TE Bvwg Erkenntnis 2021/4/30 W272 2232194-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.04.2021
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Entscheidungsdatum

30.04.2021

Norm

BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §52 Abs5
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §53 Abs3 Z5
StGB §146
StGB §147
StGB §148
StGB §156
StGB §223
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W272 2232194-1/35E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN, als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Ukraine, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen, Regionaldirektion Wien, vom 14.05.2020, Zahl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, hält sich seit 1998 durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf. Er verfügt über einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, ausgestellt durch die zuständige Niederlassungsbehörde MA 35. Sein Aufenthalt war bisher rechtmäßig.

Der BF wurde in Österreich im Jahr 2014 zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Der BF hat das Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs. 1 StGB, das Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB, das Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 2. Fall StGB und das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 und 148 2. Fall StGB begangen.

Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen XXXX vom 25.07.2018 wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 und 148 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten unbedingte Haft verurteilt. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung. Mit Entscheidung des Oberlandesgerichtes XXXX vom 13.02.2019 wurde der Berufung nicht Folge gegeben.

Am 19.02.2019 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl anlässlich des infolge seiner ersten rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung eingeleiteten Verfahrens zur Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und eines Einreiseverbotes niederschriftlich einvernommen.

Dieses Verfahren endete am 19.02.2019 mit einer schriftlichen Ermahnung. Dabei wurde der Beschwerdeführer ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass er im Falle eines weiteren Fehlverhaltens damit zu rechnen habe, dass gegen ihn erneut ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme geführt und ein solches erlassen werde.

Mit Schreiben vom 12.03.2019, vom 13.08.2019 und vom 12.02.2020 teilte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Beschwerdeführer mit, dass beabsichtigt sei, gegen ihn eine Rückkehrentscheidung in Verbindung mit einem Einreiseverbot zu erlassen, und ersuchte den Beschwerdeführer um Mitteilung seiner persönlichen Verhältnisse durch Beantwortung darauf gerichteter Fragen und Vorlage von Belegen. Der BF ließ alle drei ihm schriftlich zugestellten Parteiengehöre unbeantwortet.

Mit gegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.05.2020 wurde gegen den BF gem. § 52 Abs. 5 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt I.). Gem. § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gem. § 46 FPG in die Ukraine zulässig ist (Spruchpunkt II.). Gem. § 55 Abs. 4 FPG eine Frist zur freiwilligen Ausreise nicht gewährt (Spruchpunkt III.) und gem. § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung aberkannt (Spruchpunkt IV). Gem. § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG wurde gegen ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Das BFA begründete die Entscheidung im Wesentlichen damit, dass der BF wiederholt rechtskräftig verurteilt wurde und dies aufgrund der gleichen schädlichen Neigung. Der BF habe wiederholt Dritte finanziell geschädigt, um seinen eigenen Lebensunterhalt zu finanzieren. Er habe wiederholt sein Aufenthaltsrecht dahingehend missbraucht, dass er gewerbsmäßig und wiederholt Betrugshandlungen setzte, um sich das mangelhafte Einkommen zu verbessern. Dieses Verhalten begründe eine erhebliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, seine strafrechtlichen Verurteilungen stellen ein besonders schwerwiegendes Verbrechen dar, bei dem die Wiederholungsgefahr besonders hoch sei und dem eine große Sozialschädlichkeit anhafte. Es handle sich aufgrund seiner wiederholten strafrechtlichen Handlungen um keinen „Ausrutscher“. Bei Rückkehr des BF ist mit keiner realen Gefahr einer Menschenrechtsverletzung zu rechnen. Das geordnete Fremdenwesen sieht eine sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme vor. Es sieht § 18 Abs. 2 BFA-VG zwingend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung vor. Es ist dem BF zumutbar den Ausgang seines Verfahrens im Herkunftsstaat abzuwarten. Sein Verbleib in Österreich stelle eine gegenwärtige, erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Gem. § 55 Abs. 4 FPG hat das BFA von der Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abzusehen, wenn die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gem. § 18 Abs. 2 BFA-VG aberkannt wird. Da dies der Fall war, war keine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF rechtzeitig Beschwerde, beantragte den gegenständlichen Bescheid aufzuheben, in eventu festzustellen, dass die gem. § 52 Abs. 5 FPG erlassene Rückkehrentscheidung gem. § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig sei, in eventu das Einreisverbot vollumfänglich zu beheben bzw. herabzusetzen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen oder den Bescheid zu beheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen. Bezüglich der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung brachte der BF vor, dass die belangte Behörde es unterlassen habe, die Auswirkungen der gegenständlichen Entscheidung auf das Privatleben des BF in erforderlichem Ausmaß sowie die Folgen, die eine Abschiebung in die Ukraine für den BF in Hinblick auf eine Inhaftierung unter nicht menschenrechtskonformen Haftbedingungen in einem ukrainischen Gefängnis zu berücksichtigten, insbesondere als der BF krank sei. Der BF sei über 20 Jahre in Österreich, er habe sich sozial und beruflich integriert. Sein Sohn und seine österreichische Ehefrau leben in Österreich und er führe ein inniges Verhältnis mit diesen. Auch werde er in der Ukraine seit 2013 gesucht, aus den Länderberichten sei ableitbar, dass die Haftbedingung unter internationalen Standards seien und zuweilen eine ernsthafte Bedrohung für Leben und Gesundheit der Gefangenen vorherrsche. Misshandlungen, Mangel an medizinischer Versorgung und Ernährung, schlechte Hygiene und Mangel an Licht in der Haft seien anhaltende Probleme.

Mit (Teil)Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.07.2020 wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. stattgegeben, dieser Spruchpunkt ersatzlos behoben und gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wurde insoweit stattgegeben, als gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt.

Mit email vom 07.10.2020 wurde seitens BMI mitgeteilt, dass keine Interpolfahndung gegen den BF seitens der ukrainischen Behörden aufliegt. Weiters wurde die Mitteilung an die ukrainischen Behörden vorgelegt, wonach eine Auslieferung aufgrund des Beschlusses des LG für Strafsachen XXXX vom 17.03.2014 in die Ukraine nicht zulässig sei, da der BF in Österreich verurteilt und in Haft genommen wurde. Der BF wurde bedingt entlassen. Aufgrund einer weiteren Verurteilung wurde die bedingte Entlassung widerrufen und der BF verbüßt eine Freiheitsstrafe. Somit wird mit Vollzug des widerrufenen Restes der ersten Freiheitsstrafe die Ne bis in idem Wirkung eintreten.

Mit Schreiben vom 01.09.2020 legte RA Mag.a XXXX eine Vollmachtsbekanntgabe vor.

Am 16.11.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung durch. Der Rechtsvertreterin wurde bekanntgegeben, dass seitens des BMI mitgeteilt wurde, dass gegen den BF keine Interpolfahndung seitens der ukrainischen Behörden aufliegt. Die Rechtsvertreterin gab bekannt, dass sie daraus nicht den Schluss ziehe, dass die Anklage gegen den BF fallen gelassen wurde. Der würde sich bemühen, ehebaldigst eine Information über den jetzigen Stand des Strafverfahrens in die Ukraine vorzulegen. Die Verhandlung wurde aufgrund Abwesenheit des Dolmetschers nicht durchgeführt.

