TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/15 W174 2184527-1

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Veröffentlicht am 15.04.2021
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Entscheidungsdatum

15.04.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W174 2184527-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Viktoria Mugli-Maschek, als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 12.12.2017, Zl. 1070581108/150550739/BMI-BFA WIEN, nach einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 22.5.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 24.5.2015 gab er im Wesentlichen an, in der Provinz Ghazni geboren und ledig zu sein sowie der Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben anzugehören. Sechs Jahre lang habe er in Teheran die Grundschule besucht und sei zuletzt Bauhilfsarbeiter gewesen.

Seine Familie habe Afghanistan verlassen als er ca. zwei Jahre alt gewesen sei, den Grund dafür könne er nicht angeben.

Aus dem Iran sei er deshalb ausgereist, weil er dort illegal aufhältig gewesen sei und Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan gehabt habe. Zudem sei er im Iran auf offener Straße wegen seiner Herkunft mit einem Messer attackiert worden und habe keinerlei Rechte am Arbeitsplatz gehabt. Dies sei sein einziger Fluchtgrund. Zu seiner Rückkehrbefürchtung erklärte er, er sei im Iran aufgewachsen und in Afghanistan herrsche Krieg.

3. Ein im Auftrag des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder belangte Behörde) erstelltes Sachverständigengutachten zur Altersbeurteilung des Beschwerdeführers ergab in Zusammenschau der erhobenen Befunde ein nicht unterschreitbares Mindestalter von 17,6 Jahren zum Untersuchungszeitpunkt, wobei der Beschwerdeführer mit einfacher Wahrscheinlichkeit volljährig sei. Infolgedessen wurde das fiktive Geburtsdatum des Beschwerdeführers wie im Spruch erstgenannt festgestellt.

4. Am 9.2.2017 langten beim Bundesamt ein ÖSD Zertifikat A2 vom 5.12.2016 sowie mehrere Deutschkursbesuchsbestätigungen bis zum Niveau B1 ein.

5. Am 28.3.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt niederschriftlich einvernommen und erklärte im Wesentlichen zunächst, ledig, kinderlos, gesund, afghanischer Staatsangehöriger, Hazara und Schiit zu sein. Einen Reisepass habe er nie besessen, seine Tazkira befinde sich im Iran bei den Eltern. Dazu wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, die fehlenden Dokumente innerhalb von 14 Tagen nachzureichen.

Verfolgt werde er ausschließlich im Iran und nicht in Afghanistan. In seiner Heimat würden jedoch die Hazara im Allgemeinen verfolgt.

Seit seinem zweiten Lebensjahr habe der Beschwerdeführer mit seinen Eltern und seinem Bruder in einem näher genannten Viertel in Teheran gelebt, im Iran sechs Jahre lang eine Schule für afghanische Kinder besucht und ca. vier oder fünf Jahre als Bauarbeiter gearbeitet, wodurch er sich seinen Lebensunterhalt finanziert habe.

Sein ca. 60-jähriger Vater lebe noch immer in Teheran, sei früher als Landwirt und zum Schluss als Schuhmacher tätig gewesen, jetzt sei er krank. Seine ca. 45-jährige Mutter lebe gemeinsam mit dem Vater in Teheran und arbeite seit dessen Krankheit als Verkäuferin. Kontakt nach Afghanistan gebe es keinen, mit seiner Mutter im Iran jedoch einmal wöchentlich via Internet. Verwandte in der Heimat kenne der Beschwerdeführer keine, Haus oder Grundbesitz gebe es dort nicht.

Die Ausreise aus dem Iran habe sein Vater organisiert und finanziert, ein Teil des Geldes sei von Verwandten und Freunden ausgeborgt worden. Seit seiner Kindheit habe der Beschwerdeführer aus dem Iran ausreisen wollen, weil es den Afghanen dort besonders schlecht gehe. Nachdem sich die Möglichkeiten zur Ausreise verbessert hätten, hätten sein Vater und er beschlossen, dass der Beschwerdeführer sein Glück in Europa finden solle. Im Iran sei es ihnen schlecht gegangen und sie hätten keine Dokumente gehabt. Ohne Dokumente könne man nichts machen und auch keine Arbeit bekommen. Sein Vater sei im Dorf als Landwirt tätig gewesen, wo es keine polizeilichen Kontrollen gebe.

Er selbst sei nicht persönlich verfolgt, aber öfter „sekkiert“ und beschimpft worden. Die Iraner seien Rassisten und ein Afghane habe keine Rechte im Iran.

