TE OGH 2021/8/5 2Ob58/21z

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Veröffentlicht am 05.08.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und MMag. Sloboda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ÖBB-Infrastruktur AG, Wien 2, Praterstern 3, vertreten durch Dr. Martin Wandl und Dr. Wolfgang Krempl, Rechtsanwälte in St. Pölten, gegen die beklagten Parteien 1. B***** GmbH, *****, und 2. (nunmehr) S***** AG, *****, beide vertreten durch Dr. Hubert Köllensperger und Mag. Wolfgang Stockinger, Rechtsanwälte in Wels, und die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien P***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Dirk Just, Rechtsanwalt in Wien, wegen 10.167,04 EUR sA und Feststellung sowie „Freistellung“ (Streitwert: 10.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionen der klagenden Partei (Revisionsinteresse 12.877,44 EUR), der beklagten Parteien und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien (Revisionsinteresse jeweils 7.289,60 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 2. Februar 2021, GZ 2 R 155/20g-93, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Steyr vom 20. Oktober 2020, GZ 3 Cg 17/18b-89, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

I. Die Parteibezeichnung der zweitbeklagten Partei wird von S*****gesellschaft m.b.H. auf S***** AG berichtigt.

II. Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

III. Den außerordentlichen Revisionen der beklagten Parteien und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien wird teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung insgesamt lautet:

„1. Es wird festgestellt, dass die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand im Ausmaß der Hälfte für sämtliche zukünftigen Schäden und Aufwendungen aus dem Zusammenprall einer Stopfmaschine und einer Planiermaschine am 5. Mai 2015 auf der Eisenbahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Kleinreifling und Weißenbach-St. Gallen haften.

2. Das Begehren auf Zahlung von 10.167,04 EUR samt 8,58 % Zinsen über dem Basiszinssatz zuzüglich Zinseszinsen von 8,58 % über dem Basiszinssatz jeweils seit 7. November 2018 wird abgewiesen.

3. Das Feststellungsmehrbegehren, die beklagten Parteien hafteten der klagenden Partei zur ungeteilten Hand im Ausmaß einer weiteren Hälfte für sämtliche zukünftigen Schäden und Aufwendungen aus dem Zusammenprall einer Stopfmaschine und einer Planiermaschine am 5. Mai 2015 auf der Eisenbahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Kleinreifling und Weißenbach-St. Gallen, wird abgewiesen.

4. Das weitere Klagebegehren, die beklagten Parteien seien zur ungeteilten Hand schuldig, die klagende Partei gegenüber allen Ansprüchen Dritter, welche gegen die klagende Partei aufgrund des Unfalls vom 5. Mai 2015 auf der Eisenbahnstrecke zwischen den Bahnhöfen Kleinreifling und Weißenbach-St. Gallen erhoben werden, zur Gänze schad- und klaglos bzw freizuhalten, wird abgewiesen.“

Die klagende Partei ist schuldig,

a) den beklagten Parteien die mit 1.355,07 EUR (darin enthalten 1.049,40 EUR Barauslagen und 50,95 EUR USt) sowie

b) der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien die mit 1.231,96 EUR (darin 954 EUR Barauslagen und 46,33 EUR USt)

bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Zu I.:

[1]       Die Parteibezeichnung der Zweitbeklagten ist aufgrund der erfolgten formwechselnden Umwandlung gemäß § 235 Abs 5 ZPO zu berichtigen (vgl RS0039795).

Zu II. und III.:

[2]       Die Klägerin ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen (EIU). Die Beklagten schlossen mit der Klägerin einen Rahmenvertrag über die Durchführung von Stopfarbeiten im gesamten Streckennetz der Klägerin. Dem Vertragsabschluss ging ein Vergabeverfahren voran, zu dessen Beginn die Klägerin beabsichtigte, die von ihr bis dahin selbst erbrachte Leistung der Beistellung eines Kleinwagenführers (in der Folge: KL-Führer) künftig an ihre Auftragnehmer auszulagern; sie nahm daher eine entsprechende Position für die Leistung des KL-Führers in das Ausschreibungs-Leistungsverzeichnis auf und hielt unter den Besonderen Vergabe- und Vertragsbestimmungen in Position 00B105 fest:

„Personaleinsatz AN. […] Es sind nur solche Maschinisten einzusetzen, die eine den jeweiligen Rechts- und ÖBB-Betriebsvorschriften entsprechende gültige Berechtigung zum Fahren und Führen dieser Maschinen und Geräte auf Strecken der ÖBB-Infrastruktur besitzen.“

[3]       Da den Mitgliedern der von der Klägerin eingesetzten Arbeitsgruppe der von den Bietern kalkulierte Preis für die Leistung eines KL-Führers zu hoch war, kam es zu Nachverhandlungen. Beim (letzten) Preisgespräch vom 6. 3. 2014 einigten sich die Vertreter der Klägerin und jene der Beklagten aus wirtschaftlichen Überlegungen darauf, dass der Leistungsumfang der Auftragnehmer um die Tätigkeit der KL-Führer reduziert wird und im Gegenzug die Beklagten den angebotenen Gesamtpreis um 1,53 Mio EUR kürzen. Als Grundlage für die Leistungserbringung der SKL-/KL-Führer durch die Klägerin wurde in die Position 00B102 („Leistung AG“) unter Punkt 5. die Leistung „Verschub- und Nebenfahrten“ neu aufgenommen. Für die Abdeckung eines etwaigen Spitzenbedarfs wurde eine Wahlposition in das Leistungsverzeichnis („Leistungserbringung SKL-/KL-Führer“) aufgenommen. Nach diesem Preisgespräch erhielten die Vorstände der Klägerin den Vergabeakt samt den Protokollen über die Verhandlungsgespräche; darin fand Erwähnung, dass die Leistung „SKL-/KL-Führer“ aus wirtschaftlichen Überlegungen von der Klägerin ausgeführt werden soll und ein entsprechender Preisnachlass gewährt wurde. Die Vorstände der Klägerin genehmigten die Vergabe und unterfertigten den Rahmenvertrag, dem Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) zu Grunde lagen. In der Folge entsprach es der gelebten Vertragspraxis, dass die Klägerin die KL-Führer beistellte und die Beklagten entsprechend reduzierte Einheitspreise abrechneten. Trotzdem wurde die Position 00B105 unverändert Teil des Vertrags-Leistungsverzeichnisses.

