TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/1 W161 2240712-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 01.04.2021
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Entscheidungsdatum

01.04.2021

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W161 2122558-3/2E

W161 2240713-1/2E

W161 2240712-1/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1. XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, 2. XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, 3. mj. XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, gesetzlich vertreten durch die Kindesmutter XXXX , alle vertreten durch Verein Legal Focus, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.03.2021, Zlen. 1088260008-201131211 (1.), 1271064000-201131033 (2.), 1271110909-201131149 (3.), zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Erstbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1) brachte am 22.09.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein, dieser Antrag wurde rechtskräftig zurückgewiesen und der BF1 aus Österreich nach Kroatien ausgewiesen.

Am 24.05.2016 wurde der BF1 wurde das erste Mal nach Kroatien überstellt.

2. Am 23.09.2019 stellte der BF1 einen zweiten Antrag auf internationalen Schutz, welcher ebenfalls rechtskräftig zurückgewiesen wurde. Gleichzeitig wurde auch die Ausweisung aus Österreich nach Kroatien ausgesprochen.

Am 18.10.2019 wurde der BF1 neuerlich nach Kroatien überstellt.

3. Spätestens am 12.01.2020 reiste der BF1 gemeinsam mit der Zweitbeschwerdeführerin (im Folgenden: BF2), mit welcher er traditionell verheiratet ist und deren mj. Tochter (Drittbeschwerdeführerin, im Folgenden:BF3) erneut illegal in das Bundesgebiet ein.

Der BF1 ist irakischer Staatsangehöriger, die BF2 und die BF3 sind iranische Staatsangehörige. Alle drei stellten am 12.11.2020 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz.

4. In Bezug auf den BF1 liegen neun EURODAC-Treffer der Kategorie „1“ vor und zwar je ein Treffer zu Slowenien (08.08.2016), zu Frankreich (07.11.2017), zu den Niederlanden (26.10.2018), zu Kroatien (24.10.2019) und zu Deutschland (18.12.2016) sowie je zwei Treffer zu Italien (31.12.2015, 10.09.2020) und zu Österreich (22.09.2015, 20.09.2019).

In Bezug auf die BF2 liegen drei EURODAC-Treffermeldungen der Kategorie „1“ vor: zwei davon zu Italien (31.12.2015, 10.09.2020) und einer zu Kroatien (17.07.2018).

5.1. In der polizeilichen Erstbefragung am 13.11.2020 gab der BF1 an, dass er keine an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten habe. Es seien keine Medikamente erforderlich. Er könne der Einvernahme ohne Probleme folgen. Er habe seinen Herkunftsstaat Irak im Jahr 2015 verlassen. Seine Reiseroute schilderte er in chronologischer Abfolge wie folgt: Irak-Türkei-Griechenland-Mazedonien-Serbien-Kroatien-Ungarn-Österreich-Kroatien-Slowenien-Italien-Deutschland-Frankreich-Holland-Österreich-Kroatien-Italien-Österreich. Er sei zweimal von Österreich nach Kroatien zurückgeschoben worden. Er könne keine Angaben zu seiner Aufenthaltsdauer machen, da alles so lange her sei und er sich generell nicht an solche Dinge erinnern könne. Er habe in Kroatien, Slowenien, Holland, Frankreich, Deutschland, Österreich und Italien um Asyl angesucht. Sein Asylantrag sei überall negativ entschieden worden. Er verstehe auch nicht, warum er jedes Mal nach Kroatien abgeschoben werde, wenn er dort negativ sei. Er sei dort aus dem Heim geschmissen worden und habe auf der Straße leben müssen. Er wolle nicht zurück nach Kroatien. Als Fluchtgrund gab der BF1 an, er müsse im Irak 9 Jahre lang ins Gefängnis, weil er beim Militär gewesen wäre. Seine erste Frau sei von Terroristen getötet und sein Sohn von den Daesh entführt worden.

