TE Bvwg Erkenntnis 2021/3/15 W109 2211534-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.03.2021
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Entscheidungsdatum

15.03.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W109 2211534-1/20E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Helmut BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, vom 16.11.2018, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 01.12.2020 zu Recht:

A)       Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Am 03.10.2015 stellte der Beschwerdeführer, afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, nach Einreise unter Umgehung der Grenzkontrollen in die Republik Österreich erstmals im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz.

Am 04.10.2015 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, stamme aus Ghazni, hab seit dem neunten Lebensjahr im Iran gelebt, sei Analphabet und zuletzt Hilfsarbeiter gewesen. Er sei Christ und führte zum Fluchtgrund befragt aus, der Vater und er seien damals zum Christentum konvertiert und gezwungen gewesen, Afghanistan zu verlassen. Die Dorfbewohner hätten sie töten wollen. Als sie illegal in den Iran geflüchtet seien und der Vater verstorben sei, habe der Beschwerdeführer verschiedenste Tätigkeiten gemacht, um die Familie zu unterstützen. Bei einem Arbeitsunfall sei ihm der Mittelfinger der rechten Hand amputiert worden, er habe trotz Verletzung weitergearbeitet. Ohne Aufenthaltsberechtigung habe er sich nicht beschweren oder Hilfe in Anspruch nehmen können.

Am 25.10.2017 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, er sei als kleines Kind in Afghanistan zum Christentum konvertiert. Der Vater sei zuerst konvertiert und habe nicht gewollt, dass seine Familie muslimisch bleibe. Afghanistan hätten sie verlassen, weil sie Christen gewesen seien. Der Vater habe von einem Freund gehört, dass ein Foto oder Schreiben an die Tür der Moschee geklebt worden seien, dass der Vater nicht mehr Moslem sei. Er wisse nicht, ob der Vater es gesehen oder nur vom Freund gehört habe. Der Vater sei nachhause gekommen und hätte gesagt, dass sie um Mitternacht wegfahren müssten, es werde sie jemand abholen. Sie seien abgeholt worden und dann nach Kabul gefahren. Er sei damals ein kleines Kind gewesen und habe es nicht richtig verstehen können. Ein Freund des Vaters, der selbst Christ gewesen sei, habe in einem kleinen Haus im Dorf Unterricht gegeben, die Gemeinde habe aus sechs Personen bestanden. Als die Dorfbewohner erfahren hätten, wer Christ sei, sei dieser Freund auch geflüchtet. Sein Dorf habe er ein Jahr und ein paar Monate nach seiner Taufe verlassen. Im Iran habe er nicht öffentlich sagen können, dass er Christ sei. Er habe seinen innerlichen Glauben gehabt. Am Ende der Einvernahme wandte der Beschwerdeführer ein, er sei nichts über Jesus gefragt worden, wandte nochmals ein, es werde ihm nicht geglaubt werden, wenn diese Fragen nicht gestellt würden.

Am 27.08.2018 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers ein, in der ausgeführt wird, das Länderinformationsblatt enthalte nur wenige Informationen hinsichtlich des Fluchtgrundes des Beschwerdeführers, weswegen er weitere Länderberichte ergänzen wolle.

2.       Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 16.11.2018, zugestellt am 21.11.2018, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt VI.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer sei persönlich unglaubwürdig, seine Konversion nicht glaubhaft. Der Beschwerdeführer verfüge nicht über Kenntnisse hinsichtlich des christlichen Glaubens. Die vorgelegte Taufurkunde lasse nicht auf eine innere Überzeugung schließen, sei kein offizielles, behördliches Dokument und sei nicht nachvollziehbar, warum diese in Englisch ausgestellt worden sei. Es sei nicht glaubhaft, dass ein neujähriger Bub konvertiere. Eine Flucht in den Iran sei nicht nachvollziehbar, weil Personen, die vom muslimischen Glauben abfallen, auch dort einer Gefährdungslage ausgesetzt seien.

