TE OGH 2021/7/29 10ObS87/21y

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Veröffentlicht am 29.07.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Univ.-Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Dr. Grohmann sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Bernhard Kirchl (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Nicolai Wohlmuth (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei F*****, vertreten durch Mag. Karl Heinz Fauland, Rechtsanwalt in Leibnitz, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1030 Wien, Haidingergasse 1, vertreten durch Stingl und Dieter Rechtsanwälte OG in Graz, wegen Rückforderung von Familienzeitbonus, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 23. November 2020, GZ 7 Rs 44/20z-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 15. Jänner 2020, GZ 7 Cgs 37/19z-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das klageabweisende Ersturteil wiederhergestellt wird.

Die Entscheidung hat daher insgesamt zu lauten:

„Das Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Anspruch auf Rückforderung des für den Zeitraum von 2. Februar 2019 bis 2. März 2019 geleisteten Familienzeitbonus im Betrag von 678 EUR nicht zu Recht besteht, wird abgewiesen.

Der Kläger ist verpflichtet, den im Zeitraum von 2. 2. 2019 bis 2. 3. 2019 zu Unrecht bezogenen Familienzeitbonus im Betrag von 678 EUR binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zurückzuzahlen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Kostenbeitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens in Höhe von 326,11 EUR (darin 54,35 EUR USt), einen Kostenbeitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens in Höhe von 183,54 EUR (darin 30,59 EUR USt) sowie einen Kostenbeitrag zu den Kosten des Revisionsverfahrens in Höhe von 126,15 EUR (darin 21,02 EUR USt) binnen 14 Tagen zu leisten.“

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob der Kläger als Bezieher einer Leistung nach dem Familienzeitbonusgesetz (FamZeitbG) zu deren Rückersatz auch dann verpflichtet werden kann, wenn die Auszahlung der Leistung irrtümlich aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht eines Mitarbeiters der beklagten Österreichischen Gesundheitskasse erfolgte, ohne dass dem Kläger die Unrechtmäßigkeit des Bezugs erkennbar sein musste.

[2]       Das frühere Dienstverhältnis des Klägers endete am 2. 8. 2018. Von 3. 8. 2018 bis 12. 8. 2018 war er arbeitslos gemeldet und bezog Arbeitslosengeld. Am 13. 8. 2018 begann sein neues Dienstverhältnis zu einem anderen Dienstgeber.

[3]       Nach der Geburt seines Sohnes am 29. 1. 2019 begab sich der Kläger in eine Außenstelle der Österreichischen Gesundheitskasse, um den Familienzeitbonus zu beantragen. Er beabsichtigte, den Familienzeitbonus ab 2. 2. 2019 in Anspruch zu nehmen. Auf seinen ausdrücklichen Hinweis hin, dass er im Zeitraum von 3. 8. 2018 bis 12. 8. 2018 arbeitslos gewesen sei, erteilte ihm ein Mitarbeiter der Beklagten die Auskunft, dass „14 Tage Arbeitslosigkeit irrelevant seien“ und dem Bezug des Familienzeitbonus nicht entgegenstünden. Aufgrund dieser Auskunft nahm der Kläger den Familienzeitbonus im Zeitraum von 2. 2. bis 2. 3. 2019 in Anspruch.

[4]       Mit Bescheid vom 4. 7. 2019 widerrief die Beklagte den aus Anlass der Geburt des Sohnes des Klägers zuerkannten Familienzeitbonus für den Zeitraum von 2. 2. 2019 bis 2. 3. 2019 und verpflichtete den Kläger zum Rückersatz von 678 EUR.

[5]       Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Widerruf des Bezugs des Familienzeitbonus zu Unrecht erfolgt sei, er den Familienzeitbonus im Zeitraum von 2. 2. 2019 bis 2. 3. 2019 zu Recht bezogen habe und er nicht zum Rückersatz von 678 EUR an die Beklagte verpflichtet sei. Er habe sich nur aufgrund der ihm erteilten falschen Rechtsauskunft dafür entschieden, den Familienzeitbonus im Zeitraum von 2. 2. 2019 bis 2. 3. 2019 in Anspruch zu nehmen. Bei Erteilung einer richtigen Rechtsauskunft hätte er den „Papamonat“ erst zu einem späteren Zeitpunkt angetreten, sodass der 182-tägige Beobachtungszeitraum für das Erwerbstätigkeitserfordernis (§ 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG) bis maximal zum 13. 8. 2018 zurückgereicht hätte und im Beobachtungszeitraum keine Zeiten des Bezugs von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung enthalten gewesen wären. Die Anordnung einer allein auf objektiven Tatsachen basierenden Rückforderung sei verfassungswidrig.