5.2. In seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 18.01.2021 gab der BF1 an, er fühle sich psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu seinem Asylverfahren zu tätigen. Er habe eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen. Seine Angaben im Rahmen der Erstbefragung seien richtig, vollständig und wahrheitsgetreu. Sein Reisepass sei bei den österreichischen Behörden, seinen Personalausweis habe er verloren. Gesundheitlich gehe es ihm gut und sei er nicht in medizinischer Behandlung. Er habe in Österreich oder sonst in Europa keine Verwandten, nur seine mitgereiste Frau und seine Stieftochter. Befragt wann er seine Frau kennengelernt habe gab der BF1 an, er sei am 18.10.2019 von Österreich nach Kroatien überstellt worden, es sei kurz vor Weihnachten, entweder im November 2019 oder im Dezember 2019 gewesen, sie hätten gleich geheiratet. Sie hätten nur traditionell geheiratet, es gäbe keine Heiratsurkunde. Er unterhalte sich mit seiner Frau auf Arabisch, er könne ganz wenig Persisch. Er möchte nicht nach Italien zurück, was solle er dort machen. Sie hätten in Italien nichts gehabt, keine Unterkunft und sie hätten bezüglich seiner Stieftochter keine Unterstützung bekommen. Sie hätten in Italien auf der Straße gelebt und ein Zimmer bekommen. Sie seien nur für kurze Zeit untergebracht worden. Er sei ca. 3 Monate in Italien aufhältig gewesen, von August bis November 2020. Er habe sich in Italien sehr wohl an Hilfsorganisationen gewandt. Er habe von diesen nicht wirklich Hilfe erhalten. Man habe ihnen zweimal Milch gebracht und einmal Feuchttücher sowie einen Babybrei. Von den normalen Bürgern hätten sie zu essen bekommen, nicht von den Behörden. Befragt nach konkreten Vorfällen in Italien gab der BF1 an, es habe einen Vorfall betreffend den Schlepper gegeben. Die Schlepper seien zuerst festgenommen und dann freigelassen worden. Dann hätten die Schlepper angefangen, sie zu bedrohen. Er habe sogar eine Anzeige bei der Polizei gemacht. Die Schlepper hätten gedroht, seine Stieftochter zu entführen, wenn er ihnen nicht Euro 6.000 zahlen würde. Er sei von den Schleppern etwa 15 bis 20 Tage nach der Stellung seines Asylantrages in Italien bedroht worden und zwar zwei Mal. Nach der zweiten Drohung habe er Anzeige bei der Polizei erstattet. Italien und Kroatien seien eins. In diesen Ländern gäbe es keine Menschlichkeit. Sie hätten nicht einmal einen Arzt aufsuchen können, da sie keine Papiere gehabt hätte. Er habe jetzt eine Stieftochter, sie könnten nicht immer von dem einen Land in das andere. Sie möchten hierbleiben. Seine Stieftochter sei hier sofort medizinisch behandelt worden, dass sei in den vorigen Ländern nicht so gewesen. Er möchte mit seiner Familie hierbleiben, sie seien müde geworden. Sie wollen endlich anfangen, sich ein neues Leben aufzubauen.

6.1 Die ebenfalls am 13.11.2020 einer polizeilichen Erstbefragung unterzogene BF2 verneinte ebenso das Vorliegen von an der Einvernahme hindernden oder das Asylverfahren in der Folge beeinträchtigenden Beschwerden oder Krankheiten und das Erfordernis der Einnahme von Medikamenten. Sie habe ihren Herkunftsstaat Iran im Jahr 2016 verlassen. Sie habe sich zunächst zwei Monate in der Türkei aufgehalten, danach sechs Monate in Serbien, elf Monate in Bosnien, zwei Jahre in Kroatien und von 02.08.2020 bis vor kurzem in Italien. Sie sei 2016 legal mit einem Reisepass und einem Visum mit ihrem ersten Mann nach Europa gekommen. Das Visum sei von Serbien ausgestellt gewesen. In Serbien hätten sie 6 Monate ab dem Jahreswechsel 2016/2017 in einem Heim gelebt, da sie um Asylangesucht hätten. In Bosnien hätte sie sich von ihrem Mann getrennt und dieser sei ohne ein Wort zu sagen gegangen. Seither habe sie von ihm nichts mehr gehört. Sie sei im Juli 2018 in Kroatien angekommen und dann dort zwei Jahre geblieben. Sie habe in einem Heim gelebt, da sie um Asyl angesucht hatte. Sie habe dort einen Kurden kennengelernt, von welchem auch ihre Tochter sei. Nach einem Jahr Beziehung habe dieser sie verlassen und sie habe nie wieder etwas von ihm gehört, aber man sagt, er sei gestorben. In Kroatien habe sie nach ihrer Beziehung mit diesem Kurden ihren zweiten Ehemann kennengelernt, sie hätten allerdings nur religiös geheiratet. Von Kroatien sie sie dann mit ihrem neuen Ehemann nach Italien gereist. Sie habe in Serbien, Kroatien und Italien um Asyl angesucht. In Serbien habe sie Asyl bekommen, aber in allen anderen Ländern sei ihr Asylantrag abgelehnt worden. In den anderen Ländern sei sie aufgefordert worden, das Land zu verlassen. Als Fluchtgrund gab die BF2 an, sie sei im Iran zwangsverheiratet worden und ihr Ex-Mann habe aber vor ihr schon zwei Frauen geheiratet. Noch dazu habe sie im Iran weitere kulturelle Probleme gehabt. Ihr Ex-Mann sei auch sehr gewalttätig gewesen und als dieser Probleme mit seinem Vater gehabt hätte, hätte sich das auch auf ihre Familie ausgebreitet.