Mit email vom 23.11.2020 übermittelte das BMI ein Schreiben der nationalen Polizei in der Ukraine, in der mitgeteilt wurde, dass die Strafsache vom 23.11.2012 nach dem Verdacht gegen den BF der Verübung der Straftat nach ukrainischen Strafgesetzbuch (Betrug in besonders großem Maße bzw. von einer organisierten Gruppe) am 07.09.2020 geschlossen wurde. Die Fahndung nach dem BF wurde eingestellt.

Mit Schriftsatz vom 09.12.2020 teilte die Rechtsvertretung mit, dass das Vollmachtsverhältnis aufgelöst wurde.

Mit Schriftsatz vom 15.12.2020 teilte die RA Mag.a XXXX mit, dass die Vollmacht wieder erteilt wurde. Dabei wurden Berichte über die unmenschliche bzw. erniedrigende Behandlung in ukrainischen Gefängnissen vorgelegt. Der Rechtsanwältin wurden am 16.12.2020 die Mitteilungen des BMI übermittelt.

Am 22.12.2020 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG.

In einem Schreiben vom 18.01.2021 übermittelte das BMI ein Schreiben betreffend die Auslieferung des Beschwerdeführers, in der mitgeteilt wurde, dass der Beschwerdeführer zuletzt mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 18. April 2013, XXXX , zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt worden sei. Er sei aus dem Vollzug dieser Freiheitsstrafe am 12.08.2016 bedingt entlassen, wobei diese bedingte Entlassung im Zuge einer weiteren Verurteilung widerrufen worden sei. Derzeit befinde sich der Verurteilte in Strafhaft, wobei das Strafende auf den 5. Oktober 2023 falle. Das im Inlandsverfahren ergangene Urteil sei der Generalstaatsanwaltschaft Kiew zur Kenntnis gebracht worden. Zur Frage der Wirkung des österreichischen Urteils auf das in der Ukraine (wegen desselben Sachverhalts) anhängigen Verfahrens wurde festgehalten, dass die Republik Österreich und die Ukraine das Europäische Übereinkommen über die internationale Geltung von Strafurteilen vom 28. Mai 1970 ratifiziert haben, welches in Artikel 53 Abs 1 lit b) vorsieht, dass eine Person, gegen die ein Europäisches Strafurteil ergangen ist, wegen derselben Handlung in einem anderen Vertragsstaat weder verfolgt, abgeurteilt, noch der Vollstreckung einer Sanktion unterworfen werden kann, wenn die verhängte Sanktion verbüßt wird oder ganz verbüßt worden ist. Vor diesem Hintergrund könne daher eine Verfolgung wegen des der Auslieferung zugrundeliegenden Sachverhalts in der Ukraine nicht mehr stattfinden, wenn die Sanktion verbüßt werde oder ganz verbüßt worden sei.

Am 22.03.2021 brachte der Beschwerdeführer durch seine Vertreterin eine Korrespondenz von Mag.a XXXX mit Herrn XXXX inklusive beglaubigter Übersetzung in Vorlage. In dieser Übersetzung wurde der Antrag an die ukrainischen Behörden/Gerichte (29.12.2019 gem. Übersetzung, es wird der 29.12.2020 gemeint sein/12.01.2021 und danach Gericht) mit dem Ersuchen um Übermittlung des Beschlusses, dass das Strafverfahren Nr. 1201211000000092 (Nummer des Strafverfahrens) eingestellt wurde. Bis dato seien die Behörden und Gerichte ihren gesetzlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen und hätten den entsprechenden Beschluss nicht der Rechtsvertretung übermittelt.

Im Rahmen des Parteiengehörs vom 31.03.2021 wurden der rechtsfreundlichen Vertretung des Beschwerdeführers und dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Möglichkeit zur Stellungnahme betreffend die von Seiten des Beschwerdeführers vorgelegten Unterlagen eingeräumt.

In der Stellungnahme der rechtsfreundlichen Vertreterin des Beschwerdeführers vom 15.04.2021 wurde im Wesentlichen vorgebracht, dass das anhängige Strafverfahren in der Ukraine unter Berücksichtigung der dort herrschenden Haftbedingungen und Gefährdung durch Strafverfolgungsbehörden auch im Rahmen der zu tätigenden Interessensabwägung in die Entscheidungsfindung einzubeziehen sei. Ferner wurde darauf hingewiesen, dass aus der am 22.03.2021 dem BVwG vorgelegten Korrespondenz hervor gehe, dass die ukrainische Staatsanwaltschaft bis dato trotz Urgenzen unterlassen habe, dem rechtsfreundlichen Vertreter des BF in der Ukraine einen etwaig bestehenden Beschluss zur Einstellung des gegen den BF geführten Strafverfahrens zu übermitteln. Somit sei nicht auszuschließen, dass gegen den BF weiterhin Strafverfahren bzw. Ermittlungen anhängig seien. Daraus folge, dass den BF in der Ukraine Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität bzw. der körperlichen Unversehrtheit erwarten. Diese seien im Rahmen einer iSd Art. 8 EMRK durchzuführenden Interessensabwägung selbst dann ins Kalkül zu ziehen, wenn sie nicht die von Art. 3 EMRK geforderte Schwere und Intensität erreichen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister, das Strafregister/Strafurteile und der mündlichen Verhandlung werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine wurde am XXXX in der Stadt XXXX (Ukraine) geboren, ist seit dem Jahr 1998 in Österreich und hält sich seither - aufgrund eines ihm erteilten Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Er ist mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Sein volljähriger Sohn aus erster Ehe lebt in Österreich, seine Tochter lebt in Moskau. Die Beziehung zu seiner Frau ist nicht intensiv. Der BF hat die ersten 28 Jahre seines Lebens in der Ukraine verbracht, wurde dort sozialisiert, versteht die Landessprache und spricht Russisch, Serbisch, Kroatisch, Slowenisch und etwas Deutsch. In der Ukraine lebt die Schwester des BF.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 18.04.2013, rechtskräftig am 03.07.2014, wurde der Beschwerdeführer wegen der Verbrechen der betrügerischen Krida nach § 156 Abs. 1 StGB, das Vergehen der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 1 StGB, das Verbrechen der Verleumdung nach § 297 Abs. 1 2. Fall StGB und das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und Abs. 3 und 148 2. Fall StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt.

Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer als selbständiger Geschäftsmann, in 12 Jahren „Geschäftstätigkeit“ kein einziges Geschäft abgeschlossen und keinen einzigen Euro legal verdient hat. Er hat aus den Straftaten und früheren Kreditaufnahmen Schulden von mehreren Millionen Euro, wobei diesem Betrag keinerlei bei der Hausdurchsuchung sichergestellten Wertsachen, keinerlei Vermögen gegenüberstand.