[4]          Der spätere Unfallbereich wurde mit einer Betriebs- und Bauanweisung (BETRA) der Klägerin zum Baugleis erklärt. Für Fahrten in diesem Bereich ordnete die BETRA unter anderem an, dass die Fahrten „in das bzw aus dem Baugleis“ als Verschubfahrten, auf der freien Strecke als Nebenfahrten, durchzuführen sind und der örtliche betriebliche Koordinator (ÖbK) von jeder Fahrt in das Baugleis vom Fahrdienstleiter (Fdl) zu verständigen ist. Die Fahrten im Baugleis erfolgten nach dieser Anweisung „auf Sicht und mit höchstens 20 km/h“, wobei die Geschwindigkeit ein Anhalten vor Hindernissen ermöglichen musste. Jede der Fahrten musste – ebenso wie der ÖbK – mit Funk ausgerüstet sein.

[5]          In § 75 Abs 2 der Dienstvorschrift V3 ist geregelt, dass zur Durchführung von Nebenfahrten ein KL-Führer erforderlich ist, der auch als solcher geprüft sein muss. Nach Abs 3 ist der KL-Führer grundsätzlich für die Fahrt allein verantwortlich; fehlen ihm die Voraussetzungen für die Bedienung des Fahrzeugs, muss ihm ein Kleinwagenfahrer (in der Folge: KL-Fahrer) beigegeben werden. KL-Fahrer müssen als solche geprüft sein. Nach Abs 4 ist der KL-Fahrer unter anderem für die Einhaltung der zulässigen Geschwindigkeit verantwortlich. Nach Abs 5 müssen sowohl der KL-Führer als auch der KL-Fahrer streckenkundig, bei Fahrten im Bahnhof auch ortskundig sein. Fehlt ausnahmsweise dem KL-Fahrer die Streckenkenntnis, übernimmt der KL-Führer auch die Aufgaben des Lotsen; diesfalls ist er gemäß Abs 4 mitverantwortlich. Wenn der KL-Fahrer eine Handlung setzt, die nicht der BETRA entspricht, muss der KL-Führer einschreiten.

[6]          Die Klägerin rief auf Basis des Rahmenvertrags am 22. 4. 2015 Stopfarbeiten im Bereich Schönau an der Enns ab, mit deren Durchführung die Beklagten die Rechtsvorgängerin der Nebenintervenientin beauftragten. Die Wahlposition „Leistungserbringung SKL-/KL-Führer“ rief die Klägerin dabei nicht ab.

[7]          Am 5. 5. 2015 fuhren zwei Arbeitsmaschinen der Nebenintervenientin – eine Gleisstopfmaschine und eine Planiermaschine – aneinander gekoppelt in das eingleisige Baugleis ein, um dort Stopfarbeiten an mehreren Stellen zu verrichten. Die KL-Fahrer, die sich auf beiden Maschinen befanden, der Einsatzleiter und die übrigen Maschinisten waren bei der Nebenintervenientin beschäftigt. Keiner dieser Mitarbeiter verfügte über die Berechtigung als KL-Führer. Beide KL-Fahrer waren strecken- und ortsunkundig. Am Unfalltag war – wie auch schon am Tag davor – der orts- und streckenkundige P***** R*****, der bei der Klägerin als Gleisaufseher beschäftigt ist und über die Ausbildung zum KL-Führer verfügt, für diese Maschinengruppe als KL-Führer eingesetzt. Es war seine Aufgabe, die Baumaschinen zu ihren Einsatzorten zu bringen und die Fahrten mit dem Fahrdienstleiter bzw dem ÖbK zu koordinieren. Der KL-Führer erhielt die Fahrt in das Baugleis vom ÖbK und dem Fdl genehmigt; im Baugleis wurden die Gleisbaumaschinen getrennt, blieben aber vorerst im gegenseitigen Sichtbereich. Der KL-Führer hielt sich auf der Stopfmaschine auf. Als gegen Mittag die Arbeiten der Stopfmaschine im Baugleis abgeschlossen waren, sprachen der KL-Führer und der Einsatzleiter darüber, die Stopfmaschine zum Bahnhof zu bringen, während die Planiermaschine in der Gegenrichtung weitere Arbeiten verrichten sollte. Der KL-Führer informierte den KL-Fahrer der Planiermaschine darüber, dass die restlichen Planierarbeiten ausgeführt werden könnten, besprach aber nichts Weiteres mit ihm. Die beiden Gleisbaumaschinen fuhren in entgegengesetzte Richtungen weg, der KL-Führer blieb auf der Stopfmaschine. Der ÖbK erfuhr weder von der Trennung noch von den anschließenden getrennten Fahrten der beiden Arbeitsmaschinen.

[8]          Obwohl der KL-Fahrer auf der Planiermaschine wusste, dass eine Fahrt ohne KL-Führer nicht den Vorschriften entsprach, fuhr er mit der Maschine zu jener Stelle, an der noch Planierarbeiten auszuführen waren. Nach Beendigung der Arbeiten fuhr ein Mitarbeiter der Nebenintervenientin, der sich in Ausbildung zum KL-Fahrer befand, unter Aufsicht des KL-Fahrers die Planiermaschine wieder in die Gegenrichtung, um zum Ausgangspunkt zurückzukehren.