6.2. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 18.01.2021 gab die BF2 an, sie fühle sich psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu tätigen. Sie habe eine ausführliche Rechtsberatung in Anspruch genommen. Sie sei die gesetzliche Vertreterin ihres mj. Kindes, der BF3. Dem Kind gehe es gesundheitlich nicht gut für ihr Alter. Ihre Tochter sei gestresst und unruhig. Das habe damit zu tun, dass sie von Land zu Land reisen müssen und das belaste sie und sie esse schlecht. Befragt seit wann das Kind gestresst sei gab die BF2 an, man dürfe das nicht so verstehen wie bei den Erwachsenen, sie sei selbst in der Schwangerschaft gestresst gewesen. Ihre Tochter sei seit der Geburt unruhig. Sie sei mit ihrer Tochter hier in Österreich beim Arzt gewesen und habe diese Tropfen bekommen, damit sie einschlafen könne. In den anderen Ländern sei sie nicht behandelt worden. Die Tochter sei auch wegen Ekzemen in Italien behandelt worden. In Österreich seien die Ekzeme schlimmer geworden, sie seien dann zu einem Arzt gegangen, dieser habe ihrer Tochter Medikamente und eine Salbe und Befunde gegeben. Ihre Tochter sei in Kroatien geboren worden. Ihr Mann sei aber nur der Stiefvater ihrer Tochter. Sie habe ihren Mann in Kroatien kennengelernt und dort im November 2019 geheiratet. Befragt wie es ihr gesundheitlich gehe, gab die BF2 an, es gehe ihr psychisch überhaupt nicht gut. Sie habe auch Herzprobleme. Sie habe Medikamente für ihr Herz eingenommen, diese habe sie aber jetzt nicht mehr. Sie habe mit den Medikamenten aufhören müssen, da sie schwanger gewesen wäre. In Österreich nehme sie keine Medikamente mehr, aber sie möchte zum Arzt gehen. Die Medikamente, die sie bis vor einem Jahr genommen hätte, hätten sie beruhigt und schläfrig gemacht, da sie ein kleines Kind habe, könne sie diese Medikamente nicht nehmen, da sie sich um ihre Tochter kümmern müsse. Sie leide seit ca. 4 Jahren an Depressionen und seit 3 Jahren sei es stärker geworden. Vor 10 oder 11 Jahren sei ihre Mutter verstorben und seitdem habe sie diese gesundheitlichen Probleme. Sie habe keine Befunde bezüglich ihrer Depressionen. Sie habe sich in ihrem Heimatland bezüglich ihrer Herzprobleme und den Tod ihrer Mutter behandeln lassen, Befunde dazu könne sie nicht vorlegen. Sie habe außer ihrem Mann und ihrer Tochter keine Verwandten in Österreich oder sonst Europa. Sie möchte nicht nach Italien zurück. Sie hätten in Italien keine Unterkunft bekommen. Man habe ihrer Tochter nichts zu essen gegeben, obwohl sie ein kleines Kind sei. Ihre Tochter sei dort noch mehr krank geworden. Sie seien eine Zeitlang auf der Straße gewesen, dann hätten sie ein Zimmer bekommen, dieses hätten sie sich mit einer pakistanischen Familie geteilt. Ihre Tochter sei weiter krank geworden, niemand habe sich um sie gekümmert. Niemand hätte sie zum Arzt bringen wollen. Sie seien dort nicht menschlich behandelt worden, deshalb wolle sie nicht zurück in dieses Land. Sie sei ca. 3 Monate in Italien gewesen. Sie habe keine Beweise dafür, dass sie nicht die ganze Zeit untergebracht worden wäre. Konkrete ihrer Person betreffende Vorfälle habe es in Italien nicht gegeben. Sie hätten dort kein normales Leben gehabt.

7. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA), richtete am 20.11.2020 auf Art. 18 Abs. 1 lit. b der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.06.2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedsstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedsstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (im Folgenden: Dublin III-VO), gestützte Aufnahmeersuchen an Kroatien.

Mit Schreiben vom 27.11.2020 teilte Kroatien mit, dass dem Ersuchen nicht entsprochen werden könne.

Mit Schreiben vom 20.11.2020 richtete Österreich eine Anfrage nach Art. 34 Dublin III-VO an Italien.

Mit Schreiben vom 24.11.2020 antwortete Italien, dass die Beschwerdeführer am 10.09.2020 in Italien einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hätten und dort über keine Aufenthaltsbewilligung verfügen würden.

Am 02.12.2020 richtete Österreich auf Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO gestützte Aufnahmeersuchen an Italien.

Mit Schreiben vom 07.12.2020 erklärte sich Italien gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zur Übernahme der Beschwerdeführer zur Durchführung ihrer Asylverfahren ausdrücklich für zuständig.

