TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/15 W174 2182299-1

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Veröffentlicht am 15.04.2021
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Entscheidungsdatum

15.04.2021

Norm

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs2
AsylG 2005 §3 Abs3 Z1
AsylG 2005 §3 Abs5
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W174 2182299-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Viktoria MUGLI-MASCHEK, als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.11.2017, Zl. 1096115910-151844552/BMI-BFA_SBG-AST_01_RWAM_03, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 leg.cit wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 24.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Rahmen seiner Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, ledig, schiitischer Moslem zu sein und der Volksgruppe der Sadat bzw. Sayed vom Stamm der Hazara anzugehören. Geboren sei der Beschwerdeführer im Iran, wo er auch aufgewachsen sei und acht Jahre lang die Schule besucht habe. Er sei noch nie in Afghanistan gewesen und habe im Iran als Hilfsarbeiter gearbeitet.

Zu seinem Fluchtgrund erklärte er, den Iran aus Angst vor einer Abschiebung nach Afghanistan verlassen zu haben, sein Vater habe ihn weggeschickt und seine Eltern hätte zuvor Afghanistan wegen des Krieges verlassen.

3. Am 21.11.2017 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt oder belangte Behörde) niederschriftlich einvernommen. Dabei bestätigte er zunächst, im Iran, in Maschad geboren zu sein. Seine Eltern hätten bereits vor 30 Jahren als Jugendliche Afghanistan verlassen, er habe sie nie danach gefragt, aber sie hätten bestimmt ein Problem gehabt. Im Iran lebten neben seinen Eltern und Geschwistern, zwei Onkel väterlicherseits, weitere Verwandte bzw. Angehörige habe der Beschwerdeführer keine. Er habe als einfacher Arbeiter im Iran am Bau gearbeitet und ein wenig Schweißen gelernt.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, seine Aufenthaltsdokumente im Iran seien ca. 2015 ungültig geworden und er sei als er Arbeit von einem Nachbarn, einem Iraner in einem Dorf an der Grenze zwischen Turkmenistan und dem Iran bekommen habe, von einer Grenzpatrouille festgenommen worden. Man habe ihn zur Polizeistation gebracht, er sei geschlagen worden und in eine Gefängniszelle gekommen. Als sein Vater, welcher vom Arbeitgeber des Beschwerdeführers benachrichtigt worden wäre, am nächsten Tag zur Polizeistation gekommen sei, habe der Polizeidirektor die vom Vater mitgebrachten Dokumente des Beschwerdeführers zerschnitten und dem Beschwerdeführer vorgeschlagen, nach Syrien zum Kämpfen zu gehen. Da der Beschwerdeführer die Situation als ausweglos ansah – er habe niemanden in Afghanistan, kenne die Kultur nicht und habe zu seinem Heimatland keinen Bezug und man habe ihm für das Kämpfen Geld und Dokumente versprochen, sei er mit zwei Soldaten nach Mashad, XXXX , in die Moschee XXXX gegangen und habe sich dort für den Krieg registrieren lassen. Sein Vater habe eingewilligt und der Beschwerdeführer hätte am nächsten Tag abgeholt werden sollen. Später habe ihm der Vater gesagt, der Beschwerdeführer müsse Mashad noch in derselben Nacht verlassen. Ein Taxi habe den Beschwerdeführer um ca. 20:00 Uhr abgeholt, dieses habe den Beschwerdeführer nach Teheran gebracht, wo er beim Busterminal von einem Iraner abgeholt worden sei.

Der Beschwerdeführer habe deshalb nach Europa, insbesondere Schweden gewollt, weil es dort keinen Krieg gebe, er sei zunächst in Deutschland gewesen, aber dann nach Österreich zurückgekommen.

Weiters gab der Beschwerdeführer an weder aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit, noch seiner Religion verfolgt worden zu sein.

Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan wisse der Beschwerdeführer nicht, ob er mit unmenschlichen Strafen, einem Gefängnisaufenthalt oder der Todesstrafe zu rechnen habe.

