TE Vwgh Beschluss 2021/8/19 Ra 2021/21/0031

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Veröffentlicht am 19.08.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AVG §56
B-VG Art133 Abs4
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z1
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4
NAG 2005 §11 Abs1
NAG 2005 §11 Abs2
NAG 2005 §24 Abs1
VwGG §34 Abs1
VwGVG 2014 §17

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel, die Hofrätinnen Dr. Julcher und Dr. Wiesinger sowie den Hofrat Dr. Chvosta als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des I K, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Jordangasse 7/4, gegen das am 26. November 2020 mündlich verkündete und mit 8. Jänner 2021 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, L504 2227688-2/20E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein 1974 geborener türkischer Staatsangehöriger, reiste im September 1989 im Weg des Familiennachzuges nach Österreich ein. Ihm waren durchgehend Aufenthaltstitel erteilt worden.

2        Im Jahr 1992 heiratete der Revisionswerber. Der Ehe entstammen drei 1993, 2002 und 2007 geborene (österreichische) Kinder. Nach der Scheidung der Ehe im Jahr 2012 blieben beide Elternteile für die beiden damals noch minderjährigen Kinder obsorgeberechtigt. Ein weiteres (außereheliches) Kind des Revisionswerbers lebt bei der Mutter in Rumänien.

3        Der Revisionswerber wurde ab dem Jahr 1995 wiederholt, vor allem wegen verschiedener Körperverletzungsdelikte sowie Verstößen gegen das Waffengesetz, rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt.

4        Mit rechtskräftigem Urteil vom 13. Jänner 2012 verhängte das Landesgericht für Strafsachen Wien über ihn sodann wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung (Verletzung einer Frau am 6. März 2011 durch Schläge mit den Fäusten und Versetzen von Tritten, wodurch das Opfer verschiedene Prellungen, Hautabschürfungen und eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt, sowie Zerstörung eines Laptops) eine bedingt nachgesehene viermonatige Freiheitsstrafe.

5        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. Jänner 2013 erging wegen des Verbrechens der (zum Teil versuchten) Untreue eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren als Zusatzstrafe unter Bedachtnahme auf das vorgenannte Urteil. Der Revisionswerber hatte mit einem Mittäter auf bestimmte Weise dazu beigetragen, dass ein Dritter in zumindest 254 Angriffen die ihm als Angestellter eines Getränkehandelsunternehmens eingeräumte Befugnis, verschiedene Leergebinderückgaben zu verbuchen und etwaige Guthaben auszahlen zu lassen, dadurch wissentlich missbrauchte, dass fälschlich eine höhere Anzahl von rückgestellten Leergebinden verbucht und entsprechende Auszahlungen getätigt wurden, wodurch zwischen Oktober 2010 und September 2011 ein Gesamtschaden von € 1.766.199,33 entstand und zwischen Oktober 2011 und November 2011 ein weiterer Schaden von € 222.058,56 herbeizuführen versucht wurde.

6        Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 16. März 2016 folgte eine fünfmonatige Freiheitsstrafe wegen betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 153d Abs. 1 StGB im Gesamtbetrag von € 23.341,17 in der Zeit von Juni 2012 bis Jänner 2013.

7        Am 16. Mai 2017 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) auf eine entsprechende Anfrage der Niederlassungsbehörde vom 14. April 2017 mit, dass zwar die objektiven Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorlägen, im Hinblick auf die gebotene Abwägung nach § 9 BFA-VG jedoch kein Verfahren eingeleitet werde.

8        Mit rechtskräftigem Bescheid vom 17. November 2017 stellte der Landeshauptmann von Wien als Niederlassungsbehörde gemäß § 28 Abs. 1 NAG daraufhin mit Bezug auf die strafgerichtlichen Verurteilungen fest, dass das unbefristete Niederlassungsrecht des Revisionswerbers (dokumentiert durch den Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt-EU“) beendet sei.

9        Dem Revisionswerber wurde in der Folge (am 20. November 2017) der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ mit Gültigkeit bis 20. November 2018 erteilt, wozu er am 18. Oktober 2018 - also fristgerecht - einen Verlängerungsantrag stellte.