In Afghanistan kenne der Beschwerdeführer niemanden, auch würde er dort als Hazara und Schiit Probleme bekommen. Weitere Fluchtgründe habe er nicht.

Vorgelegt wurden ergänzend diverse Kursbesuchsbestätigungen (Deutsch- bzw. Basisbildungskurs) sowie zwei Sozialberichte der Caritas.

6. Am 21.4.2017 langte beim Bundesamt die Kopie einer Tazkira und am 9.5.2017 eine Stellungnahme des Beschwerdeführers zu den damaligen Länderfeststellungen zu Afghanistan ein.

7. Mit dem gegenständlichen im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).

8. Dagegen wurde rechtzeitig Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben.

9. in einer am 9.11.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangten Stellungnahme zu den im Vorfeld der mündlichen Verhandlung übermittelten Länderberichten wurde im Wesentlichen bekannt gegeben, dass der Beschwerdeführer sich nicht mehr der islamischen Glaubensgemeinschaft zugehörig fühle und mit 7.9.2020 seinen Austritt aus der islamischen Glaubensgemeinschaft dem zuständigen Magistrat bekannt gegeben habe. Dazu wurde die Religionsaustrittsbescheinigung vorgelegt.

Der Beschwerdeführer sei aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben abgefallen und lehne sämtliche moslemischen Riten und sonstigen religiösen Weltansichten des Islam ab. Wegen der innerlichen Abkehr vom Islam könne es ihm nicht zugemutet werden, seine Ansichten im Heimatland zu verbergen und den dort herrschenden muslimischen Glauben bei einer Rückkehr wieder ausüben zu müssen. Der Beschwerdeführer sehe sein Leben ohne jegliche Konfession als identitätsstiftendes Merkmal und könne dies auch bei einer Rückkehr nicht mehr ablegen. Ihm drohe daher aufgrund seiner innerlichen Abkehr vom Islam bei einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung.

Er lebe seit nunmehr über fünf Jahren in Österreich, habe diese Zeit genutzt um umfassende Integrationsschritte zu setzen und nicht nur ein Deutschzertifikat auf dem Niveau B1 erwerben können, sondern auch im Dezember 2018 seinen Pflichtschulabschluss gemacht sowie im Jahr 2019 für einige Monate die Abendschule eine HTL besucht. Seit September 2020 sei er Schüler einer anderen HTL mit Schwerpunkt Informatik. Zudem sei er ehrenamtlich tätig, habe bereits in einem Pensionistenheim geholfen und auch von Juli bis September 2020 bei der Lebensmittelsortierung der Caritas. Überdies nehme er immer wieder sonstige zur Verfügung stehende Weiterbildungsangebote in Anspruch.

Vorgelegt wurden das Deutschzertifikat B1 vom 19.2.2018, das Pflichtschulabschlusszeugnis vom 14.12.2018, eine Bestätigung der Caritas vom 15.7.2020, ein Empfehlungsschreiben des Projektes XXXX vom 22.10.2020, die Teilnahmebestätigung an einem Kompetenzworkshop vom 12.4.2019 sowie eine Kursbesuchsbestätigung von 23.3.2017.

Weiters wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sich bereits in Österreich einen diversen Freundeskreis aufgebaut und sei bezüglich seiner Ansichten sehr offen und liberal eingestellt.

10. Am 9.11.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei erklärte der Beschwerdeführer zunächst im Wesentlichen wie bisher, aus Afghanistan zu kommen, afghanischer Staatsangehöriger und in der Provinz Ghazni geboren zu sein. Seine Muttersprache sei Dari. Auf Deutsch gab er an, er könne ein bisschen Deutsch, Englisch und Persisch. Von der Volksgruppe her sei er Hazara, zuvor sei er Moslem gewesen. Seit er in Österreich sei, sei er ohne Religionsbekenntnis. Die vorgelegte Tazkira habe ihm sein Vater geschickt.

Bei der Flucht seiner Familie von Afghanistan in den Iran sei der Beschwerdeführer noch klein gewesen, ca. zwei oder zweieinhalb Jahre alt. Aufgewachsen sei er in Teheran. Vor seiner Ausreise nach Europa habe er den Iran nie verlassen, sein Vater sei inzwischen für ungefähr zwei oder drei Monate in Afghanistan gewesen.