8. Mit den angefochtenen Bescheiden wurden die Anträge auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten, gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz gemäß Art. 18 Abs. 1 lit. b Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge deren Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig (Spruchpunkt II.).

Die Sachverhaltsfeststellungen zur Lage in Italien wurden in den Bescheiden wie folgt wiedergegeben (unkorrigiert und ungekürzt durch das BVwG):

COVID-19-Pandemie

Letzte Änderung: 03.11.2020

Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursacht. In Italien wurden bisher 2.925.265Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 97.699 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 01.03.2021). Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 01.03.2021). Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80% der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5% der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf.

Italien hat während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, jedoch waren die Quästuren in der Praxis geschlossen. Einige Gerichte, etwa in Rom, haben Quästuren jedoch angewiesen, Asylanträge zu registrieren. Die Versorgungsmaßnahmen wurden bis zum Ende der Pandemie verlängert, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten. Asylwerber können bis längstens 31.1.2021 auch in Unterbringungseinrichtungen der zweiten Stufe (SIPROIMI) untergebracht werden, welche eigentlich für Schutzberechtigte reserviert sind. Sie erhalten dort aber nur jene Versorgung, die auch in Unterbringungseinrichtungen der ersten Stufe (CAS) vorgesehenen wäre. Gesundheitskarten mit Gültigkeitsende vor dem 30. Juni 2020 wurden bis zum 30. Juni verlängert. Aufenthaltsberechtigungen, einschließlich solcher von Asylwerbern und Schutzberechtigten, mit Ablaufdatum zwischen 31. Jänner und 15. April 2020 wurden bis zum 31. August verlängert. Dublin-Überstellungen von und nach Italien sind derzeit suspendiert. Während der COVID-Situation haben manche Gemeinden den Zugang zu bestimmten ergänzenden sozialen Leistungen an bisweilen mehrjährige Meldeerfordernisse gebunden, die von Asylwerbern bzw. Schutzberechtigten oft nicht zu erfüllen sind (ECRE 28.5.2020).

Nach einer Unterbrechung aufgrund der COVID-19-Pandemie haben alle Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde mit Ausnahme derjenigen in Foggia und Udine im September die persönlichen Asylinterviews wieder aufgenommen. Verzögerungen beim Zugang zu Asylverfahren wurden an verschiedenen Orten gemeldet (UNHCR 9.2020).

Italien hat mit Ende September 2020 fünf Schiffe im Einsatz, die als Quarantäneschiffe vor der italienischen Küste fungieren. Es gibt aber auch Quarantäneeinrichtungen auf dem Festland, die stark belegt sind, was zu Problemen bei der adäquaten Unterbringung, v.a. von Minderjährigen führen kann (UNHCR 9.2020).

Es gilt eine 14-tägige Quarantäne für über das Mittelmeer kommende Asylwerber. Nur wer am Ende dieses Zeitraums nicht positiv getestet wird, kann an eine andere Unterbringungseinrichtung überstellt werden (EASO 2.6.2020).

Aufenthaltsberechtigungen für Asylberechtigte wurden während der COVID-Situation automatisch verlängert. Italien erweiterte die Einkommens- und Familienunterstützungsmaßnahmen, die im Dekret „Cura Italia“ vorgesehen sind, das sind EUR 600 Bonus u.a. Leistungen für anerkannte Flüchtlinge oder Inhaber anderer Aufenthaltsgenehmigungen, die beruflich tätig sind (EASO 2.6.2020).

Quellen:

?        EASO European Asylum Support Office (2.6.2020): COVID-19 Emergency Measures in Asylum and Reception Systems, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/covid19-emergency-measures-asylum-reception-systems.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        ECRE – European Council on Refugees and Exiles (28.5.2020): INFORMATION SHEET 28 MAY 2020: COVID-19 MEASURES RELATED TO ASYLUM AND MIGRATION ACROSS EUROPE, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/05/COVID-INFO-28-May.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (9.2020): UNHCR Italy Factsheet, September 2020, https://reliefweb.int/report/italy/unhcr-italy-factsheet-september-2020, Zugriff 28.10.2020

Allgemeines zum Asylverfahren

Letzte Änderung: 03.11.2020

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten:

C:\Users\peschi1\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\287AAF5F.tmp

(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Am 5. Oktober hat der italienische Ministerrat eine neues sogenanntes Immigrationsdekret vorgelegt, das die vom ehemaligen Innenminister Salvini eingeführten Regelungen teilweise wieder aufheben würde. Es handelt sich dabei wohlgemerkt erst noch um eine Regierungsvorlage, die binnen 60 Tage vom Parlament abgesegnet werden muss und noch abgeändert werden kann. Momentan vorgesehen ist eine Aufweichung der momentan geltenden Regeln, etwa verbesserter Refoulement-Schutz und Umstrukturierung des Aufnahmesystems zu einem neuen „Aufnahme- und Integrationssystem“ mit Erstaufnahme für alle und danach Versorgung von Asylwerbern und Versorgung von Schutzberechtigten mit zusätzlichen integrationsfördernden Maßnahmen. Ferner würden die territorialen Asylkommissionen (erstinstanzliche Asylbehörde) mehr Befugnisse erhalten, künftig nicht mehr nur im Bereich des internationalen Schutzes, sondern auch im Falle von Abschiebungsverboten bei Fremden mit besonders schwerwiegendem Gesundheitszustand zu entscheiden (VB 13.10.2020).