[6]       Die Beklagte beantragte die Klageabweisung und wendete zusammengefasst ein, im Hinblick auf den Beginn des Bezugs des Familienzeitbonus am 2. 2. 2019 habe der 182-tägige Beobachtungszeitraum für das Erwerbstätigkeitserfordernis am 4. 8. 2018 zu laufen begonnen, weshalb von 4. 8. 2018 bis 1. 2. 2019 eine kranken- und pensionsversicherungspflichtige Beschäftigung vorliegen müsse. Der Kläger habe seine Beschäftigung aber erst am 13. 8. 2018 aufgenommen, weshalb am Beginn des 182-tägigen Beobachtungszeitraums kein Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Außerdem lägen im Beobachtungszeitraum zehn Tage des Bezugs von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, wobei bereits ein (einziger) Tag des Bezugs derartiger Leistungen den Anspruch auf Familienzeitbonus vernichte. Die Rückforderungsregelung des § 7 FamZeitbG stelle ausschließlich auf die Tatsache ab, dass die Leistung nicht gebührt habe, ohne dass es auf ein Verschulden ankomme. Unrichtige Auskünfte eines Mitarbeiters der Beklagten könnten niemals zu einem Anspruch im sozialgerichtlichen Verfahren führen, sondern allenfalls einen Schadenersatzanspruch begründen, der im Amtshaftungsverfahren geltend zu machen sei.

[7]       Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich schloss es sich im Wesentlichen dem Rechtsstandpunkt der Beklagten an. Der Rückforderungstatbestand des § 7 Abs 1 FamZeitbG stelle ausschließlich auf die Tatsache ab, dass die Leistung nicht gebühre, und sei verschuldensunabhängig. Der Kläger sei daher verpflichtet, den unrechtmäßig bezogenen Familienzeitbonus in Höhe von 678 EUR an die Beklagte zurückzuzahlen.

[8]       Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das Ersturteil in ein klagestattgebendes ab. Der Kläger habe die Voraussetzungen für den Bezug des Familienzeitbonus nicht erfüllt. Auch die unrichtig erteilte Rechtsauskunft des Mitarbeiters der Beklagten führe zu keinem sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch. Infolge der gesetzmäßig ausgeführten Rechtsrüge sei die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung jedoch nach allen Richtungen hin zu überprüfen. Verfahrensrechtlich erfolge weder bei der Rückforderung des Familienzeitbonus noch bei der Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld eine Aufhebung oder Abänderung eines in Rechtskraft erwachsenen Bescheids, weil im Fall der Antragsstattgebung nur Mitteilungen erstellt würden und erst die Rückforderung mittels Bescheid erfolge. Materiell-rechtlich sei seit der Novelle zum KBGG BGBl I 2016/53 – anders als nach der zuvor geltenden Rechtslage – eine Rückforderbarkeit von Kinderbetreuungsgeld mittels Bescheid auch bei irrtümlicher Auszahlung infolge eines Behördenfehlers möglich, selbst wenn dem Leistungsempfänger die Unrechtmäßigkeit nicht erkennbar gewesen sei. Demgegenüber sehe das ASVG eine Rückforderbarkeit weiterhin nur bei Verwirklichung subjektiver Tatbestände vor. Beim einzigen objektiven Rückforderungstatbestand (§ 107 Abs 1 ASVG) müssten sich die relevanten Tatsachen nachträglich herausgestellt haben. Auch das Arbeitslosenversicherungsgesetz (§ 25 AlVG) kenne keinen Rückforderungsanspruch bloß aufgrund eines Behördenfehlers, ohne Erkennenmüssen der Unrechtmäßigkeit durch den Leistungsempfänger. Vor diesem Hintergrund unterliege die Rückforderung bei Behördenfehlern verfassungsrechtlichen Grenzen. Der Ansicht von Sonntag (Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme der KBGG-Novelle 2016 und des Familienzeitbonusgesetzes, ASoK 2017, 2 ff) folgend sei insbesondere bei Leistungen, die als Einkommensersatz dienen sollen, eine Rückerstattungspflicht ohne subjektive Vorwerfbarkeit verfassungsrechtlich bedenklich. Dass ein Leistungsempfänger trotz mangelnder Erkennbarkeit des Behördenfehlers das sich aus diesem Fehler ergebende Risiko zur Gänze tragen solle, sei sachlich nicht zu rechtfertigen. Im Hinblick auf diese Überlegungen sei § 7 Abs 1 FamZeitbG verfassungskonform zu reduzieren. Eine Rückforderung bei Vorliegen eines Behördenfehlers ohne Erkennenmüssen der Unrechtmäßigkeit durch den Leistungsempfänger sei unzulässig. Der Kläger sei daher nicht zur Rückzahlung des an ihn geleisteten Familienzeitbonus in Höhe von 678 EUR verpflichtet.

