Entscheidungsdatum
27.04.2021Norm
AsylG 2005 §11Spruch
W186 2171787-1/17E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Judith PUTZER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehöriger von Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.08.2017, Zl. 1089744409-151481859, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 15.03.2021 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX gem. § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Gem. § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF) reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 03.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag wurde er vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt:
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, sein Vater sei Taxifahrer gewesen und eines Tages beraubt und getötet worden. Sein Vater habe bis dahin die Familie versorgt. Um die Familie wieder ernähren zu können, sei der BF in den Iran ausgereist, um dort zu arbeiten und Geld zu verdienen. Im Iran habe er illegal gelebt, weshalb er keine Rechte gehabt habe. Er habe nicht arbeiten können und sei ständig in Gefahr gelaufen, in den Krieg nach Syrien geschickt zu werden. Deshalb habe er beschlossen, den Iran zu verlassen.
Am 29.08.2017 wurde der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen, wobei er zwar im Wesentlichen seine im Zuge der Erstbefragung angegebenen Fluchtgründe bestätigte, es allerdings dabei auch zu einigen Widersprüchen kam. Er gab zusätzlich an, früher Muslim, nun jedoch Christ zu sein. Daraufhin wurde der BF ausführlich zu seiner Glaubenseinstellung befragt.
Mit gegenständlichem Bescheid des Bundesamtes vom 30.08.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz vom 03.10.2015 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gem. § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gem. § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gem. § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gem. § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen sowie gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist für eine freiwillige Ausreise des BF mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
Begründend wurde ausgeführt, der BF habe seinen Herkunftsstaat ausschließlich aus wirtschaftlichen Gründen verlassen, eine asylrelevante Verfolgung habe für ihn in Afghanistan zu keiner Zeit bestanden. Zudem sei es seiner Familie nach wie vor möglich, in ihrer Heimatprovinz zu leben und ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Die vorgebrachte Konversion in Österreich sei als Scheinkonversion einzustufen, dem BF sei es nicht gelungen, das Bundesamt von der Ernsthaftigkeit seines Vorbringens zu überzeugen.
Gegen diesen Bescheid erhob der BF am 15.09.2017 fristgerecht Beschwerde, in welcher im Wesentlichen dessen inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden. Der BF sei in Österreich zum Christentum konvertiert, weshalb ihm im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan asylrelevante Verfolgung drohen würde. Zudem würde ihm auch aufgrund der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara asylrelevante Verfolgung drohen.
Am 27.09.2017 wurde die Beschwerde inklusive der mit ihr in Bezug stehenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.
Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 25.09.2018 wurde die gegenständliche Rechtssache der Gerichtsabteilung W124 abgenommen und der Gerichtsabteilung W186 neu zugewiesen.
Am 15.03.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Beschwerdeverhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari sowie eines länderkundigen Sachverständigen statt, in welcher der BF ausführlich zu seiner Glaubenseinstellung befragt wurde. Das Bundesamt blieb der Verhandlung entschuldigt fern.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Der BF führt den Namen XXXX , wurde am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger von Afghanistan. Er gehört der Volksgruppe der Hazara an, seine Muttersprache ist Dari.
Der BF ist verheiratet, seine Frau und sein jüngerer Bruder leben bei seinem Schwiegervater in Afghanistan, zu denen er selten Kontakt pflegt. Der BF besuchte in Afghanistan ein Jahr lang die Schule, in Österreich absolviert er aktuell eine Lehre als Koch, die Beschäftigungsbewilligung wurde vom AMS vom 08.08.2021 bis 07.05.2022 verlängert. Er nahm in Österreich regelmäßig an integrationsfördernden Maßnahmen teil.
Der BF wurde in Afghanistan als Muslim geboren, jedoch am 06.05.2018 vom „R.K. Pfarramt der Stiftsbasilika Rein“ getauft.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zur Konversion
Der BF wurde als Muslim geboren, konvertierte jedoch in Österreich vom Islam zum Christentum und wurde am 06.05.2018 vom „R.K. Pfarramt der Stiftsbasilika Rein“ getauft. Seither nimmt er regelmäßig an den Gottesdiensten bzw. an den Sitzungen einer Bibelgruppe teil und praktiziert seinen Glauben aktiv nach außen, sodass dies auch für andere Menschen erkennbar ist. Sein Glaube nimmt eine zentrale Stellung in seinem Leben ein, der BF ist aktiv am christlichen Leben seiner Pfarrgemeinde beteiligt.
Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan würde der BF nicht zum Islam zurückkehren, sondern weiterhin Christ bleiben.
1.3. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan
Im Entscheidungszeitpunkt kann im Hinblick auf die aktuelle Lage in Afghanistan für als Muslime Geborene und in der Folge für vom Islam Abgefallene und zum Christentum Konvertierte nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausgeschlossen werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan aufgrund seiner nunmehr christlichen Religion und seiner damit verbundenen Lebensweise einer asylrelevanten Verfolgung unterliegt.
Dem BF steht als vom Islam zum Christentum Konvertierter keine innerstaatliche Fluchtalternative offen.
1.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan
Auszug aus dem COI-CMS Afghanistan generiert am 01.04.2021:
Religionsfreiheit
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.7.2020; vgl. CIA 6.10.2020, USDOS 10.6.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020).
Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020).
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020). Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).
Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).
Apostasie, Blasphemie, Konversion
Glaubensfreiheit, die auch eine freie Religionswahl beinhaltet, gilt in Afghanistan de facto nur eingeschränkt. Die Abkehr vom Islam (Apostasie) wird nach der Scharia als Verbrechen betrachtet, auf das die Todesstrafe steht (FH 4.3.2020; vgl. AA 16.7.2020, USDOS 10.6.2020).
Afghanische Christen sind in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen (AA 16.7.2020). Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam (LIFOS 21.12.2017). Jeder Konvertit soll laut islamischer Rechtsprechung drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden. Ein Richter kann eine mildere Strafe verhängen, wenn Zweifel an der Apostasie bestehen. Auch kann die Regierung das Eigentum des/der Abtrünnigen konfiszieren und dessen/deren Erbrecht einschränken. Des Weiteren ist gemäß hanafitischer Rechtsprechung Missionierung illegal. Dasselbe gilt für Blasphemie, die in der hanafitischen Rechtsprechung unter die Kapitalverbrechen fällt (USDOS 10.6.2020) und auch nach dem neuen Strafgesetzbuch unter der Bezeichnung „religionsbeleidigende Verbrechen“ verboten ist (MoJ 15.5.2017: Art. 323).
Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020); jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertierten, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020) Die afghanische Regierung scheint kein Interesse daran zu haben, negative Reaktionen oder Druck hervorzurufen (LIFOS 21.12.2017; vgl. RA KBL 10.6.2020) - weder vom konservativen Teil der afghanischen Gesellschaft, noch von den liberalen internationalen Kräften, die solche Fälle verfolgt haben (LIFOS 21.12.2017). Es kann jedoch einzelne Lokalpolitiker geben, die streng gegen mutmaßliche Apostaten vorgehen und es kann auch im Interesse einzelner Politiker sein, Fälle von Konversion oder Blasphemie für ihre eigenen Ziele auszunutzen (LIFOS 21.12.2017).
Allein der Verdacht, jemand könnte zum Christentum konvertiert sein, kann der Organisation Open Doors zufolge dazu führen, dass diese Person bedroht oder angegriffen wird (AA 16.7.2020). Die afghanische Gesellschaft hat generell eine sehr geringe Toleranz gegenüber Menschen, die als den Islam beleidigend oder zurückweisend wahrgenommen werden (LIFOS 21.12.2017; vgl. FH 4.3.2020). Obwohl es auch säkulare Bevölkerungsgruppen gibt, sind Personen, die der Apostasie beschuldigt werden, Reaktionen von Familie, Gemeinschaften oder in einzelnen Gebieten von Aufständischen ausgesetzt, aber eher nicht von staatlichen Akteuren (LIFOS 21.12.2017). Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020).
Abtrünnige haben Zugang zu staatlichen Leistungen; es existiert kein Gesetz, Präzedenzfall oder Gewohnheiten, die Leistungen für Abtrünnige durch den Staat aufheben oder einschränken. Sofern sie nicht verurteilt und frei sind, können sie Leistungen der Behörden in Anspruch nehmen (RA KBL 10.6.2020).
2. Beweiswürdigung
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Die Feststellungen hinsichtlich des Namens des BF, seines Geburtsdatums, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppenzugehörigkeit sowie seiner Muttersprache werden anhand seiner glaubhaften, gleichbleibenden Angeben im Zuge des Verfahrens getroffen.
Die Feststellungen hinsichtlich seiner familiären Umstände in Afghanistan und seiner Ausbildung sowohl in Afghanistan als auch in Österreich gründen sich auf seine eigenen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 15.03.2021.