10       Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 28. Jänner 2019 wurde der Revisionswerber wegen verschiedener, zwischen Jänner 2008 und Jänner 2012 begangener Finanzvergehen zu einer Geldstrafe in Höhe von € 400.000,-- verurteilt. Da er diese Strafe infolge seiner Insolvenz nicht bezahlen konnte, wurde ihm die Ableistung in der Form von Sozialstunden bewilligt. Seiner hieraus folgenden Verpflichtung kam er ab Oktober 2019 bei einem Verein zur Unterstützung hilfsbedürftiger Menschen nach.

11       Hierauf erließ das neuerlich von der Niederlassungsbehörde befasste BFA mit Bescheid vom 6. Februar 2020 gegen den Revisionswerber gemäß § 52 Abs. 4 FPG eine Rückkehrentscheidung und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 5 FPG ein achtjähriges Einreiseverbot. Es stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte ihm (demzufolge) gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.

12       Mit dem angefochtenen, nach mündlicher Verhandlung erlassenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der vom Revisionswerber dagegen erhobenen Beschwerde insoweit statt, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre herabsetzte, den Ausspruch über die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ersatzlos behob und gemäß § 55 Abs. 2 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Entscheidung für die freiwillige Ausreise einräumte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

13       Das BVwG führte mit näherer Begründung aus, insbesondere auf Grund des den letzten drei strafgerichtlichen Verurteilungen zu Grunde liegenden Fehlverhaltens seien die Voraussetzungen für die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Basis des § 52 Abs. 4 Z 4 FPG iVm § 11 Abs. 2 Z 1 und Abs. 4 Z 1 NAG und eines Einreiseverbotes nach § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 und 5 FPG auch unter Berücksichtigung seiner „ausgeprägten privaten und familiären Anknüpfungspunkte“ gegeben. Allerdings sei der Revisionswerber seit seiner Haftentlassung am 6. September 2016 nicht mehr straffällig geworden. Angesichts dieses Umstandes, der Aufenthaltsdauer seit 1989 sowie der in dieser Zeit entstandenen intensiven privaten und familiären Anknüpfungspunkte, insbesondere der engen Beziehung zu seinen Kindern österreichischer Staatsbürgerschaft, sei die auch unter Berücksichtigung der Gefährlichkeitsprognose zu hoch bemessene Dauer des Einreiseverbotes auf das angemessene Maß von fünf Jahren herabzusetzen.

14       Gegen dieses Erkenntnis, soweit der Beschwerde nicht (zur Gänze) stattgegeben wurde, richtet sich die vorliegende Revision, die sich als unzulässig erweist.

15       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16       An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

17       Unter diesem Gesichtspunkt verweist der Revisionswerber, der nach dem Inhalt der Sachverhaltsdarstellung in der Revision erkennbar davon ausgeht, der Niederlassungsbehörde sei bei der Erteilung der „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ das damals laufende strafrechtliche Ermittlungsverfahren in Bezug auf die letzte Verurteilung vom 28. Jänner 2019 bekannt gewesen, auf die Bestimmung des § 52 Abs. 4 Z 1 FPG. Danach sei gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, eine Rückkehrentscheidung (nur) zu erlassen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund gemäß § 60 AsylG 2005 oder § 11 Abs. 1 und 2 NAG eintrete oder bekannt werde, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und eines damit zu verbindenden Einreiseverbots nach § 53 FPG setze bei einem aufgrund eines gültigen Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen somit voraus, dass der die Versagung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels rechtfertigende Sachverhalt nach Erteilung dieses Titels eingetreten oder zwar zuvor eingetreten, der Niederlassungsbehörde aber erst nachträglich bekannt geworden sei (Hinweis auf VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0403, und VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0230). Entscheidend sei daher „der Zeitpunkt des eingetretenen Sachverhalts“ (gemeint: das der späteren Verurteilung zugrundeliegende Fehlverhalten im Zeitraum von Jänner 2008 bis Jänner 2012) und „nicht jener der strafrechtlichen Verurteilung“ (gemeint: vom 28. Jänner 2019).