Er wurde aus dem Vollzug dieser Freiheitsstrafe am 12.08.2016 bedingt entlassen, wobei diese bedingte Entlassung im Zuge einer weiteren Verurteilung widerrufen wurde.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 25.07.2018, rechtskräftig am 13.02.2019, wurde der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach §§ 146, 147 Abs. 2 und 148 2. Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 21 Monaten unbedingte Haft verurteilt.

Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer im Zeitraum von 08.03.2017 bis 15.05.2017 mit dem Vorsatz, sich durch das Verhalten der Getäuschten unrechtmäßig zu bereichern, und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren (§ 147 Abs. 2 StGB) Betrugshandlungen längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges fortlaufendes Einkommen zu verschaffen, nachdem er bereits einmal wegen einer solchen Tat verurteilt worden ist. Der Beschwerdeführer hat sein Opfer in drei selbstständigen Angriffen durch Täuschung über die Tatsache der vertragskonformen Verwendung der von ihr als Investitionszahlungen übergebenen Bargeldbeträge sowie deren fristgerechten und vollständigen Rückzahlung samt Zinsen, zu Handlungen, und zwar zur Übergabe von Bargeldbeträgen in Gesamthöhe von € 70.000, -- verleitet, sein Opfer in dem genannten, mithin einem € 5.000, -- übersteigenden Betrag am Vermögen schädigte. Der Beschwerdeführer hat hierdurch das Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2, 148 zweiter Fall StGB begangen, weshalb er nach dem zweiten Strafsatzes de § 148 StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 21 Monaten verurteilt wurde. Bei der Strafbemessung wertete das Landesgericht den Umstand, der teilweisen Schadensgutmachung in Höhe von € 10.000, -- als mildernd. Als erschwerend wurden das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und die beiden einschlägigen Vorstrafen und die Tatbegehung binnen offener Probezeit berücksichtigt.

Dieses Urteil wuchs, nach der Berufungsentscheidung des Oberlandesgerichtes XXXX am 13.02.2019 in Rechtskraft.

Das Oberlandesgericht begründete seine Entscheidung – im Rahmen derer der Berufung keine Folge gegeben wurde - damit, dass das Erstgericht die besonderen Strafzumessungsgründe im Wesentlichen vollständig aufgezählt und angemessen gewichtet habe. Eine weitere Reduktion oder gar einer bedingten Nachsicht sei keinesfalls zugänglich. Dabei wären die, wie vom Erstgericht zutreffend ausgeführt – das einschlägig getrübte Vorleben sowie die neuerliche Tatbegehung binnen offener Probezeit mit demselben modus operandi zu berücksichtigen, wobei gravierend auch der rasche Rückfall hinzukomme. Der Beschwerdeführer sei am 12.08.2016 nach Vollzug von drei Jahren und zehn Monaten Freiheitsstrafe – aus einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Jahren und neun Monaten – bedingt entlassen worden und habe er bereits im Februar 2017 den Entschluss zur Begehung der gegenständlichen strafbaren Handlungen gefasst, zu deren Zwecke er bereits Ende Februar 2017 mit dem Opfer zum Schein eine Beziehung eingegangen sei. Der teilweisen Schadenswiedergutmachung komme dabei kaum mildernde Bedeutung bei. So sei erst am Tag vor der Hauptverhandlung im Auftrag des Beschwerdeführers von einem unbekannten Mann dem Opfer ein Betrag von € 10.000, -- zurückgezahlt worden; dies unter der Aufforderung, entgegen der gesetzlichen Verpflichtung des Opfers nicht zur anberaumten Hauptverhandlung zu erschienen, welcher dieser jedoch nicht nachgekommen sei. Von diesem Umstand sowie davon ausgehend, dass die Schadensgutmachung lediglich ein Siebentel des Gesamtschadens ausmache, käme – entgegen dem Berufungsvorbringen – dieser keine weitere mildernde Wirkung bei. Ebenfalls erfolglos sei die Beschwerde gegen den Widerruf der bedingten Entlassung. Der Beschwerdeführer sei aufgrund der exakt einschlägigen Tathandlungen, die der Beschwerdeführer in raschem Rückfall nach seiner bedingten Entlassung setzte und dabei mit gehörig krimineller Energie vorgegangen sei, jedenfalls zur nun verhängten Freiheitsstrafe von 21 Monaten geboten und auch den Strafrest von einem Jahr und elf Monaten vollziehen zu lassen, um den Beschwerdeführer zukünftig von weiteren strafbaren Handlungen abzuhalten.

Vom Beschwerdeführer geht eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Es wird keine positive Zukunftsprognose abgegeben.

Derzeit befindet sich der Beschwerdeführer in Strafhaft, wobei das Strafende auf den 05.10.2023 fällt.

Der Beschwerdeführer hat nicht glaubhaft vorgebracht, dass ihm in der Ukraine eine reale Bedrohungssituation für das Leben oder die körperliche Unversehrtheit droht. Aufgrund seines Alters und Gesundheitszustandes ist er zu einer eigenständigen Bestreitung seines Lebensunterhalts in der Ukraine in der Lage.

Festgestellt wird, dass die aktuell vorherrschende COVID-19-Pandemie kein Rückkehrhindernis darstellt. In der Ukraine liegt die tägliche Infektionsrate liegt bei ca. 8.000 Neuinfizierte und 400 Todesfälle pro Tag. Gerechnet auf die Einwohnerzahl ist die Inzidenz mit jener von Österreich vergleichbar. Der Beschwerdeführer ist gesund und gehört mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es besteht keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Russische Föderation eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung in einem Krankenhaus erleiden würde.

Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers wird auf die Länderberichte verwiesen, aus denen sich eine unbedenkliche allgemeine Lage für Rückkehrer ergibt. Der BF läuft nicht in Gefahr in eine existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann in der Ukraine einer Arbeit nachgehen, eine Wohnung nehmen und seinen Lebensunterhalt verdienen und besorgen.

Es konnten keine Umstände festgestellt werden, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat unzulässig wäre.

Die Ukraine gilt als sicherer Herkunftsstaat.

1.2. Zum Herkunftsstaat:

Das BVwG trifft folgende Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat unter Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Gesamtaktualisierung am 09.07.2020:

