TE OGH 2021/8/3 8ObA41/21v

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Veröffentlicht am 03.08.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und den Hofrat Dr. Stefula und die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Johanna Biereder (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Thomas Kallab (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M***** S*****, vertreten durch die Fidi Unger Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei A***** AG, *****, vertreten durch Mag. Judith Morgenstern, Rechtsanwältin in Wien, wegen 5.132,42 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25. März 2021, GZ 8 Ra 77/20g-30, mit dem das Zwischenurteil des Landesgerichts Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 2. Juni 2020, GZ 30 Cga 9/20f-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass es als Zwischenurteil lautet:

„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 5.132,42 EUR samt 8,58 % Zinsen jährlich aus 279,95 EUR seit 1. 10. 2018, aus 279,95 EUR seit 1. 11. 2018, aus 279,95 EUR seit 1. 12. 2018, aus 93,32 EUR seit 1. 12. 2018, aus 279,95 EUR seit 1. 1. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 2. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 3. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 4. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 5. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 6. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 7. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 7. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 8. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 9. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 10. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 11. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 12. 2019, aus 279,95 EUR seit 1. 12. 2019 und aus 279,95 EUR seit 1. 1. 2020 zu bezahlen, besteht dem Grunde nach zu Recht.

2. Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

Text

Entscheidungsgründe:

[1]       Die am 8. 8. 1958 geborene Klägerin war von 2. 4. 1979 bis 8. 10. 1994 bei der Beklagten als Flugbegleiterin (damals: „Air-Hostess“) beschäftigt. Während dieser Zeit nahm sie von 4. 12. 1992 bis 21. 11. 1993 Karenzurlaub nach dem Mutterschutzgesetz (MuttSchG) in Anspruch. Seit 1. 9. 2018 bezieht sie eine Alterspension nach dem ASVG.

[2]       Das Dienstverhältnis unterlag dem Kollektivvertrag für das AUA-Bordpersonal (KV-Bord).

[3]       Am 22. 4. 1980 schlossen der Betriebsrat für die Mitglieder des Kabinenpersonals und die Beklagte mit Wirksamkeit ab 1. 5. 1979 eine Betriebsvereinbarung (BV) „über die Gewährung eines Pensionszuschusses für die Mitglieder des Kabinenpersonals der Austrian Airlines“ (Betriebsvereinbarung C.11). Diese enthält folgende Regelungen:

„[…]

1. Grundsatz

AUSTRIAN AIRLINES, im Folgenden kurz AUSTRIAN genannt, erklären sich grundsätzlich bereit, den Mitgliedern des Kabinenpersonals (im Sinne von § 1 des Kollektivvertrages für das Bordpersonal der AUSTRIAN) eine Zuschussleistung zur ASVG-Pension zu gewähren.

Diese Leistung erfolgt freiwillig und ist jederzeit widerruflich, soferne die wirtschaftlichen Verhältnisse der AUSTRIAN dies bedingen.

2. Begünstigte

In den Genuss einer Pensionszuschussleistung kommen alle jene Mitglieder des Kabinenpersonals, die nach Beendigung eines mindestens 15-jährigen ununterbrochenen, nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages für das Bordpersonal der AUSTRIAN abgeschlossenen Dienstverhältnisses in den dauernden Ruhestand treten und eine Pensionsleistung nach dem ASVG erhalten.

3. Bemessungszeit

Für die Bemessung der Zuschussleistung werden alle im Rahmen eines nach dem Kollektivvertrag für das Bordpersonal der AUSTRIAN abgeschlossenen Dienstverhältnisses zurück-gelegten Dienstjahre, einschließlich jener Vordienstzeiten herangezogen, die auf den Abfertigungsanspruch ausdrücklich bei Anstellung angerechnet wurden.

4. Bemessungsgrundlage

Als Bemessungsgrundlage wird das letzte Bruttomonatsgehalt herangezogen, das der Berechnung der Sonderzahlungen bei Austritt zugrunde gelegt wurde.

5. Höhe der Zuschussleistung

für die ersten 15 Dienstjahre 7,00 %

für jedes weitere vollendete Dienstjahr 0,50 %

insgesamt jedoch höchstens 15,00 % der Bemessungsgrundlage, wobei die Summe der ASVG-Leistung und des Zuschusses bei Pensionsantritt 80 % des letzten Bruttomonatsgehaltes nicht übersteigen dürfen.

6. Fälligkeit

Der Pensionszuschuss wird monatlich im Nachhinein gezahlt. Je ein zusätzlicher Pensionszuschuss wird für Juni und für November als Sonderzahlung gewährt; bei Pensionsantritt bzw -ende erfolgt aliquote Abrechnung.