Vorgelegt wurde ein ÖSD Zertifikat A1 vom 19.06.2017, Kursbestätigungen der Volkshochschule für Deutsch für Asylwerbende A 1/1, A 1/2 und A 2/1 von 13.04.2016 bis 03.11.2017, eine Bestätigung des ÖIF vom 23.03.2017 über den Besuch einer Informationsveranstaltung, ein Nachweis der Caritas Salzburg vom 05.11.2017 über das freiwillige ehrenamtliche Engagement des Beschwerdeführers bei der Betreuung von Obdachlosen sowie Bestätigungen der Österr. Roten Kreuzes Salzburg vom 17.07.2017 und des Malteser Hospitaldienst Austria vom 01.08.2017 über die freiwillige und ehrenamtliche Mitarbeit des Beschwerdeführers bei den genannten Organisationen.

4. Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V). Unter Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Begründend wurde im Wesentlichen festgestellt, dass vom Beschwerdeführer keine Fluchtgründe vorgebracht bzw. glaubhaft gemacht worden seien, weshalb sein Antrag auf internationalen Schutz abzulehnen gewesen sei.

6. Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben. In dieser wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen des Beschwerdeführers wiederholt und vorgebracht, dass infolge der mangelhaften Befragung im Sinne des § 18 Abs. 1 Asylgesetz durch die belangte Behörde der Beschwerdeführer nicht darlegen habe können, dass er sich bereits im Iran und nun verstärkt in Österreich für einen „westlichen“ Lebensstil entschieden habe, ein freies und selbstbestimmtes Leben, welches nicht von Moralvorstellungen geleitet sei führe und dass ein solches Leben in Afghanistan unter keinen Umständen möglich wäre. Der Beschwerdeführer kleide sich „westlich“ und habe auch ein liberales Verständnis von Partnerschaft.

Zudem wäre er als „westlich orientierter“ Mann bzw. als Rückkehrer aus dem Westen, der die traditionellen und religiösen Moralvorstellungen ablehne in Afghanistan jedenfalls einer Verfolgung ausgesetzt. Der Beschwerdeführer lehne die sozio-kulturelle und religiös geprägten Wertvorstellungen in Afghanistan ab und habe sich von seiner Religion distanziert, er praktiziere seinen Glauben nicht mehr, ihm drohe in Afghanistan eine unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung sowie eine Verletzung seines Rechts auf Leben.

7. Am 12.6.2018 langten beim Bundesverwaltungsgericht langten vom Österr. Roten Kreuz ausgestellte Unterlagen in Kopie ein, nämlich ein Zertifikat vom 25.5.2018 über die erfolgreiche Absolvierung der Qualifizierung zur Gastronomiehilfskraft und die Bescheinigung vom 21.3.2018 über die erfolgreiche Teilnahme am Erste-Hilfe-Grundkurs.

8. Am 1.10.2020 wurde die zeugenschaftliche Einvernahme des Pfarrers der Gemeinde XXXX in XXXX Wien zum Beweis der Konversion des Beschwerdeführers zum christlichen Glauben beantragt. Unter einem wurde ein den Beschwerdeführer betreffendes Taufzertifikat vom 01.07.2018 in Kopie vorgelegt.

9. Am 8.10.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht im Beisein eines Dolmetschers für die Sprache Farsi eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm.

Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen zunächst, dass er ledig, gesund und afghanischer Staatsangehöriger sei. Er gehöre zum Stamm der Sayed (auch Sadat genannt), zur Volksgruppe der Hazara, stamme aus der Provinz Bamyan und von einer schiitischen Familie ab, sei aber jetzt Christ. Seine Eltern hätten vor ca. 35 Jahren Afghanistan verlassen, er selbst sei im Iran geboren und dort aufgewachsen, deshalb spreche er auch Farsi.

Befragt dazu, ob der Beschwerdeführer seine Identität nachweisen könne, gab der Beschwerdeführer an, er habe keine Tazkira, weil er im Iran geboren sei und jene Dokumente – es habe sich um eine Aufenthaltskarte für den Iran, welche seine Familie und er selbst erhalten hätten, gehandelt, welche sie deshalb erhalten hätten, weil sie schon mehr als 30 Jahre dort aufhältig gewesen seien – seien von der Grenzpolizei im Sommer 2015 im Iran zerschnitten worden.