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Staatsoberhaupt ist seit 20. Mai 2019 Präsident Wolodymyr Selenskyj (AA 6.3.2020). Beobachtern zufolge verlief die Präsidentschaftswahl am 21. April 2019 im Großen und Ganzen frei und fair und entsprach generell den Regeln des demokratischen Wettstreits. Kritisiert wurden unter anderem die unklare Wahlkampffinanzierung und die Medienberichterstattung in der Wahlauseinandersetzung (KP 22.4.2019). Auf der russisch besetzten Halbinsel Krim und in den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Donbas fanden keine Wahlen statt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). 2019 war ein Superwahljahr in der Ukraine. Am 31. März fanden die Präsidentschaftswahlen statt; Parlamentswahlen waren ursprünglich für den 27. Oktober 2019 angesetzt. Nach der Inauguration des Präsidenten Selenskyj wurde das Parlament aufgelöst. Die vorgezogenen Parlamentswahlen fanden am 21. Juli 2019 statt (GIZ 3.2020a). Selenskyjs Partei „Sluha Narodu“ (Diener des Volkes) gewann 254 von 450 Sitzen. Die Wahlbeteiligung war mit knapp 50% geringer als vor fünf Jahren. Die OSZE sprach trotz des klaren Ergebnisses von einer fairen Konkurrenz. Zwar bemängelte sie fehlende Transparenz bei der Finanzierung des Wahlkampfs, insgesamt registrierten die Wahlbeobachter bei der Abstimmung allerdings keine gröberen Verstöße (FH 4.3.2020; vgl. BAMF 22.7.2019, DS 22.7.2019). Es wurden sechs Fraktionen gebildet: „Diener des Volkes“ mit 254 Sitzen, die Oppositionsplattform „Für das Leben“ mit 44 Sitzen, Europäische Solidarität (Ex-Block Poroschenko) mit 27 Sitzen, Batkivshchyna (Julia Timoschenkos Partei) mit 25 Sitzen, Holos (Stimme) mit 17 Sitzen und schließlich die aus unabhängigen Abgeordneten bestehende Fraktion „Für die Zukunft“ mit 23 Sitzen (KP 29.8.2019). Auf der Krim und in den von Separatisten kontrollierten Teilen des Donbas konnten die Wahlen nicht stattfinden; folglich wurden nur 424 der 450 Sitze im Parlament besetzt. Darüber hinaus sind rund eine Million ukrainische Bürger nicht wahlberechtigt, weil sie keine registrierte Adresse haben (FH 4.3.2020).

Die nach der „Revolution der Würde“auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch von Präsident Poroschenko verfolgte europafreundliche Reformpolitik wird durch Präsident Selenskyj verstärkt fortgesetzt. Grundlage bildet ein ambitioniertes Programm für fast alle Lebensbereiche. Schwerpunkte liegen u.a. auf Korruptionsbekämpfung, Digitalisierung, Bildung und Stimulierung des Wirtschaftswachstums. Selenskyj kann sich dabei auf eine absolute Mehrheit im Parlament stützen. Diese Politik, maßgeblich von der internationalen Gemeinschaft unterstützt, hat über eine Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren zu einer Annäherung an europäische Verhältnisse geführt (AA 29.2.2020). Während des ersten Jahres seiner Amtszeit war Präsident Selenskyj mit einigen Herausforderungen konfrontiert (RFE/RL 20.4.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Zwar liegt seine Popularität nicht mehr bei den historischen 70% Unterstützung, die er einst genoss; Umfragen zeigen jedoch, dass seine Zustimmungswerte immer noch höher sind als die aller seiner Vorgänger (RFE/RL 25.4.2020). Im März 2020 gestaltete er die Regierung um, nachdem Ministerpräsident Hon?aruk seinen Rücktritt bekanntgegeben hatte (DW 3.3.2020; vgl. Brookings 20.5.2020). Seit 4. März 2020 ist Denys Schmyhal neuer Ministerpräsident und somit Regierungschef (AA 6.3.2020). Dem neuen Kabinett fehlt jedoch die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Reformen und Mitglieder der alten Eliten sind in Machtpositionen zurückgekehrt. Ob und wie stark das Kabinett Veränderungen durchsetzen wird, muss sich erst zeigen (Brookings 20.5.2020).

Das ukrainische Parlament (Verkhovna Rada) wurde bisher über ein Mischsystem zur Hälfte nach Verhältniswahlrecht und zur anderen Hälfte nach Mehrheitswahl in Direktwahlkreisen gewählt. Das gemischte Wahlsystem wird als anfällig für Manipulation und Stimmenkauf kritisiert. Ukrainische Oligarchen üben durch ihre finanzielle Unterstützung für verschiedene politische Parteien einen bedeutenden Einfluss auf die Politik aus (FH 4.3.2020). Im Dezember 2019 wurde vom Parlament ein neues Wahlgesetz beschlossen. Es sieht teils ein Verhältniswahlsystem mit offenen Parteilisten sowohl für Parlaments- als auch für Kommunalwahlen vor (FH 4.3.2020).

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 29.2.2020).

Die Sicherheitslage außerhalb der besetzten Gebiete im Osten des Landes ist im Allgemeinen stabil. Allerdings gab es in den letzten Jahren eine Reihe von öffentlichkeitswirksamen Attentaten und Attentatsversuchen, von denen sich einige gegen politische Persönlichkeiten richteten (FH 4.3.2020). In den von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk wurde nach Wiederherstellung der staatlichen Ordnung der Neuaufbau begonnen. Die humanitäre Versorgung der Bevölkerung ist sichergestellt (AA 29.2.2020).

Russland hat im März 2014 die Krim annektiert und unterstützt seit Frühjahr 2014 die selbst erklärten separatistischen „Volksrepubliken“ im Osten der Ukraine. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen im Osten sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. Binnenflüchtlinge sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer (Russland, Polen, Belarus) geflohen (AA 29.2.2020). Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Schäden ergebensich auch durch Kampfmittelrückstände (v.a. Antipersonenminen). Mit der Präsidentschaft Selenskyjs hat der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland), insbesondere nach dem Pariser Gipfel im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland) am 9. Dezember 2019 wieder an Dynamik gewonnen. Fortschritte beschränken sich indes überwiegend auf humanitäre Aspekte (Gefangenenaustausch). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die unter anderem aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Gleichwohl hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2020 verlängert (AA 29.2.2020).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019). Die Besatzung der involvierten ukrainischen Schiffe wurde im September 2019 freigelassen, ihre Festnahme bleibt indes Gegenstand eines von der Ukraine angestrengten Verfahrens vor dem Internationalen Seegerichtshof (AA 29.2.2020). Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Frieden in der Ostukraine gehörte zu den zentralen Versprechen von Wolodymyr Selenskyj während seiner Wahlkampagne 2019. In der Tat gelangen ihm einige Durchbrüche innerhalb der ersten zehn Monate seiner Präsidentschaft. Es kam zu einem mehrmaligen Austausch von Gefangenen, zur Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, zu einer relativ erfolgreichen Waffenruhe im August 2019 und zum Normandie-Treffen unter Teilnahme des russischen, französischen und ukrainischen Präsidenten sowie der deutschen Bundeskanzlerin. An der Dynamik des Konfliktes hat sich jedoch wenig verändert. Im Donbas wird weiterhin geschossen und die gegenwärtigen Verluste des ukrainischen Militärs sind mit denen in den Jahren 2018 und 2019 vergleichbar. In den ersten drei Monaten 2020 starben 27 ukrainische Soldaten in den Kampfhandlungen (KAS 4.2020).