Die Feststellungen, dass er aktuell eine Lehre als Koch absolviert und die Beschäftigungsbewilligung vom AMS vom 08.08.2021 bis 07.05.2022 verlängert worden ist, erfolgt anhand der im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorgelegten Dokumente.
Die Feststellung hinsichtlich der Teilnahme an integrationsfördernden Maßnahmen des BF stützt sich auf die zahlreichen im Verwaltungsakt einliegenden Bestätigungen und Schreiben.
Die Feststellung, dass der BF als Muslim geboren worden ist, ergibt sich anhand seiner eigenen Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 15.03.2021, die Feststellung hinsichtlich seiner Taufe vom „R.K. Pfarramt der Stiftsbasilika Rein“ am 06.05.2018 aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Taufschein.
Die Feststellung hinsichtlich der strafrechtlichen Unbescholtenheit des BF wird anhand des eingeholten Strafregisterauszugs vom 21.04.2021 getroffen.
2.2. Zur Konversion
Die Feststellungen hinsichtlich der Hinwendung des BF zum Christentum in Österreich stützen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 15.03.2021, dass er regelmäßig an den christlichen Gottesdiensten bzw. an den Sitzungen einer Bibelgruppe teilnimmt und seinen Glauben für andere Menschen wahrnehmbar nach außen praktiziert. Diese Angaben werden auch durch eine im Verwaltungsakt einliegende schriftliche Stellungnahme eines Paters des Zisterzienserstifts Rein bestätigt, wonach der BF nach einem zweijährigen Katechumenat die Sakramente der Taufe und der Erstkommunion im Mai 2018 sowie das Sakrament der Firmung im April 2019 erhalten, an einer abschließenden Sternwallfahrt teilgenommen habe sowie regelmäßig zu den monatlichen geistlichen Gesprächsrunden ins Stift Rein komme.
Anhand der Ausführungen des Paters ist die Konversion des BF zum Christentum somit aus tiefster innerer Überzeugung erfolgt, was er im Sinne eines „pastoralen Gutachtens“ bestätigt hat. In diesem Zusammenahng ist explizit darauf hinzuweisen, dass es zu den Kompetenzen eines Paters gehört, die Aufrichtigkeit des Taufwunsches bzw. der Zuwendung zur Gemeinde zu prüfen. Er macht dies gewissenhaft - andernfalls würden ihm disziplinarrechtliche Konsequenzen drohen. Zudem kann anhand des mehrjährigen Prozesses der Taufvorbereitung davon ausgegangen werden, dass innerhalb der römisch-katholischen Kirche ein gewisser interner Standard besteht.
Der BF konnte im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlungen zudem glaubhaft und nachvollziehbar darlegen, wie er in Österreich im Zuge des Erlernens der deutschen Sprache mit dem Christentum in Berührung gekommen war (Verhandlungsprotokoll 15.03.2021, S 6 f). Weiters konnte er christliche Feiertage nennen, über die „Emmaus-Wege“ berichten (Verhandlungsprotokoll 15.03.2021, S 8) und auch einzelne Sakramente erklären (Verhandlungsprotokoll 15.03.2021, S 11). Im Zuge seiner Befragung über die Taufvorbereitung verwendete der BF das facheinschlägige Wort „Katechumenat“ (Verhandlungsprotokoll 15.03.2021, S 7). Schließlich würde er seine eigenen Kinder, sollte er in Zukunft welche haben, in die Kirche mitnehmen, wenn sie jedoch erwachsen seien, dürften sie selber ihre Entscheidung treffen (Verhandlungsprotokoll 15.03.2021, S 9).
Zusammengefasst kann somit nach der mündlichen Beschwerdeverhandlung festgestellt werden, dass der BF in Österreich zum Christentum konvertiert ist, seinen Glauben verinnerlicht hat und diesen auch nach außen hin praktiziert. Aus diesen Gründen bestehen keine Zweifel daran, dass der BF jedenfalls vom Islam abgefallen und die Konversion zum Christentum aus innerer Überzeugung vollzogen worden ist. Durch seine auch für Dritte erkennbare christliche Einstellung kann eine Scheinkonversion jedenfalls ausgeschlossen werden.
Der BF brachte zudem glaubhaft vor, auch im Falle ihrer Rückkehr nach Afghanistan seine christliche Lebensweise fortsetzen, seine Religion nicht verleugnen und nicht zum Islam zurückkehren zu wollen (Verhandlungsprotokoll 15.03.2021, S 10).