Antragszahlen für 2019 gemäß italienischem Innenministerium:

C:\Users\peschi1\AppData\Local\Microsoft\Windows\INetCache\Content.MSO\64AA8B02.tmp

(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Im August 2020 waren in Italien 53.923 Asylerfahren anhängig. Von Jänner bis Juni 2020 wurden 21.905 Entscheidungen getroffen, davon waren 10% Zuerkennungen eines internationalen Schutzes, 9% subsidiärer Schutz, 5% humanitärer Schutz und 75% Zurückweisungen (UNHCR 25.10.2020).

Die Asylverfahren dauern im Durchschnitt sechs Monate, inklusive Beschwerdephase bis zu zwei Jahre (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (25.10.2020): Italy Weekly Snapshot (18 Oct-25 Oct 2020), https://data2.unhcr.org/en/documents/download/82568, Zugriff 28.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

?        VB des BM.I Italien (13.10.2020): Auskunft des VB, per E-Mail

Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa, oft weit entfernt von ihrer zuständigen Quästur. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Rückkehrer haben in der Regel drei Tage, um auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten zu dieser Quästur zu gelangen, unabhängig von der Entfernung. Seit Februar 2020 gibt es am Flughafen Mailand einen Informationsschalter der Waldensischen Diakonie. Deren Mitarbeiter können Dublin-Rückkehrer mit Tickets zur Quästur von Varese (zuständig für den Flughafen, Anm.) ausstatten und können telefonisch Kulturvermittler kontaktieren, um weitere Informationen in den benötigten Muttersprachen bereitzustellen. Sind die Rückkehrer zu einer anderen Quästur vorgeladen, müssen sie selbst die Tickets besorgen, um dorthin zu gelangen. In Rom profitieren Dublin-Rückkehrer häufig vom mobilen Helpdesk der NGO A Buon Diritto am Bahnhof Tiburtina in Rom. Sobald sie am Flughafen Fiumicino angekommen sind, werden sie mündlich über das Verfahren informiert und mit dem Einladungsschreiben an die zuständige Quästur ausgestattet. Sie müssen die Quästur autonom und auf eigene Kosten erreichen (AIDA 5.2020). Es gibt solche NGOs auf Abruf auch in Bologna, Bari und Venedig (SFH 1.2020).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1.       Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). Tut er das nicht und hat auch kein Visum etc., wird der Rückkehrer als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert und möglicherweise auch in Schubhaft genommen (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

2.       Wenn das Verfahren eines Antragstellers in Italien suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann er, im Falle einer Rückkehre binnen 12 Monaten ab Suspendierung, einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

3.       Hat ein Interview stattgefunden und wurde das Verfahren des Antragstellers in Italien in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

(Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Versorgung“, Subkapitel „Dublin-Rückkehrer“. Für Infos zur COVID-19-Pandemie siehe das gleichnamige Kapitel, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019; vgl. SFH 1.2020).

(Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.)

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

?        VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

?        VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Unbegleitete minderjährige Asylwerber (UMA) / Vulnerable

Letzte Änderung: 03.11.2020

In Italien gelten folgende Personenkreise als vulnerabel: Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Schwangere, alleinstehende Eltern mit minderjährigen Kindern, Opfer von Menschenhandel, Opfer von Genitalverstümmelung und ernsthaft physisch oder psychisch Kranke sowie Alte, Behinderte und Opfer von Folter, Vergewaltigung oder anderen Formen physischer, psychischer oder sexueller Gewalt. In Italien ist kein eigener Identifikationsmechanismus für Vulnerable vorgegeben. Vulnerable werden im Verfahren prioritär behandelt. Die Identifizierung von Gewaltopfern ist in jeder Phase des Verfahrens durch Beamte, Betreuer oder NGOs möglich. Die zuständige erstinstanzliche Asylbehörde kann zur Absicherung eine medizinische Untersuchung verlangen. Wenn im Zuge des Interviews ein Vertreter der Behörde den Verdacht hat, es mit einem Folteropfer zu tun zu haben, kann er die betreffende Person speziellen Diensten zuweisen. Wenn die Vulnerabilität eines Antragstellers festgestellt wurde, ist dessen Zugang zu angemessener medizinischer und psychologischer Versorgung und Betreuung auf Basis von Richtlinien des Gesundheitsministeriums sicherzustellen. Die NGOs Ärzte ohne Grenzen und Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) betreiben gemeinsam in Rom ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern, welche ohne Unterstützung Schwierigkeiten hätten, als Vulnerable behandelt zu werden (AIDA 5.2020).