[9]       Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, dass bisher keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 7 Abs 1 FamZeitbG bestehe.

Rechtliche Beurteilung

[10]     Die Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist im Sinne der Wiederherstellung des Ersturteils auch berechtigt.

[11]     1. Zum Anspruch des Klägers auf Familienzeitbonus

[12]     1.1 Gemäß § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG, BGBl I 2016/53 hat ein Vater (Adoptivvater, Dauerpflegevater) Anspruch auf den Familienzeitbonus für sein Kind (Adoptivkind, Dauerpflegekind), sofern er in den letzten 182 Tagen unmittelbar vor Bezugsbeginn durchgehend eine in Österreich kranken- und pensionsversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausgeübt sowie in diesem Zeitraum keine Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung erhalten hat, wobei sich Unterbrechungen von insgesamt nicht mehr als 14 Tagen nicht anspruchsschädigend auswirken.

[13]     1.2 Nach der Rechtsprechung zur gleichlautenden Regelung des § 24 Abs 1 Z 2 KBGG ist der 182-tägige Beobachtungszeitraum für das Erwerbstätigkeitserfordernis auch für die negative Anspruchsvoraussetzung des Nichtbezugs von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung heranzuziehen (RS0129814). Dem Anspruch auf einkommensabhängiges Kinderbetreuungsgeld steht selbst ein kurzzeitiger (weniger als 14-tägiger) Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung entgegen (10 ObS 107/20p = RS0129814 [T3]).

[14]     1.3 Die zu § 24 KBGG ergangene Rechtsprechung kann auch zur Auslegung von § 2 Abs 1 Z 5 FamZeitbG herangezogen werden (10 ObS 38/19i SSV-NF 33/43; 10 ObS 99/20m; Burger-Ehrnhofer, KBGG und FamZeitbG3 § 2 FamZeitbG Rz 21; Holzmann-Windhofer in Holzmann/Windhofer/Weißenböck, FamZeitbG § 2 Anm 3.5 [283]).

[15]     1.4 Im vorliegenden Fall hat der Kläger zum (unstrittigen) Zeitpunkt des Beginns des 182-tägigen Beobachtungszeitraum am 4. 8. 2018 keine sozialversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit tatsächlich ausgeübt, sondern Arbeitslosengeld bezogen. Auch wenn der Bezug dieser Leistung nur für zehn Tage während des Beobachtungszeitraums erfolgte, steht dies dem Anspruch auf Familienzeitbonus entgegen (RS0129814 [T3]). Die Voraussetzungen für die Gewährung des Familienzeitbonus liegen daher nicht vor.

1.5 Dass die dem Kläger von einem Mitarbeiter der Beklagten erteilte Rechtsauskunft unrichtig war, der Kläger aber die Unrechtmäßigkeit der Leistung nicht hätte erkennen müssen, wird im Revisionsverfahren nicht in Frage gestellt. Auch davon, dass unrichtig erteilte Rechtsauskünfte nicht zu einer sozialversicherungsrechtlichen Leistungspflicht führen, sondern allenfalls Amtshaftungsansprüche begründen können, gehen beide Parteien aus (RS0111538).