2.3. Zur Situation des Beschwerdeführers im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan
Den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass afghanische Christen in den meisten Fällen vom Islam zum Christentum konvertiert sind. Neben der drohenden strafrechtlichen Verfolgung werden Konvertiten in der Gesellschaft ausgegrenzt und zum Teil angegriffen. Bei der Konversion vom Islam zum Christentum wird in erster Linie nicht das Christentum als problematisch gesehen, sondern die Abkehr vom und der Austritt aus dem Islam. Laut islamischer Rechtsprechung soll jeder Konvertit drei Tage Zeit bekommen, um seinen Konfessionswechsel zu widerrufen. Sollte es zu keinem Widerruf kommen, gilt Enthauptung als angemessene Strafe für Männer, während Frauen mit lebenslanger Haft bedroht werden.
Diese Umstände stützen die Feststellung, dass der BF als vom Islam zum Christentum Konvertierter mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung wegen seiner nunmehr christlichen Lebensweise zu befürchten hat.
Aufgrund der sich aus den Länderfeststellungen ergebenden Situation von Konvertiten im gesamten afghanischen Staatsgebiet steht dem BF auch keine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung.
2.4. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan
Die Feststellungen zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das Länderinformationsblatt. Da dieser aktuelle Länderbericht auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen beruht und dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche über Afghanistan darbietet, besteht im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung
Zu Spruchteil A) Stattgabe der Beschwerde
3.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen (zulässigen) Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie (Richtlinie 2011/95/EU) verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0080, mwN).
Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist im Übrigen, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht. Sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 05.09.2016, Ra 2016/19/0074 uva.). Verlangt wird eine "Verfolgungsgefahr", wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 10.06.1998, 96/20/0287).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten (VwGH 24.02.2015, Ra 2014/18/0063); auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 28.01.2015, Ra 2014/18/0112 mwN). Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).
Wenn Asylsuchende in bestimmten Landesteilen vor Verfolgung sicher sind und ihnen insoweit auch zumutbar ist, den Schutz ihres Herkunftsstaates in Anspruch zu nehmen, bedürfen sie nicht des Schutzes durch Asyl (vgl. VwGH 15.03.2001, 99/20/0036). Eine inländische Fluchtalternative ist nur dann gegeben, wenn sie vom Asylwerber in zumutbarer Weise in Anspruch genommen werden kann. Herrschen am Ort der ins Auge gefassten Fluchtalternative - nicht notwendigerweise auf Konventionsgründen beruhende - Bedingungen, die eine Verbringung des Betroffenen dorthin als Verstoß gegen Art. 3 EMRK erscheinen lassen würden, so ist die Zumutbarkeit jedenfalls zu verneinen (vgl. VwGH 16.12.2010, 2007/20/0913). Das Zumutbarkeitskalkül, das dem Konzept einer "internen Flucht- oder Schutzalternative" innewohnt, setzt voraus, dass nähere Feststellungen über die zu erwartende konkrete Lage des Betroffenen in dem in Frage kommenden Gebiet getroffen werden (vgl. VwGH 29.04.2015, Ra 2014/20/0151, mwN).
Um die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu erreichen, müssen konkrete, gegen den Asylwerber selbst gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft gemacht werden (VwGH 10.03.1994, 94/19/0056). In diesem Zusammenhang hat der Betroffene die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darzustellen (EGMR 07.07.1987, Nr. 12877/87, Kalema/Frankreich).
3.2. Dazu ist zunächst der rechtliche Rahmen, nämlich unter welchen Voraussetzungen eine Konversion überhaupt einen asylrelevanten Verfolgungsgrund darstellen kann, näher zu beleuchten:
Die drei dafür essentiellen Komponenten sind zum einen die Verfolgungsrelevanz im Herkunftsstaat, ferner die Praktizierung des neuen Glaubens im Herkunftsland sowie die ernsthafte Zuwendung zum neuen Glauben, dh. der Religionswechsel muss aus innerer Überzeugung erfolgt sein. Was das Erfordernis der Verfolgungsrelevanz im Herkunftsstaat betrifft, so bedeutet dies, dass für die Konversion im Heimatland ein entsprechendes Verbot bestehen muss; jedoch sind auch schwere Diskriminierungen denkbar und kann auch einer nichtstaatlichen Verfolgung Relevanz zukommen.