[9]          Als die Stopfmaschine (mit dem KL-Führer) zum Ausgangspunkt zurückkehrte, war die Planiermaschine nicht vor Ort. Ohne abzuklären, wo sich die Planiermaschine befand, fuhr die Stopfmaschine weiter und kollidierte schließlich mit der Planiermaschine. Durch die Kollision wurden beide Gleisbaumaschinen schwer beschädigt; mehrere Personen wurden verletzt. Es entstanden auch Schäden an der Infrastruktur der Klägerin.

[10]       Die Fahrer der Maschinen konnten einander aus einer Entfernung von mindestens 100 m erstmals sehen; es gab zu diesem Zeitpunkt keine Sichteinschränkung. Beide Fahrer hielten eine Ausgangsgeschwindigkeit von mehr als 20 km/h ein und/oder reagierten verspätet. Hätten die Fahrer die in der BETRA vorgeschriebene Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h eingehalten und hätten sie auf die entgegenkommende Gleisbaumaschine reagiert, wären beide Schienenfahrzeuge vor der späteren Kollisionsstelle zum Stillstand gekommen.

[11]       Es kann nicht festgestellt werden, dass beim Unfall oder der Bergung der verunfallten Gleisbaumaschinen Betriebsmittel ausgetreten sind. Ebensowenig kann festgestellt werden, dass die Klägerin – abgesehen von der von der Nebenintervenientin zu AZ 21 Cg 35/18k des Handelsgerichts Wien erhobenen Klage (in der Folge: Parallelverfahren) – aufgrund dieses Unfalls von Geschädigten, Angehörigen oder Sozialversicherungsträgern in Anspruch genommen wurde.

[12]       Die Klägerin begehrte die Zahlung von 10.167,04 EUR sA, die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftigen Schäden und Aufwendungen aus dem Unfall vom 5. 5. 2015 sowie die Beklagten schuldig zu erkennen, die Klägerin gegenüber allen Ansprüchen Dritter aus dem Unfall „zur Gänze schad- und klaglos bzw freizuhalten“.

[13]     Das Alleinverschulden am Unfall treffe die Beklagten bzw deren Nebenintervenientin. Beim Zurücklassen der Planiermaschine sei vereinbart gewesen, dass diese bis zur Rückkehr der Stopfmaschine am Ort zu verbleiben habe; dennoch habe der KL-Fahrer der Planiermaschine eine weisungswidrige Schwarzfahrt vorgenommen. Der Fahrer der Planiermaschine habe keine (Neben-)Fahrt ohne KL-Führer und ohne Genehmigung durch den ÖbK durchführen dürfen. Er sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe verspätet reagiert.

[14]     Die Beklagten hafteten für alle bei Erfüllung ihrer vertraglichen Leistung eingesetzten Leute; auch von der Klägerin beigestellte Personen seien aufgrund der Vertragslage den Beklagten als Erfüllungsgehilfen zuzurechnen. Die Klägerin habe für Fahrten im Baugleis keinen KL-Führer stellen müssen, solche Fahrten seien von den Beklagten in eigener Verantwortung durchzuführen gewesen. Alle von der Nebenintervenientin eingesetzten Maschinisten hätten die Berechtigung zum Fahren und Führen haben müssen. Der Klägerin sei zum Unfallzeitpunkt nicht bekannt gewesen, dass die Nebenintervenientin kein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) gewesen sei; sie habe auch nicht gewusst, dass die Nebenintervenientin unqualifiziertes Personal einsetze. Von den vertraglichen Regelungen abweichende Inhalte der Vergabegespräche seien irrelevant, weil die für die Klägerin an den Gesprächen teilnehmenden Personen jedenfalls keine Abschlussvollmacht gehabt hätten.

[15]     Die Haftung der Beklagten umfasse auch den Ersatz künftiger Schäden und Aufwendungen. Da bei derartigen Unfällen nicht auszuschließen sei, dass unfallkausale Schäden erst nach geraumer Zeit bekannt würden, beispielsweise durch Entdeckung von Kontaminationen infolge beim Unfall oder der Bergung ausgetretener Betriebsmittel der Schienenfahrzeuge, bestehe ein Feststellungsinteresse. Die Klägerin als EIU müsse damit rechnen, von Geschädigten des Unfalls, aber auch von Sozialversicherungsträgern unter anderem nach den Bestimmungen des EKHG in Anspruch genommen zu werden. Es seien bereits Ansprüche durch Sozialversicherungsträger an die Klägerin herangetragen worden, auch wenn noch keine gerichtliche Inanspruchnahme erfolgt sei. Die Klägerin müsse ihre Rückgriffsansprüche gegen die Beklagten – sei es aus vertraglicher oder deliktischer Haftung, aber auch aufgrund des EKHG – mit dem Feststellungsbegehren absichern. Da die Nebenintervenientin die Klägerin (im Parallelverfahren) als EIU in Anspruch nehme, müsse sich die Klägerin den „diesbezüglichen Regress gegen ihren Vertragspartner“ offen halten.

[16]     Der Anspruch auf Freihaltung ergebe sich aus Punkt 3.6. der AGB; bei jeglicher Fehlleistung des Auftragnehmers sei zur Gänze Schadenersatz zu leisten.