Ostukraine

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Seit Beginn der bewaffneten Auseinandersetzungen sind über 13.000 Menschen getötet und rund 30.000 Personen verletzt worden, davon laut OHCHR zwischen 7.000 und 9.000 Zivilisten. 1,5 Mio. IDPs sind innerhalb der Ukraine registriert; nach Schätzungen von UNHCR sind weitere 1,55 Mio. Ukrainer in Nachbarländer geflohen (AA 29.2.2020). An der Dynamik des Konfliktes hat sich wenig verändert, obwohl 2019 einige Durchbrüche gelangen, wie der mehrmalige Austausch von Gefangenen, die Entflechtung der Streitkräfte beider Seiten an drei Abschnitten der Kontaktlinie, und eine relativ erfolgreiche Waffenruhe im August 2019 (KAS 4.2020). Auch im April 2020 kam es wieder zu einem Gefangenenaustausch (RFE/RL 16.4.2020).

In den nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk kam es besonders 2014/15 zu schwersten Menschenrechtsverletzungen. Obwohl die Separatisten seither die öffentliche Ordnung und eine soziale Grundversorgung im Wesentlichen wiederhergestellt haben, werden zahlreiche Grundrechte (v.a. Meinungs- und Religionsfreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Eigentumsrechte) weiterhin systematisch missachtet (AA 29.2.2020).

In den selbsternannten Volksrepubliken Donezk (DPR) und Luhansk (LPR) gibt es seit 2014 keine unabhängige Justiz und das Recht auf ein faires Verfahren wird systematisch eingeschränkt. Es werden Inhaftierungen auf unbestimmte Zeit ohne gerichtliche Überprüfung und ohne Anklage oder Gerichtsverfahren berichtet. Bei Verdacht auf Spionage oder Verbindungen zur ukrainischen Regierung werden von Militärgerichten geheime Gerichtsverfahren abgehalten, gegen deren Urteile es nahezu keine Beschwerdemöglichkeit gibt und die Berichten zufolge lediglich dazu dienen, bei der Verfolgung von Personen einen Anschein von Legalität zu wahren. Willkürliche Verhaftung sind in der DPR und der LPR weit verbreitet. 2018 wurde die Möglichkeit der Präventivhaft für 30 bis 60 Tage geschaffen, wenn eine Person an Verbrechen gegen die Sicherheit von DPR oder LPR beteiligt gewesen sein soll. Die Präventivhaft wird Angehörigen nicht mitgeteilt (incommunicado) und kein Kontakt zu einem Rechtsbeistand und Verwandten zugelassen. Der Zustand der Hafteinrichtungen in den separatistisch kontrollierten Gebieten verschlechtert sich weiter und wird als hart und teils lebensbedrohlich bezeichnet. Berichtenzufolge existiert in den Gebieten Donezk und Luhansk in Kellern, Abwasserschächten, Garagen und Industrieunternehmen ein umfangreiches Netz inoffizieller Haftstätten. Es gibt Berichte über schweren Mangel an Nahrungsmitteln, Wasser, sanitären Einrichtungen und angemessener medizinischer Versorgung. Es gibt Berichte über systematische Übergriffe gegen Gefangene, wie körperliche Misshandlung, Folter, Hunger, sexuelle Gewalt, öffentliche Demütigung, Verweigerung der medizinischen Versorgung und Einzelhaft sowie den umfangreichen Einsatz von Gefangenen als Zwangsarbeiter zur persönlichen Bereicherung der separatistischen Anführer (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020).

Im Donbas unterdrücken die Separatisten die Rede- und Pressefreiheit durch Belästigung, Einschüchterung, Entführungen und Übergriffe auf Journalisten und Medien (USDOS 11.3.2020; vgl. FH 2020, ÖB 2.2019). Die Separatisten verhindern auch die Übertragung ukrainischer und unabhängiger Fernseh- und Radioprogramme in von ihnen kontrollierten Gebieten. In der LPR sollen die Websites von mehr als 50 ukrainischen Nachrichtenagenturen blockiert worden sein. Journalisten werden in der DNR genau überwacht, müssen die „Behörden“ der Separatisten z.B. über ihre Aktivitäten informieren oder werden von Mitgliedern bewaffneter Gruppen begleitet, wenn sie sich in der Nähe der Kontaktlinie bewegen.

Es sind nur Demonstrationen zulässig, welche von den lokalen „Behörden“ unterstützt oder organisiert werden; oft mit erzwungener Teilnahme. In der DNR/LNR können nationale und internationale zivilgesellschaftliche Organisationen nicht frei arbeiten. Es gibt eine steigende Zahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen, die von den Separatisten gegründet wurden (USDOS 11.3.2020). Es gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen waren und bleiben weiterhin betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen oder nur zeitweise gesichert, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Aufgrund der fehlenden Rechtsstaatlichkeit in den Separatistengebieten sind dort Frauen besonders gefährdet. Es gibt Berichte über Missbrauch, Sexsklaverei und Menschenhandel (ÖB 2.2019). Die meisten LGBTI-Personen sind aus den separatistischen Teilen der Oblaste Donezk und Luhansk geflohen oder verstecken ihre sexuelle Orientierung bzw. Geschlechtsidentität (USDOS 13.3.2019). 2019 soll sich laut Berichten das soziale Stigma und die Intoleranz aufgrund der sexuellen Orientierung und der Geschlechtsidentität verschärft haben; v.a. aufgrund der Anwendung von Gesetzen, welche die "Propaganda gleichgeschlechtlicher Beziehungen" kriminalisieren (USDOS 11.3.2020). Obwohl DNR und LNR in ihren Verfassungen Religionsfreiheit garantieren, sind Anhänger von Glaubensrichtungen, die nicht der russisch-orthodoxen Kirche angehören, Verfolgung ausgesetzt. Am schlimmsten betroffen sind die Zeugen Jehovas, die 2018 als extremistische Organisation vollständig verboten wurden und deren Eigentum beschlagnahmt wurde (FH 2020).

Die separatistischen Kräfte im Gebiet Donezk verboten die humanitäre Hilfe der ukrainischen Regierung und schränken die Hilfe internationaler humanitärer Organisationen ein. Infolgedessen sind Berichten zufolge die Preise für Grundnahrungsmittel für viele Personen, die auf dem von Russland kontrollierten Gebiet verblieben, zu hoch. Menschenrechtsgruppen berichten auch über einen ausgeprägten Mangel an Medikamenten, Kohle und medizinischen Hilfsgütern. Es kommen weiterhin Konvois der russischen „humanitären Hilfe“ an, die nach Ansicht der ukrainischen Regierungsbeamten aber Waffen und Lieferungen für die separatistischen Streitkräfte enthalten (USDOS 11.3.2020). Die laufende Handelsblockade zwischen den besetzten Gebieten in der Ostukraine und dem Rest der Ukraine dämpfte, kombiniert mit Korruption und anhaltenden Kampfhandlungen, die Bemühungen zur Wiederbelebung der lokalen Wirtschaft. Viele Einwohner sind auf humanitäre Hilfe angewiesen (FH 2020).

Durch die Kontaktlinie, welche die Konfliktparteien trennt, wird das Recht auf Bewegungsfreiheit beschnitten und Gemeinden getrennt. Jeden Tag warten bis zu 30.000 Menschen stundenlang unter erschwerten Bedingungen an den fünf Checkpoints auf das Überqueren der Kontaktlinie. Unzureichend beschilderte Minen entlang der Straßen stellen eine Gefahr für die Wartenden dar (ÖB 2.2019; vgl. PCU 3.2019). Es gibt nur unzureichende sanitäre Einrichtungen, speziell auf separatistischer Seite (HRW 17.1.2019). Die Bewegungsfreiheit nach Russland ist weniger eingeschränkt (FH 2020).