3.       Am 13.12.2018 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei bereits im Kindesalter in Afghanistan konvertiert und habe deshalb in den Iran flüchten müssen. Der Beschwerdeführer besuche an den Wochenenden die Kirche und es seien weitere, tiefergehende Fragen von der Behörde nicht gestellt worden, obwohl der Beschwerdeführer weitere Fragen angeregt habe. Zwischen Einvernahme und Bescheiderlassung sei über ein Jahr vergangen, weswegen es einer neuen Einvernahme bedurft habe. Der Beschwerdeführer könne in Österreich erstmals seinen Glauben frei leben. Die Beweiswürdigung sei mangelhaft. Es komme auf die innere Überzeugung an. Die Aussagen des Beschwerdeführers würden für einen Abfall vom islamischen Glauben sprechen, dies sei ein Straftatbestand und könne sogar die Todesstrafe nach sich ziehen.

Mit Ladung vom 06.11.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein.

Am 01.12.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, zwei im Akt namentlich genannte Zeugen und ein Dolmetscher für die Sprache Dari teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme.

In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, er werde im Herkunftsstaat verfolgt, weil er zum Christentum konvertiert sei, aufrecht.

Mit Schreiben vom 28.12.2020 brachte das Bundesverwaltungsgericht nochmals aktuelle Länderberichte in das Verfahren ein und gab dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde die Gelegenheit zur Stellungnahme.

Am 04.01.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der ausgeführt wird, der Beschwerdeführer habe glaubhaft dargelegt, dass er sich vom Islam abgewandt habe und nunmehr Christ sei. Er habe die christliche Lebensweise verinnerlicht, sie sei Bestandteil seiner Identität. Apostasie sei ein Verbrechen und werde mit Todesstrafe geahndet, dem Beschwerdeführer drohe strafrechtliche Verfolgung, sowie von der afghanischen Gesellschaft ausgegrenzt und angegriffen zu werden. Dies gelte für das gesamte Staatsgebiet.

Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:

?        „Baptism Certificate“

?        ÖSD Zertifikat A2

?        Schulunterlagen

?        Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse und andere Bildungsangebote

?        Mehrere Empfehlungsschreiben

?        Taufschein

?        Pflichtschulabschluss-Prüfungszeugnis und Teilprüfungszeugnisse

?        „Suchantrag“ des Roten Kreuzes

?        Benachrichtigung über die Einstellung des Verfahrens der Staatsanwaltschaft XXXX

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zur altkatholischen Glaubensrichtung des Christentums. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Deutsch zumindest auf dem Niveau A2 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

Der Beschwerdeführer wurde in einem Dorf in der Provinz Ghazni, Distrikt Jaghuri, geboren, wo er drei oder vier Jahre die Schule besucht hat. Der Vater des Beschwerdeführers war als Autohändler tätig. Als der Beschwerdeführer etwa neun oder zehn Jahre alt war, reiste die Familie in den Iran aus. Dort hat er in einer „Steinfabrik“ gearbeitet.

Der Vater des Beschwerdeführers kam im Iran bei einem Arbeitsunfall auf einer Baustelle ums Leben, er war als Hilfsarbeiter tätig.

Der Beschwerdeführer hat zwei jüngere Brüder. Mit diesen und seiner Mutter reiste der Beschwerdeführer vom Iran in die Türkei aus, wo er sie vom Schlepper getrennt wurden. Seither konnte der Kontakt nicht wiederhergestellt werden.

Weitere Verwandte des Beschwerdeführers (Onkel, Tanten) leben in Afghanistan, der Beschwerdeführer hat keinen Kontakt zu ihnen.

Der Beschwerdeführer reiste im Oktober 2015 in das Bundesgebiet ein. Ab April 2016 lebte er im Haushalt seiner späteren Taufpatin. In Österreich hat der Beschwerdeführer Deutschkurse besucht und in den Schuljahren 2016/2017 und 2017/2018 die Übergangsstufe einer HTL für Jugendliche ohne Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch und weitere Bildungsangebote wahrgenommen. Im Februar 2020 hat der Beschwerdeführer die Pflichtschulabschluss-Prüfung erfolgreich abgelegt. Seit Juni 2020 wohnt der Beschwerdeführer mit einem Freund in einer privaten Wohngemeinschaft. Aktuell besucht der Beschwerdeführer eine HTL. Der Beschwerdeführer pflegt ein enges Verhältnis zu seiner früheren Unterkunftgeberin und deren Familie und hat sich auch in deren Freundes- und Bekanntenkreis eingefügt. Er pflegt auch Kontakte zu seinen Mitschülern

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer kam durch seine Unterkunftgeberin in Berührung mit der altkatholischen Glaubensrichtung des Christentums und wurde von dieser auf seinen Wunsch hin in ihre Gemeinde eingeführt. Er wurde dort zunächst im Katechumenat auf die Taufe vorbereitet, erhielt Religionsunterricht und nahm am Gemeindeleben teil.