[17]       Die Beklagten bestritten. Die Klägerin habe vereinbarungsgemäß den KL-Führer beigestellt, der als zuständiges Aufsichtsorgan für die Fahrten der beiden Maschinen allein verantwortlich und gegenüber den KL-Fahrern weisungsbefugt gewesen sei. Der Unfall sei allein auf das vorschrifts- und sorgfaltswidrige Verhalten des KL-Führers zurückzuführen. Nach Trennung der Arbeitsmaschinen sei die Planiermaschine auf Anordnung des KL-Führers zur Durchführung von Arbeiten ohne KL-Führer weggefahren. Der KL-Führer habe den KL-Fahrer der Planiermaschine angewiesen, nach Durchführung der Arbeiten zurück zum Ausgangspunkt zu fahren. Nach Rückkehr der Stopfmaschine an den Ort der Trennung habe die Stopfmaschine dennoch nicht gewartet; vielmehr sei sie weitergefahren, ohne dass der KL-Führer Rücksprache mit dem KL-Fahrer der Planiermaschine, dem ÖbK und dem Fahrdienstleiter gehalten hätte. Da die Klägerin im konkreten Fall die Wahlposition „KL-Führer“ nicht abgerufen habe, habe die Nebenintervenientin bei den Arbeiten keine Leistungen zu erbringen gehabt, für die die Befugnis eines EVU notwendig gewesen wäre. Der von der Klägerin gestellte KL-Führer sei kein Hilfspersonal iSd Punkts 2.8.7. der AGB.

[18]       Die Nebenintervenientin beantragte die Abweisung der Klage. Die Klägerin sei nach dem Vertrag verpflichtet gewesen, einen KL-Führer auch im Baugleis beizustellen; dieser sei daher auch der Klägerin zuzurechnen.

[19]       Das Vorliegen der Klägerin noch nicht bekannter Schäden sei auszuschließen, weil der Vorfall mehr als drei Jahre zurück liege. Die Klägerin könne ihre Obliegenheit zur Schadenserforschung nicht durch Geltendmachung eines Feststellungsbegehrens umgehen. Allfällige Forderungen Geschädigter seien seit Mai 2018 verjährt; das gelte auch für auf Sozialversicherungsträger übergegangene Forderungen. Aus dem Vorbringen der Klägerin lasse sich kein Feststellungsinteresse ableiten.

[20]     Das Begehren auf Schad- und Klagloshaltung der Klägerin gegenüber allen Ansprüchen Dritter aus diesem Unfall sei ein gänzlich unbestimmtes Leistungsbegehren.

[21]     Das Erstgericht wies sämtliche Klagebegehren ab. Als Ergebnis der Vertragsverhandlungen sei die Leistung des KL-Führers – außer bei hier nicht erfolgter Abrufung der Wahlposition – von der Klägerin zu erbringen gewesen. Die Position 00B105 des Vertrags-Leistungsverzeichnisses, die den ausschließlichen Einsatz von Maschinisten mit einer Berechtigung zum Fahren und Führen fordere, sei vor diesem Hintergrund so zu verstehen, dass das von den Beklagten eingesetzte Personal nur dann (auch) die Berechtigung zum Führen aufweisen müsse, wenn die Wahlposition abgerufen werde. Der von der Klägerin beigestellte KL-Führer sei deren Erfüllungsgehilfe gewesen; er könne nicht als Hilfspersonal iSd Punkts 2.8.7. der AGB angesehen werden. Primäre Unfallursache sei eine unzureichende Kommunikation unter allen Beteiligten gewesen. Der KL-Führer habe sorgfaltswidrig gehandelt, weil er eine Fahrt der Planiermaschine ohne KL-Führer ermöglicht, die wechselseitigen Positionen der Maschinen nicht abgeklärt und die Kontaktaufnahme mit dem ÖbK unterlassen habe. Die KL-Fahrer der Nebenintervenientin hätten rechtswidrig gehandelt, weil sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten und/oder zu spät reagiert hätten. Dem KL-Fahrer der Planiermaschine sei auch das Fahren ohne KL-Führer zum Vorwurf zu machen. Insgesamt sei von gleichteiligem Verschulden auszugehen. Unter Berücksichtigung der erfolgten Teilzahlungen sei der halbe Gesamtschaden der Klägerin samt Zinsen bereits getilgt. Da kein Anhaltspunkt für mögliche, beim Unfall entstandene Kontaminationen vorliege, die Klägerin keine bisher erfolgte Inanspruchnahme durch Geschädigte oder Sozialversicherungsträger behauptet habe und die Verjährungsfrist längst verstrichen sei, bestehe kein Feststellungsinteresse. Das Begehren auf Schad- und Klagsloshaltung sei ein Leistungsbegehren und gänzlich unbestimmt geblieben, weil es auf keine konkrete Verbindlichkeit Bezug nehme. Die Klägerin habe trotz entsprechenden Hinweises der Nebenintervenientin keine Konkretisierung vorgenommen.

[22]       Das Berufungsgericht gab der Berufung teilweise Folge und dem Zahlungsbegehren mit 3.539,60 EUR sA sowie dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von drei Vierteln statt. Im Übrigen wies es das Klagebegehren ab, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Das Erstgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass nach der Vertragslage die Klägerin für die Stellung eines KL-Führers verantwortlich sei. Die Handlungen des KL-Führers seien damit auch der Klägerin zuzurechnen. Allerdings normiere die Bestimmung der Position 00B105 des Leistungsverzeichnisses, dass alle von den Beklagten eingesetzten Maschinisten die Befähigung auch zum KL-Führer aufweisen müssten. Damit werde eine „Überqualifikation“ festgelegt, die bei Auflösung der Maschinengruppe auch sinnvoll sei. Diese Korrektur der Vertragsauslegung bringe eine geänderte Verschuldensteilung mit sich. Den Beklagten sei die mangelnde Qualifikation der eingesetzten Maschinisten, die überhöhte Geschwindigkeit und/oder verspätete Reaktion der Fahrer, das Bewegen der Planiermaschine durch eine nicht als KL-Fahrer befähigte Person, die Fahrt mit der Planiermaschine ohne KL-Führer und das Vornehmen einer Richtungsänderung der Planiermaschine ohne Kontaktaufnahme anzulasten. Der KL-Führer habe hingegen nur zu verantworten, nach Trennung der Maschinen das Bewegen der Planiermaschine ohne KL-Führer nicht hinterfragt bzw genehmigt und die eigene Fahrt nicht mit dem ÖbK abgeklärt zu haben. Der KL-Führer habe davon ausgehen dürfen, dass die Planiermaschine keine Richtungsänderung vornehmen werde, weil ein Treffpunkt am Ort der Trennung der Maschinen nicht ausgemacht gewesen sei. Insgesamt sei eine Verschuldensteilung von 3 : 1 zu Lasten der Beklagten angemessen. Während die Abweisung des Freistellungsbegehrens mangels Konkretisierung nicht zu beanstanden sei, sei ein Feststellungsinteresse der Klägerin wegen ihrer bereits erfolgten Inanspruchnahme durch die Nebenintervenientin zu bejahen. Da die Verjährungsfrist für einen Ersatzanspruch des Sozialversicherungsträgers ab dessen Kenntnis zu laufen beginne, stehe auch nicht fest, dass diese jedenfalls abgelaufen wäre.