Im Zuge der Kampfhandlungen zwischen der Ukraine und den Separatisten kam es 2014 in jenen Gebieten, in denen nicht die ukrainischen Streitkräfte selbst, sondern Freiwilligenbataillone eingesetzt waren, mitunter zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Diese Bataillone wurden in der Folgezeit sukzessive der Nationalgarde (Innenministerium) unterstellt, nur das Bataillon „Ajdar“ wurde in die Armee eingegliedert. Offiziell wurden Freiwilligenbataillone danach nicht mehr an der Kontaktlinie, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete eingesetzt. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen kam, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, evtl. auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Infolge des Übergangs von der ATO (Anti-Terror-Operation in der Ostukraine, geführt vom SBU, Anm.) zu der nunmehr von der Armee koordinierten OVK (Operation der Vereinigten Kräfte) mit April 2018, wurden verbliebene Freiwilligenverbände endgültig in die regulären Streitkräfte eingegliedert oder haben die OVK-Zone verlassen (AA 29.2.2020).

Es gibt Berichte über Entführungen auf beiden Seiten der Kontaktlinie. Am häufigsten wurden Zivilisten von den von Russland geführten Streitkräften an Ein-/Ausreisekontrollpunkten entlang der Kontaktlinie festgenommen. Beide Konfliktparteien setzen Landminen ohne Umzäunung, Beschilderung oder andere Maßnahmen ein, wodurch Opfer unter der Zivilbevölkerung verhindert werden könnten. Besonders akut sind die Risiken für Personen, die in Städten und Siedlungen in der Nähe der Kontaktlinie leben, sowie für Personen, welche die Kontaktlinie täglich überqueren müssen (USDOS 11.3.2020). Von Jänner bis November 2019 dokumentierte die UNHochkommissarin für Menschenrechte 162 konfliktbezogene zivile Unfallopfer; davon kamen 26 zu Tode, 136 wurden verletzt. Dabei wurden 101 der Unfälle durch Handfeuerwaffen und 58 durch Minen und Sprengstoffe verursacht. Insgesamt war im Jahr 2019 gegenüber 2018 ein Rückgang konfliktbedingter Unfälle um fast 40% zu verzeichnen (AA 29.2.2020). Zu den fünf Gruppen, die am stärksten vom Konflikt betroffen sind, gehören ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen, IDPs, Kinder und Familien von Alleinerzieherinnen (UN 1.2020).

Im Juni 2019 begann die Russische Föderation damit, in einem erleichterten Verfahren russische Pässe für ukrainische Staatsbürger, die in den besetzten Gebieten leben, auszustellen (FH 2020). Acht Monate nach der Vereinfachung des Verfahrens zum Erwerb eines russischen Passes für die Donbas-Bewohner gab Russland bekannt, dass es bereits über 196.000 Ukrainern die Staatsbürgerschaft verliehen hatte (TMT 3.1.2020).

Rechtsschutz / Justizwesen

Die ukrainische Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor, die Gerichte sind aber trotz Reformmaßnahmen der Regierung weiterhin ineffizient und anfällig für politischen Druck und Korruption. Das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz ist gering. Trotz der Bemühungen um eine Reform der Justiz und der Generalstaatsanwaltschaft ist Korruption bei Richtern und Staatsanwälten weiterhin ein Problem. Zivilgesellschaftliche Gruppen bemängeln weiterhin die schwache Gewaltenteilung zwischen der Exekutive und der Judikative. Einige Richter behaupten Druckausübung durch hochrangige Politiker. Einige Richter und Staatsanwälte erhielten Berichten zufolge Bestechungsgelder. Andere Faktoren, welche das Recht auf ein faires Verfahren behindern, sind langwierige Gerichtsverfahren, insbesondere bei Verwaltungsgerichten, unterfinanzierte Gerichte und mangelnde Möglichkeiten Urteile durchzusetzen (USDOS 11.3.2020).

Die ukrainische Justizreform trat im September 2016 in Kraft, der langjährige Prozess der Implementierung der Reform dauert weiter an. Bereits 2014 startete ein umfangreicher Erneuerungsprozess mit der Annahme eines Lustrationsgesetzes, das u.a. die Entlassung aller Gerichtspräsidenten sowie die Erneuerung der Selbstverwaltungsorgane der Richterschaft vorsah. Eine im Februar 2015 angenommene Gesetzesänderung zur „Sicherstellung des Rechtes auf ein faires Verfahren“ sieht auch eine Erneuerung der gesamten Richterschaft anhand einer individuellen qualitativen Überprüfung („re-attestation“) aller Richter vor, die jedoch von der Zivilgesellschaft als teils unzureichend kritisiert wurde. Bislang wurden laut Informationen von ukrainischen Zivilgesellschaftsvertretern rund 2.000 der insgesamt 8.000 in der Ukraine tätigen Richter diesem Prozess unterzogen, wobei rund 10% entweder von selbst zurücktraten oder bei der Prozedur durchfielen. Ein wesentliches Element der Justizreform ist auch der vollständig neu gegründete Oberste Gerichtshof, der am 15. Dezember 2017 seine Arbeit aufnahm. Allgemein ist der umfassende Erneuerungsprozess der Richterschaft jedoch weiterhin in Gange und schreitet nur langsam voran. Die daraus resultierende häufige Unterbesetzung der Gerichte führt teilweisezu Verfahrensverzögerungen. Von internationaler Seite wurde die Annahme der weitreichenden Justizreform weitgehend begrüßt (ÖB 2.2019). 2014 wurde auch eine umfassende Reform der Staatsanwaltschaft in Gang gesetzt. In erster Linie ging es dabei auch darum, das schwer angeschlagene Vertrauen in die Institution wieder herzustellen, weshalb ein großer Teil dieser Reform auch eine Erneuerung des Personals vorsieht. Im Juli 2015 begann die vierstufige Aufnahmeprozedur für neue Mitarbeiter. Durchgesetzt haben sich in erster Linie jedoch Kandidaten, die bereits in der Generalstaatsanwaltschaft Erfahrung gesammelt hatten. Weiters wurde der Generalstaatsanwaltschaft ihre Funktion als allgemeine Aufsichtsbehörde mit der Justizreform 2016 auf Verfassungsebene entzogen, was jedoch noch nicht einfach gesetzlich umgesetzt wurde. Jedenfalls wurde in einer ersten Phase die Struktur der Staatsanwaltschaft verschlankt, indem über 600 Bezirksstaatsanwaltschaften auf 178 reduziert wurden. 2017 wurde mit dem Staatsanwaltschaftsrat („council of prosecutors“) ein neues Selbstverwaltungsorgan der Staatsanwaltschaft geschaffen. Es gab bereits erste Disziplinarstrafen und Entlassungen, Untersuchungen gegen die Führungsebene der Staatsanwaltschaft wurden jedoch vorerst vermieden. Auch eine spezialisierte Antikorruptions-Staatsanwaltschaft wurde geschaffen. Diese Reformen wurden vor allem wegen der mangelnden personellen Erneuerung der Staatsanwaltschaft kritisiert. Auch erhöhte die Reform die Belastung der Ankläger, die im Durchschnitt rund je 100 Strafverfahren gleichzeitig bearbeiten, was zu einer Senkung der Effektivität der Institution beiträgt. Allgemein bleibt aber, trotz einer signifikanten Reduktion der Zahl der Staatsanwälte, diese im europäischen Vergleich enorm hoch, jedoch ineffizient auf die zentrale, regionale und lokale Ebene verteilt (ÖB 2.2019).