Beim Schutz von Minderjährigen sind deren Reifegrad und Entwicklung zu berücksichtigen und es ist im besten Interesse des Kindes zu handeln. Gemäß Gesetz 47/2017 kann bei Fehlen von Identifikationsdokumenten und Zweifeln am Alter des Antragstellers die Staatsanwaltschaft am Jugendgericht eine sozialmedizinische Untersuchung zur Altersfeststellung anordnen. Dazu ist die Zustimmung des UM oder seines Vormunds nötig. Die Verweigerung der Zustimmung hat keine negativen Auswirkungen auf das Asylverfahren. Die Untersuchung ist im multidisziplinären Ansatz von entsprechend geschulten Fachkräften durchzuführen, mit möglichst nicht-invasiven Methoden und unter Achtung der Integrität der Person. Bis zum Vorliegen des Ergebnisses ist der Antragsteller als Minderjähriger zu behandeln und im Zweifel ist die Minderjährigkeit anzunehmen. NGOs zufolge wird Gesetz 47/2017 aber nicht einheitlich umgesetzt und das Alter wird oft lediglich mittels Handwurzelröntgen festgestellt und auch keine Schwankungsbreite berücksichtigt. Bis zum Ergebnis dauert es oft Monate und in dieser Zeit wird der Betroffene oft als Erwachsener behandelt (AIDA 5.2020).

Wird den Behörden die Existenz eines unbegleiteten Minderjährigen bekannt, ist dies umgehend dem Staatsanwalt am zuständigen Jugendgericht zur Kenntnis zu bringen, damit dieses einen Vormund bestimmen kann, der für Schutz und Wohlergehen des Minderjährigen während des gesamten Asylverfahrens zuständig ist (bei negativem Ausgang auch darüber hinaus). Die Jugendgerichte führen zu diesem Zweck ein Register freiwilliger Vormunde, die von Amts wegen entsprechend geprüft und geschult werden. Bis zur Bestellung des Vormunds kann der Leiter der Unterbringung den UM beim Stellen eines Asylantrags unterstützen, aber der Vormund muss den UM auf den folgenden Stufen des Verfahrens vertreten. Ein Vormund kann maximal drei Minderjährige gleichzeitig betreuen (AIDA 5.2020).

Laut italienischen Gesetzen ist bei der Unterbringung auf spezifische Bedürfnisse der Asylwerber Rücksicht zu nehmen. Dies gilt insbesondere für Vulnerable. Ein Gesundheitscheck bei der Erstaufnahme ist vorgesehen, um auch spezielle Unterbringungsbedürfnisse erkennen zu können (AIDA 5. 2020).

Durch die Änderungen mit Gesetz 132/2018 werden vulnerable Asylwerber, mit Ausnahme von UMA, seit Oktober 2018 in den Unterbringungszentren der ersten Stufe (Erstaufnahme) untergebracht. Durch die Gesetzesänderungen wurde die Finanzierung für die Erstaufnahme reduziert, wodurch NGOs die Identifizierung und Berücksichtigung spezieller Bedürfnisse gefährdet sehen. Familien können nur dann aus der Erstaufnahme in das SIPROIMI-System transferiert werden, wenn zumindest ein Familienmitglied einen entsprechenden Schutztitel erhalten hat. Der Transfer hängt aber von mehreren Faktoren ab, wie Familienzusammensetzung, Vulnerabilität, gesundheitlichen Problemen und dem Platzangebot im SIPROIMI (AIDA 5.2020).

Es gibt laut der Schweizerischen Flüchtlingshilfe keine Erstaufnahmezentren, die für Personen mit psychischen Erkrankungen oder für traumatisierte Personen angemessen sind. Das Personal ist nicht ausgebildet, um Vulnerabilitäten zu erkennen, die nicht offensichtlich sind (SFH 1.2020).

(Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Medizinische Versorgung“, Anm.).

Bei UMA ist bei der Unterbringung das beste Interesse des Kindes durch Gespräche zu evaluieren und zu berücksichtigen. Alle UM, auch asylwerbende, haben Zugang zu SIPROIMI. Minderjährige, die in SIPROIMI das Erwachsenenalter erreichen, können dort bis zur finalen Entscheidung in ihrem Asylverfahren bleiben. UM, die internationalen Schutz erhalten, können noch für weitere sechs Monate im SIPROIMI bleiben (AIDA 5.2020).