[23]           Gegen die teilweise Abweisung der Klagebegehren richtet sich die außerordentliche Revision der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil im gänzlich klagsstattgebenden Sinn abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[24]           Gegen die teilweise Stattgebung der Klagebegehren richten sich die außerordentlichen Revisionen der Beklagten und ihrer Nebenintervenientin mit dem Antrag, das Urteil im gänzlich klagsabweisenden Sinn abzuändern; hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

[25]           Die Klägerin beantragt in der freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revisionen zurückzuweisen, hilfsweise, ihnen nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[26]           Die Revision der Klägerin ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Die Revisionen der Beklagten und ihrer Nebenintervenientin sind zulässig, weil das Berufungsgericht den ihm in Fragen der Vertragsauslegung und der Verschuldensteilung zukommenden Spielraum in korrekturbedürftiger Weise überschritten hat; sie sind auch teilweise berechtigt.

[27]           I. Zur außerordentlichen Revision der Klägerin:

[28]           1. Fragen der Vertragsauslegung kommt in der Regel keine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zu, sofern keine auffallende Fehlbeurteilung vorliegt, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RS0112106). Eine solche aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt die Klägerin im Hinblick auf die vom Berufungsgericht angenommene Verpflichtung, dass die Klägerin auch im Baugleis einen KL-Führer beizustellen gehabt habe, nicht auf. Nach den Feststellungen rückte die Klägerin in den Preisgesprächen von ihrem ursprünglichen Vorhaben, die Auftragnehmer auch mit der Beistellung eines KL-Führers zu beauftragen, aus Kostengründen wieder ab und reduzierte den Leistungsumfang der Beklagten gegen Gewährung eines erheblichen Preisnachlasses um die Tätigkeit der KL-Führer. Da dies den Vorständen der Klägerin vor Unterfertigung des Rahmenvertrags bekannt war, sind die Ausführungen der Klägerin zur fehlenden Abschlussvollmacht der Mitarbeiter der Arbeitsgruppe der Klägerin ohne Bedeutung. Da die für den Unfallbereich geltende BETRA Fahrten auf der freien Strecke als Nebenfahrten qualifiziert und die Klägerin nach Position 00B102 des Vertrags-Leistungsverzeichnisses jedenfalls für „Verschub- und Nebenfahrten“ KL-Führer beizustellen hatte, ist die Rechtsansicht der Vorinstanzen, die Klägerin habe im Baugleis einen KL-Führer beizustellen gehabt, unbedenklich. Im Übrigen vertrat selbst die Klägerin noch in der Klage die Rechtsansicht, dass Fahrten im Baugleis nach den einschlägigen Betriebsanordnungen als Nebenfahrten durchzuführen sind.

[29]           2. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, das Verhalten des (von der Klägerin beizustellenden) KL-Führers sei der Klägerin zuzurechnen, ist nicht korrekturbedürftig. Die Bestimmung des Punkts 2.8.7. der AGB stellt entgegen den Revisionsausführungen keine geeignete Grundlage für eine abweichende rechtliche Beurteilung dar. Nach dieser Bestimmung gelten vom Auftraggeber „als Hilfspersonal beigestellte Leute“ als Erfüllungsgehilfen des Auftragnehmers. Die Beistellung eines KL-Führers durch die Klägerin im Rahmen ihrer eigenen vertraglichen Verpflichtungen kann allerdings nicht als Beistellung von Hilfspersonal angesehen werden, zielt die Vertragsbestimmung doch erkennbar auf die Beistellung untergeordneter Personen im Rahmen der von den Auftragnehmern zu erbringenden Leistungen ab. Dass die Nebenintervenientin kein EVU war, ändert nichts an der Zurechnung des KL-Führers. Die in der Revision genannte Entscheidung 2 Ob 97/18f ist in diesem Zusammenhang nicht einschlägig, befasst sich diese doch mit hier nicht maßgeblichen Fragen der Haftung von Eisenbahnverkehrs- oder -infrastrukturunternehmen nach dem EKHG. Jedenfalls lässt sich aus dieser Entscheidung nicht ableiten, dass ein KL-Führer als „Hilfsperson“ im Sinn der zitierten Vertragsbestimmung anzusehen wäre.