Ungefähr sechs Jahre lang habe der Beschwerdeführer im Iran eine Schule für Afghanen besucht und ein paar Jahre als Schweißer gearbeitet. Gemeinsam mit der Familie hätten sie sich ihr Leben finanzieren können, sie hätten sich gegenseitig unterstützt. Der Vater habe in der Landwirtschaft gearbeitet, auch in der Viehwirtschaft, jetzt sei er krank und könne dies nicht mehr. Für seine Mutter sei es ein bisschen leichter zu arbeiten, weil sie als Frau nicht nach Papieren gefragt werde. Für den Beschwerdeführer wäre es schwieriger gewesen, weil er bald volljährig geworden wäre und deswegen keine Chance gehabt hätte, wenn sie ihn erwischt hätten. Sie hätten ihn wahrscheinlich zurückgeschoben.

Der Beschwerdeführer habe außer seinen Eltern und einem Bruder noch zwei Onkel väterlicherseits und eine Tante und einen Onkel mütterlicherseits. Sämtliche Angehörigen befänden sich im Iran. In Afghanistan habe der Beschwerdeführer niemanden, Grundstücke habe die Familie keine, im Iran hätten sie in einem Mietshaus gelebt. Vor einer oder eineinhalb Wochen sei der Beschwerdeführer zuletzt mit seiner Mutter in Kontakt gestanden.

Er habe schon als Kind den Iran verlassen wollen, weil es dort für Afghanen sehr schwer gewesen sei.

Der Grund für die Ausreise seiner Familie aus Afghanistan sei gewesen, dass in Afghanistan Hazara verfolgt würden. Er sei selbst Hazara, verfolge die Nachrichten und wisse, welche Möglichkeiten sie hätten und wie sie im Moment dort lebten. Der Beschwerdeführer habe seine Familie noch nie zum Grund für die Ausreise aus Afghanistan befragt, die Verfolgung der Hazara als Ursache dafür sei nur seine eigene Einschätzung.

Nachgefragt, ob der Beschwerdeführer im Iran nach den islamischen Regeln gelebt habe, bejahte er dies. Wie viele andere Afghanen, die in Afghanistan oder im Iran geboren seien, sei er zuvor Moslem gewesen, habe jedoch nie ein großes Interesse daran gehabt, zu beten oder zu fasten. Sein Vater sei ein sehr religiöser Mensch und habe immer darauf bestanden. Wenn er da gewesen sei habe der Beschwerdeführer gebetet und wenn nicht, habe er es unterlassen. Seit seiner Einreise in Österreich habe der Beschwerdeführer keine Moschee mehr besucht, nicht gebetet und auch nicht gefastet. Er glaube an keine Religion.

Für ihn seien schon als Kind die Regeln des Islam fraglich gewesen und er habe keine Antworten dazu gehabt. Gott sage im Koran, dass er die Menschheit durch Adam und Eva erschaffen habe, die im Paradies gewesen und zur Erde geschickt worden seien. An einer anderen Stelle werde gesagt, dass es nicht erlaubt sei, die eigenen Geschwister zu heiraten und der Beschwerdeführer frage sich, wenn Adam und Eva zwei Söhne und Töchter gehabt hätten, wie dann die Menschheit erschaffen worden sei, wenn diese nicht miteinander verheiratet gewesen wären. Als er diese Fragen seinen Lehrern oder Mullahs gestellt habe, hätten sie erwidert, dass er ungläubig geworden wäre und er solle sich mit so etwas nicht befassen. In Anwesenheit seines Vaters bzw. in dessen Nähe habe der Beschwerdeführer so getan, als würde er sich an die Regeln halten, weil er nicht die Beziehung zu ihm kaputtmachen oder ihm die Möglichkeit habe geben wollen, zu schimpfen oder zornig zu werden.

Seitdem er in Österreich sei, habe der Beschwerdeführer weder gebetet noch gefastet. Der Beschwerdeführer sei zu dem Entschluss gekommen, dass die Religion nur dazu diene, Menschen zu kontrollieren, habe dann aber nicht gleich daran gedacht, aus der islamischen Glaubensgemeinschaft auszutreten.

Vorgehalten, der Beschwerdeführer habe vorher angegeben, dass er schon im Iran kein wirkliches Interesse am islamischen Glauben gehabt hätte und trotzdem, wenn er mit seiner Familie beisammen gewesen sei, gebetet und gefastet zu haben. Nachgefragt, wieso jemand, der nicht zu seiner Familie gehöre und ihn gar nicht kenne, mitbekommen solle, dass er kein gläubiger Moslem sei, antwortete der Beschwerdeführer, der Unterschied sei, dass er nun wisse, dass er ein freies Leben haben und seine Meinung äußern könne und wenn er dies zum Beispiel in der afghanischen Gesellschaft tue, würden sie gleich erkennen, dass er nicht an die Religion glaube.

