TE Vwgh Beschluss 2021/8/19 Ra 2021/21/0068

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Veröffentlicht am 19.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4
FrPolG 2005 §52 Abs9
FrPolG 2005 §53 Abs1
FrPolG 2005 §53 Abs3 Z5
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des A K, vertreten durch Mag. Richard Trusnovic, Rechtsanwalt in 7142 Illmitz, Breitegasse 28/3, gegen das am 26. November 2020 mündlich verkündete und mit 28. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L504 2223393-1/19E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 1989 geborener türkischer Staatsangehöriger, heiratete am 28. Dezember 2013 eine österreichische Staatsbürgerin. Das Ehepaar hat zwei 2015 und 2017 geborene (österreichische) Kinder. Im Jahr 2014 verzog der Revisionswerber - nach einem rechtmäßigen Aufenthalt in Deutschland seit 1998 - nach Österreich, wo ihm Aufenthaltstitel als Familienangehöriger erteilt wurden.

2        Mit Bescheid vom 13. August 2019 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 Z 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung. Das BFA stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei. Es erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot.

3        Mit dem angefochtenen, am 26. November 2020 mündlich verkündeten und mit 28. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgerichtgericht (BVwG) einer dagegen erhobenen Beschwerde nur insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf zehn Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        In der Begründung verwies das BVwG unter anderem darauf, dass der Revisionswerber während seines Aufenthalts in Deutschland mit rechtskräftigen Urteilen deutscher Gerichte vom 5. Mai 2010 wegen versuchten Betruges, vom 12. Mai 2010 wegen Erschleichens von Leistungen und vom 19. Oktober 2012 wegen Erschleichens von Leistungen in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu Geldstrafen verurteilt worden sei. Zuletzt sei mit rechtskräftigem Urteil vom 28. Oktober 2013 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte eine bedingt nachgesehene viermonatige Freiheitsstrafe ergangen.

5        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 18. August 2017 sei über ihn wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach den §§ 15, 142 Abs. 1 und 143 Abs. 1 zweiter Fall StGB und des Vergehens der fahrlässigen schweren Körperverletzung nach § 88 Abs. 3 und 4 zweiter Fall StGB eine unbedingte Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Jahren ergangen. Er habe in vermummter Bekleidung am 3. Juli 2017 eine Postangestellte mit einem Messer bedroht und wiederholt nach Bargeld verlangt, die dann davonlaufende, um Hilfe rufende Angestellte zunächst mit seinem Messer verfolgt, von ihr aber auf Grund herbeieilender Passanten ablassen und flüchten müssen, wobei er ihr Bargeld in höchstmöglicher Menge abzunötigen und sich zuzueignen versucht habe. Durch die umschriebene Tat habe er bei der genannten Postangestellten eine posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken, Schlafstörungen und weiterer psychischer Unbill herbeigeführt.

6        Die - unter Anrechnung der Untersuchungshaft seit 4. Juli 2017 in Vollzug befindliche - Freiheitsstrafe habe durch Gestattung von Arbeitsmöglichkeiten und Familienbesuchen bis September 2019 Lockerungen erfahren. Danach habe der Revisionswerber am 16. September 2019 die Ordnungswidrigkeit begangen, Heroin, das er selbst nicht konsumiert habe, in die Vollzugsanstalt zu bringen. Deshalb sei er mit einer Geldbuße belegt, von der Arbeit abgelöst und in den normalen Strafvollzug ohne die Möglichkeit, seine Familie, insbesondere die Kinder, zu sehen, überstellt worden. Aktuell sei der Kontakt zu den genannten Personen auf Telefonate beschränkt. Zudem bestehe gegen ihn ein aufrechtes Waffenverbot. Sein im Jahr 2020 gestellter Antrag auf Bewilligung des elektronisch überwachten Hausarrests sei rechtskräftig abgewiesen worden. In Bezug auf die tatursächliche Spielsucht habe sich der Revisionswerber auch keiner Therapie unterzogen.