[30]           3. Das Ausmaß eines Mitverschuldens des Geschädigten kann wegen seiner Einzelfallbezogenheit in aller Regel nicht als erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO gewertet werden (RS0087606). Eine aufzugreifende Fehlbeurteilung zeigt die Klägerin nicht auf, weil auf Basis des festgestellten Sachverhalts kein Raum für eine für sie günstigere Verschuldensteilung als die vom Berufungsgericht vorgenommene bleibt. Selbst wenn man sämtliche, von der Klägerin in ihrer Revision umfassend dargestellten, den Beklagten behauptetermaßen anzulastenden vertrags- und rechtswidrigen Verhaltensweisen der Mitarbeiter der Nebenintervenientin berücksichtigen wollte, tritt das von den Vorinstanzen festgestellte Fehlverhalten des der Klägerin zuzurechnenden KL-Führers nämlich nicht derart in den Hintergrund, dass es zur Gänze vernachlässigt werden könnte (vgl RS0027202 [T1, T2, T12]). Dass die Beklagten die von ihnen zu verantwortenden Verstöße „durchwegs vorsätzlich und planmäßig“ gesetzt hätten, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Nicht nachvollziehbar ist, warum das vom KL-Führer gesetzte Fehlverhalten – Ermöglichung einer Fahrt der Planiermaschine ohne KL-Führer, unterlassene Abklärung der wechselseitigen Positionen der Maschinen, unterlassene Kontaktaufnahme mit dem ÖbK – für den Unfall nicht kausal gewesen sein sollte. Ob der KL-Führer Kenntnis davon hatte, dass die von der Nebenintervenientin eingesetzten KL-Fahrer keine Qualifikation als KL-Führer aufwiesen, ist nicht entscheidend, weil bei zutreffender Vertragsauslegung eine solche Qualifikation gar nicht gefordert war (vgl unten Punkt II.1.3.).

[31]           4. Die Abweisung des Freistellungsbegehrens mangels Bestimmtheit durch die Vorinstanzen ist ebenfalls nicht korrekturbedürftig. Ein solcher (schadenersatzrechtlicher) Freistellungsanspruch ist als Leistungsanspruch anzusehen (1 Ob 121/17a mwN). Auch unter Zugrundelegung eines großzügigen Maßstabs ist zur Ermöglichung einer Exekutionsführung nach § 353 EO eine deutliche Angabe zu fordern, von welcher Verpflichtung der Gläubiger befreit werden soll; dafür ist die Anführung des Drittgläubigers und des Rechtsgrundes der Forderung samt näherer Angaben zur Individualisierung grundsätzlich ausreichend (G. Kodek, Der schadenersatzrechtliche Freistellungsanspruch – das unbekannte Wesen, Zak 2015/377, 204 [205]). Das von der Klägerin erhobene Freistellungsbegehren lässt – trotz entsprechenden Hinweises der Nebenintervenientin – jegliche Konkretisierung vermissen und ist nach Art eines Feststellungsbegehrens formuliert. Dass die Klägerin ihren Freistellungsanspruch auf eine vertragliche Grundlage stützt (Punkt 3.6. der AGB), entbindet sie nicht von der prozessualen Verpflichtung, ihren Anspruch im Rahmen des von ihr erhobenen Leistungsbegehrens zu konkretisieren. Eine in der Revision angeregte Umformulierung des Begehrens kommt schon deswegen nicht in Betracht, weil die Klägerin in erster Instanz nicht deutlich machte, von welchen konkreten Ansprüchen welcher dritten Personen sie freigestellt werden möchte. Der bereits vom Berufungsgericht verneinte, in einer angeblich unterbliebenen Erörterung durch das Erstgericht bestehende Verfahrensmangel ist nicht revisibel (RS0042963).

[32]           5. Die außerordentliche Revision der Klägerin ist daher zurückzuweisen.

[33]           II. Zu den außerordentlichen Revisionen der Beklagten und ihrer Nebenintervenientin:

[34]           1. Vertragsauslegung:

[35]           1.1. Die Beklagten und ihre Nebenintervenientin argumentieren, dass dem Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Auslegung der Bestimmung 00B105 des Vertrags-Leistungsverzeichnisses eine aufzugreifende Fehlbeurteilung unterlaufen sei. Da der Leistungsumfang der Beklagten aus wirtschaftlichen Gründen um die Bereitstellung eines KL-Führers gekürzt und deswegen auch der zu zahlende Preis deutlich reduziert worden sei, sei die Regelung in Position 00B105 über das Erfordernis einer doppelten Qualifikation als Fahrer und Führer obsolet geworden. Müssten die von den Beklagten eingesetzten Maschinisten stets auch die Qualifikation als Führer aufweisen, wäre die gerade wegen der Kosten eines KL-Führers gewährte Preisreduktion völlig sinnwidrig.

[36]           Dazu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:

[37]           1.2. Bei Auslegung einer Willenserklärung nach den §§ 914 ff ABGB ist zunächst vom Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung auszugehen, dabei aber nicht stehen zu bleiben, sondern der Wille der Parteien, das ist die dem Erklärungsempfänger erkennbare Absicht des Erklärenden, zu erforschen. Letztlich ist die Willenserklärung so zu verstehen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, wobei die Umstände der Erklärung und die im Verkehr geltenden Gewohnheiten und Gebräuche heranzuziehen sind (RS0017915). Bei der Beurteilung, was der Übung des redlichen Verkehrs entspricht, kommt es entscheidend auf den Geschäftszweck des Vertrags an, wobei die einzelnen Bestimmungen des Vertrags im Zusammenhang mit dem übrigen Vertragsinhalt unter Berücksichtigung aller Umstände, aus denen Schlüsse auf die Absicht der Parteien gezogen werden können, zu beurteilen sind (RS0017902; RS0017817). Bei der Vertragsauslegung können auch die sonstigen von den Parteien vor und bei Abschluss des Vertrags abgegebenen Erklärungen herangezogen werden (RS0017934). Bei Ermittlung der „Absicht der Parteien“ ist das gesamte Verhalten der Vertragsteile, das sich aus Äußerungen in Wort und Schrift sowie aus sonstigem Tun oder Nichttun zusammensetzen kann, zu berücksichtigen (2 Ob 31/07h mwN = RS0017915 [T29]). Hat ein Vertragspartner Kenntnis über einen konkreten Regelungswunsch des anderen und stimmt der entsprechenden Formulierung zu, klärt aber nicht darüber auf, dass er diesem Wunsch bei der Vertragserfüllung unter Berufung auf eine andere Vertragsbestimmung nicht voll nachkommen will, kann ein redlicher Erklärungsempfänger dies als uneingeschränkte Zustimmung zur gewünschten Regelung verstehen (1 Ob 214/17b = RS0017915 [T42]).