[16]     2. Zur Rückforderbarkeit des Familienzeitbonus

[17]     2.1 Die historische Entwicklung der Regelungen des KBGG und des FamZeitbG über die Rückforderung lässt sich wie folgt zusammenfassen:

[18]     2.2 Das FamZeitbG wurde mit dem Bundesgesetz BGBl I 2016/53 eingeführt, das zugleich eine umfangreiche Novelle des Kinderbetreuungsgeldgesetzes (KBGG) enthält.

[19]     Vor der Novelle BGBl I 2016/53 enthielt § 31 KBGG vier subjektive Rückforderungstatbestände für unberechtigt empfangenes Kinderbetreuungsgeld (unwahre Angaben, Verschweigen maßgebender Tatsachen, Erkennenmüssen der Unrechtmäßigkeit des Bezugs [Abs 1], Verletzung der Mitwirkungspflicht bei der Einkunftsermittlung [§ 31 Abs 2 Fall 2]) sowie zwei objektive Rückforderungstatbestände (rückwirkende Feststellung anspruchsausschließender Tatsachen [Abs 2 Fall 1] und Überschreitung der Zuverdienstgrenze [Abs 2 Fall 3]). Waren dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung des Kinderbetreuungsgeldes bereits alle für die Gewährung maßgebenden Umstände bekannt und bemerkte er die Unrichtigkeit der Gewährung erst im Nachhinein, war nach der Fassung des § 31 Abs 2 KBGG vor der Novelle BGBl I 2016/53 keine Möglichkeit der Rückforderung vorgesehen. Als Voraussetzung für eine Rückforderung musste sich der Widerrufsgrund erst nachträglich herausgestellt haben. Hatte der Krankenversicherungsträger das Kinderbetreuungsgeld demnach aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung ausgezahlt, war die Rückforderung ausgeschlossen (RS0126122; 10 ObS 106/13f SSV-NF 27/63).

2.3 Die Novelle BGBl I 2016/53 änderte § 31 Abs 2 KBGG dahin ab, dass auch die irrtümliche Auszahlung der Leistung zur Rückforderung berechtigt. In den Gesetzesmaterialien ist dazu festgehalten, dass die Rückforderungsbestimmungen optimiert werden, indem sie adaptiert bzw weiterentwickelt, geändert und ergänzt werden. Dies betreffe einerseits die Rückforderung von den beziehenden Elternteilen, aber auch die Rückforderung von zu Unrecht bezogenen Leistungen bei den Partnern dieser Elternteile sowie bei anderen (dritten) Personen. Es soll verhindert werden, dass auch in Zukunft einige Eltern durch Behördenfehler bessergestellt werden als andere Eltern. Die zu Unrecht bezogenen Leistungen sollen von den Eltern auch dann zurückgefordert werden können, wenn dem Krankenversicherungsträger bei der Gewährung von Leistungen zwar alle maßgebenden Umstände bekannt waren, er aber irrtümlich – etwa aufgrund einer unrichtigen Rechtsansicht oder einer unrichtigen Berechnung – das Kinderbetreuungsgeld ausgezahlt hat (ErlRV 1110 BlgNR 25. GP 12).

[20]     2.4 Im FamZeitbG ist die Rückforderung in § 7 geregelt. § 7 Abs 1 FamZeitbG verpflichtet den Krankenversicherungsträger, einen unrechtmäßig bezogenen Familienzeitbonus vom Leistungsbezieher zurückzufordern; der Leistungsbezieher hat einen unrechtmäßig bezogenen Familienzeitbonus an den Krankenversicherungsträger zurückzuzahlen. Anders als § 31 Abs 1 und 2 KBGG enthält § 7 Abs 1 FamZeitbG keine konkreten Rückforderungstatbestände, sondern sieht seinem eindeutigen Wortlaut nach die Rückforderung bei jedem unrechtmäßigen Leistungsbezug vor. Differenzierende Regelungen wie in § 31 KBGG idF BGBl I 2016/53 sind in § 7 Abs 1 FamZeitbG nicht enthalten. Insbesondere fehlt auch eine explizite Regelung, wonach auch eine irrtümliche Auszahlung zum Rückersatz verpflichtet.