Vor kurzem sei es in der Universität in Kabul zu einem Terroranschlag gekommen, der deswegen passiert sei, weil ein Mullah gesagt habe, es wäre im Islam nicht erlaubt, dass weibliche und männliche Studenten gemeinsam in einer Klasse lernten oder weibliche und männliche Lehrer oder Lehrende gemeinsam Tee trinken. Mit seiner aktuellen Denkweise könne er dort nicht leben.

Der Beschwerdeführer glaube nicht, dass es einen Gott gebe. Im Iran habe er nicht diesen Zugang zum Internet gehabt, den er hier habe. Google, YouTube usw. habe er erst in Österreich kennen gelernt und finde im Internet die Antworten. Der Beschwerdeführer sei immer vom Islam geflüchtet und habe kein wirkliches Interesse daran gehabt. Er habe nach Informationen über Gott und die Religion gesucht und auch die Meinung Darwins über seine Evolutionstheorie gelesen. Diese Theorie wurde vom Beschwerdeführer im Rahmen der Verhandlung näher ausgeführt. Anschließend erklärte er, als er darüber gelesen habe, wie die Erde entstanden sei, die Menschen sich entwickelt hätten, habe dies mehr zu seiner Denkweise gepasst, als die Aussage der Religion über Adam und Eva. Zudem habe er auch Bücher von anderen Schriftstellern wie Richard Dawkins und Daniel Dennett gelesen. Es gebe viele Wissenschaftler, die nicht an Gott glaubten und je mehr man in Richtung der Wissenschaft gehe, desto mehr werde dies bestätigt. Bei einer Rückkehr könne der Beschwerdeführer deshalb niemals wieder die muslimischen Rituale einhalten. Er habe eine ganz andere Denkweise und glaube nicht daran.

Hazaras hätten in Afghanistan keine Chance, würden verfolgt und getötet. Zudem sei die Lage in Afghanistan sehr schlecht. Seine Mutter arbeite alleine und sorge für die Familie, sie könnte den Beschwerdeführer nicht unterstützen.

In Österreich habe der Beschwerdeführer den Hauptschulabschluss gemacht und besuche derzeit die HTL, Zweig Informatik. Auch habe er freiwillig bei der Caritas gearbeitet und speziell an bedürftige Menschen Essen verteilt. Zudem habe er sich für einen B2 Deutschkurs angemeldet und befinde sich auf der Warteliste. Er trainiere in einem Fußballverein, habe bisher viele Leute kennengelernt und pflege guten Kontakt zu seinen Freunden, Schulkollegen und Schulkolleginnen. Wegen der Coronapandemie sei es jetzt weniger geworden. Im Fußballverein würden sie sich in einer gemeinsamen Gruppe gegenseitig schreiben und gingen nach dem Fußballspielen aus.

Seitens der erkennenden Richterin wurde noch mal auf das dem Beschwerdeführer vorab mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelte Informationsmaterial hingewiesen und erklärt, dass aufgrund dieser Berichte die Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen würden. Die anwesenden Parteien erhielten die Möglichkeit, sich dazu zu äußern und zu den bisher behandelten Themengebieten Fragen zu stellen oder weitere Stellungnahmen abzugeben. Sie verzichteten auf eine Stellungnahme und beantragten keine Frist zur Erstattung einer solchen.

11. Am 10.11.2020 langte beim Bundesverwaltungsgericht die aktuelle Schulbesuchsbestätigung des Beschwerdeführers einer HTL vom 9.11.2020 ein.

12. Mit Schriftsatz vom 12.1.2021 wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 16.12.2020, unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zehn Tagen ab Zustellung übermittelt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Das Bundesverwaltungsgericht geht aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem, für die Entscheidung maßgeblichem Sachverhalt aus:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger. Er ist ledig, kinderlos, gehört der Volksgruppe der Hazara an und wurde in der Provinz Ghazni geboren.

Im Kleinkindalter reiste er mit seiner Familie in den Iran aus, wo er im Familienverband (Eltern und Bruder) in Teheran aufwuchs, ca. sechs Jahre eine afghanische Schule besuchte, fünf bis sechs Jahre auf Baustellen tätig war und als Schweißer arbeitete. Der Vater war Landwirt, nunmehr arbeitet die Mutter als Verkäuferin.