Am 10.01.2019 wurde der Beschwerdeführer „sub conditione“ vom Bischof der österreichischen altkatholischen Kirche getauft, Taufpatin war seine langjährige Unterkunftgeberin.

Der Beschwerdeführer besucht regelmäßig die Gottesdienste der altkatholischen Pfarre in XXXX , liest in der Bibel und betet regelmäßig.

Der Beschwerdeführer hat sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst, nach dem christlichen Glauben zu leben. Er ist zum altkatholischen Christentum konvertiert und bekennt sich auch offen zu diesem Entschluss.

Im Herkunftsstaat wäre der Beschwerdeführer, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt und dies bekannt ist, Übergriffen durch Privatpersonen sowie der strafrechtlichen Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt. Diese Gefahr besteht landesweit.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers

Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Herkunft, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Muttersprache und seinen Lebensumständen bis zur Einreise nach Österreich ergeben sich aus seinen gleichbleibenden Angaben vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und dem Bundesverwaltungsgericht, die auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl seiner Entscheidung zu Grunde legte. Die Feststellung zum spätestmöglichen fiktiven Geburtsdatum beruht auf dem von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen, nachvollziehbaren gerichtsmedizinischen Gutachten zur forensischen Altersschätzung vom 25.01.2016. Der Beschwerdeführer gab hierzu lediglich an, sein Vater habe ihm gesagt, er sei 15 Jahre alt (Einvernahmeprotokoll, S. 3) und tritt dem Gutachten damit nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegen. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer ein ÖSD-Zertifikat vom 22.08.2017 für das Niveau A2 vorgelegt (OZ 8). Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.12.2020 war jedoch eine flüssige Unterhaltung mit dem Beschwerdeführer in deutscher Sprache möglich (OZ 16, S. 16 ff.), weswegen von besseren, wenngleich nicht formell nachgewiesenen Deutschkenntnissen auszugehen ist. Im Hinblick auf die Religionszugehörigkeit wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen verwiesen.

Die Feststellung zur Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Akt einliegenden aktuellen Strafregisterauszug.

Die Feststellungen zum Verbleib von Mutter unter Bruder beruhen auf den gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers im Lauf des Verfahrens, wobei der Beschwerdeführer insbesondere im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 25.10.2017 nachvollziehbar darlegt, wie es zur Trennung kam (Einvernahmeprotokoll S. 4). Weiter ist ein Suchantrag an das rote Kreuz aktenkundig (OZ 6).

Dass es noch Verwandte in Afghanistan gibt, hat der Beschwerdeführer gleichbleibend angegeben, ebenso, dass er sich an diese kaum Erinnern kann und nicht in Kontakt steht. Angesichts der langjährigen Abwesenheit der Familie scheint dies plausibel.

Das Antragsdatum ist aktenkundig. Zu Kursen und Schulbesuch hat der Beschwerdeführer Bestätigungen und Zeugnisse vorgelegt. Die Feststellungen zum bestandenen Pflichtschulabschluss beruhen auf dem vorgelegten Abschlusszeugnis samt Teilprüfungszeugnissen (OZ 8). Dass der Beschwerdeführer mittlerweile ausgezogen ist und in der Wohngemeinschaft wohnt, wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht übereinstimmend angegeben. Das enge Verhältnis des Beschwerdeführers zur Familie seiner Unterkunftgeberin haben der Beschwerdeführer und die Zeugin im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.12.2020 übereinstimmend und lebendig beschrieben. Dass er sich auch mit Mitschülern angefreundet hat, hat der Beschwerdeführer in der Verhandlung angegeben und entspricht dies auch der Lebenserfahrung.