Die jüngsten Reforminitiativen, die sich gegen korrupte und politisierte Gerichte wenden, sind ins Stocken geraten oder blieben hinter den Erwartungen zurück. Das neue Hohe AntiKorruptionsgericht, das im September 2019 seine Arbeit aufgenommen hat, hat noch keine Ergebnisse erzielt. Obwohl es Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren gibt, können Personen mit finanziellen Mitteln und politischem Einfluss in der Praxis einer Strafverfolgung wegen Fehlverhaltens entgehen (FH 4.3.2020). Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis orientieren sich an westeuropäischen Standards. Untersuchungshaft wird nach umfassender Reform des Strafverfahrensrechts erkennbar seltener angeordnet als früher (AA 29.2.2020). Nach den 2019 veröffentlichten Statistiken des World Prison Bureau sind etwa 36% der Gefangenen in der Ukraine Untersuchungshäftlinge (FH 4.3.2020).

Sicherheitsbehörden

Das Innenministerium ist für die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und Ordnung zuständig. Das Ministerium beaufsichtigt das Personal der Polizei und anderer Strafverfolgungsbehörden. Der Sicherheitsdienst der Ukraine (SBU) ist für den Staatsschutz im weitesten Sinne, den nichtmilitärischen Nachrichtendienst sowie für Fragen der Spionage- und Terrorismusbekämpfung zuständig. Das Innenministerium untersteht dem Ministerkabinett, der SBU ist direkt dem Präsidenten unterstellt. Das Verteidigungsministerium schützt das Land vor Angriffen aus dem Inund Ausland, gewährleistet die Souveränität und die Integrität der Landesgrenzen und übt die Kontrolle über die Aktivitäten der Streitkräfte im Einklang mit dem Gesetz aus. Der Präsident ist der oberste Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Das Verteidigungsministerium untersteht direkt dem Präsidenten. Der Staatliche Steuerfiskus übt über die Steuerpolizei Strafverfolgungsbefugnisse aus und untersteht dem Ministerkabinett. Der dem Innenministerium unterstellte Staatliche Migrationsdienst setzt die staatliche Politik in Bezug auf Grenzsicherheit, Migration, Staatsbürgerschaft und Registrierung von Flüchtlingen und anderen Migranten um (USDOS 11.3.2020).

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Regierung hat es jedoch im Allgemeinen versäumt, angemessene Schritte zu unternehmen, um Missbräuche durch Beamte strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen stellten erhebliche Mängel bei den Ermittlungen zu mutmaßlichen Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Sicherheitskräfte fest. Zuweilen wenden die Sicherheitskräfte selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen (USDOS 11.3.2020), oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen. Dies betrifft vor allem Hassverbrechen gegen ethnische Minderheiten, insbesondere Roma, LGBT-Personen, Feministinnen oder Personen, die von ihren Angreifern als „anti-ukrainisch“ wahrgenommen werden. Auch die Misshandlung von Festgenommenen durch die Polizei ist weiterhin ein Problem (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 16.4.2020).

Während der Maidan-Proteste 2013/2014 kam es zu Menschenrechtsverletzungen durch die gewaltsame Unterdrückung der Proteste durch Sicherheitskräfte, mehr als 100 Menschen wurdengetötet, hunderte verletzt. Die laufende Untersuchung zu diesen Verbrechen ist langsam und ineffektiv (AI 16.4.2020). Es wurden dennoch einige Fortschritte erzielt, 422 Menschen wurden angeklagt, 52 verurteilt und 9 davon mit einer Gefängnisstrafe belegt. Die Gesellschaft fordert jedoch, dass auch diejenigen, die die Befehle zur Tötung gaben, zur Rechenschaft gezogen werden, und nicht nur jene, die diesen Befehlen folgten (BTI 2020).

In den letzten Jahren wurden u.a. Reformen im Bereich der Polizei durchgeführt (AA 29.2.2020). Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „ReAttestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Februar 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Khatia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffungeines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter des Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt (ÖB 2.2019). Kritiker bemängeln, dass bei den Reformen der Strafverfolgung ab 2015 systemische Fragen im Innenministerium und im Strafrechtssystem nicht behandelt wurden, und dass sich das weit verbreitete kriminelle Verhalten von Polizisten, Ermittlern und Staatsanwälten fortsetzt bzw. sich in einigen Fällen sogar verschlechtert hat (AC 30.6.2020).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafungen, die gegen die Menschenwürde verstoßen, sind gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 29.2.2020).

Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustande gekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Die Misshandlung von Gefangenen durch die Polizei blieb ein weit verbreitetes Problem. In einem Bericht des UN-Sonderberichterstatters über Folter und andere grausame,unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe von Jänner 2019 heißt es, dass der Sonderberichterstatter zahlreiche Vorwürfe von Folter und Misshandlung durch die Polizei erhalten habe, darunter auch gegen Jugendliche, fast immer während der Festnahme und des Verhörs. Die meisten Insassen berichteten, dass die Untersuchungsbeamten eine solche Behandlung einsetzten, um sie einzuschüchtern oder sie zu zwingen, ein angebliches Verbrechen zu gestehen. Der Sonderberichterstatter stellte ferner fest, dass es Rechtsanwälten, Polizeibeamten, Staatsanwälten und Richtern an grundlegenden Kenntnissen mangelte, um Anschuldigungen von Folter und Misshandlung angemessen zu untersuchen und zu dokumentieren. Folglich erhielten Opfer von Folter oder anderen Misshandlungen im Allgemeinen keine Hilfe von staatlichen Behörden. Nach Angaben der Charkiwer Menschenrechtsgruppe berichteten diejenigen, die bei der Generalstaatsanwaltschaft Folterbeschwerden eingereicht hatten, dass Strafverfolgungsbeamte sie oder ihre Angehörigen eingeschüchtert und gezwungen hätten, ihre Beschwerden zurückzuziehen. Menschenrechtsorganisationen und Medien berichteten über Todesfälle aufgrund von Folter oder Vernachlässigung durch Polizei oder Gefängnispersonal (USDOS 11.3.2020).