Der Beschwerdeführer ist aus innerer Überzeugung vom islamischen Glauben abgefallen. Er konnte glaubhaft machen, dass er nicht nur die muslimischen Glaubensriten – wie Beten und Fasten – sondern auch im muslimischen Glauben fußenden Weltanschauungen ablehnt. Der Beschwerdeführer hat sich auch intensiv mit den Inhalten des Islams beschäftigt und sich vom Islam vor allem auch innerlich abgewandt. Wegen dieser innerlichen Abkehr vom Islam kann es ihm nicht zugemutet werden, diese seine Ansichten im Heimatland zu verbergen und den dort herrschenden muslimischen Glauben bei einer Rückkehr wieder ausüben zu müssen.

Zudem konnte der Beschwerdeführer glaubhaft machen, dass er sein Leben nunmehr aus Überzeugung ohne jegliche Konfession als identitätsstiftendes Merkmal sieht und führt.

1.2. Zur Lage im Herkunftsland:

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan, Stand 16.12.2020, die EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO) und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Schutzsuchender vom 30.8.2018 (siehe Anlagen) stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

2. Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt der belangten Behörde, dem vorliegenden Gerichtsakt und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, vor allem der Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung und dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin dort gewinnen konnte.

2.1. Die oben genannten Feststellungen zu Person und Herkunft des Beschwerdeführers resultieren aus seinen dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verfahrensakten und seinen diesbezüglich einheitlichen und glaubwürdigen Angaben und Sprachkenntnissen.

Die Feststellungen zur Apostasie des Beschwerdeführers beruhen zunächst auf der vorgelegten Religionsaustrittsbestätigung (Punkt I.9.) und vor allem auf dem persönlichen Eindruck, den die erkennende Richterin im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gewinnen konnte, in der der Beschwerdeführer diesbezüglich sehr authentisch und überzeugend wirkte (siehe Punkt I.10.).

Der Beschwerdeführer vermochte darzulegen, dass er sich bereits seit seiner Jugend intensiv mit den Inhalten des Islams und dessen Thematik beschäftigt und die Riten, wie Beten oder Fasten, nur eingehalten hat, um seinen sehr religiösen Vater nicht zu verärgern. So gab er an, für ihn seien schon als Kind die Regeln des Islam fraglich gewesen und er habe keine Antworten gefunden. Gott sage einerseits im Koran, dass er die Menschheit durch Adam und Eva erschaffen habe, die im Paradies gewesen und zur Erde geschickt worden seien, aber an anderer Stelle werde davon gesprochen, dass es nicht erlaubt sei, die eigenen Geschwister zu heiraten. Als sich der Beschwerdeführer gefragt habe, wenn Adam und Eva zwei Söhne und Töchter gehabt hätten, wie dann die Menschheit erschaffen worden sei, wenn diese nicht miteinander verheiratet gewesen wären und er dazu seine Lehrer oder Mullahs befragt habe, hätten diese nur erwidert, er wäre ungläubig geworden und solle sich mit so etwas nicht befassen. Schon wegen dieses Sinns den der Beschwerdeführer im muslimischen Glauben schon früher vermisst habe, habe er auch seitdem er hier in Österreich gelebt habe, nicht nur mehr keine Moschee besucht, sondern sich auch vom Glauben selbst abgewandt.

Dass ihm – im Gegensatz zu seiner Jugend – heute nicht mehr zugemutet werden kann, den Glauben nach außen hin auszuüben, resultiert weiter darauf, dass sich der Beschwerdeführer in Österreich intensiv mit dieser Thematik beschäftigt und sich dadurch seine Ablehnung des Glaubens stark verfestigt hat. So gab er an, im Iran keinen Zugang zum Internet gehabt zu haben, während er hier im Internet die Antworten finde. Er ab an im Internet nach Informationen über Gott und die Religion gesucht und dort auch die Meinung Darwins über seine Evolutionstheorie gelesen zu haben und konnte im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu dieser Theorie nähere Ausführungen tätigen. So erklärte er insbesondere, dass er darüber gelesen habe, wie die Erde entstanden sei und sich die Menschen entwickelt hätten, was vielmehr zu seiner Denkweise passe, als die Aussagen der Religion über Adam und Eva. Auch habe der Beschwerdeführer mittlerweile Bücher von anderen Schriftstellern, wie Richard Dawkins und Daniel Dennett gelesen, es gebe viele Wissenschaftler, die nicht an Gott glauben würden und je mehr man in Richtung der Wissenschaft gehe, desto mehr werde dies bestätigt. Bei einer Rückkehr könne der Beschwerdeführer deshalb niemals wieder die muslimischen Rituale einhalten, um sich vor der andersdenkenden Mehrheit zu schützen. Er habe jetzt eine ganz andere Denkweise und glaube nicht daran.

