Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé, den Hofrat Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Mag. Istjan, LL.M., als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am ***** 2012 verstorbenen F***** K*****, über den Revisionsrekurs der Ing. F***** Privatstiftung, *****, vertreten durch Kaan Cronenberg & Partner Rechtsanwälte GmbH & Co KG in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 23. September 2020, GZ 4 R 92/20h-89, womit infolge der Rekurse des Sohnes des Erblassers, Ing. D***** K*****, vertreten durch Dr. Ralph Forcher, Rechtsanwalt in Graz, und der Tochter des Erblassers, V***** K*****, vertreten durch Rizzi Rechtsanwalts GmbH in Wien, der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 10. März 2020, GZ 246 A 1124/12p-62, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass
1. die Zurückweisung der Rekursbeantwortung der Ing. F***** Privatstiftung ersatzlos aufgehoben wird, und
2. der Beschluss des Erstgerichts folgendermaßen zu lauten hat:
„Dr. H***** K*****, wird zum Kurator der Verlassenschaft zu deren Vertretung für Streitigkeiten mit der Ing. F***** Privatstiftung über den Geschäftsanteil an der I***** GmbH bestellt.“
Die Parteien des Revisionsrekursverfahrens haben die Kosten ihrer Rechtsmittelschriften selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Der am ***** 2012 verstorbene Erblasser hinterlässt seine Ehefrau (im Folgenden: „Witwe“) sowie drei Kinder (zwei Söhne, eine Tochter). Er hatte die Witwe mit Testament vom 1. 10. 2012 zur Alleinerbin eingesetzt. Dieser wurde mit rechtskräftigem Beschluss vom 31. 5. 2013 der überschuldete Nachlass an Zahlungs statt gemäß § 154 AußStrG überlassen. Mit dem in Notariatsaktsform errichteten Schenkungsvertrag vom 23. 10. 2018 schenkte die Witwe ihr Erbrecht nach dem Erblasser der gemeinsamen Tochter.
[2] Der Erblasser war Alleingesellschafter der I***** GmbH (im Folgenden „GmbH“). Am 2. 5. 2012 hatte er bei einem Notar einen Notariatsakt errichtet, wonach er seinen Geschäftsanteil an der GmbH schenkungsweise an die Ing. F***** Privatstiftung (im Folgenden „Stiftung“) übertrug. Der beurkundende Notar war in diesem Zeitpunkt Vorsitzender des Vorstands der Stiftung.
[3] Am 13. 11. 2018 brachten die Witwe und die Tochter mit Eingabe an das Verlassenschaftsgericht vor, es sei nachträglich ein bisher nicht abgehandeltes Vermögen des Erblassers hervorgekommen. Der Abtretungsvertrag vom 2. 5. 2012 sei nämlich wegen Verstoßes gegen § 33 Abs 1 NO gemäß § 33 Abs 2 NO unwirksam, weil der beurkundende Notar gleichzeitig Vorstandsmitglied der am Abtretungsvertrag beteiligten Stiftung gewesen sei. Der Geschäftsanteil an der GmbH sei daher nachlasszugehörig, sodass eine Nachtragsabhandlung durchzuführen und das neu hervorgekommene Vermögen der Tochter einzuantworten sein werde.
[4] In der Folge gaben sowohl die Tochter (ohne Nennung eines Berufungsgrundes) als auch die beiden Söhne (aufgrund des Gesetzes) jeweils bedingte Erbantrittserklärungen ohne Angabe einer Quote ab.
[5] Nachdem der Einigungsversuch des Gerichtskommissärs betreffend das Erbrecht gescheitert war, legte er den Akt dem Gericht zur Entscheidung über die Nachtragsabhandlung sowie das Erbrecht vor.
[6] Das Erstgericht schied mit Beschluss vom 29. 3. 2019 den Geschäftsanteil aus dem Verlassenschaftsvermögen aus, erklärte das Unterbleiben der Abhandlung gemäß § 183 Abs 3 iVm § 153 Abs 1 AußStrG und wies die Anträge auf Durchführung der Nachtragsabhandlung ab.
[7] Das Rekursgericht behob mit Beschluss vom 18. 10. 2019 den genannten Beschluss ersatzlos und trug dem Erstgericht die gesetzmäßige Verfahrensfortsetzung auf.
[8] Am 27. 1. 2020 stellte die Stiftung einen Antrag auf Bestellung eines Kurators mit der wesentlichen Begründung, die Stiftung habe gegen die Verlassenschaft einen Anspruch auf Nachholung eines formgültigen Abtretungsvertrags. Zur Vertretung der Verlassenschaft sei – insbesondere auch aufgrund der abgegebenen widerstreitenden Erbantrittserklärungen – ein Kurator zu bestellen, dem gegenüber die Ansprüche der Stiftung geltend gemacht werden könnten.