Im von der Regierung kontrollierten Gebiet erhielt das Office of the UN High Commissioner for Human Rights Monitoring Mission in Ukraine (HRMMU) weiterhin Vorwürfe, dass der SBU Personen sowohl in offiziellen als auch in inoffiziellen Haftanstalten festhielt und missbrauchte, um Informationen zu erhalten und Verdächtige unter Druck zu setzen, damit sie gestehen oder kooperieren. Die Zahl der gemeldeten Fälle war erheblich geringer als in den vergangenen Jahren. HRMMU vermutete, dass solche Fälle zu wenig gemeldet wurden, weil die Opfer oft in Haft blieben oder aus Angst vor Vergeltungsmaßnahmen oder aus mangelndem Vertrauen in das Justizsystem Angst hatten, Missbrauch anzuzeigen. Dem HRMMU zufolge gibt der Mangel an wirksamen Ermittlungen in zuvor dokumentierten Fällen von Folter und körperlicher Misshandlung nach wie vor Anlass zur Sorge (USDOS 11.3.2020). Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse des HRMMU, einige wenige Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlungen wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen. HRMMU, das sonst in regierungskontrollierten Gebieten problemlos Zugang zu Inhaftierten erhält, beklagte in der Vergangenheit gelegentlich erhebliche Verzögerungen beim Erhalt von Besuchsgenehmigungen für Personen, gegen die der SBU ermittelt. Ein im Mai 2017 bekannt gewordener Gesetzentwurf räumt die Existenz illegaler SBU-Gefängnisse ein und zielt darauf ab, diese auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen (AA 29.2.2020).

Aus den von Separatisten kontrollierten Gebieten im Osten der Ukraine (Donbas) gibt es Berichte über gewaltsame Unterdrückung aller Formen von Dissidenten, allgegenwärtige Folter und andere Misshandlungen von Gefangenen (AI 16.4.2020; vgl. USDOS 11.3.2020). Nach Angaben internationaler Organisationen und NGOs gehören zu den Missbräuchen Schläge, Zwangsarbeit, psychische und physische Folter, öffentliche Erniedrigung und sexuelle Gewalt (USDOS 11.3.2020).

Korruption

Die Ukraine wird im 2019 Corruption Perceptions Index von Transparency International mit 30 (von 100) Punkten bewertet (0=highly corrupt, 100=very clean) (TI 2019). Die Gesetze sehen strafrechtliche Sanktionen für Korruption vor, aber die Behörden setzen diese nicht effektiv um, und viele Beamte sind ungestraft korrupt, weniger in der Regierung, aber auf allen Ebenen der Exekutive, Legislative und der Justizbehörden. Trotz Maßnahmen zur Bekämpfung der Korruption durch die Regierung, bleibt diese ein Problem für Bürger und Unternehmen (USDOS 13.3.2019).

Korruption ist in der Ukraine weit verbreitet und stellt seit vielen Jahren ein inhärentes Problem dar. Korruption war ein zentrales Thema während der Proteste in Kiew im Herbst/Winter 2013/2014, die im Februar 2014 mit einem Regimewechsel endeten. In den Jahren 2014 und 2015 wurden im Rahmen einer nationalen Antikorruptionsstrategie mehrere neue Gremien zur Bekämpfung der Korruption auf verschiedenen Ebenen des Regierungsapparats eingerichtet. Darüber hinaus wurden Reformen in Polizei und Justiz eingeleitet, die beide stark von Korruption betroffen sind. Bis heute gibt es je nach Zuständigkeitsbereich eine Reihe von Stellen, die Korruptionsfälle untersuchen und strafrechtlich verfolgen. Es kam jedoch, wenn überhaupt, nur zu sehr wenigen Verurteilungen (Landinfo 2.3.2020). Bis vor kurzem gab es keine separaten Gesetze zum Schutz von Informanten, weshalb viele Bürger Korruption nicht anzeigen wollten. Im Jänner 2020 trat ein neues bzw. geändertes Gesetz zum Schutz von Informanten bezüglich Korruption in Kraft (Landinfo 2.3.2020; vgl. RFE/RL 14.11.2019).

Im Juni 2018 unterzeichnete der Präsident das Gesetz über das Hohe Antikorruptionsgericht (HACC) (USDOS 13.3.2019). Das HACC nahm im September 2019 seine Arbeit auf. Mit der Schaffung des HACC wurde das System der Organe des Landes zur Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene vervollständigt und zwei zuvor geschaffene Antikorruptionsbehörden, das Nationale Antikorruptionsbüro (NABU) und die Sonderstaatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung, ergänzt. Die neuen unabhängigen Antikorruptionsbehörden sehen sich politischem Druck ausgesetzt, der das Vertrauen der Öffentlichkeit untergräbt, Bedenken hinsichtlich des Engagements der Regierung im Kampf gegen die Korruption aufkommen ließ und die Zukunftsfähigkeit der Institutionen bedroht (USDOS 11.3.2020). Mit der Errichtung des Hohen Antikorruptionsgerichts wurde der Aufbau des institutionellen Rahmens für die Bekämpfung der endemischen Korruption abgeschlossen (AA 29.2.2020). Das HACC hat jedoch bisher noch keine Ergebnisse erzielt (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020).

Ende Februar 2019 hat das ukrainische Verfassungsgericht Artikel 368-2 des ukrainischen Strafgesetzbuches, welcher illegale Bereicherung durch ukrainische Amtsträger kriminalisierte, aufgehoben, weil er gegen die Unschuldsvermutung verstoßen habe. In der Folge musste NABU 65 anhängige Ermittlungen gegen Parlamentarier, Richter, Staatsanwälte und andere Beamte einstellen, die teilweise schon vor Gericht gekommen waren. Die EU zeigte sich über diese Entscheidung besorgt (Hi 3.3.2019). Am 26. November 2019 unterzeichnete Präsident Selenskyj ein Gesetz, das die strafrechtliche Verantwortung für die unrechtmäßige Bereicherung von Regierungsbeamten wieder einführte (USDOS 11.3.2020).

Das Gesetz schreibt vor, dass hohe Amtsträger Einkommens- und Ausgabenerklärungen vorlegen müssen und diese durch die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NAPC) geprüft werden. Die NAPC überprüft neben diesen Finanzerklärungen auch die Parteienfinanzierung. Beobachter stellen jedoch zunehmend infrage, ob die NAPC die Fähigkeit und Unabhängigkeit besitzt, diese Funktion zu erfüllen (USDOS 11.5.2020; vgl. ÖB 2.2019).

Durch den Reformkurs der letzten Jahre wurden mehr Transparenz und gesellschaftliches Bewusstsein für Korruption erreicht. Dennoch sind Korruption, Oligarchie und teilweise mafiöse Strukturen weiterhin Teil des Alltags der Menschen in der Ukraine, ob im Gesundheits- oder Bildungsbereich, in der Wirtschaft, im Zollwesen sowie in der Medienlandschaft (KAS 2019). Korruption ist nach wie vor ein ernstes Problem und trotz des starken Drucks der Zivilgesellschaft ist der politische Wille gering, dagegen anzugehen. Antikorruptionsagenturen wurden wiederholt in politisch belastete Konflikte mit anderen staatlichen Stellen und gewählten Vertretern verwickelt (FH 4.3.2020). I

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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