Die Familie des Beschwerdeführers sowie die Verwandten, soweit sie noch lebten, hielten sich alle im Iran auf. Er selbst habe im Iran acht Jahre lang eine staatliche Schule besucht, für das Schulgeld hätten sein Vater und er selbst gearbeitet. Er habe keine Ausbildung, aber bei seinem Onkel väterlicherseits als Schweißer gearbeitet.

Der Beschwerdeführer habe noch niemals Kontakte nach Afghanistan gehabt und der letzte Kontakt zu seiner Familie datiere ungefähr vom 8.7.2018, als er sich als Christ habe taufen lassen. Seine Religion, das Christentum könne der Beschwerdeführer nicht leugnen, denn in

Matthäus 28, Vers 19 und 20 stehe: „Wer mich (gemeint Gott der Vater) leugnet, den leugne ich.“. Die Aufgabe des Beschwerdeführers als Christ sei es, auch andere zum Christentum einzuladen und ihnen die frohe Botschaft zu überbringen. Wenn der Beschwerdeführer dies in Afghanistan mache, würde er als Ungläubiger bezeichnet und getötet.

Die Eltern des Beschwerdeführers wären streng religiös und hätten immer gewollt, dass der Beschwerdeführer bete und faste. Die Mutter hätte die Moschee seltener besucht, aber der Vater hätte den Beschwerdeführer immer mitgenommen, wenn er in die Moschee gegangen sei. Der Vater sei drei bis vier Abende in der Woche in die Moschee gegangen und die Familie habe im Iran täglich dreimal gebetet.

Die Religion sei für den Beschwerdeführer wichtig, sehr wichtig sei dabei für ihn, was Jesus Christus gesagt habe. Vom Christentum habe er zum ersten Mal hier (gemeint Österreich) im Frühjahr/Frühling 2018 gehört. Damals habe sich der Beschwerdeführer die Frage gestellt, warum die Christen nicht täglich beten und das Fasten einhalten würden und warum die Muslime extreme Gebetsrieten hätten wie zB sich selbst zu schlagen. Ungefähr im Sommer 2018 habe ihn dann ein Freund, der Christ sei, eingeladen, zur Kirche zu gehen.

Das Besondere am christlichen Glauben sei für den Beschwerdeführer, dass Jesus Christus ein liebender und lebender Gott sei. Seine Informationen zum Christentum, habe der Beschwerdeführer zuvor vom Pastor erhalten, bei welchem der Beschwerdeführer ab April 2018 zweimal im Monat am Sonntag einen Kurs in Farsi besucht habe. Weitere Kurse hätten in den Wohnungen/Häusern stattgefunden. Fragen die für den Beschwerdeführer im Zuge des Lesens seiner Bibel auftauchen würden, hätten ihm entweder die anderen Kursteilnehmer, die schon mehr über das Christentum gewusst hätten oder der Pastor beantwortet. Aktuell halte der Pastor einmal monatlich den Kurs ab, daneben gebe es über Telegram auch Onlinekurse.

Der Beschwerdeführer poste auch auf einem öffentlichen Account religiöse Inhalte auf Instagram, früher unter seinem Namen und mittlerweile unter dem Namen „ XXXX “. Er liebe XXXX aus dem Heiligen Buch und deswegen diesen Namen gewählt.

In weiterer Folge beantwortete der Beschwerdeführer diverse Fragen zum Inhalt der christlichen Religion, wie zB dem Aufbau der Bibel, den 10 Gebote, dem apostolischen Glaubensbekenntnis, den Sakramenten und der Bedeutung von Nächstenliebe, Versöhnung und Vergebung. Dabei gab der Beschwerdeführer insbesondere an, dass er auch Personen, die ihm selbst oder einem Mitglied seiner Familie Schaden zugefügt hätten bzw. würden, jedenfalls vergebe.