Aus dem der Status-RL ergibt sich zum Begriff der „Verfolgung“ in diesem Zusammenhang: Gemäß Artikel 9 Absatz 2 Status-RL ist eine (drohende) Strafverfolgung aufgrund der Konversion nur dann als eine Verfolgungshandlung von ausreichender Schwere zu beurteilen, wenn sie unverhältnismäßig oder diskriminierend ist. Dabei genügt es nicht, dass die Apostasie oder die Konversion im Herkunftsstaat generell unter Strafe gestellt ist, sondern es muss diese auch vom Staat in unverhältnismäßiger oder diskriminierender Weise exekutiert und vollzogen werden.
Ein ähnlicher Tenor findet sich auch im Urteil des EuGH vom 04.10.2018, Fathi, C-56/17 wieder, wo es wie folgt heißt: „Der Umstand, dass Verhaltensweisen im Zusammenhang mit der Ausübung der Religionsfreiheit nach dem Recht des Herkunftslandes mit unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Sanktionen geahndet werden, reicht für die Annahme des Vorliegens einer Verfolgung im Sinne des Artikel 9 Status-RL aus, wenn erwiesen ist, dass solche Sanktionen tatsächlich angewandt werden und der Antragsteller nachweislich Gefahr läuft, ihnen bei Rückkehr in das Herkunftsland ausgesetzt zu sein.“
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 30.06.2005, Zahl: 2003/20/0544) ist zur Frage der Verfolgungsgefahr bei Iranern, die vom Islam zum Christentum konvertiert sind, maßgeblich, ob der Asylwerber bei weiterer Ausführung des behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grunde mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion belegt zu werden (so schon im Erkenntnis des VwGH vom 24.10.2001, Z1. 99/20/0550, ebenfalls VwGH vom 17.10.2002, Zahl: 2000/20/0102). In gleichem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis vom 31.05.2001, Zl. 2001/20/0054, im Zusammenhang mit einer noch nicht erfolgten, aber beabsichtigten Konversion zum Ausdruck gebracht, dass für die Beurteilung des Asylanspruches maßgeblich sei, ob der Asylwerber in seinem Heimatstaat in der Lage war, eine von ihm gewählte Religion frei auszuüben, oder ob er bei Ausführung seines inneren Entschlusses, vom Islam abzufallen und zum Christentum überzutreten, mit asylrelevanter Verfolgung rechnen müsse.
3.3. Der BF ist erst in Österreich mit dem Christentum in Berührung gekommen und im Jahr 2018 getauft worden.
Bei einer erst nach Verlassen des Herkunftsstaates erfolgten Konversion eines Fremden vom Islam zum Christentum ist zu prüfen, ob die Konversion allenfalls bloß zum Schein erfolgt ist. Nach VwGH 18.10.2018, Ra 2018/19/0236 kommt es bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung des Konvertiten an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 22.2.2018, Ra 2017/18/0426; 23.5.2017, Ra 2017/18/0028).
Hat der Fremde nicht behauptet, im Fall seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat wieder vom christlichen Glauben zum Islam übertreten zu wollen, und ist der Fremde nicht nur zum Schein zum Christentum konvertiert, kommt es nicht auf die Frage an, welche Konsequenzen der Asylwerber wegen einer bloß vorübergehenden, der Asylerlangung dienenden Annahme des christlichen Glaubens zu befürchten hätte. Vielmehr ist maßgeblich, ob er bei weiterer Ausführung seines behaupteten inneren Entschlusses, nach dem christlichen Glauben zu leben, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müsste, aus diesem Grund mit einer die Intensität von Verfolgung erreichenden Sanktion (allenfalls sogar mit der Todesstrafe) belegt zu werden (VwGH 24.10.2001, 99/20/0550; VwGH 19.12.2001, 2000/20/0369; VwGH 17.10.2002, 2000/20/0102; VwGH 30.06.2005, 2003/20/0544; VwGH 14.11.2007, 2004/20/0485; zuletzt VwGH 20.06.2017, Ra 2017/01/0076; VwGH 07.05.2018, Ra 2018/20/0186; VwGH 12.06.2020, Ra 2019/18/0440).
Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 05.09.2012 in den verbundenen Rechtssachen C 71/11 und C 99/11, Bundesrepublik Deutschland gegen Y und Z, ist Artikel 2 Buchstabe c der Richtlinie 2004/83 dahingehend auszulegen, dass eine begründete Furcht des Antragstellers vor Verfolgung vorliegt, sobald nach Auffassung der zuständigen Behörden im Hinblick auf die persönlichen Umstände des Antragstellers vernünftigerweise anzunehmen ist, dass er nach Rückkehr in sein Herkunftsland religiöse Betätigungen vornehmen wird, die ihn der tatsächlichen Gefahr einer Verfolgung aussetzen. Bei der individuellen Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Flüchtling können die Behörden dem Antragsteller nicht zumuten, auf diese religiöse Betätigung zu verzichten.