[21]     2.5 In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zur Erlassung des FamZeitbG wird zur Rückforderung darauf verwiesen, dass der gesamte Bonus vom Krankenversicherungsträger bescheidmäßig zurückzufordern ist, sofern dessen Bezug nicht bzw nur teilweise rechtmäßig erfolgt (ErlRV 110 BlgNR 25. GP 2). Auch in den Materialien wird für den Bereich des FamZeitbG die Frage der Rückforderung von Leistungen, die aufgrund eines Behördenfehlers ausgezahlt werden, obwohl sie materiell nicht gebühren, nicht angesprochen.

[22]     3. Zu der vom Berufungsgericht vorgenommenen teleologischen Reduktion des § 7 Abs 1 FamZeitbG

[23]     3.1 Die teleologische Reduktion ist vom Fehlen einer nach dem Zweck des Gesetzes notwendigen Ausnahme geprägt. Der Wortlaut des Gesetzes ist im Vergleich zu dessen erkennbaren Zweck überschießend (RS0008979). In diesem Sinn erfordert die teleologische Reduktion einer gesetzlichen Regelung den klaren Nachweis des Gesetzeszwecks, an dem sich die (letztlich den Gesetzeswortlaut korrigierende) Auslegung orientieren soll (RS0106113 [T3]).

[24]     3.2 Der Annahme eines ungewollten Übersehens des erforderlichen Ausnahmetatbestands steht im vorliegenden Fall vor allem die sich aus den Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zum FamZeitbG ergebende Absicht des Gesetzgebers entgegen, die dahin geht, dass im Fall der Auszahlung des nicht bzw nur teilweise zustehenden Bonus der gesamte Bonus vom Krankenversicherungsträger zurückzufordern ist. Anhaltspunkte dafür, dass im Fall eines Behördenfehlers anderes gelten soll und eine Rückforderung nicht stattfindet bzw nur dann stattfindet, wenn dem Empfänger die Unrechtmäßigkeit der Leistung auffallen musste, sind aus den Gesetzesmaterialien zum FamZeitbG nicht abzuleiten. Vor allem steht der Annahme eines ungewollten Übersehen eines entsprechenden Ausnahmetatbestands entgegen, dass mit dem BGBl I 2016/53 zugleich die Rückforderungsbestimmung des KBGG (§ 31 KBGG) novelliert wurde, mit der – offenbar als Reaktion auf die seinerzeitige Rechtsprechung zum KBGG – für den Bereich des KBGG explizit ein neuer Rückforderungstatbestand für den Fall der irrtümlichen Auszahlung geschaffen wurde. Dass der Gesetzgeber für den Bereich des FamZeitbG hingegen von einer Rückforderung bei irrtümlicher Auszahlung absehen wollte, die Schaffung einer Ausnahmeregelung aber übersehen hätte, liegt bei dieser Sachlage nicht nahe.

[25]     3.3 Ist der Wille des Gesetzgebers nicht mit Sicherheit nachweisbar, ist ein Schluss auf das Fehlen einer notwendigen Ausnahme nicht zulässig (Posch in Schwimann/Kodek5 § 7 ABGB Rz 20; Kodek in Rummel/Lukas4 § 7 ABGB Rz 63).

[26]           4. Ausgehend von diesem Verständnis der Regelung des § 7 FamZeitbG ist auf die vom Kläger geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 7 Abs 1 FamZeitbG einzugehen:

[27]     4.1. Im Schrifttum wird auf verfassungsrechtliche Aspekte der Rückforderung von Familienzeitbonus infolge eines Behördenfehlers weder von Burger-Ehrnhofer (in Burger-Ehrnhofer, Kinderbetreuungsgeldgesetz und Familienbonuszeitgesetz § 7 Rz 1 ff noch von Weißenböck (in Holzmann-Windhofer/Weißenböck, Kinderbetreuungsgeldgesetz § 7 FamZeitbG [302 ff]) Bezug genommen. Auch Reissner (Der „Papamonat“ aus sozialrechtlicher Sicht, ASoK 2019, 402 ff) geht nicht auf verfassungsrechtliche Fragen der Rückforderung ein.