Diese Ablehnung des Glaubens werde beim Beschwerdeführer überdies dadurch verstärkt, dass es laut den von ihm konsumierten Nachrichten an der Universität in Kabul zu einem Terroranschlag gekommen sei, weil ein Mullah gesagt habe, es wäre im Islam nicht erlaubt, dass weibliche und männliche Studenten gemeinsam in einer Klasse lernten oder weibliche und männliche Lehrer oder Lehrende gemeinsam Tee trinken.

Insgesamt konnte der Beschwerdeführer somit glaubhaft machen, dass er sich intensiv mit Glaubensinhalten und nicht religiösen Weltanschauungen beschäftigt hat und den Islam deswegen umso mehr in der hier relevanten Intensität innerlich ablehnt.

Diese Ablehnung des Glaubens ist mittlerweile zu solch einem Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden, dass nicht erwartet werden kann, seine Ansichten im Heimatland zu unterdrücken und den Glauben, wenn auch nur formell, auszuüben.

2.2. Die getroffenen Feststellungen zur Lage in Afghanistan beruhen auf den angeführten Quellen. Diese Berichte verschiedener anerkannter und zum Teil in Afghanistan agierenden Institutionen, ergeben in ihrer Gesamtheit ein nachvollziehbares und schlüssiges Bild über die Lage im Heimatland des Beschwerdeführers. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Die Länderfeststellungen wurden dem Beschwerdeführer vorgehalten und es wurde ihnen nicht entgegengetreten.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 idgF ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs 1 Z 13 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955 idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.

Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Als Flüchtling im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die "begründete Furcht vor Verfolgung" (VwGH 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).

Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthalts zu begründen (VwGH 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011 ua).

Auch wenn in einem Staat allgemein schlechte Verhältnisse bzw. sogar bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, so liegt in diesem Umstand für sich alleine noch keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Flüchtlingskonvention. Um asylrelevante Verfolgung erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten hinausgeht (vgl. hiezu VwGH 21.01.1999, 98/18/0394; 19.10.2000, 98/20/0233, mwH).

Eine allgemeine desolate wirtschaftliche und soziale Situation kann nach ständiger Judikatur nicht als hinreichender Grund für eine Asylgewährung herangezogen werden (vgl. VwGH vom 17.06.1993, Zl. 92/01/1081; 14.03.1995, Zl. 94/20/0798).

Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach, eine Prognose zu erstellen ist (VwGH 05.11.1992, Zl. 92/01/0792; 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

Die Verfolgung aus Gründen der Religion, wozu auch atheistische Glaubensüberzeugungen zählen, kann zur Gewährung von Asyl führen. Dies ist etwa dann der Fall, wenn der Asylwerber aufgrund seiner atheistischen Lebensweise im Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr läuft, verfolgt zu werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Asylwerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch im Herkunftsstaat leben wird. Die Tatsache, dass einem Asylwerber im Herkunftsstaat etwa aufgrund eines Gesetzes über Apostasie eine Todes- oder Freiheitsstrafe droht, kann für sich genommen eine asylrelevante Verfolgung darstellen, sofern eine solche Strafe in dem Herkunftsland, das eine solche Regelung erlassen hat, tatsächlich verhängt wird (vgl. etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, mwN; 30.04.2020, Ra 2020/18/0124).

Für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie ist jedenfalls Voraussetzung, dass der Revisionswerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird (vgl. VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0395, Rn. 15, mit Verweis auf EuGH 4.10.2018, Bahtiyar Fathi, C-56/17, Rn. 88; 19.05.2020, Ra 2019/14/0599).

Wie in den Feststellungen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung ausgeführt, ist der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung vom Islam abgefallen. Er versteht seine Konfessionslosigkeit als identitätsstiftendes Merkmal und würde sie auch in Afghanistan leben.

Den getroffenen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass der Abfall vom Glauben in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden religiösen Normen führen würde.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse ist daher davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen seiner Religion, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den Beschwerdeführer nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.

3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage Konversion ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.

Schlagworte

Apostasie Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konfessionslosigkeit mündliche Verhandlung religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W174.2184527.1.00

Im RIS seit

31.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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