Entscheidungsdatum
29.05.2021Norm
B-VG Art130 Abs1 Z2Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Ing. Mag. Andreas Ferschner als Einzelrichter über die Beschwerde des A, vertreten durch B, Rechtsanwalt in ***, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch die Bezirkshauptmannschaft Tulln betreffend die Hausdurchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers mit der Adresse *** in ***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Hausdurchsuchung vom 28.9.2020 für die Adresse *** in ***, für rechtswidrig erklärt.
II. Die belangte Behörde, die Bezirkshauptmannschaft Tulln hat dem Beschwerdeführer € 737,60 Euro für Schriftsatzaufwand, und € 922,00 Euro für den Aufwand für die Verhandlung und € 30,00 für die Eingabegebühr binnen 14 Tagen nach bei sonstigem Zwang zu leisten.
III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§ 50 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)
§ 52 Abs. 1, 2 und 8 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG)
§ 64 Abs. 1 und 2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 (VStG)
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 (VwGG)
Entscheidungsgründe:
Gang des Verfahrens:
Mit Schriftsatz vom 2.11.2020 brachte der Beschwerdeführer eine Maßnahmenbeschwerde ein. Dabei brachte er vor, dass er in einem Gerichtsverfahren Zeuge sei. Krankheitsbedingt habe er den Termin für die Verhandlung nicht wahrnehmen können. Daraufhin habe der Richter eine Vorführung angeordnet. Am 28.9.2020 gegen 9:30 Uhr seien Polizisten zu seiner Wohnung gekommen und wollten in die Wohnung hinein. Der Beschwerdeführer sei zu der Zeit nicht zu Hause gewesen. An der Adresse des Beschwerdeführers seien die Beamten auf die Mutter des Beschwerdeführers getroffen. Die Wohnung des Beschwerdeführers sei jedoch verschlossen gewesen. Die Polizei habe schon überlegt, ob sie über das Fenster Zugang zur Wohnung erlangen könnte. Letztlich habe die Mutter des Beschwerdeführers dann einen Ersatzschlüssel gehabt und die Wohnung aufgeschlossen. Es habe sich sofort herausgestellt, dass der Beschwerdeführer nicht in der Wohnung war. Trotzdem sei plötzlich ohne erkennbaren Grund mit der Durchsuchung dieses Zimmers begonnen worden. Der Mutter sei nicht mitgeteilt worden, weshalb nunmehr das Zimmer durchsucht werde. Die Mutter habe mitgeteilt, dass sie mit dieser Durchsuchung nicht einverstanden sei. Sie habe die Beamten aufgefordert die Wohnung zu verlassen. Dieser Aufforderung seien die Beamten jedoch nicht nachgekommen. Abschließend sei das Vorzimmer durchsucht worden. Im Amtsvermerk der Polizeiinspektion *** sei vermerkt worden, dass die Beamten angeblich im Zimmer des Beschwerdeführers herumliegende Suchtmittelutensilien gefunden hätten. Die Beamten hätten leere Minigripsäckchen, einen gebrauchten Crusher, Cannabissamen sowie Restmengen an Cannabiskraut gefunden. Im Zuge der Durchsuchung seien die gefunden Suchtmittelutensilien von den einschreitenden Beamten sichergestellt worden. Es sei ein Sicherstellungsprotokoll angefertigt worden. Es seien 0,1 Gramm Cannabiskraut in Minigripsäckchen, Cannabiskrautsamen in einer kleinen runden Dose sowie einen Crusher mit Suchtmittelanhaftungen sichergestellt worden. Die Hausdurchsuchung sei daher jedenfalls rechtswidrig erfolgt. Es habe auch keine Gefahr in Verzug vorgelegen. Vielmehr handle es sich um Zufallsfunde. Die Hausdurchsuchung sei jedenfalls nicht von der Staatsanwaltschaft oder einem Gericht bewilligt worden. Es sei auch im gegenständlichen Fall keinerlei Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt, da diese ergeben hätte, dass eine Hausdurchsuchung unverhältnismäßig sei.
Die belangte Behörde brachte mit E-Mail vom 4.1.2021 die Stellungnahmen der beteiligten Beamten ein. C führte in der Stellungnahme aus, dass zu Beginn der Amtshandlung der Mutter des Beschwerdeführers die Gründe dargelegt wurden. Da die Türe verschlossen gewesen sei, man aber Nachschau halten habe müssen, ob er Beschwerdeführer da sei, sei überlegt worden über das Fenster Einsicht ins Zimmer zu erlangen. Letztlich habe dann die Mutter des Beschwerdeführers aufgesperrt. Im Zuge der Nachschau habe D offen herumliegende Gegenstände und Reste von Suchtmittel wahrnehmen können, die auf Suchtmittelgenuss schließen ließen. Dies sei auch gleich der Mutter mitgeteilt worden. Die Mutter habe dann versucht die weitere Nachschau durch filmen mit dem Handy zu unterbrechen.
