TE OGH 2021/8/24 4R141/21y

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Veröffentlicht am 24.08.2021
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Das Oberlandesgericht Innsbruck als Rekursgericht hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hoffmann als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten Dr. Gosch und die Richterin Dr. Prantl als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) D*****, und 2.) Z*****, beide vertreten durch Dr. Sabine Prantner, Rechtsanwältin in Innsbruck, wegen Leistung und Feststellung (Streitwert: EUR 17.669,10), über den Rekurs der Klägerin gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 5.8.2021, 12 Cg 66/21t-12, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen:

Spruch

Dem Rekurs wird F o l g e gegeben und der angefochtene Beschluss dahingehend a b g e ä n d e r t , das er wie folgt lautet:

Der Antrag der Klägerin auf Sicherung des Beweises des Zustands ihrer Zähne regio 23, 24, 25, 26 und 27 durch Befundaufnahme durch einen Sachverständigen aus dem Fachbereich der Zahnheilkunde/Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie/Kieferorthopädie/Implantologie wird b e w i l l i g t .

Zum Sachverständigen wird U*****, bestellt und diesem aufgetragen, ehemöglichst den Zustand der Zähne der Klägerin in regio 23, 24, 25, 26 und 27 festzustellen und zu dokumentieren.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der Klägerin zu Handen des Klagsvertreters binnen 14 Tagen die mit EUR 2.490,63 (darin enthalten EUR 1.340,90 an Barauslagen und EUR 191,62 an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Gegen diese Entscheidung ist ein weiteres Rechtsmittel gemäß § 386 Abs 4 ZPO n i c h t zulässig.

Text

BEGRÜNDUNG:

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 12.7.2021 beim Erstgericht eingebrachten Klage von den beklagten Parteien zur ungeteilten Hand die Zahlung von EUR 12.669,10 s.A. sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für alle künftigen Schäden und Nachteile aus der fehlerhaften Behandlung der Klägerin durch die Erstbeklagte im Zeitraum vom 7.8. bis 25.9.2018, und brachte dazu im Wesentlichen vor, sie habe mit der erstbeklagten Zahnärztin einen Behandlungsvertrag abgeschlossen mit dem Ziel, die Optik der Zähne zu verschönern. Die Behandlung bei der Erstbeklagten habe über mehrere Wochen vom 7.8. bis 25.9.2018 gedauert und seien in regio 23 und 26 Stiftaufbauten gegossen und in regio 23, 24, 25, 26 und 27 Keramikkronen erstellt worden. Die Arbeiten der Erstbeklagten seien nicht lege artis bzw nicht sach- und fachgerecht erfolgt, die Kronenelemente hätten nicht bündig abgeschlossen, Speisereste hätten sich in diesen Bereichen ständig verfangen und sei ein Kauen auf der Seite nicht möglich gewesen. Die Klägerin spüre ständig Schmerzen bei Kälte und Hitze wie auch beim Beißen. Über Aufforderung der Klägerin habe die Erstbeklagte sodann das Honorar zurückbezahlt und habe sie sich auch verpflichtet, „sämtliche Unkosten“ für diverse Zahnerhaltungstherapien vollständig zu übernehmen.

Die Klägerin leide aufgrund der nicht fachgerechten Behandlung seit Jahren an teils starken Schmerzen und begehre hiefür sowie den Verlust des Zahns regio 26 ein Schmerzengeld von EUR 12.000,--, weiters den Ersatz der Kosten eines Implantats von EUR 619,10 sowie pauschale Unkosten von EUR 50,--.

Ein Behandlungsendzustand sei nicht gegeben, weitere Behandlungen seien notwendig, um die von der Erstbeklagten verursachten Schäden zu beseitigen, weshalb sie auch ein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung der solidarischen Haftung der Erstbeklagten sowie der Zweitbeklagten als Haftpflichtversicherer der Erstbeklagten habe.

Gleichzeitig mit der Klage stellte die Klägerin einen Beweissicherungsantrag auf Feststellung des gegenwärtigen Zustands der von der Erstbeklagten behandelten Zähne durch einen zu bestellenden Sachverständigen. Sie brachte dazu vor, sie leide immer noch an den Schmerzen und sei eine Behandlung dringend notwendig; ein weiteres Zuwarten sei ihr aufgrund der Schmerzen nicht zumutbar. Deshalb sei es notwendig, den gegenwärtigen Zustand der von der Erstbeklagten nicht lege artis versorgten Zähne festzustellen.

Die beklagten Parteien bestritten das Klagebegehren, beantragten Klagsabweisung und wendeten im Wesentlichen ein, die Erstbeklagte habe die Klägerin ordnungsgemäß, sorgfältig, nach Maßgabe der ärztlichen Kunst, Wissenschaft und Erfahrung untersucht und behandelt und sie auch ordnungsgemäß aufgeklärt.

Weiters beantragten sie, dem Beweissicherungsantrag der Klägerin mangels Vorliegens der Voraussetzungen nicht Folge zu geben, weil eine besondere Dringlichkeit zur sofortigen Einholung eines Sachverständigengutachtens im Sinne des § 386 Abs 1 ZPO nicht gegeben sei, nachdem die Behandlung bereits fast drei Jahre zurückliege und offensichtlich bis dato keine weiteren Behandlungsmaßnahmen vorgenommen worden seien.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht den Beweissicherungsantrag der Klägerin mit der Begründung ab, die Klägerin habe ein rechtliches Interesse an der sofortigen Feststellung des Zustands eines Teils ihres Gebisses nicht nachgewiesen. Der Heilkostenplan, auf welchen sie sich stütze, stamme vom Juni 2019 und sei nicht nachvollziehbar, weshalb nunmehr eine besondere Dringlichkeit bestehen solle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der fristgerechte Rekurs der Klägerin, der im Antrag mündet, in Stattgebung des Rekurses den angefochtenen Beschluss dahingehend abzuändern, dass dem Beweissicherungsantrag stattgegeben werde.