Mit Jänner 2020 waren in SIPROIMI-Einrichtungen 4.003 Plätze in 155 Projekten für UM und 663 Plätze in 45 Projekten für psychisch beeinträchtigte Personen reserviert. NGOs kritisieren dies als zu wenig angesichts des Bedarfs. Ende 2019 lag die Zahl der UMA in Italien bei 6.054, von denen 94,6% in Unterbringungseinrichtungen untergebracht waren, 5,5% waren privat bei Familien untergebracht. 5.383 UMA entzogen sich 2019 der Unterbringung (AIDA 5.2020).

In Italien herrscht Schulpflicht für Minderjährige bis zum Alter von 16 Jahren, unabhängig vom rechtlichen Status. Sie haben Zugang zu öffentlichen Schulen wie italienische Minderjährige (AIDA 5.2020).

Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen unzureichende Überweisung von unbegleiteten Minderjährigen zu angemessenen Diensten (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

Non-Refoulement

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat im Feber 2020 ein Memorandum of Understanding mit Libyen um drei weitere Jahre verlängert, in dessen Rahmen Libyen mit italienischer Unterstützung Migrantenboote stoppt und die Betreffenden nach Libyen zurückbringt. Dies wird von NGOs als indirekte Pushbacks nach Libyen betrachtet. (AIDA 5.2020; vgl. AI 16.4.2020). UNHCR bezeichnet diese Praxis nicht als Refoulement, will aber deren Rechtmäßigkeit untersuchen, da es Libyen nicht als „safe port“ betrachtet, da es relevante UN-Abkommen nicht unterzeichnet hat (USDOS 11.3.2020).

Berichten zufolge kommt es in den italienischen Adriahäfen immer wieder zu Pushbacks nach Griechenland, wenn illegale Migranten mit den aus Griechenland kommenden Schiffen auf denen sie entdeckt wurden, wieder nach Griechenland zurückgeschickt werden. Berichte über angebliches Refoulement antragswilliger Fremder, gibt es auch von den internationalen Flughäfen Rom Fiumicino und Mailand Malpensa. Weiters gibt es Berichte über formloses Zurückschicken von Migranten von der Grenze zu Slowenien. Nichtsdestotrotz erlaubte im Jahr 2019 der Civil Court in Rom 14 Eritreern, die 2008 unrechtmäßig nach Libyen zurückgeschickt wurden, den Zugang zum Asylverfahren in Italien. In zwei weiteren Fällen wurde verfügt, dass im Ausland aufhältigen Minderjährigen, davon einer ein in Libyen befindlicherer Nigerianer, humanitäre Visa zur Einreise auszustellen seien. 2019 annullierten italienische Gerichte weiterhin Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen deren Asylverfahren bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan (AIDA 5.2020).

Quellen:

?        AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 – Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028200.html, Zugriff 7.10.2020

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gab es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wurde völlig neu organisiert und, neben der Nothilfe für neu ankommende Bootsmigranten, nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 5.20209).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ersetzen CAS und CARA. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

?        Unterbringung, Verpflegung

?        Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

?        notwendige Transporte

?        medizinische

?         Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

?        Hygieneprodukte

?        Wäschedienst oder Waschprodukte

?        Startpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

?        Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

?        Schulbedarf

?        usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen (VB 19.2.2019).

Integrationsmaßnahmen (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten) sind in der Erstaufnahme nicht mehr vorgesehen. Ebenso eingespart wurden psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist, Rechtsberatung und kulturelle Mediation. Da viele Ausschreibungen keine Ergebnisse brachten, erlaubte das Innenministerium im Feber 2020 den Präfekturen, minimale Abweichungen zu akzeptieren. Die Vorgaben und Einsparungen führten dazu, dass 2019 viele kleine Unterbringungseinrichtungen verschwanden (AIDA 5.2020).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 5.2020). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr im Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten. In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 5.2020).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

Unterbringung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. In der Praxis erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als Hotspots (gemäß dem sogenannten Hotspot-approach der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2019 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina). Der Aufenthalt der Migranten in den Hotspots dauert oft wochenlang (AIDA 5.2020).
Erstaufnahme

Es gibt derzeit 13 Erstaufnahmezentren zur Unterbringung von Asylwerbern in 7 italienischen Regionen. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil. Überbelegung ist oft ein Problem. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 6.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. In den CAS ist der Unterbringungsstandard von der betreibenden Präfektur abhängig (AIDA 5.2020).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in eine sekundäre Aufnahmeeinrichtung (SIPROIMI) (AIDA 5.2020).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Kapitel Schutzberechtigte, Anm.)
Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von Kirchen oder Freiwilligenverbänden. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel (AIDA 5.2020).

Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen Unterschiede der in Aufnahmezentren angewandten Standards. Qualitativ hochwertigen Unterbringungen von lokalen Behörden stehen große Zentren unterschiedlicher Qualität gegenüber, bei denen es sich oft um umgewidmete Gebäude wie Schulen, Kasernen usw. handelt (USDOS 11.3.2020).