Die Taufe des Beschwerdeführers habe am XXXX stattgefunden. Dabei habe er sich als neu geboren und sehr glücklich gefühlt, weil ihm alle seine Sünden vergeben worden seien. Dieser symbolische Akt bestätige den Christen in seinem Glauben. Alle wüssten, dass der Beschwerdeführer jetzt Christ sei, seine Eltern, die Familie und seine Freunde.

Der Beschwerdeführer wäre nicht bereit, sich von Jesus Christus wieder abzuwenden, denn die einzige Sünde, die nicht vergeben werde sei, wenn man Jesus Christus nicht als Teil Gottes ansehe und sich von ihm abwende.

Vorgelegt wurden eine Bestätigung der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vom 8.7.2019, wonach der Beschwerdeführer kein Mitglied der Islamischen Glaubensgemeinschaft ist, eine Bestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers am Bibelkurs vom 4.9.2020, eine Bestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers am „Online Jüngerschaftskurs“ vom 10.9.2020 und das Zeugnis der Externistenprüfungskommission über die Pflichtschul-abschlussprüfung des Beschwerdeführers vom 8.7.2020.

Als Zeuge wurde der Pfarrer der Gemeinde XXXX einvernommen. Im Zuge der Befragung gab dieser an, den Beschwerdeführer vor etwas über zwei Jahren in Salzburg kennengelernt zu haben, der Beschwerdeführer sei ein Mitglied der Gemeinde in Salzburg. Anfangs sei der Zeuge wöchentlich in Salzburg gewesen, seit Anfang des Jahres komme er nur mehr einmal monatlich dorthin. In dieser Zeit sei der Beschwerdeführer bei den Anbetungen und bei den Messen regelmäßig anwesend gewesen, sei immer sehr freudig bei der Sache gewesen und habe sich auch durch Fragen eingebracht. Der Zeuge sei überzeugt, dass der Beschwerdeführer ein überzeugter Christ sei, es gebe dort ca. 20 Leute und wenn man diese miteinander vergleiche, steche der Beschwerdeführer sehr positiv in dem Sinne heraus, dass er Freudigkeit und den Frieden ausstrahle. Getauft werde jemand nur, wenn er das Evangelium verstehe, wisse wer Jesus sei und willig sei von Jesus zu lernen sowie verstehe, was in der Taufe geschehe. Der Beschwerdeführer sei ein Kind Gottes, vom Gesamteindruck handle es sich beim ihm um einen ernsthaften Christen.

Die erkennende Richterin wies nochmal auf das vorab mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung übermittelte Informationsmaterial hin und übergab ergänzend Unterlagen betreffend die Konversion zum christlichen Glauben („Richtlinien der österr. Bischöfe zum Katechumenat von Asylwerbern“, veröffentlicht im Amtsblatt der Österreichischen Bischofskonferenz, Nr. 64/ 1. Februar 2015, „Taufvorbereitung für Erwachsene in der Erzdiözese Wien“, Stand 24.9.2019, „Gegenüberstellung Katholisch? Evangelisch?“, Karl Veitschegger 1999/2000, „Resolution der Generalsynode der Evangelischen Kirche A.B. u. H.B. in Österreich betreffend Verfolgung aufgrund von Konversion zum Christentum als Asylgrund“ vom 7.12.2019). Sie erklärte insbesondere das Zustandekommen der Länderberichte, der UNHCR-Richtlinien und EASO-Guidelines und dass aufgrund dieser Berichte die Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers und seiner Konversion getroffen würden. Die anwesenden Parteien erhielten die Möglichkeit, sich dazu zu äußern und zu den bisher behandelten Themengebieten Fragen zu stellen oder weitere Stellungnahmen abzugeben.

Der Beschwerdeführer verzichtete auf eine weitere Stellungnahme.

10. In einer Stellungnahme vom 19.10.2020 wurde im Wesentlichen das bisherige Vorbringen nochmals zusammengefasst und insbesondere konkretisiert, dass der Beschwerdeführer sich seit über zwei Jahren intensiv mit dem christlichen Glauben befasst habe, regelmäßig an Bibel- und Jüngerkurs sowie an den sonntäglichen Gebetsrunden und monatlichen Messen teilnehme.