7. Wertsicherung

AUSTRIAN erklären ihre Absicht, die Pensionszuschüsse unter der Voraussetzung, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dies ermöglichen, immer dann zur Berücksichtigung der gestiegenen Lebenshaltungskosten zu valorisieren, wenn allgemeine Gehaltserhöhungen für die aktiven Dienstnehmer erfolgen.

[…]“

[4]       Der zur Zeit des Abschlusses der Betriebsvereinbarung C.11 in Geltung stehende KV-Bord enthielt in § 13 betreffend die Kündigung des Dienstverhältnisses folgende Regelung:

„§ 13 KÜNDIGUNG ODER VORZEITIGE AUFLÖSUNG DES DIENSTVERHÄLTNISSES

[…]

5. Air-Hostessen werden vom Dienstgeber
– unbeschadet früherer Kündigungsmöglichkeiten gemäß Abs 1 bis 3 – grundsätzlich zum Ende des Kalenderjahres gekündigt, in das die Vollendung des 36. Lebensjahres fällt. Die Möglichkeiten einer Weiterbeschäftigung werden in einer Betriebsvereinbarung geregelt.“

[5]       Diese Bestimmung war wortgleich auch noch in dem zum Zeitpunkt der Beendigung des Dienstverhältnisses der Klägerin geltenden KV-Bord vom 23. 7. 1987 enthalten.

[6]       Die Klägerin stellte das aus dem Spruch ersichtliche Zahlungsbegehren, mit dem sie Pensionszuschüsse für die Monate September 2018 bis Dezember 2019 in Höhe von monatlich 279,95 EUR zuzüglich Sonderzahlungen und Zinsen geltend macht. Sie stützte sich in erster Linie darauf, dass sie die in der Betriebsvereinbarung genannten Voraussetzungen für den Pensionszuschuss erfülle.

[7]       Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klage. Soweit für das Verständnis des Revisionsurteils relevant, bestritt sie das Vorliegen eines 15-jährigen Dienstverhältnisses, weil die Karenzzeit der Klägerin, was sich aus § 15f Abs 1 aF MuttSchG ergebe, nicht anzurechnen sei.

[8]            Das Erstgericht stellte mit Zwischenurteil fest, dass der Anspruch der Klägerin gegenüber der Beklagten auf Zahlung einer Pensionszuschussleistung nach der Betriebsvereinbarung C.11 dem Grunde nach zu Recht bestehe. Die Kostenentscheidung behielt es dem Endurteil vor. Den – soweit für das Revisionsverfahren von Interesse oben wiedergegebenen – Sachverhalt beurteilte das Erstgericht dahin, dass die Klägerin grundsätzlich die in der Betriebsvereinbarung normierten Voraussetzungen für den Erhalt einer Pensionszuschussleistung erfülle. Ein Dienstverhältnis werde durch Inanspruchnahme einer Mutterschaftskarenz nicht unterbrochen. Punkt 2. der Betriebsvereinbarung sehe vor, dass für den Anspruch auf eine Pensionszuschussleistung lediglich die Beendigung eines mindestens 15-jährigen ununterbrochenen Dienstverhältnisses nach dem KV-Bord notwendig sei. Nur hinsichtlich der Bemessung der (Höhe der) Pensionszuschussleistung würden nach Punkt 3. der Betriebsvereinbarung die in einem solchen Dienstverhältnis zurückgelegten Dienstjahre herangezogen.