D führte in der Stellungnahme aus, dass er nach dem Eintreffen zuerst mit der Mutter gesprochen habe und ihr erklärt habe, weshalb sie hier wären. Sie seien dann mit ihr zur Wohnung des Beschwerdeführers gegangen. Die Türe sei jedoch verschlossen gewesen. Zuerst habe die Mutter angegeben, dass sie keinen Schlüssel für die Wohnung habe. Sie habe dann letztlich doch einen Schlüssel gehabt und die Wohnung aufgesperrt. Sie seien dann in das Vorzimmer und Schlafzimmer gegangen. Der Beschwerdeführer sei nicht anwesend gewesen. Es seien jedoch im Zuge der Nachschau offen herumliegende Suchtmittel (Cannabiskraut) und Suchtmittelutensilien, konkret leere Minigripsäckchen mit Cannabiskrautanhaftungen, ein gebrauchter Crusher mit Cannabiskrautanhaftungen, sowie Cannabiskrautsamen in einer Dose gesichtet worden. Da es sich um allgemein verbotene Gegenstände handle, seien diese nach § 110 Abs 3, Z 2 STPO vorläufig sichergestellt worden. Aufgrund der Auffindung der allgemein verbotenen Gegenstände (Suchtmittel, Utensilien mit Suchtmittelanhaftungen) sei das Zimmer nach § 120 Abs 1 StPO näher in Augenschein genommen und Behältnisse und Schubläden nach weiteren Suchtmittel, bzw. Utensilien mit negativen Erfolg durchsucht worden. Mit dieser Vorgangsweise sei die Mutter nicht einverstanden gewesen und habe sie vom amtshandelnden Beamten ein Handyvideo angefertigt. Nach Beendigung der Amtshandlung sei die Mutter über die Sicherstellung der Gegenstände und der Möglichkeit der Abholung des Sicherstellungsprotokolls informiert worden.
Weiters legte die belangte Behörde die Vorführungsanordnung des Landesgerichts für Strafsachen *** zu Gz: *** vor.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat am 20.1.2021 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt und Beweis erhoben durch die Einvernahme der Zeugen F (Mutter des Beschwerdeführers), C, D, sowie durch Verlesung des Verwaltungsaktes und der vorgelegten Urkunden.
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat erwogen wie folgt:
Die PI *** wurde vom Landesgericht für Strafsachen *** mittels Vorführungsanordnung beauftragt den Beschwerdeführer am 28.9.2020 um 11:00 Uhr vorzuführen. Aus diesem Anlass begaben sich zwei Beamten der PI *** am 28.9.2020 zwischen 9:00 bis 9:30 Uhr an die angegebene Adresse. Dort angekommen wurden sie von der Mutter des Beschwerdeführers angesprochen. Nach einer kurzen Erklärung, dass der Beschwerdeführer vor das Landesgericht für Strafsachen *** als Zeuge vorgeführt werden soll, führte die Mutter des Beschwerdeführers die Beamten zu seiner Wohnung. Diese war verschlossen. Letztlich öffnete die Mutter des Beschwerdeführers widerwillig die Türe. Daraufhin hielten die beiden Beamten Nachschau ob der Beschwerdeführer in der Wohnung aufhältig sei. Der Beschwerdeführer war abwesend. D hat beim Betreten der Wohnung im Vorraum einen Crusher und Rückstände von vermeintlichen Suchtmittel gesehen. Im Schlafzimmer lag dann noch eine Dose mit Cannabiskrautsamen herum. Daraufhin begannen die Beamten eine Hausdurchsuchung. Die Mutter des Beschwerdeführers sprach sich gegen eine solche Hausdurchsuchung aus und begann die Amtshandlung zu filmen.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den glaubwürdigen Aussagen der beiden Beamten. Beide gaben in der Verhandlung an, dass die Mutter des Beschwerdeführers vorab die Wohnung nicht öffnen wollte. Auch die Mutter des Beschwerdeführers gab an, dass sie vermutete ihr Sohn schlafe in der Wohnung und sie daher die Beamten nicht in die Wohnung lassen wollte. D konnte in der Verhandlung glaubhaft darlegen, dass er im Vorraum und im Schlafzimmer offen herumliegende Suchtmittelutensilien gesehen hat. Die beiden anderen Zeugen hatten dazu keine Wahrnehmung. Betreffend das Schlafzimmer war einzig D in diesem Raum und war C mit der Mutter des Beschwerdeführers beschäftigt.
Rechtlich folgt:
In der gegenständlichen Beschwerde wurde lediglich die Hausdurchsuchung bekämpft.