2.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers

Die Feststellungen dazu, wie der Beschwerdeführer zur altkatholischen Kirche kam, beruhen auf den übereinstimmenden Angaben des Beschwerdeführers und der Zeugin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.12.2020. Die Feststellung zur Taufe beruht auf dem vorgelegten Taufschein (OZ 8), in dem auch seine Taufpatin eingetragen ist. Die in der altkatholischen Kirche übliche Vorgehensweise im Hinblick auf Taufwerber wurde vom im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.12.2020 als Zeuge einvernommenen Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs nachvollziehbar dargelegt und auch bestätigt, dass auch der Beschwerdeführer diesen Prozess durchlaufen hat. Der Zeuge legte auch nachvollziehbar und überzeugend dar, dass das formelle Katechumenat zur Qualitätssicherung und damit dazu dient, die Ernsthaftigkeit der Glaubensüberzeugung zu prüfen und den Taufwerber auf seine Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft vorzubereiten. Der Zeuge vermittelte dabei den Eindruck, dass er vor dem Hintergrund eines ausgeprägten religiösen Pflichtgefühls die Taufe ausschließlich dann vollzieht, wenn er von der Ernsthaftigkeit der Konversionsabsichten und der Hinwendung zum neuen Glauben überzeugt ist. Insbesondere legte er auch überzeugend dar, dass er auf Grundlage der Einschätzung des Gemeindepfarrers von XXXX , der den Beschwerdeführer am Weg zur Taufe und seither als Seelsorger betreut, zur Taufe bereit war, attestiert diesem langjährige Erfahrung als Seelsorger und ließ keinerlei Zweifel aufkommen, dass er dessen Urteil vertraut. Auch im Zuge seiner theologischen Erläuterung der Bedeutung einer Taufe „sub conditione“ offenbarte der Zeuge persönlich überzeugend, dass er mit dem Sakrament der Taufe nicht leichtfertigen umgeht. Damit konnte der Beschwerdeführer im Kontakt mit seinem Seelsorger offenkundig von der Ernsthaftigkeit seiner Konversionsabsicht überzeugen.

Weiter schilderte die im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht als Zeugin einvernommene Tochter der Unterkunftgeberin des Beschwerdeführers die Einbindung des Beschwerdeführers in das Pfarrleben der Gemeinde lebensnah und war überzeugt von der Hinwendung des Beschwerdeführers zum altkatholischen Glauben. Diesbezüglich befragt äußerte sie auch ihre eigene Überzeugung, der Beschwerdeführer sei aus „innerer Überzeugung“ Christ (OZ 16, S. 15). Angesichts der sozialen Einbettung des Beschwerdeführers, die damit einhergeht, dass der Beschwerdeführer mehr als vier Jahre im Haushalt der Mutter der Zeugin gelebt hat und von dieser in die Gemeinde eingeführt wurde, ist zudem davon auszugehen, dass die Zeugin über einen umfassenden Eindruck davon verfügt, wie der Beschwerdeführer seinen Glauben im Alltag lebt. Zudem geht das Bundesverwaltungsgericht angesichts des engen Kontaktes des Beschwerdeführers mit der Familie der Zeugin, des Raumes, den die Religion im Leben ihrer Mutter einnimmt und ihrer eigenen (früheren) Einbindung in die Gemeinde davon aus, dass die Zeugin dem Beschwerdeführer nicht so wohlgesonnen wäre, wenn sie davon ausginge, dass sie und insbesondere ihre Mutter vom ihnen nahestehenden Beschwerdeführer jahrelang im Hinblick auf eine vermeintlich geteilte religiöse Überzeugung hinters Licht geführt worden wären. Das Bundesverwaltungsgericht kommt daher zu dem Schluss, dass die vom Beschwerdeführer und der Zeugin im Wesentlichen übereinstimmend geschilderte Einbindung des Beschwerdeführers in die Gemeine und seine religiösen Aktivitäten glaubhaft sind und trägt deren Überzeugung von der Ernsthaftigkeit der Konversion des Beschwerdeführers wesentlich dazu bei, dass die Konversion des Beschwerdeführers als glaubhaft zu beurteilen ist.