Nach den alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union bindenden normativen Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b RL 2011/95/EG kann einem Flüchtling daher nicht zugemutet werden, sich bei der Religionsausübung auf das sogenannte "forum internum" zu beschränken.
Asylbegehren, die auf Verfolgung mit religiösem Hintergrund gestützt werden, müssen unter Berücksichtigung der unmittelbar anwendbaren Vorgaben des Artikel 10 Abs. 1 b RL 2011/95/EG geprüft werden. Gemäß dieser Richtlinie muss die öffentliche Ausübung ("forum externum") des christlichen Glaubens in Lehre, Gottesdienst und Sakramentsverwaltung möglich sein (siehe auch VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0210 mit Verweis auf EuGH 05.09.2012, C-71/11 und C-99/11, BRD gg. Y Z, ua.).
3.4. Nach islamischem Verständnis bedeutet (bereits) der Abfall vom Islam einen hochverratsähnlichen Angriff auf das Staats- und Gesellschaftssystem und es besteht daher eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der BF bei einer Rückkehr nach Afghanistan Verfolgungshandlungen bis hin zur Todesstrafe ausgesetzt ist.
Zudem könnte der BF nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichtes im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan keine wie im Verfahren dargelegte Glaubensbetätigung vornehmen, ohne mit der erforderlichen beachtlichen Wahrscheinlichkeit von im Rahmen des Art. 1, Abschn. A, Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention relevanten Verfolgungsmaßnahmen betroffen zu sein. Im Falle der Glaubensbetätigung in der Öffentlichkeit, wie etwa der Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten oder der Vornahme von Gebeten in Gemeinschaft mit Anderen bzw. gar im Falle des Versuches, Andere vom Christentum überzeugen zu wollen, würde sich der BF der beachtlichen Gefahr staatlicher Willkürmaßnahmen aussetzen.
3.5. Im vorliegenden Fall ergibt sich daher bei Zugrundelegung der Angaben des BF und obiger Sachverhaltsdarstellung, dass der BF aufgrund seiner Religionszugehörigkeit zum Christentum bei seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Gefahr läuft, asylrelevant verfolgt zu werden. Zudem ist, wie in der Beweiswürdigung ausgeführt, eine Scheinkonversion zur Erlangung des Status des Asylberechtigten im Falle des BF ausgeschlossen.
Nach den getroffenen Feststellungen ist von Verfolgung in asylrelevanter Intensität im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, und zwar aus Gründen der Religion auszugehen.
Infolge des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich das Vorliegen einer zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Verfolgungsgefahr aufgrund religiöser Elemente.
3.6. Eine innerstaatliche Fluchtalternative ist aufgrund der Tatsache, dass die Verfolgung im gesamten Staatsgebiet von Afghanistan sowohl staatlichen Behörden als auch von Privaten ausgeht, im Falle des BF auszuschließen.
3.7. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass der BF den Flüchtlingsbegriff des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK erfüllt, da er sich aus wohlbegründeter Furcht, aus religiösen Gründen verfolgt zu werden, außerhalb des Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Da auch keiner der in Artikel 1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- und Ausschlussgründe vorliegt, war Asyl zu gewähren.
Der Vollständigkeit halber ist anzuführen, dass sich aus dem Akteninhalt auch keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit eines Ausschlussgrundes nach § 6 AsylG 2005 ergeben.
Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 war die Entscheidung über die Asylgewährung mit der Feststellung zu verbinden, dass dem BF damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision
Gemäß § 25 Absatz 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF., hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder im gegenständlichen Antrag vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht vorgekommen.
Ob ein Glaubenswechsel tatsächlich aus innerer Überzeugung vollzogen worden ist und dessen mögliche Folgen für den BF im Herkunftsstaat sind zudem auf Ebene der Beweiswürdigung zu beurteilen.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Schlagworte
Asylgewährung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Christentum Fluchtgründe Flüchtlingseigenschaft Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit inländische Schutzalternative innerstaatliche Fluchtalternative Konversion mündliche Verhandlung Nachfluchtgründe Religionsausübung Religionsfreiheit religiöse Gründe Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete FurchtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W186.2171787.1.00Im RIS seit
31.08.2021Zuletzt aktualisiert am
31.08.2021