[28]           Sonntag (in Sonntag, KBGG3 § 7 FamZeitbG Rz 2 und § 31 KBGG Rz 10b–10d; vgl auch Sonntag, Unions-, verfassungs- und verfahrensrechtliche Probleme bei der KBGG-Novelle 2016, ASoK 2017, 2 [7 f]) vertritt die Ansicht, dass § 7 FamZeitbG verfassungskonform zu reduzieren sei, soweit er seinem Wortlaut nach eine Rückforderung auch bei Vorliegen eines Behördenfehlers ohne Erkennenmüssen der Unrichtigkeit des Bezugs durch den Leistungsempfänger vorsehe. Das ASVG kenne eine Rückforderung nur bei Verwirklichung subjektiver Tatbestände; beim einzigen objektiven Rückforderungstatbestand des § 107 Abs 1 ASVG müssten sich relevante Tatsachen nachträglich herausgestellt haben. Auch das AlVG kenne keine Rückforderungstatbestände aufgrund eines Behördenfehlers ohne Erkennenmüssen der Unrechtmäßigkeit durch den Leistungsempfänger (§ 25 Abs 1 AlVG). Die Zusammenschau dieser (und weiterer Bestimmungen wie etwa § 101 ASVG und § 69 AVG) zeige die verfassungsrechtlichen Grenzen von Rückersatzpflichten im Fall eines Irrtums der Behörde, ohne dass sich ein Sachverhaltselement nachträglich herausgestellt hätte bzw ohne dass sich der Sachverhalt geändert hätte. Musste der Leistungsbezieher den unberechtigten Bezug erkennen, bestehe ohnedies ein Rückforderungstatbestand. Ohne Vorwerfbarkeit sei eine gänzliche Rückersatzpflicht aber verfassungsrechtlich zumindest bedenklich, weil der Leistungsempfänger davon ausgehen durfte, dass ihm das Geld zur Betreuung des Kindes zur Verfügung stehe. Dass ein Leistungsempfänger trotz fehlender Erkennbarkeit des Behördenfehlers dieses Risiko zur Gänze trage, sei wohl kaum sachlich gerechtfertigt.

[29]     4.2 Diese Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit des § 7 FamZeitbG werden vom Obersten Gerichtshof nicht geteilt.

[30]     Das FamZeitbG enthält (ebenso wie das KBGG) mit § 7 eine eigene Rückforderungsbestimmung (Fellinger in SV-Komm [132. Lfg], § 107 ASVG Rz 3). Nach Rechtsprechung und Lehre zur Rechtslage vor der Novellierung des § 31 KBGG durch das Bundesgesetz BGBl I 2016/53 ist § 31 im Verhältnis zur Rückforderungsbestimmung des § 107 ASVG (aus Sicht der Gesetzwerdung) nicht nur lex posterior, sondern auch lex specialis, die – im Vergleich zu entsprechenden Normen im Sozialversicherungsrecht – von einer Erleichterung der Rückforderung zu Gunsten des Krankenversicherungsträgers geprägt ist (RS0125687; Atria in Sonntag [Hrsg], ASVG12 [2021] § 107 Rz 1a). Dies trifft in gleicher Weise auf § 7 FamZeitbG zu.

[31]     4.3 Wie sich aus dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 26. 2. 2009, G 128/08, VfSlg 18.705, ergibt, ist eine Erweiterung der Rückforderungsmöglichkeit nicht von vornherein unsachlich. Der Verfassungsgerichtshof sah Rückforderungsvorschriften, die lediglich auf den objektiven Umstand des Nichtvorliegens der Anspruchsvoraussetzungen abstellen, als in der österreichischen Rechtsordnung nicht ungewöhnlich an (siehe etwa § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967) und führte aus, dass gegen derartige Vorschriften im Allgemeinen verfassungsrechtliche Bedenken nicht entstanden seien und auch nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt wären.

[32]     4.4 Derartige Umstände hat der Verfassungsgerichtshof etwa angenommen, wenn eine Vorschrift des Arbeitslosenversicherungsgesetzes eine Verpflichtung zur (gänzlichen) Rückzahlung von Arbeitslosengeld bzw Notstandshilfe bereits dann vorsah, wenn der Bezieher in der Folge ein Einkommen (als selbständig Erwerbstätiger) erzielte, das über die Geringfügigkeitsgrenze des ASVG hinausging und die Ungebührlichkeit der Leistung nicht vorhersehbar war. Als ausschlaggebend wurde gewertet, dass der Arbeitslose davon ausgehen darf, dass ihm das Geld zur Bestreitung seines Unterhalts zur Verfügung steht und die Regelung eine volle, den Betrag der eigenen Einkünfte (unter Umständen weit) übersteigende Rückzahlungsverpflichtung beinhaltete (VfSlg 14.095/1995).