Weiter konnte der Beschwerdeführer im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 01.12.2020 auch seinem persönlichen Eindruck nach überzeugen. So schilderte der Beschwerdeführer lebendig, wie er über seine Unterkunftgeberin auf eigenen Wunsch hin zur altkatholischen Kirche kam und konnte die ihm gestellten Wissensfragen beantworten. Zudem ist die generelle soziale Einbettung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet zu berücksichtigen, wobei dieser im Hinblick auf muslimische Freunde nachvollziehbar angegeben hat, diese wüssten, dass er Christ sei. Er rede jedoch nicht mit ihnen über das Christentum, weil er Angst habe, dass sie sich beleidigt fühlen könnten (OZ 16, S. 11).

Insgesamt kommt das Bundesverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass der Beschwerdeführer sich aus tiefer innerer Überzeugung vom Islam abgewendet und den inneren Entschluss gefasst hat, nach dem christlichen Glauben zu leben, zum altkatholischen Christentum konvertiert und sich auch offen zu diesem Entschluss bekennt.

Im Hinblick auf die Beweiswürdigung der belangten Behörde ist anzumerken, dass diese sich im Wesentlichen darauf beschränkt, dem Beschwerdeführer mangelndes Wissen unterstellen, ohne hierzu eine umfassende Einvernahme durchgeführt zu haben, sowie auf einige Spekulationen im Hinblick auf ihrer Meinung nach vom Vater des Beschwerdeführers oder vom Beschwerdeführer selbst zu erwartendes Verhalten.

Allerdings hat die belangte Behörde den Sachverhalt offenkundig nicht hinreichend erhoben, um die Glaubensüberzeugung des Beschwerdeführers überhaupt beurteilen zu können. So stellt sie dem Beschwerdeführer zunächst kaum Fragen zu Glaubensinhalten (Einvernahmeprotokoll S. 9) und hält ihm auf seinen mehrfachen Hinweis hin, er sei nicht über Jesus gefragt worden, lediglich schablonenhaft entgegen, „Die Fragen sind gestellt worden“, sowie, er habe gesagt „Nein, ich möchte nichts mehr hinzufügen.“ (Einvernahmeprotokoll S. 11). Die Einwände des Beschwerdeführers, er wolle noch vom Leben Jesu sprechen, scheinen jedoch insbesondere angesichts der oberflächlichen Befragung zur aktuellen Glaubensüberzeugung und aktuellen religiösen Aktivitäten durch die belangte Behörde durchaus berechtigt und bringen nicht, wie die belangte Behörde vermeint (Bescheid S. 112), zum Ausdruck, dass der Beschwerdeführer lediglich eine vorbereitete Geschichte zu Protokoll gebe. Vielmehr scheint die Aufforderung zur Aufzählung „christlicher“ Feiertage – die sich im Übrigen auch je nach christlicher Glaubensgemeinschaft unterscheiden können – als alleiniger Maßstab zur Wissensprüfung von Glaubensinhalten völlig ungeeignet und reicht noch weniger aus, um eine aktuelle Glaubensüberzeugung zu ermitteln. Weiter berücksichtigt die belangte Behörde nicht, inwiefern eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit christlichen Inhalten – etwa durch Unterricht, Lektüre, Diskurs mit anderen Gläubigen oder die Teilnahme an religiösen Feierlichkeiten – in Afghanistan und dem Iran überhaupt möglich gewesen sein soll und inwiefern christliche Feiertage überhaupt hätten begangen werden können. Insbesondere ist anzumerken, dass die Ernsthaftigkeit und Tiefe, mit der sich der Beschwerdeführer bzw. sein Vater allenfalls in Afghanistan oder dem Iran dem Christentum zugewandt haben könnten, angesichts der glaubhaft dargelegten aktuellen Glaubensüberzeugung in den Hintergrund treten und hierauf deshalb – auch weil seit der Einvernahme durch die belangte Behörde am 25.10.2017 bereits über drei Jahre vergangen sind – nicht weiter einzugehen war.