11. Mit Schriftsatz vom 12.1.2021 wurde dem Beschwerdeführer das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 16.12.2020, unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zehn Tagen ab Zustellung übermittelt. Der Beschwerdeführer verzichtete auf eine weitere Stellungnahme.

12. Am 4.2.2021 langte beim Bundesverwaltungsgericht die Vollmacht der BBU GmbH betreffend die Vertretung des Beschwerdeführers ein.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

1.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Hazara an.

Er stammt aus der Provinz Bamyan, seine Eltern verließen vor ca. 35 Jahren Afghanistan, der Beschwerdeführer wurde im Iran geboren, wuchs dort mit seiner Familie auf, besuchte acht Jahre lang eine staatliche Schule und arbeitete als Bauhilfsarbeiter und Schweißer.

Im Jahr 2015 verließ der Beschwerdeführer infolge Probleme mit der iranischen Grenzpolizei den Iran und reiste nach Europa, wollte zunächst nach Schweden und kam über Deutschland bis nach Österreich.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2.    Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer konvertierte vom moslemischen (schiitischen) zum christlichen (evangelischen) Glauben und wurde am 1.7.2018 nach dem Besuch eines zweimal monatlich durchgeführten Vorbereitungskurses getauft.

Seit über zwei Jahren beschäftigt sich der Beschwerdeführer intensiv mit dem christlichen Glauben und nimmt regelmäßig an Bibel- und Jüngerachaftskurs sowie an den sonntäglichen Gebetsrunden und monatlichen Messen teil. Im Juli 2019 trat der Beschwerdeführer hier in Österreich aus der islamischen Glaubensgemeinschaft aus.

Der Beschwerdeführer hat sich aus innerer Überzeugung vom schiitischen Glauben ab- und dem christlichen (evangelischen) Glauben zugewandt.

Der christliche Glaube ist zu einem solchen Bestandteil seiner Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

Beim Beschwerdeführer handelt es sich insgesamt um einen religiösen, dem christlichen Glauben zugewandten und diesen auch täglich lebenden Menschen.

1.3.    Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan Stand 16.12.2020, die EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO), die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des Internationalen Schutzbedarfs Afghanischer Schutzsuchender vom 30.8.2018, der EASO Special Report: Asylum Trends an Covid-19 in dem ua. auch die Lage in Afghanistan enthalten ist, die Richtlinien der österr. Bischöfe zum Katechumenat von Asylwerbern, vom 1.2.2015 und die Taufvorbereitung für Erwachsene in der Erzdiözese Wien, Stand 24.9.2019, die Gegenüberstellung Katholisch? Evangelisch? von Karl Veitschegger 1999/2000 sowie die Resolution der Generalsynode der Evangelischen Kirche A.B. u. H.B. in Österreich betreffend Verfolgung aufgrund von Konversion zum Christentum als Asylgrund vom 7.12.2019 (siehe Anlagen) stellen einen integrierten Bestandteil dieses Erkenntnisses dar und werden als Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat herangezogen.

2.       Beweiswürdigung:

Die getroffenen Feststellungen ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungs- und Gerichtsakt und dem vom Bundesverwaltungsgericht durchgeführten Ermittlungsverfahren, insbesondere der Einvernahme des Beschwerdeführers sowie der Zeugen in der mündlichen Verhandlung und den vorgelegten Empfehlungsschreiben und Bestätigungen.

2.1.    Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seinem bisherigen Lebenslauf, seinem Aufwachsen sowie seiner familiären Situation und Berufserfahrung im Iran gründen sich auf seine diesbezüglich übereinstimmenden und glaubhaften Angaben.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2.    Zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Konversion des Beschwerdeführers beruhen auf dem Taufschein des Beschwerdeführers vom Juli 2018, der unter Punkt I.9. detailliert wiedergegebenen Einvernahme des Beschwerdeführers und den Zeugenangaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf den vorgelegten Teilnahmebestätigungen (Bestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers am Bibelkurs vom 4.9.2020, Bestätigung über die Teilnahme des Beschwerdeführers am „Online Jüngerschaftskurs“ vom 10.9.2020).