18       Werde also - so wird in der Revision daraus fallbezogen gefolgert - nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens erneut „ein rechtskräftiger Aufenthaltstitel erteilt“, obwohl die Einleitung des Ermittlungsverfahrens und somit der Aberkennungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG bereits gegeben und bekannt gewesen seien, so habe eine nachträgliche Verurteilung keinerlei Auswirkungen mehr auf den Aufenthaltstitel. Indem das BVwG „trotz dieser Konstellation“ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen habe, verstoße es gegen die (zitierte) ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. In diesem Zusammenhang verweist der Revisionswerber in den weiteren Ausführungen dann noch auf die seiner Meinung nach „allumfassende Einmaligkeitswirkung“ der „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“.

19       Bei diesen nur auf § 52 Abs. 4 Z 1 FPG Bezug nehmenden Ausführungen lässt der Revisionswerber außer Acht, dass die ihm erteilte „Rot-Weiß-Rot - Karte plus“ nur eine Gültigkeit bis 20. November 2018 hatte. Nur bis zu diesem Zeitpunkt entfaltete der Aufenthaltstitel Rechtskraftwirkung. Damit im Einklang verlangt die vom Revisionswerber ins Treffen geführte Bestimmung der Z 1 des § 52 Abs. 4 FPG, dass während des Zeitraums der Gültigkeit des Aufenthaltstitels eine Rückkehrentscheidung nur dann erlassen werden kann, wenn ein Versagungsgrund nach der Aufenthaltstitelerteilung eintritt oder bekannt wird (vgl. etwa die auch in der Revision angeführten Erkenntnisse VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0403, Rn. 17, und VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0230, Rn. 12, wo in Bezug auf § 52 Abs. 4 Z 1 FPG ausdrücklich von einer „Rückkehrentscheidung gegen einen auf Grund eines gültigen Aufenthaltstitels rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen“ gesprochen wurde).

20       Ist allerdings - wie im vorliegenden Fall - die Gültigkeit des dem Drittstaatsangehörigen erteilten Aufenthaltstitels abgelaufen und ein Verlängerungsverfahren anhängig, so ist allein die - vom BFA und vom BVwG auch herangezogene - Bestimmung nach der Z 4 des § 52 Abs. 4 FPG einschlägig, wonach gegen den (aufgrund eines rechtzeitigen Verlängerungsantrags gemäß § 24 Abs. 1 dritter Satz NAG) rechtmäßig aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen werden kann, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 und 2 NAG entgegensteht (vgl. dazu etwa VwGH 17.11.2016, Ra 2016/21/0200, Rn. 9, und VwGH 24.1.2019, Ra 2018/21/0227, Rn. 10).

21       Daraus folgt, dass sich das in Rn. 17 und 18 wiedergegebene Vorbringen zur Zulässigkeit der Revision ausschließlich auf eine im vorliegenden Fall nicht anwendbare Bestimmung bezieht und daher von vornherein ins Leere geht.

22       Zur Begründung der Zulässigkeit der Revision wird dann noch geltend gemacht, der zuständige Richter des BVwG habe in einem gegen den Revisionswerber geführten Verwaltungsstrafverfahren „wenn möglich um eine hohe Strafe“ ersucht, woraus der Anschein fehlender Unvoreingenommenheit gegenüber dem Revisionswerber zu folgern sei. Er bezweifle, dass er bei dem genannten Richter „jemals eine faire Chance“ gehabt habe.

23       Soweit der Revisionswerber damit dem Verhandlungsrichter im vorliegenden Fall eine Befangenheit unterstellt, sind - vor allem im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verfassung der für diesen Vorwurf maßgeblichen, dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegten Email des Richters des BVwG an das BFA vom 12. Dezember 2020 nach bereits erfolgter mündlicher Verkündung des angefochtenen Erkenntnisses - keine ausreichenden Anhaltspunkte zu erkennen, die den äußeren Anschein einer Befangenheit begründen könnten (siehe im Übrigen zu den eingeschränkten Voraussetzungen, unter denen eine Befangenheitseinrede zur Zulässigkeit der Revision unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG führen könnte, etwa VwGH 18.3.2019, Ra 2019/01/0068, Rn. 6, mwN).

24       In der Revision werden somit insgesamt keine fallbezogen relevanten Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in einem (in sinngemäßer Anwendung des § 12 Abs. 3 VwGG) gebildeten Fünfersenat mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 19. August 2021

Schlagworte

Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210031.L00

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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