[38]           1.3. Zwar trifft es zu, dass nach dem Wortlaut des Punkts 00B105 des Vertrags-Leistungsverzeichnisses die von den Beklagten einzusetzenden Maschinisten eine „Berechtigung zum Fahren und Führen“ aufzuweisen haben. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Formulierung dieser bereits im Ausschreibungs-Leistungsverzeichnis enthaltenen Bestimmung offenkundig vom bei der Ausschreibung noch bestehenden Vorhaben der Klägerin geprägt war, von ihren Auftragnehmern die Beistellung von KL-Fahrern und KL-Führern zu fordern. Insofern war die Forderung nach Beistellung von Maschinisten mit beiden Qualifikationen sachgerecht. In den Vergabeverhandlungen erzielten die Klägerin und die Beklagten jedoch eine Einigung darüber, die Beistellung eines KL-Führers aus Kostengründen aus dem Leistungsumfang der Beklagten auszuscheiden, woraufhin die Beklagten einen erheblichen Preisnachlass gewährten. Vor diesem Hintergrund müssen redliche Vertragsparteien den Punkt 00B105 des Vertrags-Leistungsverzeichnisses dahin verstehen, dass – entgegen dem Wortlaut – die doppelte Qualifikation für von den Beklagten gestellte Maschinisten nur dann (ausnahmsweise) gefordert werden kann, wenn die Klägerin die Wahlposition „SKL-/KL-Führer“ abgerufen hat. Die vom Berufungsgericht vorgenommene Auslegung würde hingegen darauf hinauslaufen, dass die Beklagten trotz Gewährung eines substantiellen Preisnachlasses für die Herausnahme der KL-Führer aus ihrem Leistungsumfang de facto Personen als Maschinisten beistellen, die eine Qualifikation als KL-Führer aufweisen, und damit erst recht höher qualifizierte und somit teurere Arbeitnehmer einsetzen müssten. Ein solches Verständnis der vertraglichen Regelungen kann redlichen Parteien nicht unterstellt werden. Dass die vom Berufungsgericht angenommene Vereinbarung einer „Überqualifikation“ bei Einsatz einer Maschinengruppe einen sinnvollen Anwendungsbereich haben mag, führt zu keiner abweichenden Beurteilung. Die von der Nebenintervenientin in diesem Kontext gerügte Aktenwidrigkeit liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[39]           2. Mitverschulden:

[40]           2.1. Die Beklagten und ihre Nebenintervenientin argumentieren, dass die vom Berufungsgericht vorgenommene Verschuldensteilung korrekturbedürftig sei, weil das Verschulden der Klägerin bei zumindest 50 % liege. Das Berufungsgericht vernachlässige die zentrale Verantwortlichkeit des KL-Führers für den Unfall. Es gehe unbegründet davon aus, dass der KL-Führer mit einem Entgegenkommen der Planiermaschine nicht rechnen habe müssen. Dazu hat der Senat erwogen:

[41]           2.2. Bei der Aufteilung des Verschuldens entscheiden vor allem der Grad der Fahrlässigkeit des einzelnen Verkehrsteilnehmers, die Größe und Wahrscheinlichkeit der durch das schuldhafte Verhalten bewirkten Gefahr und die Wichtigkeit der verletzten Vorschriften für die Sicherheit des Verkehrs im Allgemeinen und im konkreten Fall (RS0027389; RS0026861). In der Regel wird das Vorliegen beidseitigen Verschuldens zu einer Schadensteilung führen (RS0027202 [T14]).

[42]           2.3. Wie bereits das Erstgericht zutreffend hervorgehoben hat, war in erster Linie eine unzureichende Kommunikation unter allen Beteiligten unfallursächlich. Die Versuche der Klägerin, die Rolle des ihr zuzurechnenden KL-Führers als unbedeutend darzustellen, überzeugen nicht. Nach den Feststellungen ist der KL-Führer bei Nebenfahrten für die Fahrt grundsätzlich allein verantwortlich; er hat die Fahrten mit dem Fahrdienstleiter bzw dem ÖbK zu koordinieren; Fahrten ohne KL-Führer sind unzulässig. Dies entspricht jedenfalls auch dem Stand der Technik für Arbeiten im Baugleis. Vor diesem Hintergrund trägt der KL-Führer Verantwortung dafür, dass er eine Trennung der Maschinengruppe im Baugleis ermöglichte, obwohl sich auf der Planiermaschine kein KL-Führer befand. Er vereinbarte bei Trennung der Maschinengruppe nichts Näheres zu Ort oder Zeit des erneuten Zusammentreffens und unterließ jegliche Kommunikation mit dem ÖbK sowie dem KL-Fahrer der Planiermaschine. Der Hinweis der Klägerin auf die Vertragsbestimmung, wonach die Beklagten die Ausführung ihrer Leistungen in eigener Verantwortung übernehmen, ändert nichts an der Verantwortlichkeit des KL-Führers, weil dessen Beistellung ja gerade nicht in den Leistungsumfang der Beklagten fiel. Die Annahme des Berufungsgerichts, der KL-Führer habe darauf vertrauen dürfen, dass die Planiermaschine nach der Trennung keine Richtungsänderung vornehmen werde, kann sich nicht auf Feststellungen stützen und überzeugt damit nicht.