[33]     4.5 Vergleichbar schwerwiegende Umstände sind bei der (objektiven) Rückzahlungsregelung des § 7 Abs 1 FamZeitbG nicht erkennbar:

[34]           Der Zweck des Familienzeitbonus beschränkt sich darauf, Vätern, die sich direkt nach der Geburt ihres Kindes der Familie intensiv und ausschließlich widmen, eine finanzielle Unterstützung zu gewähren, deren Höhe (pauschal) 22,60 EUR täglich für die (maximale) Dauer von 28, 29, 30 oder 31 aufeinanderfolgenden Tagen beträgt (§ 3 Abs 1 und Abs 2 FamZeitbG; ErlRV 1110 BlgNR 25. GP 1). Dass diese Unterstützung bei Nichtvorliegen der (objektiven) Anspruchsvoraussetzungen zurückzuzahlen ist, erscheint nicht von vornherein unsachlich. Zu bedenken ist, dass beim Familienzeitbonus – ebenso wie beim Kinderbetreuungsgeld – der Zusammenhang zwischen Beiträgen und Leistungen weitgehend aufgelöst ist und die Leistungen (überwiegend) als Sozialleistungen ohne Versicherungscharakter konzipiert sind (10 ObS 25/10i SSV-NF 24/14).

[35]           4.6 Für den Fall der Rückforderung von rechtsirrtümlich erbrachten Leistungen nach dem KBGG wird in den Gesetzesmaterialien die sachliche Rechtfertigung für das Fehlen einer Ausnahmeregelung ausdrücklich darin gesehen, dass eine auf Behördenfehler zurückgehende Besserstellung bestimmter Eltern gegenüber anderen Eltern vermieden werden soll. Diese Begründung lässt sich ohne Weiteres auch auf die hier zu beurteilenden rechtsirrtümlich erbrachten Leistungen nach dem FamZeitbG übertragen.

[36]           4.7 Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist der Gesetzgeber bei der Verfolgung familienpolitischer Ziele weitgehend frei (VfSlg 16.542/2002 mwN; 10ObS281/03a&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True" target="_blank">10 ObS 281/03a). Der ihm zustehende Gestaltungsspielraum wird durch das Gleichheitsgebot nur insofern beschränkt, als es ihm verwehrt ist, Regelungen zu treffen, für die eine sachliche Rechtfertigung nicht besteht (VfSlg 19.950/2015 zum ÖffnungszeitenG). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber aber nicht verwehrt, seine politischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen. Ob die mit § 7 FamZeitbG getroffene Erweiterung der Rückforderungsmöglichkeit zweckmäßig ist und das Ergebnis als befriedigend empfunden wird, kann aber nicht am Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (vgl VfSlg 19.950/2015 mwN).

[37]     5. Ergebnis: Die Rückforderung des Familienzeitbonus (§ 7 Abs 1 FamZeitbG) ist auch bei einem infolge eines Behördenfehlers unrechtmäßigen Leistungsbezug zulässig, auch wenn die Unrechtsmäßigkeit dem Leistungsbezieher nicht erkennbar war.

[38]     Verfassungsmäßige Bedenken gegen die Anwendung der Rückforderungsregelung des § 7 Abs 1 FamZeitbG bestehen nicht.

[39]     6. In Stattgebung der Revision der beklagten Partei ist daher die Entscheidung des Berufungsgerichts dahin abzuändern, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird. Demnach hat der Kläger den unrechtsmäßig empfangenen Familienzeitbonus zurückzuzahlen.

[40]     7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Es entspricht der Billigkeit, dem Kläger im Hinblick auf die rechtlichen Schwierigkeiten des Falls und den Umstand, dass seine Einkommensverhältnisse einen Kostenersatz nach Billigkeit nahe legen, die Hälfte der Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, der Berufung sowie der Revisionsbeantwortung zu ersetzen. Für die Kostenberechnung ist von einer Bemessungsgrundlage in Höhe des Rückersatzanspruchs von 678 EUR auszugehen (RS0085754).

Textnummer

E132618

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:010OBS00087.21Y.0729.000

Im RIS seit

13.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

13.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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