Wer nicht in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung untergebracht ist, erhält keine finanzielle Unterstützung und hat keinen Anspruch auf weitere Sozialleistungen (RW 6.2020).

Viele Asylwerber und Personen mit Schutzstatus sind obdachlos und leben in verschiedenen italienischen Städten auf der Straße oder in informellen Siedlungen und besetzten Häusern. Freiwillige der NGOs Sant’Egidio und MEDU besuchen die Obdachlosen in Mailand einmal oder mehrmals pro Woche. Sant’Egidio verteilt Mahlzeiten, MEDU bietet medizinische Beratung und Behandlung an (SFH 1.2020). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 5.2020). Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 11.3.2020).

Mit Stand 30.9.2020 befanden sich in Italien 82.072 Migranten in staatlicher Unterbringung, davon 217 in Hotspots, 57.496 in der Erstaufnahme und 24.359 in SIPROIMI (VB 5.10.2020).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über neun Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 1.380 Plätzen (AIDA 5.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

?        VB des BM.I Italien (5.10.2020): Bericht des VB, per E-Mail

Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber ein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) nicht vorgesehen ist, auch nicht für vulnerable Rückkehrer (AIDA 5.2020).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellt Italien seit Februar 2015 in regelmäßigen Rundbriefen eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (AIDA 5.2020).

Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, sollten von der zuständigen Präfektur vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung transferiert werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. Manchen Rückkehrern wurde in der Vergangenheit die Unterbringung verweigert oder sie mussten lange auf diese warten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

Solange sie im Asylverfahren sind und ihnen das Recht auf Unterkunft nicht entzogen wurde, können Dublin-Rückkehrer wie alle anderen Asylsuchenden in Italien nur in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Waren sie zuvor in einer staatlichen Unterbringung oder wurde ihnen eine solche auch nur zugeteilt, die sie unerlaubt verlassen oder nicht bezogen haben, haben sie das Recht auf Unterbringung verloren. Das Recht auf Unterkunft können Asylsuchende nur zurückerhalten, wenn sie nachweisen können, dass sie das Zentrum wegen eines Unfalls, höherer Gewalt oder aus einem anderen triftigen persönlichen Grund verlassen haben. Die Präfektur entscheidet, ob die Person wieder aufgenommen wird. Wenn die Präfektur die Wiederaufnahme in das System ablehnt, gibt es keine alternative staatliche Unterbringungsmöglichkeit (SFH 1. 2020).

Wenn Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung nach Italien kein Anrecht mehr auf Unterkunft haben, kann das zu Problemen bei der Registrierung im Gesundheitssystem führen, wenn sie keine richtige Adresse als ihren ständigen Aufenthaltsort vorweisen können. Nicht alle Gemeinden in Italien erlauben die Angabe der Adresse einer NGO oder einer fiktiven Adresse (SFH 1.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann, weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale , ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia, auch oft bezeichnet als tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 5.2020).

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden (residenza) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte (tessera sanitaria) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Manche Asylwerber haben aufgrund von Problemen mit der Wohnsitzmeldung oder einer fehlenden Steuernummer Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Fiktive Adressen oder Adressen von NGOs werden nicht überall akzeptiert und bergen Probleme bei der Wahl eines Hausarztes, welcher in der Nähe des Wohnortes angesiedelt sein soll. Die Sprachbarriere ist auch ein großes Problem. Es gibt Organisationen, welche Personen beim Zugang zu medizinischer Versorgung behilflich sind (RW 6.2020).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den Büros des lokalen Gesundheitsdienstes (ASL) als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Aber die Praxis ist national nicht einheitlich gehandhabt und einige Regionen gewähren die Ticket-Befreiung nach zwei Monaten nicht weiter, weil sie die Asylwerber als inaktiv betrachten, jedoch nicht als arbeitslos (AIDA 5.2020), da sie vorher nie in Italien gearbeitet haben (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020). Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch Asylwerber mit niedrigem Einkommen kommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 5.2020).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 5. 2020). Die psychische Gesundheitsversorgung ist in Italien im OECD-Vergleich nur mäßig ausgebaut, was Italiener genauso wie Asylwerber und Schutzberechtigte gleichermaßen betrifft (SFH 1.2020).

Personen mit irregulärem Aufenthalt können eine STP-Karte (straniero temporaneamente presente) beantragen (sechs Monate gültig, verlängerbar), mit der sie Zugang zu medizinischer Not- und Vorsorgeversorgung haben (RW 6.2020). Um eine STP-Karte zu erhalten, müssen die Personen sich mit einer Erklärung zur finanziellen Notlage, einer Erklärung, dass er/sie sich nicht beim nationalen Gesundheitsdienst (SSN) registrieren kann, sowie Identitätsdokumenten bei einer Büro des lokalen Gesundheitsdienstes melden. Die STP-Karte ist sechs M

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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