[43]     Den Beklagten ist anzulasten (§ 1313a ABGB), dass die von der Nebenintervenientin beigestellten KL-Fahrer eine überhöhte Geschwindigkeit einhielten und/oder zu spät reagierten. Zu berücksichtigen ist weiters, dass der auf der Planiermaschine verbliebene KL-Fahrer wusste, dass eine Fahrt ohne KL-Führer unzulässig ist. Anzulasten ist den Beklagten überdies, dass die von der Nebenintervenientin beigestellten KL-Fahrer nicht miteinander kommunizierten.

[44]           Bei Abwägung des beiderseitigen Fehlverhaltens erweist sich die Annahme gleichteiligen Verschuldens als sachgerecht.

[45]           3. Feststellungsinteresse:

[46]           3.1. Schließlich gehen die Beklagten und ihre Nebenintervenientin in den Revisionen davon aus, dass ein Feststellungsinteresse der Klägerin zu verneinen sei. Die Klägerin könne allfällige (Regress-)Ansprüche aus dem von der Nebenintervenientin gegen sie geführten Verfahren bereits beziffern. Wenn die Klägerin im Parallelverfahren zu Leistungen verurteilt werde, könne sie sich außerdem nicht an den Beklagten regressieren, weil sie für ihr eigenes Verschulden selbst einstehen müsse. Für ein Feststellungsinteresse reiche die bloß abstrakte Möglichkeit eines Schadenseintritts nicht aus.

[47]     Dazu hat der Senat erwogen:

[48]           3.2. Wird die Feststellung der Haftung für künftige Schäden begehrt, so reicht die bloß abstrakte Möglichkeit eines Schadenseintritts nicht aus. Es ist daher Sache des Klägers, im Einzelfall aufzuzeigen, welcher Art die möglichen Schäden sein könnten, wobei der anspruchsbegründende Sachverhalt zumindest in groben Umrissen behauptet werden muss (RS0038949). Ein Feststellungsbegehren ist stets zulässig, solange der Eintritt künftiger Schäden nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (RS0039018). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn die Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts auf der Verletzung vertraglicher Pflichten beruht (2 Ob 50/19w).

[49]           3.3. Die Klägerin stützte ihr Feststellungsinteresse (unter anderem) auf das Hervorkommen möglicher Schäden nach Kontaminationen und auf die denkbare Inanspruchnahme durch Sozialversicherungsträger und Geschädigte. Das Erstgericht konnte nicht feststellen, dass beim Unfall oder der Bergung Betriebsmittel ausgetreten sind; es vermochte auch nicht festzustellen, dass die Klägerin von Geschädigten oder Sozialversicherungsträgern in Anspruch genommen worden sei. Damit ist der Eintritt künftiger Schäden aber auf Tatsachenebene nicht mit Sicherheit ausgeschlossen. Schon aus diesem Grund ist die Bejahung des Feststellungsinteresses durch das Berufungsgericht zutreffend. Die von der Nebenintervenientin in diesem Kontext gerügten Aktenwidrigkeiten und Verfahrensmängel liegen nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

[50]           3.4. Auf das als weiteren Grund für das Bestehen ihres Feststellungsinteresses von der Klägerin genannte Offenhalten von Regressansprüchen gegen die Beklagten kommt es somit nicht entscheidend an.

[51]           3.5. Dem Feststellungsbegehren ist von Amts wegen eine klarere Fassung zu geben (vgl RS0038852 [T16]).

[52]           4. Die vom Erstgericht vorgenommene Anrechnung der erfolgten Teilzahlungen hat die Klägerin in ihrer Berufung (und auch im Revisionsverfahren) nicht in Zweifel gezogen, sodass sich nähere Ausführungen dazu erübrigen.

[53]           5. In teilweiser Stattgebung der Revisionen ist somit die Entscheidung des Erstgerichts über das Zahlungsbegehren wiederherzustellen. Dem klarer gefassten Feststellungsbegehren ist nur im Ausmaß der Hälfte stattzugeben, das Feststellungsmehrbegehren ist abzuweisen.

[54]           6. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Die Klägerin hat ihr Feststellungs- und ihr Freistellungsbegehren (erkennbar) insgesamt pauschal mit 10.000 EUR bewertet, sodass auf das Feststellungsbegehren im Zweifel 5.000 EUR entfallen. Da das Berufungsgericht dem Feststellungsbegehren im Ausmaß von drei Vierteln stattgegeben hat, ist zur Ausmittlung der Bemessungsgrundlage für die Revisionen der Beklagten und ihrer Nebenintervenientin zu der vom Berufungsgericht zugesprochenen Zahlung von 3.539,60 EUR noch der Betrag von 3.750 EUR (= ¾ von 5.000 EUR) zu addieren, was insgesamt 7.289,60 EUR ergibt. Die Beklagten und ihre Nebenintervenientin obsiegten im Revisionsverfahren jeweils mit 4.789,60 EUR, was einer Obsiegensquote von rund zwei Dritteln entspricht. Sie haben daher Anspruch auf Ersatz von jeweils einem Drittel ihrer Vertretungskosten und jeweils zwei Dritteln der angefallenen Pauschalgebühr. Der korrekte Tarifansatz nach TP 3C RATG beträgt 433 EUR.

[55]            7. Aufgrund der Abänderung der Urteile der Vorinstanzen ist auch eine neuerliche Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster und zweiter Instanz erforderlich. Die Kostenentscheidung erfordert eingehende Berechnungen, weil mehrere Verfahrensabschnitte zu bilden und Teilzahlungen sowie umfassende Einwendungen gegen das Kostenverzeichnis gemäß § 54 Abs 1a ZPO zu berücksichtigen sind. In einem derartigen Fall kann der Oberste Gerichtshof in sinngemäßer Anwendung des § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO dem Erstgericht eine neuerliche Kostenentscheidung auftragen (2 Ob 199/20h mwN; vgl Neumayr in Höllwerth/Ziehensack, ZPO § 510 Rz 15).

Textnummer

E132624

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00058.21Z.0805.000

Im RIS seit

15.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

28.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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