Die beklagten Parteien beantragen in ihrer Rekursbeantwortung, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt.

Gemäß § 384 Abs 1 ZPO kann eine Beweissicherung in jeder Lage des Rechtsstreits beantragt werden, wenn zu besorgen ist, dass das Beweismittel sonst verloren oder die Benützung desselben erschwert werde. Gemäß Abs 2 leg cit können diese Beweisaufnahmen (Vornahme eines Augenscheins, Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen) auch, ohne dass die Voraussetzungen des Abs 1 vorliegen, angeordnet werden, wenn der gegenwärtige Zustand einer Sache festgestellt werden soll und der Antragsteller ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung hat. Dabei ist der Antrag beim Prozessgericht, in dringenden Fällen, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, beim Bezirksgericht einzubringen, in dessen Sprengel die Sachen, welche in Augenschein zu nehmen oder die Grundlage des Sachverständigenbeweises zu bilden haben, oder die zu vernehmenden Personen sich befinden.

Gemäß § 385 Abs 1 ZPO hat die antragstellende Partei die Tatsachen, über welche die Beweisaufnahme erfolgen soll, sowie die Beweismittel anzugeben, die Gründe, die einen Antrag nach § 384 Abs 1 oder 2 ZPO rechtfertigen, sind ebenfalls darzulegen.

Unabhängig von der Frage, ob der Verlust eines Beweismittels oder dessen erschwerte Benützung droht, ist eine Beweissicherung gemäß § 384 Abs 2 ZPO jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der gegenwärtige Zustand einer Sache festgestellt werden soll und der Antragsteller ein rechtliches Interesse an dieser Feststellung hat. Diese essentiellen Behauptungen hat die Klägerin in ihrem Beweisantrag vorgebracht und auch ihr rechtliches Interesse - entgegen den Ausführungen des Erstgerichts - benannt, wobei sich dieses schon daraus ergibt, dass sie einen Schadenersatzprozess wegen behaupteter nicht lege artis erfolgter Behandlung durch die Erstbeklagte angestrengt hat. Die Bestimmung des § 384 Abs 2 ZPO ist darin zu verstehen, dass eine Beweissicherung auch ohne Nachweis einer Gefährdung im Sinne des Abs 1 zugelassen werden kann, wenn nur ein rechtliches Interesse an der Feststellung des gegenwärtigen Zustands besteht. Diese Bestimmung trachtet danach, die Feststellung von Tatsachen, die sich auf Rechtspositionen des Antragstellers auswirken können, zuzulassen. Nach herrschender Ansicht werden hinsichtlich des rechtlichen Interesses im Beweissicherungsverfahren keine allzu strengen Maßstäbe gesetzt. Der Zustand einer Sache begründet in der Regel dann ein rechtliches Interesse, wenn er - wie hier - die Grundlage eines Anspruchs des Antragstellers oder eines anderen gegen ihn bilden kann, wobei der Anspruch Vorfrage für die Beurteilung des rechtlichen Interesses ist (Rassi in Fasching/Konecny³ III/1 § 384 Rz 16 f mwN).

Schon aus diesem Grund ist in Stattgebung des Rekurses die beantragte Beweissicherung zu bewilligen.

Abgesehen davon liegen aber auch die Voraussetzungen nach § 384 Abs 1 ZPO vor, weil die Klägerin behauptet hat, dass sie aufgrund der dauernden starken Schmerzen nunmehr unverzüglich ihr Gebiss sanieren lassen wolle und vor der Sanierung der Zustand ihrer von der Erstbeklagten behandelten Zähne dokumentiert und befundet werden soll, damit nicht dieses Beweismittel, nämlich der - laut Behauptungen der Klägerin - herbeigeführte mangelhafte Zustand ihrer Zähne durch die Erstbeklagte, verlustig geht. Der Vorwurf, die Klägerin habe ohnehin bereits zwei Jahre mit der Sanierung ihrer Zähne zugewartet, geht insofern ins Leere, weil dies keinen Grund darstellt, die beantragte Beweissicherung zu verweigern, abgesehen davon, dass die Gründe, warum die Klägerin erst jetzt ihre Zähne sanieren lassen will, nicht näher bekannt sind und möglicherweise darin liegen, dass sie einerseits die Durchführung eines Schlichtungsverfahrens versuchte, wie von ihr vorgebracht, andererseits hoffte, dass die von ihr behaupteten Schmerzen anderweitig bekämpft werden könnten.

In Stattgebung des Rekurses war daher der angefochtene Beschluss dahingehend abzuändern, dass die beantragte Beweissicherung zu bewilligen und der vom Erstgericht ohnehin bereits bestellte Sachverständige auch für die Befundaufnahme im Beweissicherungsverfahren zum Sachverständigen zu bestellen war.

Da das Beweissicherungsverfahren ein zweiseitiges Verfahren ist und sich die beklagten Parteien sowohl in erster Instanz als auch im Rekursverfahren gegen die Bewilligung der Beweissicherung ausgesprochen haben, haben sie der Klägerin gemäß §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO die Kosten des Zwischenstreits zu ersetzen.

Textnummer

EI0100090

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OLG0819:2021:00400R00141.21Y.0824.000

Im RIS seit

16.09.2021

Zuletzt aktualisiert am

16.09.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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