[9]            Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil im klageabweisenden Sinn ab. Beim Anspruch auf Pensionszuschuss nach der Betriebsvereinbarung handle es sich um einen Anspruch iSd § 15f Abs 1 Satz 3 MuttSchG in der aufgrund der Übergangsbestimmung des § 40 Abs 29 MuttSchG hier noch anzuwendenden Fassung BGBl I 2001/103, nämlich um einen Anspruch, der sich nach der Dauer der Dienstzeit richte. Daher bleibe die Zeit der Karenz bei dem Anspruch außer Betracht, soweit nicht anderes vereinbart sei. Eine solche „andere Vereinbarung“ sei unter Anwendung der für den normativen Teil von Kollektivverträgen und Betriebsvereinbarungen geltenden Auslegungsgrundsätze in der Betriebsvereinbarung vom 22. 4. 1980 nicht zu erblicken. Nach dem Wortlaut ihres Punktes 2. setze der Anspruch auf eine Zuschussleistung zur ASVG-Pension voraus, dass das Dienstverhältnis zumindest 15 Jahre ununterbrochen gedauert habe. Eine gleichartige Formulierung finde sich in § 23 Abs 1 und § 23a Abs 3 AngG. Nach einhelliger Meinung seien aufgrund von § 15f Abs 1 MuttSchG die Zeiten einer Elternkarenz bei der Ermittlung der Dauer des Dienstverhältnisses als Voraussetzung für einen Abfertigungsanspruch nicht zu berücksichtigen. Entgegen dem Erstgericht könne aus den unterschiedlichen Formulierungen in Punkt 2. und 3. der Betriebsvereinbarung nicht abgeleitet werden, dass die gesetzliche Regelung über die Nichtberücksichtigung von Karenzzeiten zwar bei der Ermittlung der Anspruchshöhe angewendet werden sollte, nicht aber bei der Beurteilung, ob überhaupt ein Anspruch bestehe. Die Formulierung in Punkt 3. stelle ebenso wie der die Anwartschaft regelnde Punkt 2. auf die Dauer des Dienstverhältnisses ab. Der Wortsinn der Betriebsvereinbarung biete keinen Spielraum für eine Auslegung, dass die im MuttSchG enthaltene Regelung über die Nichtberücksichtigung von Karenzzeiten (gänzlich oder zum Teil) nicht anwendbar sein solle. Die Regelung sei weder abbedungen, noch eine davon abweichende Vereinbarung getroffen worden. Richtig sei, dass Flugbegleiterinnen insbesondere dann, wenn sie Karenzurlaub nach dem MuttSchG in Anspruch nahmen, in den meisten Fällen die Voraussetzungen für die Pensionszuschussleistung nicht erfüllen könnten, zumal sie nach den kollektivvertraglichen Regelungen mit Ablauf des Jahres, in dem sie das 36. Lebensjahr vollendeten, aus dem dem KV-Bord unterliegenden Dienstverhältnis ausscheiden mussten. Es bestehe aber kein Anhaltspunkt dafür, dass seitens der Parteien der Betriebsvereinbarung die Intention bestand, die sich aus den kollektivvertraglichen Kündigungsregelungen ergebende Ungleichbehandlung von Flugbegleiterinnen gegenüber ihren männlichen Kollegen durch Nichtanwendung der Regelung des MuttSchG abzufedern. Hätten die Parteien der Betriebsvereinbarung gewollt, dass Zeiten einer Karenz nach dem MuttSchG bei der Ermittlung der erforderlichen Dienstzeit (etwa bis zu einem bestimmten Ausmaß) zu berücksichtigen seien, so hätten sie dies in der Betriebsvereinbarung festgehalten.

[10]           Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil die Frage, ob die Betriebsvereinbarung vom 22. 4. 1980 dahin auszulegen ist, dass die Zeit eines nach dem MuttSchG in Anspruch genommenen Karenzurlaubs bei der Beurteilung, ob ein mindestens 15-jähriges Dienstverhältnis vorlag, nicht zu berücksichtigen sei, einer Klärung durch das Höchstgericht bedürfe.

[11]           Gegen das Berufungsurteil richtet sich die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der Klägerin mit einem auf Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung gerichteten Abänderungsantrag.

[12]           Die Beklagte beantragt in der Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision, hilfsweise ihr den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[13]           Die Revision ist zulässig, weil der Auslegung der gegenständlichen Betriebsvereinbarung für einen größeren Personenkreis Bedeutung zukommt und sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage, ob bei der in Punkt 2. der Betriebsvereinbarung für den Pensionszuschuss genannten Voraussetzung eines 15-jährigen Dienstverhältnisses Karenzzeiten zu berücksichtigen sind, noch nicht befasst hat (vgl RIS-Justiz RS0109942 [samt T5 und T12]). Die zu beurteilende Regelung ist auch keineswegs so eindeutig, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung in Betracht käme (vgl RS0121516 [T6, T17]).

[14]           Die Revision ist auch berechtigt.