Die Modalitäten und die näheren Umstände, unter denen eine Hausdurchsuchung erfolgte, sind keine vor dem VwG selbstständig bekämpfbaren Maßnahmen. Bei einer auf Grund eines richterlichen Befehls durchgeführten Hausdurchsuchung ist auch die Vorgangsweise bei Durchsetzung des Hausdurchsuchungsbefehls dem Gericht zuzurechnen. Auch wird die rechtliche Zurechnung des Vollzugshandelns zur Justizgewalt nicht schon dadurch unterbrochen, dass im Vollzug des richterlichen Befehls Gesetzwidrigkeiten hinsichtlich der bei einem Akt zu wahrenden Förmlichkeiten unterlaufen. Durchbrochen wird der Auftragszusammenhang des Organhandels zur richterlichen Gewalt nur durch solche Maßnahmen, die ihren Inhalt und Umfang nach in der gerichtlichen Anordnung keine Deckung mehr finden (vgl. zu allem VwGH 22.4.2015, Ra 2014/04/0046-0051).
Für den gegenständlichen Fall bedeutet dies, dass die Vorführungsanordnung vom Landesgericht für Strafsachen *** angeordnet wurde und diese daher nicht in die Prüfungskompetenz des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreichs fällt. Lediglich jene Maßnahmen, die ihren Inhalt und Umfang nach in der gerichtlichen Anordnung keine Deckung mehr finden, sind mittels Maßnahmenbeschwerde bekämpfbar. Daher waren die Umstände des Betretens der Wohnung (welches im Rahmen der Vorführanordnung geschah) und die Vorführungsanordnung selbst nicht näher zu beleuchten. Die darauffolgende Sicherstellung und Hausdurchsuchung wären von der Vorführungsanordnung nicht mehr gedeckt und unterliegen daher der Prüfung durch das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich. In der Beschwerde wurde jedoch lediglich ein Vorbringen zur Rechtswidrigkeit der Hausdurchsuchung erstattet, weshalb nur diese zu prüfen war.
Für die Hausdurchsuchung gelten folgende Rechtsgrundlagen:
Gemäß § 117 Z. 2 lit. b StPO ist „Durchsuchung von Orten und Gegenständen“ das Durchsuchen einer Wohnung oder eines anderen Ortes, der durch das Hausrecht geschützt ist, und darin befindlicher Gegenstände.
Gemäß § 120 Abs. 1 StPO sind Durchsuchungen von Orten und Gegenständen nach § 117 Z 2 lit. b und von Personen nach § 117 Z 3 lit. b von der Staatsanwaltschaft auf Grund einer gerichtlichen Bewilligung anzuordnen; bei Gefahr im Verzug ist die Kriminalpolizei allerdings berechtigt, diese Durchsuchungen vorläufig ohne Anordnung und Bewilligung vorzunehmen. Gleiches gilt in den Fällen des § 170 Abs. 1 Z 1 für die Durchsuchung von Personen nach § 117 Z 3 lit. b. Das Opfer darf jedoch in keinem Fall dazu gezwungen werden, sich gegen seinen Willen durchsuchen zu lassen (§§ 119 Abs. 2 Z 3 und 121 Abs. 1 letzter Satz).
Im vorliegenden Fall wurde die Wohnung des Beschwerdeführers – somit ein durch das Hausrecht geschützter Ort - durchsucht. Es gelten daher die in § 120 StPO vorgegebenen Voraussetzungen. Dabei beruft sich im vorliegenden Fall die Polizei auf Gefahr in Verzug.
Aus dem Akt und der Aussage der Beamten ergibt sich, dass sie vor der Hausdurchsuchung weder die Staatsanwaltschaft noch einen Richter versucht haben zu kontaktieren. Weshalb genau Gefahr in Verzug vorgelegen sei, ist nicht ersichtlich. Die Beamten beriefen sich darauf, dass bei Einholung eines Hausdurchsuchungsbefehls Beweismittel hätten vernichtet werden können. Dies erweist sich jedoch nicht als schlüssig. Das Betreten und Verweilen in der Wohnung des Beschwerdeführers war gedeckt durch den Vorführungsbefehl des Landesgerichts für Strafsachen ***. Die Kontaktaufnahme hätte problemlos in der Wohnung mit der Staatsanwaltschaft oder einem Richter erfolgen können. In dieser Zeit hätten daher auch keine Beweise vernichtet werden können, zumal der Beschwerdeführer selbst auch gar nicht anwesend war. Da es somit an der Voraussetzung der „Gefahr in Verzug“ gemäß § 120 StPO fehlte, war die Hausdurchsuchung rechtswidrig und war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Kosten
Gemäß § 35 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei.
Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.
Im vorliegenden Fall wurde der Beschwerde stattgegeben. Daher war die belangte Behörde die unterlege Partei und der Beschwerdeführer obsiegende Partei.
Aufwandsersatz ist nur auf Antrag der Partei zu leisten. Ein solcher Antrag wurde im Zuge der Verhandlung betreffend die Maßnahmenbeschwerde gestellt. Es waren daher die Kosten nach der VwG-Aufwandersatz-Verordnung (BGBl II 2013/517 idgF) und die Barauslagen dem Beschwerdeführer zuzusprechen.
Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Fall keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Maßnahmenbeschwerde;; Hausdurchsuchung; gerichtliche Bewilligung;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.32.001.2020Zuletzt aktualisiert am
02.09.2021