Der Beschwerdeführer konnte insgesamt glaubhaft machen, dass er auch nach der Taufe weiterhin aktives Mitglied der Pfarrgemeinde ist, in welcher er seine Taufe erhalten hat. Zudem besucht er bereits jahrelang regelmäßig den Bibel- und Jüngerschaftskurs sowie den Gottesdienst seiner Pfarrgemeinde, wobei er intensiv und aktiv in diesen Kursen mitarbeitet und auch anderen Interessierten die Botschaft von Jesus Christus nahe zu bringen bemüht ist.

Bekräftigt wurden das kirchliche Engagement des Beschwerdeführers, wie auch dessen innere Überzeugung durch die ausführliche Einvernahme des Zeugen in der mündlichen Verhandlung (Punkt I.9.).

Der als Zeuge einvernommene Pastor der Gemeinde XXXX gab betreffend den Beschwerdeführer insbesondere an, ihn bereits seit zwei Jahren zu kennen, wobei dieser stets Gemeindemitglied gewesen sei. Bei den Anwesenheiten des Zeugen in der Pfarre der Gemeinde XXXX in XXXX – zuvor sei dies wöchentlich und seit Beginn 2020 einmal monatlich gewesen – sei der Beschwerdeführer immer bei den Anbetungen und den Messen sehr freudig und aktiv dabei gewesen. Dass es sich beim Beschwerdeführer um einen überzeugten Christen handle, ergebe sich für den Zeugen ua. daraus, dass der Beschwerdeführer, wenn der Zeuge ihn mit dort ca. zwanzig anderen Anwesenden vergleiche, sehr positiv heraussteche. Getauft werde jemand nur, wenn er das Evangelium verstehe, wisse wer Jesus sei und willig sei von Jesus zu lernen sowie verstehe, was in der Taufe geschehe. Der Zeuge sehe im Beschwerdeführer ein Kind Gottes, vom Gesamteindruck handle es sich bei ihm um einen ernsthaften Christen.

All dies wird durch den persönlichen Eindruck bestätigt, den die erkennende Richterin im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gewinnen konnte (siehe Punkt I.9). Der Beschwerdeführer vermochte darzulegen, dass er sich intensiv mit dem christlichen Glauben identifiziert und diesen aus innerer Überzeugung im Alltag praktiziert, in der Bibel liest, regelmäßig den Gottesdienst besucht, auch selbst die Messe hält, sich nach wie vor ständig in der christlichen Glaubenslehre weiterbildet und bereits überein umfassenden und detailreiches Wissen der christlichen Glaubenslehre verfügt, welche er auch stets bemüht ist anderen zu überbringen. Er lebt seinen christlichen Glauben offen nicht allein in persönlichen Begegnungen, sondern auch in den sozialen Medien aus.

In einer Gesamtschau ist der christliche Glaube zu solch einem Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden, dass nicht erwartet werden kann, seine Ausübung im Heimatland zu unterdrücken.

2.3.    Zur Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf die zitierten Länderberichte. Da diese aktuellen Länderberichte auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruhen und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche bieten, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der herangezogenen Länderinformationen zu zweifeln. Die den Feststellungen zugrundeliegenden Länderberichte sind in Bezug auf die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan aktuell. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich durch Einsichtnahme in die jeweils verfügbaren Quellen (u.a. laufende Aktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation) davon versichert, dass zwischen dem Stichtag der herangezogenen Berichte und dem Entscheidungszeitpunkt keine wesentliche Veränderung der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan eingetreten ist. Die in der Beschwerde zitierten Länderberichte sind durch die aktuellen, in den Feststellungen zitierten Länderinformationen überholt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zuständigkeit und verfahrensrechtliche Grundlagen:

Gemäß § 6 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 in der geltenden Fassung entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, liegt gegenständlich die Zuständigkeit der nach der geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichts zuständigen Einzelrichterin vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte ist mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts durch das Verwaltungsgerichtsverfahrens (VwGVG) geregelt. Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG idgF bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zweck des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG idgF sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art 130 Abs 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 7 Abs 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß §§ 16 Abs 6 und 18 Abs 7 BFA-VG idgF sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.