Die Feststellung, dass dem Beschwerdeführer im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat Übergriffe durch Privatpersonen sowie strafrechtliche Verfolgung durch den Staat bis hin zur Todesstrafe drohen, weil er sich vom Islam abgewandt hat und seinen neuen Glauben lebt, ergibt sich übereinstimmend aus den vom Bundesverwaltungsgericht herangezogenen Länderberichten:

So berichtet die EASO Country Guidance: Afghanistan von Dezember 2020, dass Apostasie mit dem Tod, Gefängnisstrafe oder Konfiskation von Eigentum bestraft werde. Apostasie sei eine schwere Straftat, auch wenn von wenigen Fällen berichtet werde. Apostaten seien auch der Gefahr gewaltsamer Angriffe ausgesetzt, die bis zu deren Tod führen könnten, ohne, dass sie vor Gericht gebracht würden. Auch Taliban und ISKP würden Apostaten angreifen. Konvertiten würden gewaltsame Sanktionen riskieren, die auch von ihrer Familie ausgehen könnten. Auch nach islamischem Recht sei die Konversion vom Islam zu einem anderen Glauben eine schwere Straftat und werde mit dem Tod bestraft, bei Männern mit Enthauptung. Sie würden auch von der Gesellschaft feindlich wahrgenommen. Es seien kaum Konvertiten öffentlich sichtbar, diese würden vom Staat zum Widerruf aufgefordert oder aus dem Land vertrieben (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.16 Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 84-85). Gleichlautend berichten auch die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von 30.08.2018, dass die Konversion vom Islam als Apostasie betrachtet wird und gemäß den Auslegungen des islamischen Rechts durch die Gerichte mit dem Tode bestraft werde. Geistig zurechnungsfähige männliche Bürger über 18 Jahren, die vom Islam konvertieren und ihre Konversion nicht innerhalb von drei Tagen widerrufen, riskieren die Annullierung ihrer Ehe und eine Enteignung ihres gesamten Grundes und sonstigen Eigentums. Außerdem können sie von ihren Familien und Gemeinschaften zurückgewiesen werden und ihre Arbeit verlieren. Personen, die vom Islam zu einer anderen Religion übertreten, müssen Berichten zufolge um ihre persönliche Sicherheit fürchten. In der Regel hätten Beschuldigte keinen Zugang zu einem Verteidiger oder zu anderen Verfahrensgarantien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe b) Konversion vom Islam, S. 72). Beide Quellen nehmen überdies keinen Landesteil von der Gefahr aus. Auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 16.12.2020, bestätigt, dass eine Abkehr vom Islam nach der Scharia als Verbrechen betrachtet wird, auf das die Todesstrafe steht. Konvertiten drohe neben strafrechtlicher Verfolgung auch Ausgrenzung und Angriffe von Seiten der Gesellschaft. Enthauptung gelte als angemessene Strafe für Männer. Allein der Verdacht einer Konversion könne dazu führen, dass die betreffende Person bedroht und angegriffen werde. Die afghanische Gesellschaft habe generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen würden. Personen, die der Apostasie beschuldigt würden, seien Racheaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt (Kapitel 17.4 Apostasie, Blasphemie, Konversion).

Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.    Zum Fluchtvorbringen einer asylrechtlich relevanten Verfolgung wegen Apostasie

Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, StF: BGBl. Nr. 55/1955 (in der Folge Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) droht.

Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht einer Person unter anderem, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Religion verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden (zuletzt VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186). Es kommt auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0260).

Dabei stellt der Verwaltungsgerichtshof bei einer Konversion zum Christentum nicht darauf ab, ob der Religionswechsel bereits – durch die Taufe – erfolgte oder bloß beabsichtigt ist. Wesentlich ist nur, ob der Fremde bei weiterer Ausübung seines inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit die Intensität der Verfolgung erreichenden Sanktionen belegt zu werden. Die bloße Behauptung eines „Interesses am Christentum“ reicht für die Geltendmachung einer asylrechtlich relevanten Konversion nicht aus (VwGH 23.01.2019, Ra 2018/19/0453 mwN).

Nach dem gemäß § 2 Abs. 1 Z 12 AsylG unmittelbar anwendbaren Art. 10 Abs. 1 lit. b) der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 AsylG „Statusrichtlinie“) umfasst der Begriff der Religion insbesondere theistische, nichttheistische und atheistische Glaubensüberzeugungen, die Teilnahme bzw. Nichtteilnahme an religiösen Riten im privaten oder öffentlichen Bereich, allein oder in Gemeinschaft mit anderen, sonstige religiöse Betätigungen oder Meinungsäußerungen und Verhaltensweisen Einzelner oder einer Gemeinschaft, die sich auf eine religiöse Überzeugung stützen oder nach dieser vorgeschrieben sind.