[15]           I. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Klagebegehren – wie bereits vom Berufungsgericht auf Seiten 6 f seines Urteils ausgeführt – zuletzt mit Schriftsatz vom 16. 1. 2020 auf Zahlung eines Betrags von 5.132,42 EUR samt gestaffelten Zinsen ausgedehnt wurde, eine weitere Klageausdehnung hingegen unterblieb. Dass die Klägerin im Weiteren in ihrer Eingabe vom 20. 2. 2020 und in ihrer in der (letzten) Tagsatzung am 13. 5. 2020 überreichten Kostennote jeweils im Rubrum einen Streitwert von 5.412,37 EUR angab, vermochte die förmliche Ausdehnung ihres Begehrens nicht zu ersetzen. Entgegen der Ansicht in der Revision ging die Beklagte in erster Instanz auch niemals von einem Streitwert von 5.412,37 EUR aus, vielmehr führte sie – zutreffend – in ihrem Schriftsatz vom 24. 1. 2020 und in ihrer Kostennote vom 13. 5. 2020 den Streitwert von 5.132,42 EUR an. Dass das Erstgericht (bloß) im Kopf seines Zwischenurteils als Streitwert 5.412,37 EUR anführte (sein Spruch lautete allein darauf, dass der Anspruch der Klägerin zu Recht bestehe, ohne diesen ziffernmäßig zu beschreiben), kann nicht als Genehmigung einer – tatsächlich nie erfolgten – Klageausdehnung (Klageänderung) iSd § 235 Abs 3 ZPO qualifiziert werden.

[16]           II.1. Der normative Teil von Betriebsvereinbarungen ist nach den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln auszulegen (RS0050963 [T2]). Grundsätzlich ist demnach der objektive Sinngehalt der Betriebsvereinbarung maßgebend (9 ObA 80/16d [Pkt I.1.]; RS0008874 [T3]). Bei der Auslegung einer Betriebsvereinbarung ist (wie bei einem Kollektivvertrag) in erster Linie der Wortsinn – auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen – zu erforschen und die sich aus dem Text der Betriebsvereinbarung ergebende Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung zu berücksichtigen (9 ObA 143/09h; RS0010089 [T37]). Eine über die Wortinterpretation hinausgehende Auslegung ist (nur) dann erforderlich, wenn die Formulierung mehrdeutig, missverständlich oder unvollständig ist, wobei der äußerst mögliche Wortsinn die Grenze jeglicher Auslegung bildet (RS0010089 [T38]; idS auch RS0031382). Jedenfalls im Zweifel ist zu unterstellen, dass die Vertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten, sodass jene Auslegung zu wählen ist, die diesen Anforderungen am ehesten entspricht (RS0010089 [T14]; RS0008828; RS0008897).

[17]           II.2.1. Der Wortlaut von Punkt 2. der Betriebsvereinbarung spricht von einem „mindestens 15-jährigen ununterbrochenen, nach den Bestimmungen des Kollektivvertrages für das Bordpersonal der AUSTRIAN abgeschlossenen Dienstverhältnis[]“. Er lässt durchaus eine Auslegung dahin zu, Zeiten einer Karenz nach dem MuttSchG (§ 15) mitzuberücksichtigen, ändert doch eine solche anerkanntermaßen nichts am aufrechten Bestand eines Dienstverhältnisses, unterbricht mit anderen Worten dieses gerade nicht (8 ObA 9/10x [Pkt 2.2.] = DRdA 2011/44 [zust K. Mayr]: Wolfsgruber-Ecker in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 15 MSchG Rz 3; Wachter in Reissner, AngG3 § 23 Rz 31 ua).

[18]           II.2.2. Auch die Systematik der Betriebsvereinbarung lässt eine solche Auslegung ihres Punktes 2. zu. Ihr steht Punkt 5. der Betriebsvereinbarung, der „für die ersten 15 Dienstjahre“ die Höhe der Zuschussleistung mit 7 % festsetzt und diesen Prozentsatz „für jedes weitere vollendete Dienstjahr“ um 0,5 % erhöht, nicht entgegen, liegt es doch vom Wortlaut her auf der Hand, bei einem „zumindest 15-jährigen Dienstverhältnis“ iSd Punktes 2. BV von einer Zuschussleistung von zumindest 7 % iSd Punktes 5. BV auszugehen. Aber auch wenn man anders als bei der Anspruchsentstehung (Punkt 2. BV) bei der Anspruchshöhe (Punkt 5. BV) die Karenzzeit unberücksichtigt ließe, wäre auf den einmal entstandenen Anspruch jedenfalls die erste Stufe des Punktes 5. BV anzuwenden, bestimmt dieser doch nur, dass „für die ersten 15 Dienstjahre“ die Höhe der Zuschussleistung 7 % beträgt, ohne zu verlangen, dass bereits volle 15 Dienstjahre im Sinne einer tatsächlichen Ausübung der Beschäftigung vorliegen. Die 7 % wären nach beiden möglichen Auslegungen von Punkt 5. BV die Mindesthöhe einer gebührenden Zuschussleistung. Nach der zweiten Auslegung würde aber erst dann, wenn (einschließlich Vordienstzeiten, vgl Punkt 3. BV) tatsächlich 15 Dienstjahre lang die Beschäftigung ausgeübt und ein weiteres Dienstjahr vollendet worden ist, der nächste in Punkt 5. BV vorgesehene „Sprung“ erfolgen.

