässigkeit einer Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG etwa VwGH 2.11.2020, Ra 2020/21/0272, Rn. 13), zumal der Revisionswerber sogar noch während des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes straffällig wurde und überdies ein (nachhaltiger) Erfolg der - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses noch gar nicht beendeten - Therapie nicht feststeht. Darauf käme es aber an, wird doch in der Revision zugestanden, dass der Drogenkonsum des Revisionswerbers die Ursache für sein (strafrechtliches) Fehlverhalten gewesen sei. Vor diesem Hintergrund ist somit auch nicht erkennbar, dass die in der Revision ins Treffen geführten, nicht näher konkretisierten „Wert- und Berufsvorstellungen“ oder die aktuelle Erwerbstätigkeit, die allerdings - worauf das BVwG ebenfalls zu Recht hinwies - nicht im Einklang mit den rechtlich gebotenen Rahmenbedingungen ausgeübt wird, die Gefährdungsprognose unvertretbar erscheinen lassen könnten.

22       Soweit in der Revision dann noch - allerdings in nur pauschaler Weise - die Unverhältnismäßigkeit der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG behauptet wird, genügt es zu erwidern, dass das vom BVwG diesbezüglich auf Basis der in der Revision unbekämpften Feststellungen erzielte Ergebnis - auch angesichts der ohnehin reduzierten Dauer des Aufenthaltsverbotes - ebenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden kann (siehe dazu, dass auch insoweit für die Zulässigkeit einer Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG das Vertretbarkeitskalkül maßgeblich ist, etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0199, Rn. 20, mwN).

23       In der Revision werden somit keine grundsätzlichen Rechtsfragen im Sinne der genannten Verfassungsbestimmung aufgeworfen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 5. August 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210213.L00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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