7        Das BVwG bejahte - auch unter Berücksichtigung des persönlich vom Revisionswerber in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Eindrucks - die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines Einreiseverbotes. Das Gericht verwies insbesondere auf die wiederholte und zuletzt massive, sogar während der Schwangerschaft seiner Ehefrau mit dem zweiten Kind erfolgte Straffälligkeit, wobei der Revisionswerber das Unrecht seiner Taten noch nicht voll eingesehen habe und auch kein Gesinnungswandel erkennbar sei. Umso mehr fehle ein erforderliches Wohlverhalten nach dem Strafvollzug in Freiheit. Vom Revisionswerber gehe somit unverändert eine äußerst schwerwiegende gegenwärtige und tatsächliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus.

8        Im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG berücksichtigte das BVwG vor allem die in Österreich lebende Kernfamilie, weitere im Schengenraum aufhältige Angehörige, den Erwerb von Deutschkenntnissen, eine Teilnahme am Berufsleben und das Vorliegen von Sozialkontakten. Allerdings lebten auch in der Türkei insbesondere die Großeltern und zwei Tanten des Revisionswerbers mit ihren Familien. Diese Angehörigen habe der Revisionswerber, der in der Türkei die ersten Jahre seiner Schulausbildung absolviert und die Sozialisierung erfahren habe, regelmäßig besucht. Das BVwG gelangte davon ausgehend zum Ergebnis, dass das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung das persönliche Interesse des Revisionswerbers am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und dass daher keine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Rückkehrentscheidung erfolge. Maßgebliche Probleme bei der Rückkehr seien, auch unter Berücksichtigung der Covid 19-Pandemie, nicht zu besorgen. Allfällige Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz im Heimatstaat seien zur Vermeidung der Wiederholung vergleichbarer Kriminalität in Kauf zu nehmen. Die Dauer des Einreiseverbotes sei jedoch auf das angemessene, erforderliche und verhältnismäßige Ausmaß von zehn Jahren zu reduzieren.

9        Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision erweist sich als unzulässig.

10       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision nur zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

11       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat die außerordentliche Revision allerdings gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen dieser in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

12       Diesbezüglich wendet sich der Revisionswerber gegen die Gefährdungsprognose des BVwG und, vor allem unter Hinweis auf die aufrechte Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin und seine in Österreich lebenden Kinder, gegen die Interessenabwägung. Jedenfalls erscheine die Verhängung eines zehnjährigen Aufenthaltsverbotes „massiv überzogen“.

13       Dem ist zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise ihm Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. dazu etwa VwGH 9.11.2020, Ra 2020/21/0417, Rn. 14,mwN).

14       Im Rahmen seiner Gefährdungsprognose hat das BVwG jedenfalls vertretbar auf die wiederholte und zuletzt massive Straffälligkeit des Revisionswerbers sowie auf sein gegen einen Gesinnungswandel sprechendes Verhalten während des Strafvollzuges verwiesen. Dabei hat das BVwG zutreffend ausgeführt, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat und dass demnach für die Annahme eines Wegfalls der aus dem bisherigen Fehlverhalten ableitbaren Gefährlichkeit eines Fremden in erster Linie das - hier beim Revisionswerber noch gar nicht gegebene - Verhalten in Freiheit maßgeblich ist (vgl. neuerlich VwGH 9.11.2020, Ra 2020/21/0417, nunmehr Rn. 12, mwN).

15       Hinsichtlich der Interessenabwägung verweist der Revisionswerber lediglich auf die bereits vom BVwG berücksichtigten Gesichtspunkte, legt aber nicht dar, inwieweit auf dieser Grundlage ein anderes Ergebnis zwingend geboten gewesen wäre. Im Ergebnis ist die vom BVwG vertretene Auffassung nämlich zumindest vertretbar, die privaten und familiären Bindungen des Revisionswerbers in Österreich stünden dem großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen der in Rede stehenden Art nicht in maßgeblicher Weise entgegen.

16       Angesichts der massiven Kriminalität wären Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung im Herkunftsstaat selbst bei Fehlen familiärer Kontakte - dies unterstellt die Revision, ohne allerdings den gegenteiligen Feststellungen des BVwG konkret zu widersprechen - in Kauf zu nehmen.

17       Soweit die Revision schließlich unter Hinweis auf „aktuelle Reiseberichte“ ins Treffen führt, eine Abschiebung in die Türkei wäre „zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht möglich“, verfehlt sie den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens, in dem die faktische Möglichkeit der Abschiebung nicht zu beurteilen war.

18       Insgesamt wird in der Revision somit eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht dargelegt, sodass sie sich als unzulässig erweist. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 19. August 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210068.L00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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