[19]           II.2.3. Dass eine solche Auslegung (Punkt II.2.1.) der Absicht der Parteien der Betriebsvereinbarung widerspräche, ergibt sich aus der Betriebsvereinbarung nicht (vgl RS0010089 [T17]). Ebensowenig ist eine außer Kraft getretene Vorläuferbestimmung ersichtlich, die ein anderes Normverständnis nahelegte (vgl RS0010089 [T1, T10]). Es liegt damit eine Situation vor, in der eine Auslegung dahin, dass für die Entstehung des Anspruchs auf Pensionszuschuss nach Punkt 2. der Betriebsvereinbarung auch Zeiten einer Mutterschaftskarenz mitzuzählen sind, zumindest möglich ist.

[20]           II.2.4. Lassen die Auslegungsgrundsätze mehrere Auslegungen zu, so ist – wie bereits ausgeführt – im Zweifel jener der Vorzug zu geben, die dem Gedanken entspricht, dass die Vertragsparteien wohl eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten. Jedenfalls die Anwendung dieser Zweifelsregel gibt hier zugunsten der von der Klägerin intendierten Auslegung den Ausschlag:

[21]           Es ist notorisch und wurde bereits vom Obersten Gerichtshof in seiner ebenso die in Rede stehende Betriebsvereinbarung betreffenden Entscheidung 9 ObA 31/19b angemerkt, dass die Flugbegleiter in der betreffenden Zeit überwiegend Frauen waren. Nach dem beim Abschluss der Betriebsvereinbarung geltenden KV-Bord wurden Air-Hostessen grundsätzlich im Alter von 36 Jahren von der Beklagten gekündigt. Dass bei Abschluss der Betriebsvereinbarung von diesem Regelfall ausgegangen wurde, liegt auf der Hand (idS bereits 9 ObA 132/09s und 9 ObA 143/09h). Ob die Beklagte später auch tatsächlich Flugbegleiterinnen bei Erreichung dieser Altersgrenze kündigte, ist – entgegen der Revisionsbeantwortung – für die Auslegung der Betriebsvereinbarung nicht von Relevanz. Weil die Betriebsvereinbarung den Pensionszuschuss von einem mindestens 15-jährigen Dienstverhältnis abhängig macht, das Dienstverhältnis von Flugbegleiterinnen damals im Regelfall, von dem der Betriebsrat und die Beklagte bei Abschluss der Betriebsvereinbarung ausgehen mussten, aber im Alter von 36 Jahren endete, bedeutete eine Auslegung von Punkt 2. der Betriebsvereinbarung dahin, dass Karenzzeiten bei Ermittlung dessen, ob ein 15-jähriges Dienstverhältnis vorliegt, unberücksichtigt blieben, faktisch einen Ausschluss vieler Flugbegleiterinnen vom Anspruch auf Pensionszuschuss. Dass eine große Gruppe des Kabinenpersonals regelmäßig keinen Anspruch auf Pensionszuschuss erlangen kann, stellte keine vernünftige und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeidende Regelung bei Einführung eines Pensionszuschusses dar. Ein solches Normverständnis von Punkt 2. BV kann dem Betriebsrat und der Beklagten bei Abschluss der Betriebsvereinbarung am 22. 4. 1980 schon damals auch unter dem Aspekt der Gleichbehandlung daher nicht unterstellt werden.

[22]           II.2.5. Somit ist jener Auslegung der Vorzug zu geben, die bei der Frage, ob ein 15-jähriges Dienstverhältnis iSd Punktes 2. der Betriebsvereinbarung vorliegt, Zeiten der Mutterschaftskarenz mitberücksichtigt. Unter Zugrundelegung dieser Auslegung liegt in Gestalt von Punkt 2. BV eine „andere Vereinbarung“ iSd § 15f Abs 1 Satz 3 aF MuttSchG vor, die jener Gesetzesvorschrift vorgeht.

[23]           Weil die Klägerin damit die Voraussetzungen des Punktes 2. der Betriebsvereinbarung erfüllt, war im Ergebnis das Zwischenurteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Aus Gründen der Rechtsklarheit war dieses unter Zugrundelegung des exakten Klagebegehrens zu formulieren.

Textnummer

E132619

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:008OBA00041.21V.0803.000

Im RIS seit

14.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

14.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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