Nach dem mit „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ übertitelten Art. 10 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 202 vom 7.6.2016, S. 389–405, umfasst dieses Recht die Freiheit, die Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen.

Im Wesentlichen inhaltsgleich gewährt auch Art. 9 EMRK als in der EMRK gewährleistetes Grundrecht, die gemäß Art. 6 Abs. 3 Vertrag über die Europäische Union (EUV) als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts sind, Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit.

Nach diesen normativen Vorgaben umfasst der Religionsbegriff des Art. 1 Abschnitt A, Z 2 GFK nicht nur die individuelle Glaubensfreiheit als Kern der Religionsfreiheit („forum internum“), sondern auch das öffentliche Bekenntnis und die Freiheit zur Ausübung der Religion in den religiösen Vorschriften entsprechendem Verhalten („forum externum“). Demnach ist es einem Asylwerber für den Rückkehrfall nicht zumutbar, seine Religion heimlich ausüben und seine innere Überzeugung verstecken zu müssen. Diese Einschätzung geht auch aus der EASO Country Guidance: Afghansitan von Dezember 2020 hervor, die ebenso darauf hinweist, dass von einem Antragsteller nicht erwartet werden kann, sich seiner religiösen Praktiken zu enthalten (Abschnitt Common analysis: Afghanistan, Kapitel 2.16 Individuals considered to have committed blasphemy and/or apostasy, S. 85).

Für den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wurde festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt, dass ihm im Fall des Bekanntwerdens seines inneren Entschlusses, etwa im Wege einer öffentlichen Glaubensbetätigung indem er seinen Glauben lebt (derer sich der Beschwerdeführer wie oben ausgeführt nicht enthalten muss) Übergriffe durch private Akteure sowie staatliche Strafmaßnahmen bis hin zur Todesstrafe drohen. Damit droht dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Verfolgung sowohl durch staatliche als auch durch private Akteure. Und ist vor der Verfolgung durch Privatpersonen im Sinne der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichthofes staatlicher Schutz bedingt durch die auch vom Staat selbst ausgehende Verfolgungsgefahr für den Beschwerdeführer nicht zu erwarten.

Der Beschwerdeführer konnte damit glaubhaft machen, dass ihm im Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.

Es sind im Verfahren auch keine Asylausschlussgründe gemäß § 6 AsylG hervorgekommen.

Nach § 3 Abs. 3 Z 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht.

Gemäß § 11 Abs. 1 AsylG ist der Antrag auf internationalen Schutz abzuweisen, wenn Asylwerbern in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder von sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden und ihnen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann.

Wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt besteht die Gefahr privater Übergriffe bzw. staatlicher Strafverfolgung wegen der Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum (bzw. wegen Apostasie) landesweit. Damit steht dem Beschwerdeführer eine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG nicht zur Verfügung.

3.2.    Zur Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers

Der Vollständigkeit halber wird angemerkt, dass § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 nach § 75 Abs. 24 AsylG auf Fremde, die einen Antrag auf internationalen Schutz vor dem 15.11.2015 gestellt haben, nicht anzuwenden. Nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag auf internationalen Schutz am 03.10.2015 gestellt hat, ist § 3 Abs. 4 AsylG idF BGBl. I Nr. 24/2016 daher nicht anzuwenden.

Dem Beschwerdeführer war daher spruchgemäß nach § 3 Abs. 1 AsylG der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Beschwerdeführer damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt. Ihm kommt damit unmittelbar kraft Gesetzes (VwGH 03.05.2018, Ra 2017/19/0373) eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter zu.

4.        Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG abhängt. Die grundsätzliche Asylrelevanz einer Konversion ergibt sich klar aus der unter 3.1. zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich vollzogen wurde und dessen mögliche Folgen für den Beschwerdeführer im Herkunftsstaat sind dagegen auf Tatsachenebene zu beurteilen und warne daher gegenständlich insbesondere beweiswürdigende Erwägungen relevant.

Schlagworte

Apostasie Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion maßgebliche Wahrscheinlichkeit mündliche Verhandlung private Verfolgung Religionsausübung religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W109.2211534.1.00

Im RIS seit

31.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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