TE OGH 2021/6/25 8ObA36/21h

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Veröffentlicht am 25.06.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Bianca Hammer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Josef Putz (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. L***** G*****, vertreten durch Auer Bodingbauer Leitner Stöglehner Rechtsanwälte OG in Linz, gegen die beklagte Partei S*****, vertreten durch Ganzert & Partner Rechtsanwälte OG in Wels, wegen Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. März 2021, GZ 12 Ra 20/21d-16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]       1. Das Vorliegen der Voraussetzungen für eine gerechtfertigte Auflösung des Vertragsbedienstetenverhältnisses kann immer nur aufgrund der Umstände des Einzelfalls beurteilt werden. Das gilt auch für die Frage, ob die Kündigung wegen eines die Vertrauensunwürdigkeit begründenden Verhaltens berechtigt ist (RIS-Justiz RS0106298 [T24, T25]; RS0103201).

[2]       Eine Einzelfallentscheidung ist nur dann im Revisionsverfahren überprüfbar, wenn im Interesse der Rechtssicherheit ein grober Fehler bei der Auslegung der anzuwendenden Rechtsnorm, konkret bei der Auslegung des unbestimmten Gesetzesbegriffs der Unzumutbarkeit korrigiert werden müsste (RS0044088 [T2]).

[3]       Eine solche Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht bringt die Revision hier nicht zur Darstellung. Die Rechtsansicht, dass es während des ersten „Covid-Shutdowns“ ab 13. 3. 2020 eine vertrauensverwirkende Verletzung der festgestellten Verhaltensrichtlinien für den Betrieb eines Altenheims begründete, wenn vom verantwortlichen Heimleiter wohngruppenübergreifende Treffen zum gemeinsamen Singen der Bewohner geduldet wurden, die teilweise auch in einem geschlossenen Raum stattfanden, und wenn trotz Anordnung der Schließung der Speisesäle der Betrieb einer Cafeteria aufrecht erhalten wurde, ist zumindest nicht unvertretbar.

[4]            2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Dienstgeber gehalten, von seinem an wichtige Gründe gebundenen Kündigungsrecht bei sonstigem Verlust desselben unverzüglich nach Kenntnisnahme des rechtfertigenden Sachverhalts durch die für den Ausspruch der Kündigung zuständigen Organe Gebrauch zu machen. Verzögerungen im Ausspruch der Kündigung von Vertragsbediensteten können nur insoweit anerkannt werden, als sie in der Sachlage, also in der Natur des Dienstverhältnisses oder sonst in den besonderen Umständen des Falls, sachlich begründet sind (RS0029273; vgl auch RS0028543). Dem Arbeitgeber ist das Recht zuzubilligen, bei einem undurchsichtigen Sachverhalt bis zur einwandfreien Klarstellung aller wesentlichen Tatumstände in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht mit dem Kündigungsausspruch zuzuwarten (RS0029297). Auch ein durch die obligatorische Einschaltung der zum Arbeitnehmerschutz berufenen Organe veranlasstes Zuwarten ist dabei zu berücksichtigen (vgl RS0028543).

[5]            In der Rechtsprechung wurde auch stets darauf Bedacht genommen, dass bei juristischen Personen und insbesondere im öffentlichen Bereich die Willensbildung aufgrund der hierarchischen Strukturen umständlicher und langwieriger ist als bei physischen Personen; desgleichen wurde auch auf Aktenlauf und Kompetenzverteilung bei Gebietskörperschaften und anderen juristischen Personen entsprechend Bedacht genommen (RS0082158).

[6]            Der Unverzüglichkeitsgrundsatz darf generell nicht überspannt werden (RS0029273 [T16]). Nicht aus jeder Verzögerung kann auf einen Verzicht des Arbeitgebers auf die Ausübung des Beendigungsrechts geschlossen werden. Vorläufige Maßnahmen, etwa die bis zur Klärung der tatsächlichen oder rechtlichen Lage vorgenommene Suspendierung eines Arbeitnehmers, können die Annahme eines Verzichts verhindern (RS0028987).

[7]            Hier wurde dem ab 8. 5. 2020 nach Bekanntwerden von Kündigungsgründen durchgehend suspendierten Kläger zunächst ein mit 13. 5. 2020 befristetes Anbot zur einvernehmlichen Auflösung des Dienstverhältnisses gestellt, wobei er wusste, dass er bei Nichtannahme des Anbots gekündigt würde. Nach Verstreichen der Frist nahm die Beklagte Rechtsberatung in Anspruch, die sich einerseits durch mangelnde Erreichbarkeit des Personalisten, andererseits durch das folgende Wochenende verzögerte, verständigte den Betriebsrat und sprach nach dessen Äußerung schließlich die Kündigung aus.

[8]            Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass unter den festgestellten Umständen noch keine Verfristung des Kündigungsrechts eingetreten war, hält sich im Rahmen seines bei dieser Beurteilung offenstehenden Ermessensspielraums (RS0031587 [T3, T5, T8]). Dies gilt auch für die vom Berufungsgericht in diesem Zusammenhang als rechtlich unerheblich beurteilte Frage, ob der tatsächlich bestehende Betriebsrat allenfalls ohne Rechtsgrundlage gewählt wurde.

[9]       3. Die Vorinstanzen sind davon ausgegangen, dass das Dienstverhältnis des Klägers nicht dem ArbVG unterlag. Jedenfalls sei aber das auf Anfechtung der Kündigung gemäß § 105 Abs 3 ArbVG gestützte Eventualbegehren des Klägers mangels Einhaltung der Klagefrist von 14 Tagen ab Ausspruch der Kündigung verfristet gewesen.

[10]     Die Revision hält dem entgegen, dass nach § 22 Abs 6 OÖ GDG 2003 „sämtliche Leistungs-, Feststellungs- und rechtsgestaltende Begehren und Ansprüche aus dem Titel der Beendigung eines Dienstverhältnisses bei sonstigem Ausschluss nur binnen sechs Monaten nach Ablauf des Tages des Zugangs der Beendigungserklärung geltend gemacht werden“ könnten. Die Vorinstanzen seien entgegen der höchstgerichtlichen Rechtsprechung (9 ObA 94/16p) zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine Kündigungsanfechtung nach § 105 Abs 3 ArbVG nicht unter die im § 22 Abs 6 OÖ GDG 2003 genannten „rechtsgestaltenden Begehren“ falle. Richtigerweise sei die sechsmonatige Frist nach dieser Bestimmung anwendbar und die Klage rechtzeitig erhoben worden.

[11]           Diesen Ausführungen ist schon entgegenzuhalten, dass sie sich nicht mit dem Umstand auseinandersetzen, dass es sich bei dem Anfechtungsrecht nach § 105 ArbVG ja primär um eine Frage der Mitwirkung des Betriebsrats handelt.

Die Ausführungen zur fehlenden Ermächtigung der Obfrau zum Anspruch der Kündigung entfernen sich vom festgestellten Sachverhalt (RS0043312).

Textnummer

E132608

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00036.21H.0625.000

Im RIS seit

10.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

10.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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