[9] Das Erstgericht bestellte daraufhin „von Amts wegen“ einen Rechtsanwalt zum Verlassenschaftskurator mit dem Aufgabenkreis Vertretung und Verwaltung des gesamten Nachlasses und erkannte dem Beschluss gemäß § 44 AußStrG sofortige Wirksamkeit zu. Im vorliegenden Fall sei aufgrund der widersprechenden Erbantrittserklärungen gemäß § 173 Abs 1 AußStrG von Amts wegen ein Verlassenschaftskurator zu bestellen; an der Erforderlichkeit im Sinne dieser Vorschrift könne angesichts der anstehenden Vertretungshandlungen kein Zweifel bestehen.
[10] Das Rekursgericht gab mit dem angefochtenen Beschluss den dagegen erhobenen Rekursen eines der Söhne sowie der Tochter Folge, behob den erstgerichtlichen Beschluss ersatzlos, trug dem Erstgericht die gesetzliche Verfahrensfortsetzung auf, wies die Rekursbeantwortungen der Stiftung sowie der Verlassenschaft zurück, sprach aus, der Entscheidungsgegenstand übersteige 30.000 EUR, und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs nicht zu.
[11] Es führte rechtlich aus, erst wenn die Verlassenschaftsabhandlung einzuleiten sei, habe das Gericht nach § 156 AußStrG über eine allfällige Bestellung eines Kurators (mangels Vertretung des Nachlasses) zu entscheiden. Die Kuratorbestellung nach § 156 AußStrG falle nämlich schon in das Abhandlungsverfahren im engeren Sinn; sie erfolge nur dann, wenn geklärt sei, dass das Verlassenschaftsverfahren nicht ohne Abhandlung enden könne. Ausgehend davon und unter Bedachtnahme darauf sei der von Amts wegen gefasste Beschluss auf Bestellung des Verlassenschaftskurators zu beheben. Es fehlten ausreichende Grundlagen, um beurteilen zu können, ob das Verlassenschaftsverfahren einzuleiten sei. Dies gelte auch für die Beurteilung, ob im Fall widerstreitender Erbantrittserklärungen – wie hier – das Erstgericht gemäß § 173 Abs 1 AußStrG (erforderlichenfalls) von Amts wegen einen Verlassenschaftskurator zu bestellen hätte. Das Erstgericht werde daher im fortzusetzenden Verfahren die nicht vorgenommene Prüfung des behaupteten hervorgekommenen Vermögens nachzutragen und die erforderlichen Feststellungen zu treffen haben und sich damit auseinandersetzen müssen, ob die Bescheinigung der Nachlassforderung gelungen sei oder nicht. Der Stiftung komme im Verfahren zur Bestellung eines Verlassenschaftskurators keine Parteistellung zu.
[12] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Stiftung mit dem Antrag auf Anerkennung ihrer Parteistellung und der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses „in Stattgebung der verfügten Bestellung eines Kurators“; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[13] Der Oberste Gerichtshof stellte den drei Kindern des Erblassers sowie dem vom Erstgericht bestellten Verlassenschaftskurator jeweils die Erstattung einer Revisionsrekursbeantwortung frei.
[14] Nur die Tochter erstattete eine solche, in der sie beantragt, den Revisionsrekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[15] Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil das Rekursgericht die Parteistellung der Stiftung im vorliegenden Verfahren zu Unrecht verneint hat; er ist auch berechtigt.
[16] Die Stiftung macht im Wesentlichen geltend, ihr komme Gläubigerstellung gegenüber der Verlassenschaft zu und sie habe daher gemäß § 811 ABGB das Recht, die Bestellung eines Kurators zu verlangen. Es komme ihr daher entgegen der Beurteilung des Rekursgerichts Parteistellung im Verfahren zu. Ihre Gläubigerstellung ergebe sich aus der (möglichen) Unwirksamkeit des Abtretungsvertrags und ihrem Interesse an der Klärung der Frage, „inwieweit“ sie Gesellschafterin der GmbH sei.
[17] Hierzu wurde erwogen:
[18] 1. Kein Aufhebungsbeschluss
[19] Entgegen der Auffassung der Revisionsrekursgegnerin ist der angefochtene Beschluss kein Aufhebungsbeschluss iSd § 64 Abs 1 AußStrG, gegen den mangels Zulassung eines Revisionsrekurses durch das Rekursgericht ein solcher absolut unzulässig wäre. Denn das Rekursgericht hat nicht – wie dies § 64 Abs 1 AußStrG voraussetzt – dem Erstgericht eine neuerliche, nach Ergänzung des Verfahrens zu fällende Entscheidung aufgetragen, sondern den Beschluss, mit dem das Erstgericht einen Verlassenschaftskurator bestellte, (ersatzlos) aufgehoben, weil seiner Ansicht nach (derzeit) die Voraussetzungen für die Bestellung eines Verlassenschaftskurators nicht vorlägen. Es trug auch keine Verfahrensergänzung, sondern die Fortsetzung des gesetzlichen Verfahrens auf. Somit liegt – wie dies das Rekursgericht zutreffend erkannt hat – ein abändernder Beschluss vor. Die behauptete Unzulässigkeit des Revisionsrekurses kann somit nicht auf § 64 Abs 1 AußStrG gestützt werden.