3.2. Zu Spruchpunkt A)

3.2.1. § 3 Asylgesetz 2005 (AsylG) lautet auszugsweise:

„Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

(2) Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe). Einem Fremden, der einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23) stellt, wird in der Regel nicht der Status des Asylberechtigten zuerkannt, wenn die Verfolgungsgefahr auf Umständen beruht, die der Fremde nach Verlassen seines Herkunftsstaates selbst geschaffen hat, es sei denn, es handelt sich um in Österreich erlaubte Aktivitäten, die nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind.

(3) Der Antrag auf internationalen Schutz ist bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn
1.         dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11) offen steht oder
2.         der Fremde einen Asylausschlussgrund (§ 6) gesetzt hat.

…“

3.2.2. Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder der staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt also dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG liegt es am Beschwerdeführer, entsprechend glaubhaft zu machen, dass ihm im Herkunftsstaat eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht.

Nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr kann relevant sein, diese muss im Entscheidungszeitpunkt vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH 01.06.1994, Zl. 94/18/0263; 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH 22.03.2000, Zl. 99/01/0256). Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor der konkreten Verfolgung findet (VwGH 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. "inländische Fluchtalternative" vor. Der Begriff "inländische Fluchtalternative" trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH 08.09.1999, Zl. 98/01/0503 und Zl. 98/01/0648).

3.2.3. Wie in den Feststellungen im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung ausgeführt, wandte sich der Beschwerdeführer aus innerer Überzeugung vom Islam ab und dem Christentum zu, das er auch aktiv lebt. Bereits im Juli 2018 wurde er getauft.

Der christliche Glaube ist zu einem solchen Bestandteil seiner Identität geworden, dass nicht erwartet werden kann, dieses Verhalten im Heimatland zu unterdrücken.

Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (Hinweis E vom 24. September 2014, Ra 2014/19/0084, mit Verweis auf die Erkenntnisse vom 17. September 2008, 2008/23/0675, und vom 14. November 2007, 2004/20/0485, sowie auf das Erkenntnis des VfGH vom 12. Dezember 2013, U 2272/2012). (VwGH 23.6.2015, Ra 2014/01/0117; VwGH 24.9.2014, Ra 2014/19/0084).

Eine Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH 09.03.1999, Zahl 98/01/0370; 22.10.2002, Zahl 2000/01/0322).

Für die Asylgewährung ist maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsse, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (vgl. VwGH 24.10.2001, 99/20/0550, und 17.10.2002, 2000/20/0102; 30.9.2004, 2001/20/0531). In gleichem Sinne hat der VwGH bereits in seinem Erk. vom 31.5.2001, 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigten Konversion zum Christentum zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse. [VwGH 30.6.2005, 2003/20/0544 (Verfolgung von zum Christentum konvertierenden Personen im Iran); VwGH 11.11.2009 2008/23/0721; VwGH 14.11.2007, 2004/20/0215; VwGH 14.11.2007, 2004/20/0485, u.v.a.; VwGH 23.6.2015, Ra 2014/01/0120 (Verfolgung von zum Christentum konvertierenden Personen in Marokko)].

Den getroffenen Länderfeststellungen ist zu entnehmen, dass das Praktizieren des neuen christlichen Glaubens in Afghanistan zu einer asylrelevanten Verfolgung wegen Nichtbeachtung der herrschenden religiösen Normen führen würde.

Auf Grund der Ermittlungsergebnisse, insbesondere deren Würdigung im Lichte der zuvor dargestellten Anforderungen nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung ist daher davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung, nämlich aus Gründen seiner Religion, außerhalb Afghanistans befindet und im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

Eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht für den Beschwerdeführer nicht, weil im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan von einer derartigen Verfolgung auszugehen wäre.

3.2.4. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Deshalb war spruchgemäß zu entscheiden.
3.3. Zu Spruchpunkt B)

Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG im vorliegenden Fall nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Zudem ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen oder es steht in vielen Punkten die Tatfrage im Vordergrund.

Schlagworte

Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W174.2182299.1.00

Im RIS seit

31.08.2021

Zuletzt aktualisiert am

31.08.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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