[20] 2. Zur Parteistellung und Rechtsmittellegitimation der Stiftung
[21] Das Rekursgericht hat die Parteistellung der Stiftung im vorliegenden Verfahren verneint. Diese Beurteilung erweist sich aus folgenden Gründen als verfehlt:
[22] 2.1. Nach § 811 ABGB (aF und nF) ist ein Verlassenschaftsgläubiger berechtigt, seine Ansprüche gegen die Verlassenschaft geltend zu machen und – falls erforderlich – die Bestellung eines Kurators zu beantragen, der die Verlassenschaft in der Auseinandersetzung mit dem Gläubiger vertritt. Insofern kommt dem Gläubiger Parteistellung im Verlassenschaftsverfahren zu (vgl RS0006604 [T9]; RS0121672).
[23] 2.2. Die Stiftung hat in erster Instanz einen erkennbar (nur) auf § 811 ABGB gestützten Antrag auf Bestellung eines Kurators gestellt. Zwar hat das Erstgericht über diesen Antrag nicht entschieden, mit der amtswegigen Bestellung eines Verlassenschaftskurators nach § 173 Abs 1 AußStrG mit dem Aufgabenkreis Vertretung und Verwaltung des gesamten Nachlasses jedoch anderweitig für die Vertretung der Verlassenschaft gesorgt. Damit war dem Interesse der Stiftung an der Vertretung der Verlassenschaft für die beabsichtigte Anspruchsverfolgung ausreichend gedient.
[24] Einem Verlassenschaftsgläubiger stünde zwar keine Antragsbefugnis auf Bestellung eines Verlassenschaftskurators nach § 173 Abs 1 AußStrG zu (2 Ob 147/16f ErwGr 4.3). Durch den angefochtenen Beschluss ist die Stiftung aber jedenfalls insofern beschwert, als (mit Rechtskraft; vgl den Ausspruch des Erstgerichts gemäß § 44 AußStrG) mit dem Wegfall des Verlassenschaftskurators niemand zur Vertretung der Verlassenschaft für die von der Stiftung beabsichtigte Anspruchsverfolgung vorhanden wäre. Denn da widerstreitende Erbantrittserklärungen vorliegen, kommt auch die Vertretungsbefugnis der Erben nach § 810 Abs 1 ABGB nicht in Betracht (RS0007991).
[25] Der Stiftung kommt daher im Rechtsmittelverfahren unter der Voraussetzung ihrer Gläubigerstellung insoweit Parteistellung zu, als der vom Erstgericht bestellte Verlassenschaftskurator nicht als Kurator iSd § 811 ABGB für die Anspruchsverfolgung der Stiftung belassen wurde. In diesem Sinne ist – wie sich aus dem Gesamtzusammenhang ihrer Rechtsmittelausführungen ableiten lässt – auch der Rechtsmittelantrag der Stiftung zu verstehen.
[26] 2.3. Gläubiger iSd § 811 ABGB ist nach herrschender Ansicht jeder, der gegen den Nachlass Rechte geltend machen will; einer Anspruchsbescheinigung bedarf es nicht (Weiß in Klang III2 1016; Welser, Erbrechts-Kommentar § 811 Rz 4; Schweda in Klang3 § 811 Rz 4; Spruzina in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 811 Rz 2; Nemeth in Schwimann/Kodek, ABGB5 § 811 Rz 7; vgl auch RS0024366). Es genügt somit die Behauptung eines Anspruchs gegen die Verlassenschaft.
[27] 2.4. Diese Voraussetzung liegt hier vor: Die Stiftung brachte zur Begründung ihres erstinstanzlichen Antrags vor, sie habe gegen die Verlassenschaft einen Anspruch auf Nachholung des formgültigen Abtretungsvertrags. Ein solcher Anspruch begründet die Gläubigerstellung der Stiftung.
[28] 2.5. Daraus folgt, dass die Stiftung als Verlassenschaftsgläubigerin gemäß § 811 ABGB (aF) die Bestellung eines Kurators beantragen kann und ihr somit in diesem Umfang Parteistellung und Rechtsmittellegitimation zukommen.
[29] 3. Damit ist über den Revisionsrekurs der Stiftung meritorisch zu erkennen:
[30] Da – wie ausgeführt – die Stiftung einen Anspruch gegen die Verlassenschaft behauptet hat und diese – ohne Verlassenschaftskurator – unvertreten ist (2.2.), ist ihr Antrag auf Bestellung eines Kurators nach § 811 ABGB berechtigt. Die angefochtene Entscheidung ist daher dahin abzuändern, dass der vom Erstgericht bestellte Verlassenschaftskurator – insoweit als bloßes Minus – als Kurator gemäß § 811 ABGB mit den im Spruch bezeichneten Angelegenheiten zu betrauen ist.
[31] 4. Kosten
[32] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 185 AußStrG. Die Frage der Bestellung eines Kurators für die Verlassenschaft ist kein Bestandteil des Verfahrens über das Erbrecht, weshalb kein Kostenersatz gebührt.
Textnummer
E132454European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00023.21B.0624.000Im RIS seit
12.09.2021Zuletzt aktualisiert am
04.11.2021